Interview
Verordnungen

Kaum Schutz vor gefährlichen Hundehaltern

Was verantwortungsbewußte Hundehalter von den jeweiligen Verordnungen halten, ist kein Geheimnis. Wie steht es jedoch mit der Bewertung aus juristischer Sicht? Redakteurin Brinja Goltz sprach mit Dr. jur. Andreas Gängel, der die DER HUND-Leserinnen und -Leser gemeinsam mit seinem Kollegen Timo Gansel seit zwei Jahren über Gesetze, Verordnungen und Urteile im Zuge der Listenhunddiskussion informiert.

DER HUND: Herr Dr. Gängel, die Verordnungen der Bundesländer waren fast überall ein Schnellschuß. Hatten sich die bereits vorhandenen Rechtsvorschriften denn als so unausgereift oder unzureichend erwiesen, daß neue Erlasse wirklich notwendig wurden?

DR. GÄNGEL: Die meisten Bundesländer verfügten seinerzeit über einschlägige Hunde- bzw. Polizeiverordnungen. Sicher wäre es vernünftiger gewesen, die vorhandenen Vollzugsdefizite zunächst zu beseitigen, bevor man die vermeintlichen Regelungsdefizite durch (verschärfte) Neuregelungen behebt und den Vollzug nicht entscheidend verbessert. Gesetzgeberischer Aktionismus, der unausgereifte Rechtsvorschriften zur Folge hat, ist im Ergebnis meist schädlich. So hatte man die Wirksamkeit der damals bestehenden Vorschriften erst genau prüfen sollen, um dann zu abgestimmten, einheitlichen Regelungen für die (Gefahr-)Hundehaltung in den einzelnen Bundesländern zu kommen. Doch zu einer wissenschaftlichen Klärung und Abwägung war nach den tragischen Beißunfällen aus Sicht der Politik scheinbar keine Zeit.

DER HUND: Was war also Ihrer Meinung nach der Grund für die in Eile zusammengefügten Regelungen?

DR. GÄNGEL: Kurz gesagt: der insbesondere durch die Medien erzeugte Druck der Öffentlichkeit. Die Vorschriften stellten insofern ein Alibi für schnelles und konsequentes Handeln der Politik dar. Zweifellos war Ende der neunziger Jahre in Anbetracht sich häufender schwerer Beißunfälle und einer zuweilen hysterischen medialen Begleitung eine Situation entstanden, in der gehandelt werden mußte. In weiten Teilen der Öffentlichkeit war inzwischen der fatale Eindruck entstanden, daß der Staat unfähig sei, seine Bürger zu schützen, daß “Tierschutz vor Menschenschutz” gehe. Das “Kampfhundeproblem” war damit zu einem Politikum erster Ordnung geworden. Vor allem die zuständigen Innenpolitiker kamen unter diesen Umständen ganz überwiegend zu der Überzeugung, das Problem nur noch durch eine spektakuläre Rechtsetzungsaktion beheben zu können. Und so ging selten dermaßen gleichklingend ein Aufschrei der Empörung durch die Landesparlamente und den Deutschen Bundestag, der mit dem Versprechen einherging, konsequent – vor allem im Interesse der Kinder – zu handeln.
Tatsächlich waren es insofern vor allem Versäumnisse der Vergangenheit, die nunmehr dazu zwangen, Betroffenheit zu zeigen, Entschiedenheit zu demonstrieren und durch gleichsam symbolische Rechtsetzungsakte gewissermaßen eine Alibigesetzgebung zu schaffen.

DER HUND: In einigen Bundesländern wurden die jeweiligen Rasselisten von Gerichten als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes bewertet und daher für (teilweise) nichtig erklärt, in anderen Ländern kamen die Richter genau zum gegenteiligen Ergebnis, wie z.B. in Berlin. Kann man einem dort ansässigen Bullterrier-Halter durch diese Gegensatze überhaupt noch die Glaubwürdigkeit der für ihn gültigen Regelung vermitteln?

