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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1998

Beratung als helfender Prozeß – Teil 5

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r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 5
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

Die Situation des Beraters

Motive, Problemlösungen, Techniken, Methoden

Wir orientieren uns am Menschen- bild der”Humanistischen Psychologie”.1m Mittelpunkt unserer beratenden Tätigkeit steht die Überzeugung, daß der Rat Suchende als ein selbständiges Individuum zu sehen ist, dessen psychische Wachstums- und Selbstverwirklichungsprozesse durch widrige Lebensumstände gestört worden sind. Einer Beratung fällt dann die Aufgabe zu, diese Probleme des zu Beratenden unterstützend zu begleiten.
Für Carl Rogers, einen der bedeutendsten Vertreter dieser Richtung, besteht die Beratung”aus einer eindeutig strukturierten, gewährenden Beziehung, die es dem Klienten ermöglicht, zu einem Verständnis seiner selbst in einem Ausmaß zu gelangen, das ihn befähigt, aufgrund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen” (Rogers, C.R., Die nicht direkte Beratung, Kindler München 1972, 5.28).
Der Leitgedanke des Autors für seine Beratungsarbeit und für die Ausbildung von Beratern: Wesentlich ist die ständige Entwicklung der Persönlichkeit des psychologischen Beraters, sein Menschenbild, seine Sach- und Fachkompetenz, seine Ausstrahlung, die Gestaltung der Beziehung zwischen ihm und dem Klienten (Chemie),sowie die eigenständige kritische Bewertung seiner Beraterrolle.
Damit soll keineswegs eine Abwertung von Beratungstechniken oder Beratungstechnologien erfolgen. Es wird die Auffassung vertreten, daß ein psychologischer Berater, der diese Bedingungen positiv ausfüllt, einen Rat Suchenden weiter bringen kann, als ein geschulter Beratungsprofi, dem es dann oft an Ausstrahlung fehlt. Unbestritten bleibt, daß die soziale Eingebundenheit des Rat Suchenden und seine Herkunftsfamilie im Beratungsprozeß eine wesentliche Rolle spielen. Sprachbarrieren oder gar Sprachlosigkeit stehen oft dem verbalen Ausdruck von differenzierten und komplexen Gefühlszuständen im Wege, ökonomische und berufliche Zwänge lassen Ansprüche auf Selbstverwirklichung und Selbständigkeit des Rat Suchenden zur unerfüllbaren Sache werden. Mit versteckter Besserwisserei, Anordnungen, Ermahnungen, Überredungen, Analysen und Interpretationen oder einem platten Rat wird der Klient im wahrsten Sinne des Wortes erschlagen. Oft ist der Versuch zu erkennen, belehrend zu beraten.

Dazu ein Beispiel:
Nehmen wir an, ein Klient hat Schwierigkeiten, eine Aufgabe zu bewältigen. Auf die eine oder andere Art teilt er mit, daß er der Aufgabe nicht gewachsen ist.

  1. Typische Reaktionen des Beraters die Nicht – Annahme mitzuteilen (Beispiele).
    • Anordnen: “Es hilft nicht zu jammern, Sie müssen trotzdem sehen, wie Sie mit dieser Arbeit fertig werden”.
    • Warnen: “Sie sollen sich zusammen reißen, denken Sie doch an Ihre Familie”.
    • Moralisieren: “Sie wissen, was es bedeutet, diese Aufgabe nicht zu bewältigen”?
    • Raten, Lösungen oder Vorschläge anbieten: “Es wäre gut für Sie, wenn Sie überlegen, wie Sie z.B. einen Zeitplan aufstellen, um schrittweise die Aufgabe lösen zu können”.
    • Belehren, Vortrag halten, mit logischen Argumenten kommen: “Wir wollen doch den Tatsachen ins Auge schauen. Denken Sie nun daran, wieviel Zeit Ihnen noch bleibt, die Aufgabe zu erfüllen”.
  2. Es können auch durch den psychologischen Berater Beurteilung, Herablassung und Bewertung mitgeteilt werden. Viele Berater glauben auch fest daran, daß es einem Klienten hilft, ihn auf seine Fehler, Unzulänglichkeiten und sein falsches Verhalten hinzuweisen. Zu diesem Zweck werden oft folgende Arten von Botschaften verwendet:
    • Verurteilen, kritisieren, widersprechen: “Entweder Sie entscheiden sich für die neue Aufgabe und bewältigen sie oder Sie werden möglicherweise mit einem Schuldgefühl weiterleben müssen”.
    • Klischees verwenden, etikettieren: “Sie wirken sehr unsicher und nicht wie jemand, der bald voller Selbstbewußtsein ist”.
    • Interpretieren, analysieren, diagnostizieren: “Sie versuchen einfach, sich um diese Aufgabe zu drücken”.
  3. Weitere Arten von Botschaften, den Klienten aufzumuntern, das Problem verschwinden zu lassen oder zu leugnen, daß er überhaupt ein echtes Problem hat:
    • Loben, zustimmen, positive Bewertung geben: “Eigentlich sind Sie doch sehr tüchtig. Ich bin sicher, Sie werden irgendwie dahinterkommen, wie es gemacht wird”.
    • Beruhigen, mitfühlen, trösten, unterstützen: “Sie sind nicht der einzige, dem es so ergeht. Bei schweren Aufgaben habe ich das auch erlebt”.
  4. Bei all den häufig verwendeten Sperren in der psychologischen Beratung ist wahrscheinlich ein Beratungsproblem darin zu sehen, wenn der Berater das Gefühl hat, mehr Fakten zu benötigen für das Vorhaben, das Problem des Klienten zu lösen, indem er seine eigenen besten Lösungen beisteuert, anstatt dem Klienten zu helfen, sein Problem zu lösen.
    • Fragen sondieren: Sind Sie davon überzeugt, daß für Sie diese Aufgabe zu schwer ist? Wieviel Zeit haben Sie dazu verwandt? Warum haben Sie so lange gewartet, bevor Sie um Hilfe gebeten haben”?
  5. Botschaften, die der Berater benutzen kann, um das Thema zu wechseln und den Klienten auf andere Gedanken zu bringen.
    • Zurückziehen, ablehnen, sarkastisch sein, aufheitern, zerstreuen: “Gut lassen wir das, reden wir über etwas Angenehmes. Jetzt können Sie noch nicht über sich hinaus, vielleicht später”.

