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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/1997

Die Kunst des Muskeltestens in der Kinesiologie

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Als eine vielseitig nutzbare und für Psychotherapeuten wie Heilpraktiker gleichermaßen begeisternde Diagnose- und Therapiemethode setzt sich die Kinesiologie immer mehr durch. In ihrem Mittelpunkt steht der Muskeltest, der zurückgeht auf die Erkenntnisse des Chiropraktikers Dr.George Goodheart. Dieser entdeckte Anfang der sechziger Jahre, daß Muskelschwächen durch Streßfaktoren im Körper verursacht werden. Er stellte auch fest, daß bestimmte Muskeln regelmäßig auf bestimmte Organstörungen und bestimmte Meridianblockierungen reagieren. Andere Kinesiologen erweiterten diese Erkenntnisse. So schreibt etwa Dr. John Diamond in seinem Buch”Der Körper lügt nicht”, daß man mit Hilfe des Muskeltests auch die Wirkung bestimmter Farben, Nahrungsmittel, Medikamente, Umgebungsreize, aber auch bestimmter Worte, Gedanken und Gefühle auf den Organismusfeststellen kann, da dieser auf alle Erlebnisse, Wahrnehmungen, Begegnungen, Schwingungen mit einer energetischen Reaktion “stark” oder “schwach” antwortet.

Diese Erkenntnisse sind in den letzten dreißig Jahren durch viele Forscher und Anwender aus den verschiedensten Berufsgruppen bestätigt und erweitert worden. So erlaubt der Muskeltest z.B. dem Psychotherapeuten, mit dem Unbewußten eines Klienten in einen Dialog zu treten und sehr präzise die zu einer Konfliktsituation gehörenden Gefühle und Ängste, inneren Strebungen und Hemmungen sowie dazugehörige prägende Lebensereignisse und Glaubensüberzeugungen herauszufinden, um sie dann mit dem Klienten im therapeutischen Gespräch weiter zu verarbeiten. Konkret beschreibt das u.a. Dr. Dietrich Klinghardt in seinem Buch “Psycho-Kinesiologie”. Neben den erweiterten diagnostischen Möglichkeiten wurden eine Fülle von kinesiologischen Techniken entwickelt oder aus anderen Heilsystemen (z.B. Akupressur und Massage, Farb- und Lichttherapie, Energie- und Bewegungsübungen, Edelstein- und Blütentherapie) adaptiert, die geeignet sind, körperliche und seelische Blockaden aufzulösen, Stress abzubauen und Ängste zu verringern. Und auch hier läßt sich über den Muskeltest individuell ermitteln, welche Technik oder welche Behandlungsform den besten Lösungsweg für den jeweiligen Klienten oder Patienten darstellt. In ähnlicher Weise kann der Heilpraktiker den Körper selbst nach den spezifischen Ursachen einer Krankheit oder Funktionsstörung befragen, die individuell optimalen Heilmittel und ihre geeignete Dosierung austesten sowie die Wirkung seiner Behandlungsmaßnahmen wieder über das Muskelbiofeedback überprüfen. Dabei versteht sich von selbst, daß die kinesiologischen Tests andere klinische oder Labor-Untersuchungen nicht ersetzen, sondern ergänzen sollen!
Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der angewandten Kinesiologie ist es nicht verwunderlich, daß diese Methode immer mehr Anhänger findet. Allerdings sind einige Vorbedingungen zu erfüllen, um wirklich zuverlässige Testergebnisse zu bekommen. Diese nötigen Vortests und Vorkorrekturen, die gleich beschrieben werden sollen, werden leider von vielen Kinesiologie-Anwendern nicht gemacht – leider auch nicht von manchen Therapeuten! Das führt dann zwangsläufig zu falschen oder widersprüchlichen Testergebnissen und bringt somit das ganze Verfahren der Kinesiologie in Mißkredit.

Das Prinzip des Muskeltests

Beim kinesiologischen Muskelcheck wird nicht die”Stärke” eines Muskels getestet, sondern durch einen stets in gleicher Weise ausgeübten sanft ansteigenden Druck auf das zum Test ausgewählte Körperteil wird geprüft, ob der betreffende Muskel energetisch “angeschaltet” oder “abgeschaltet” ist und somit Arm oder Bein in der jeweiligen Ausgangsposition gehalten werden können – oder nicht, wenn man einen bestimmten Reiz dazugibt – z.B. eine Farbe, ein Lebensmittel, eine Substanzprobe, eine Ampulle, ein bestimmtes Stichwort usw.! Den Mechanismus, der dahinter steht, kennt jeder aus verschiedenen Alltagssituationen: Wenn man sich plötzlich erschrickt, z.B. durch einen lauten Knallwerden einem”die Knie weich”, d.h. die Koordinationsfähigkeit unserer Muskulatur wird kurzfristig imitiert, die Muskeln werden “schwach”. Aus dem gleichen Grund bittet man jemanden, dem man eine schlimme Nachricht überbringen muß, in der Regel erst, sich zu setzen, bevor man anfängt zu erzählen; es könnte ihn ja, wenn die Nachricht ihn sehr trifft, glatt von den Beinen hauen! Der Organismus reorganisiert sich gleich wieder und versucht, das verlorengegangene Gleichgewicht wiederzufinden. Normalerweise gelingt das auch recht schnell, was in der Praxis erlaubt, auch viele Muskeltests mit verschiedenen Reizen nacheinander zu machen.

