Die Shiba-Dingos von Wolfswinkel

Eine kynologische Kostbarkeit der Eberhard Trumler-Station in Wolfswinkel sind vier Shiba-Dingo-Mischlinge. Besucher, die das wohl weltweit einzigartige Rudel beobachten, machen eine Zeitreise in die frühe Geschichte unserer Haushunde. Ein Bericht von Dr. Frank G. Wörner, ehemaliger wissenschaftlicher Leiter der Station.

Der ursprüngliche Shiba Inu ist ein beherzter, intelligenter Hund mit fuchsähnlichem Aussehen und einer gehörigen Portion Jagdpassion.

Unbestritten ist Wolfswinkel, die von EBERHARD TRUMLER 1979 gegründete Station der Gesellschaft für Haustierforschung, eines der bekanntesten Zentren der kynologischen Forschung in Deutschland. Der vor nunmehr bald 11 Jahren verstorbene TRUMLER (1923 – 1991) schuf in Wolfswinkel eine Stätte, wo neben der Erforschung des Sozialverhaltens unserer Hunde auch Domestikationsprozesse untersucht werden können, und zwar nicht museal an den morschen Knochen längst vermoderter Exemplare unserer geliebten Vierbeiner, sondern an lebendigen Hunden, zu denen wir Kontakt aufnehmen und die uns eine Fülle an Erkenntnissen geben können (… sowie das Studium der Domestikationsprozesse selbst… “- It. Vorgabe der Satzung der GfH”).

Der Neuguineadingo
Dem Besucher von WoIfswinkel wird im Rahmen einer Führung ein Spaziergang durch die Geschichte des Hundes geboten, beginnend von Tieren, die fast noch Wölfe sind – dem aus dem in Buch und Film “Das Jahr des Hundes” vorgestellten Scheichrudel – über verschiedene Domestikationsstufen von Paria- und Straßenhunden bis hin zu den Haushundmischlingen. Eine leicht übersehene Gruppe, dennoch aber eine kynologische Kostbarkeit, stellen die liebenswerten Mischlingshunde Shiba x Dingo dar. Ober den bekannten Australischen Dingo berichteten wir bereits, also einem Hund aus der Steinzeit und somit einem Tier, das dem Wolf noch sehr nahe steht. Weniger bekannt sind diejenigen, die auf der Leiter der Domestikation bereits eine Sprosse höher gekommen sind; insbesondere der erst 1956 im Hochland von Neuguinea entdeckte schensiartige Hallstromhund – oder Neuguineadingo der Papuas Neuguineas.

Berichte über ihn und seine Beziehungen zu den Menschen liegen zwar bereits seit langem vor – so u.a. in den Tagebuchaufzeichnungen eines Plantagenverwalters der deutschen Kolonialzeit im heutigen Papua Neuguinea (VIEWEG, 1906-09), jedoch wurde er erst sehr spät von der Kynologie als eigene und uralte Landrasse erkannt und wissenschaftlich beschrieben. Man hielt ihn zunächst für einen echten Wildhund, und er bekam auch des halb den eigenen wissenschaftlichen Namen Canis hallstromi (TROUGHTON, 1957). Inzwischen hat sich aber längst herausgestellt, daß auch der Hallstromhund ein dem australischen Dingo nahestehender und wieder teilweise verwilderter Haushund ist. Unter bestimmten Bedingungen kann der Domestikationsprozeß reversibel sein!

Jagdhund der Papuas
Generell ist der Neuguineadingo etwas kleiner als sein australischer Bruder, er ist maximal mittelgroß und hat einen fuchsähnlichen Kopf. Auffallend sind die oft weiß gezeichneten Extremitätenenden sowie die weiße Rutenspitze. Das rostfarbene Fell ist zumeist glatt; auch diese Dingoform bellt nicht, sondern hat ein melodisches Heulen, was ihm in der englischen Literatur den Namen “Singing Dog” einbrachte, Stimmäußerungen also, die beispielsweise auch an den Basenji Zentralafrikas oder die Hunde der Punan aus Nordborneo erinnern lassen.

Allerdings hielten im Gegensatz zu den australischen Aborigines die Papuas ihre Hunde als Jagdhunde, wobei – nach VIEWEGs Berichten – diese Tiere quälerischen Prozeduren unterworfen wurden, um angeblich ihre jagdlichen Einsatzmöglichkeiten zu verbessern. Diese Hallstromhunde wurden im Normalfall nicht gefüttert, sondern mußten sich ihre Nahrung stehlen oder aber um die Dörfer selbst suchen, was sie natürlich immer wieder verwildern ließ. Reichlich gefüttert wurden sie allerdings, um bei einem Festschmaus ihrer Besitzer serviert zu werden. Die ihnen ausgebrochenen Zähne dienen in entlegenen Gegenden Neuguineas teilweise heute noch als Schmuck, in früheren Zeiten auch als Zahlungsmittel. Mit fortschreitender Zivilisation der Papuas und dem damit verbundenen Wandel ihrer Lebensweise ist auch der Neuguineadingo zumindest selten geworden, wenn nicht sogar vom Aussterben bedroht.