DR. GÄNGEL: Es ist in der Tat den Hundehaltern kaum noch zu vermitteln, warum in einem Land erlaubt, was im Nachbarland verboten ist oder umgekehrt. Es gibt mittlerweile außerdem eine Vielzahl von ganz zentralen Bestimmungen der Gefahrhunderegelungen, die von den Gerichten unter Heranziehung der gleichen Rechtsprinzipien und -grundsätze kontrovers entschieden worden sind. Damit hat sich zu den uneinheitlichen Regelungen auch noch uneinheitliche Rechtsprechung gesellt. So sinkt zwangsläufig die Bereitschaft der Hundehalter, Regeln anzuerkennen, die nicht bundeseinheitlich gelten. Zu der sinkenden Akzeptanz der Gefahrhunderegelungen kommt dann noch die Unsicherheit über die tatsächlich geltenden Regelungen, die es auch allen verantwortungsbewußten Haltern erschwert, rechtstreu zu bleiben.

DER HUND: Diese unübersichtliche Rechtslage führt, wie Sie sagen, zur Verunsicherung der Hundehalter. Gibt es irgendeinen plausiblen Grund dafür, daß man sich bis jetzt nicht auf eine einheitliche Regelung einigen konnte?

DR. GÄNGEL: Gefahrenabwehr ist Landesrecht, und somit müssen sich die Länder um die Regelung der (Gefahr-)Hundehaltung kümmern. Das wesentliche Problem, das die Einigung erschwert, stellt bekanntermaßen die Aufnahme bzw. Ausgestaltung der Rasselisten in die einschlägigen Landesgesetze bzw. -verordnungen dar. Thuringen ist bislang gegen eine Definition sogenannter gefährlicher Hunde über Rassen. Zudem herrschen in den einzelnen Ländern unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Rassen bzw. Hunde (Größe / Gewicht) erfaßt und mit welchen Auflagen für sie und ihre Halter versehen werden sollen. Und da auch die Rechtsprechung der Gerichte hier bislang uneinheitlich ist, ist meines Erachtens auf dem Wege der Vereinbarung zwischen den Innenministern kurzfristig keine befriedigende Lösung in Sicht. Sie haben es jedenfalls in der Vergangenheit auf einer Vielzahl von Treffen nicht vermocht.

DER HUND: Ist man der Sache an sich – dem Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Hunden – durch die neuen Verordnungen denn überhaupt einen Schritt nähergekommen?

DR. GÄNGEL: Glaubt man den bisherigen Bilanzen, die die Innenminister der einzelnen Länder mittlerweile vorgelegt haben, dann ja. Diese sind durchgängig Erfolgsbilanzen mit zurückgegangenen Beißunfällen.
Meines Erachtens ist man in der Sache selbst – nämlich dem Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Hundehaltern und nicht vor irgendwelchen Rassen bestenfalls einen kleinen Schritt auf einem Umweg zu Lasten der überwiegenden Zahl von verantwortungsbewußten Haltern vorangekommen. Dabei ist Schaden entstanden, der zum einen allgemein in der Radikalisierung des Umgangs mit Hundehaltern und ihren Hunden und zum anderen in dessen Folge zu tatsächlichen Schaden durch tätliche Übergriffe geführt hat. Auch die praktische Rechtsfolge, daß Tierheime bzw. Tierschutzvereine mit der Verantwortung für das Schicksal nicht genehmigungsfähiger bzw. nicht vermittelbarer Hunde belastet werden, ist nicht vertretbar.

DER HUND: Wie wird die deutsche Verordnungs- und Gesetzeslandschaft in Sachen Hund in einigen Jahren aussehen? Wagen Sie bitte eine Prognose.

DR. GÄNGEL: Es gibt keine Anzeichen für eine grundlegende Änderung der gegenwärtigen Rechtslage. Es wird sicher eine weitere allmähliche Angleichung der Landesverordnungen bzw. -gesetze geben. Es würde mich aber nicht wundern, wenn die Politik auch hier die letzte Ausgestaltung der Gefahrhunderegelungen den Gerichten überläßt. Die laufenden Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht um die Rechtsgültigkeit der “Kampfhundeverordnungen” von Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein könnten hier schon Maßstäbe setzten. Gerade im Wahljahr dürften viele Politiker sich scheuen, gerade auf diesem sensiblen Gebiet Verantwortung zu übernehmen.
Ohne große Illusionen zu haben, könnte sich längerfristig allerdings die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz positiv für die “Entschärfung” der bestehenden Vorschriften auswirken. Doch es wäre unrealistisch, sich vielleicht eine völlige Aufhebung zu versprechen.

Erschienen in: Der Hund – 08/2002