Dahinter steht eine Art Reflex, der zu unserem biologischen Erbe gehört und den man schon bei einzelligen Lebewesen beobachten kann: Auch sie weichen vor für sie irendwie bedrohlich oder unzuträglich erscheinenden Reizen (Lichtreizen, chemischen Reizen usw.) zurück, während sie dem zustreben, was förderlich oder aufbauend für ihren Organismus ist. Jede einzelne unserer Körperzellen und in besonderer Weise unsere Nerven und Gehirnzellen scheinen diese instinktive Fähigkeit und Weisheit in sich zu tragen. Der kinesiologische Muskeltest bedeutet also eine Kommunikation mit dieser Ebene des Organismus durch die Muskeln. Die Muskelreaktion “angeschaltet” = kann dem Testdruck standhalten oder”abgeschaltet” = kann dem gleichen Testdruck nicht standhalten, ist zunächst einmal nur eine Streß-Anzeige: dieser Reiz oder dieser Stoff erscheint dem Körper zuträglich, stärkt sein Energiesystem, oder er bedeutet umgekehrt”Gefahr, Bedrohung, Beeinträchtigung, Schwächung”. Mehr zeigt der Muskeltest nicht! Es ist eine völlige Fehldeutung, Überforderung bzw. Überschätzung, wenn manche Anwender mit Hilfe des Muskelchecks Schicksalsfragen und Zukunftsrätsel klären zu können glauben! Auch dies bringt die Methode der Kinesiologie nur in Verruf. Wenn der Muskeltest, wie wir gesehen haben, seinem Wesen nach eine Streßreaktionsanzeige auf verschiedene in den Testkreislauf hineingebrachte Reize darstellt, dann wird verständlich, daß wir vor jedem spezifischen Test prüfen müssen, ob der Organismus relativ stressfrei ist. Bringt umgekehrt eine Testperson viele aktuelle Streßbelastungen mit in die Testsituation oder erlebt sie die Testsituation selber als “bedrohlich”, zeigt uns der Muskeltest in erster Linie diese Überforderung an – und nicht das, was wir speziell testen wollen.

Die Praxis des Muskeltests

Wie gehen wir nun praktisch vor, um zu zuverlässigen Testergebnissen zu kommen? Halten Sie sich am besten an folgenden Fahrplan:

1.AUFKLÄRUNG / BEREITSCHAFT
Erklären Sie Ihrem Partner, was Sie vorhaben und fragen Sie ihn um Erlaubnis. Nur wenn der andere freiwillig zum Test bereit ist, können wir verlässliche Ergebnisse finden!

2.TESTMUSKEL FINDEN
Wählen Sie den Testmuskel aus und bringen Sie den Arm oder das Bein in die Ausgangsposition. Zeigen Sie Ihrem Partner Ihre Bereitschaft, indem Sie “Halten!” sagen. Üben Sie jetzt langsam und sanft Druck in der angegebenen Testrichtung aus – aber nur bis zu dem Punkt, an dem Sie spüren, daß der Muskel “hält”. Versuchen Sie nur, dieses “Halt-Gefühl” zu entdecken. Wenn Sie es gefunden haben, halten Sie den Kontakt für eine weitere Sekunde aufrecht, bevor Sie langsam nachgeben, während Sie weiter Kontakt halten.

3. ATMUNG BEACHTEN
Atmen Sie ruhig ein und aus! Während des Muskeltestens – oder Getestetwerdens – neigen wir alle dazu, die Luft anzuhalten. Entspannen Sie sich und achten Sie darauf, daß auch Ihr Testpartner weiteratmet.

4. OFFENE EINSTELLUNG
Gehen Sie mit einer offenen, neutralen Einstellung an den Test. Erwarten Sie keine bestimmten Resultate. Lassen Sie sich überraschen und vertrauen Sie dem Prozeß: “Der Körper lügt nicht!” Auch dies gilt für beide, die testende und die getestete Person.

5.TEST AUF WASSERMANGEL
Ausreichend Flüssigkeit im Körper ist Voraussetzung dafür, daß Energie- und Nervenströme fließen können. Lassen Sie die Testperson sich kurz an einer Haarsträhne ziehen. Führt dieser Reiz auf die Zellen der Kopfhaut, die besonders empfindlich auf “Wassermangel” reagieren, zu einem”Abschalten” des Testmuskels, lassen Sie Ihren Testpartner ein Glas Wasser trinken!