Shiba-Dingo-Mischlinge
Es war EBERHARD TRUMLER, der bei seiner Suche nach dem Ursprung nahestehenden Hunden 1989 auf die Idee kam, seine Neuguineadingo-Hündin mit dem Rüden Che zu verpaaren. Che war ein echter Shiba Inu, wahrscheinlich der erste Shiba überhaupt, der nach Deutschland kam und dann in Wolfswinkel landete (Che starb hochbetagt im Jahr 2000). TRUMLER standen so mit der Hallstromhündin ein Muttertier zur Verfügung, das ganz am Anfang der Geschichte unserer Haushunde stand, mit Che als Vaterrüden ein Hund, der nur wenige Domestikationsschritte von den Ursprüngen anzusiedeln war. Aus dieser Verpaarung erhoffte sich TRUMLER Welpen, die modellhaft als eine Übergangsstufe zwischen ganz ursprünglichen Hunden und Hunden einer niedrigen Domestikationsform eingeordnet werden können; vergleichbar sind diese Experimente mit den Rückzüchtungen alter Haustierrassen – und das putzmuntere Ergebnis dieser Verpaarung kann in Wolfswinkel unter dem Namen ,,Shiba-Dingo” von Wissenschaftlern und Hundefreunden besichtigt werden. Mit weiteren Welpen ist allerdings nicht zu rechnen – TRUMLER verhinderte weitere Nachzuchten, da ,,Sylvie” ihre vier Welpen mit Kaiserschnitt bekommen hatte. Die Idee, daß unsere Haushunde von mehr oder weniger dingoähnlichen Hundeformen abstammen, wurde zuerst von dem Schweizer STUDER vor bereits einem Jahrhundert (1901) publiziert.

Shiba Inu ein vielseitiger Hund
Die Shiba Inu (Inu ist das japanische Wort für Hund) gehören zu der im Erscheinungsbild relativ homogenen Gruppe der Japanischen Spitze – die als Nordische Hunde mit den eigentlichen Spitzen allerdings nicht verwandt sind. Diese Hunde kamen bereits vor rund 6000 Jahren mit den ersten Einwanderern von Asien auf die japanischen Inseln, und die Japaner bezeichnen zu Recht ihn als die älteste einheimische Hunderasse. Auch der Shiba ist ein Hund, der auf der Leiter der Domestikation eher auf den unteren Stufen zu suchen ist. Züchterisch ist – bis in allerjüngste Vergangenheit – weder an seinem Äußeren noch an seinem Wesen viel manipuliert worden, so daß seine alten Schläge noch mit Recht als Urhunde bezeichnet werden können. Er ist der kleinste Vertreter der indigenen japanischen Hunde, mit fuchsähnlichem Kopf und kräftiger Ringelrute. Sein intaktes Sozialverhalten läßt ihn sich seinem Menschenrudel eng anschließen, wobei er sich Fremden gegenüber eher reserviert zeigt (wovon man in Wolfswinkel bei den Siba-Dingos allerdings nichts bemerkt!). Ursprünglich war und ist der Shiba Inu ein vielseitiger Hund, der als Jagdgehilfe von Feder- über Schwarzwild bis hin zu Braunbären einsetzbar ist. Gegenüber ihren teilweise sehr wehrhaften Beutetieren zeichnen sie sich durch enormen Schneid aus, der sie immer wieder angreifen und so das Wild stellen, bzw. auch in Richtung der Jäger treiben läßt. In ihren Jagdtechniken und ihrer bedingungslosen Schärfe erinnern sie an unsere Jagdterrier alten Schlages.

Weltweit einzigartig
Die Shiba-Dingos von Wolfswinkel sind eine der Lieblingsgruppen der zahlreichen Besucher der Eberhard Trumler-Station in Wolfswinkel, vor allem der Kinder. Die Hunde sind außerordentlich menschenbezogen und freuen sich über jeden Besuch in ihrem Gehege; man hat den Eindruck, als komme man nach langer Abwesenheit zurück – so stürmisch werden auch Fremde begrüßt. Ihr Habitus ist der des typischen Nordischen Hundes, und man hat leicht den Eindruck, so könnte der Urtyp einiger Hunde aus diesem Rassekreis ausgesehen haben, etwa der Karelische Bärenhund, der Sibirische Laika oder ein Kurzhaar-Chow.

Als Erbe der Mutter ist ihr Bellen schwach entwickelt und selten zu hören – es ähnelt noch am ehesten einem unartikulierten Wuffen; andere Vokalisationen wie Heulen, vielseitige Knurr- und schreiende Klagenlaute bei den Raufereien sowie das Winseln sind wesentlich häufiger zu verzeichnen. Die Ergebnisse einer Untersuchung über die Lautgebung der Shiba-Dingos liegen in Form einer Diplomarbeit vor.

Das Gehege der Shiba-Dingos ist, entsprechend der in Wolfswinkel konsequent umgesetzten Ideen TRUMLERs, geräumig und naturbelassen. Für die vier Hunde steht ein strukturiertes Gelände zur Verfügung, das sich durch eine üppige Vegetation, durch alte Obstbäume und einen Tümpel auszeichnet. Ihren stark ausgeprägten Jagdtrieb können sie auf der Rattenjagd ausleben; die Ratten werden durch die in den Gehegen liegenden Futterreste angelockt. Den Hunden steht zwar als Schutz vor der manchmal sprichwörtlich rauhen Witterung des Westerwaldes eine Hütte zur Verfügung, ihr Lieblingsaufenthalt ist aber ein umgeknickter alter Obstbaum, in dessen Geäst sie – Nordische Hunde besitzen ein enormes Klettervermögen – Schutz vor dem naßkalten Erdboden und dem feuchten Gras suchen und nach den nächsten Besuchern Ausschau halten.

Diese sympathischen und interessanten Tiere erlauben uns einen Blick in die frühe Geschichte unserer Haushunde; sie sind zwar Kunstprodukte, aber nicht in Form einer auf fossilen Knochenfunden basierenden Computeranimation, sondern quicklebendige und liebenswürdige Wesen mit eigenem Temperament und Charakter, von denen es weltweit wahrscheinlich nur vier Exemplare gibt – eben die Shiba-Dingos von Wolfswinkel!

Erschienen im: Der Hund 4/2002