6. TEST AUF KLARHEIT
Wenn die Testperson schon streßbeladen ankommt oder durch die Testsituation selbst gestreßt wird, entsteht oft ein “switching”, ein neurologisches Durcheinander: Wir verwechseln dann rechts und links, oben und unten, vorne und hinten oder wissen gar nicht mehr”wo uns der Kopf steht”. Testen Sie deshalb den ausgewählten Muskel schnell abwechselnd mit Ihrer linken und rechten Hand. Wenn der Muskel durch diese kleine Irritation “abschaltet”, wissen Sie, daß schon vorher zuviel Streß im Organismus war. Für eine zumindest kurzfristige Korrekturwerden die Endpunkte des Nierenmeridians (unterhalb des Schlüsselbeins und links und rechts vom Brustbein) massiert, während die andere Hand auf dem Bauchnabel liegt und dort Reflexpunkte für alle 14 Meridiane abdeckt. Diese Übung sollte öfter während des gesamten Testprozesses wiederholt werden, denn je “heikler” ein Thema ist, desto eher entsteht wieder ein “switching”-Problem!

7. TEST AUF AKTIVITÄT
Ist die Testperson wirklich, d.h. auch unbewußt, bereit, die nächsten Schritte zu gehen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was ihr der Muskeltest über sie selbst offenbaren wird? Um dies zu testen, wird der Endpunkt des Milzmeridians (auf der rechten Brustseite auf halber Strecke zwischen Ellbeuge und Armbeuge) berührt. Wenn dadurch der Testmuskel “abschaltet”, soll der Testpartner eine Reihe von Überkreuzbewegungen machen: linken Ellbogen zum rechten Knie führen, dann rechten Ellbogen zum linken Knie. Dadurch fördern wir die Integration beider Körper- und Gehirnhälften und die Bereitschaft, die nächsten Schritte zu tun.

8. TEST AUF POSITIVE AUSRICHTUNG
Ist die Testperson innerlich gewillt, das Beste für sich aus den Tests herauszuholen, anzunehmen und positiv umzusetzen? Auch diese Frage prüfen wir zunächst nonverbal: Streichen Sie den Zentralmeridian in seiner Fließrichtung vom Schambein bis zur Unterlippe hinauf -sollte “stark” testen. Dann von oben nach unten, also”gegen den Strich” – sollte den Muskel “schwächen”.

Schließlich wieder von unten nach oben streichen: Stets mit einer “stärkenden” Bewegung aufhören!
Wenn die Fließrichtung in diesem Meridian und damit die Testergebnisse vertauscht sind, rubbelt man mit zwei Fingern die beiden Punkte unterhalb der Unterlippe und oberhalb der Oberlippe (die Endpunkte von “Zentral”- und “Gouverneur”-Meridian), während die andere Hand wieder auf dem Bauchnabel liegt. Dadurch kehrt sich die Fließrichtung in die natürliche Bahn.

9. JA-NEIN-SIGNAL / ERLAUBNIS
Wenn alle diese VORTESTS o. k. bzw. korrigiert sind:
Lassen Sie Ihren Testpartner ein “JA” aussprechen – sollte “stark” testen. Lassen Sie ihn ein”NEIN” aussprechen – sollte den Muskel “abschalten”. Erst jetzt können wir sicher sein, daß”JA” auch”JA” und”NEIN” auch”NEIN” bedeutet! Und nun können wir uns unserem eigentlichen Testgegenstand zuwenden und den Körper über die Muskeln fragen:
“Ist es erlaubt,jetzt zu diesem Thema zu testen?”
“Spricht irgend etwas dagegen, das jetzt zu tun?”
“Müssen wir vorher noch irgend etwas beachten oder verändern?” usw.

In dieser Auflistung erscheint das alles ziemlich viel und kompliziert. In der Praxis wird es jedoch nach entsprechender Übung zur Routine , die 1 Minute dauert und ohne die, um es noch einmal zu wiederholen, keine wirklich zuverlässigen Ergebnisse durch den Muskelcheck zu bekommen sind!
Am einfachsten lernt man diese Vortests in einem Einführungsseminar zur Kinesiologie, in dem man das Vorgehen auch gleich mit verschiedenen Teilnehmern trainieren kann.
Solche Ausbildungsseminare werden an vielen Studienorten der Paracelsus Schulen regelmäßig angeboten.

Dr. Werner Weishaupt Dr. Werner Weishaupt
(Psychotherapeut HpG)

Der Autor des vorliegenden Artikels gehört zu den herausragendsten Vertretern der Kinesiologie und ist seit 1988 Dozent für Psychotherapie an der Paracelsus Schule Hannover. Geboren 1949 in Hagen/Westfalen, studierte er zunächst an der Pädagogischen Hochschule Ruhr und schloß diese mit der 1. Und 2.Staatsprüfung für das Lehramt ab. Nach einem Aufbaustudium promoviert er zum Doktor der Erziehungswissenschaften. 1980-1991 ist er Leiter einer Familienbildungs- und Beratungsstätte und nimmt daneben ein Studium der Psychotherapie auf. Seit 1993 arbeitet Dr. Weishaupt in eigener Praxis als Psychotherapeut und als Dozent für Psychologische Kinesiologie.

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