Man kann sicher davon ausgehen, daß die Bereitschaft, Rat anzunehmen, beim Klienten dann schwindet, wenn er das Gefühl haben muß, daß er vom Berater weder mit seinen Problemen angenommen noch verstanden wird.
Unter dem Druck, als psychologische Berater etwas bieten zu müssen, neigen wir leicht dazu, ungewollte Kommunikationssperren aufzubauen. Schnell fassen wir Fragen von Klienten als reine Informationsfragen auf. Wegen dieser Kommunikationssperren kritisierte Rogers ungünstige Beratungsmethoden wie z.B.:
– Methoden des Anordnens und Verbietens
– Methoden der Ermahnung
– Methoden der Suggestion/Überredung
– Methoden der Ratschläge
– Methoden der Interpretation
Diese Ansätze gehen davon aus, daß der psychologische Berater das Problem gewissermaßen durchschaut und unterscheidet, welche Ziele der Klient ansteuert und nach welchen Werten die Situation beurteilt werden soll. Der Berater kann Rat erteilen, weil er einen Wissensvorsprung hat und über Informationen verfügt. Dagegen setzte Rogers den klienten-zentrierten Beratungsansatz, bei dem der Berater dem Klienten hilft, seine Probleme selbständig zu erkennen, zu lösen und für sich und seine Probleme Verantwortung zu übernehmen. Demnach ist das zentrale Beratungsziel, dem Klienten zu helfen, mit seinen Problemen selbst fertig zu werden, da der Berater das Problem nie stellvertretend lösen kann. In der guten Absicht, den Klienten zur Selbsthilfe anzuleiten und unabhängig zu machen, können beim Berater immer wieder unbewußte Wünsche und Einstellungen durchbrechen.

  • Statt den Klienten zur Selbsthilfe anzuleiten, macht er ihn von sich abhängig, oder
  • wenn er als Starker dem Schwachen hilft, wertet er sich damit selbst auf, oder
  • er identifiziert sich so mit dem Problem des Klienten, daß es zum eigenen wird. Er kann sich nicht mehr distanzieren und eine andere (auch kritische) Position einnehmen.

Der Klient benötigt Ermunterung und eine Atmosphäre der Sicherheit. Es kann also nicht vordergründig darum gehen, den Klienten zu überzeugen, was wahr und problemlösend ist.

  • Der Klient will Hilfe
  • Der Klient kommt freiwillig in die Beratung
  • Die Situation ist klar definiert.
    Der Berater sollte dem Klienten mitteilen, daß er keine Patentlösung anbieten kann sondern Hilfe zur Selbsthilfe.
  • Ermunterung des Klienten zum freien Austausch.
    Der Berater sollte versuchen sofort beim Klienten Vertrauen zu gewinnen, damit es offen und ehrlich zugeht und alle Probleme angesprochen werden und Schweigepflicht zusagen.
  • Berater akzeptiert und klärt.
    Die Aussagen des Klienten werden nicht bewertet, sondern akzeptiert, so wie sie sind. Es wird geholfen die Aussagen zu ordnen und zu verarbeiten.
  • Einsicht und Unabhängigkeit entwickeln
    Durch das Gespräch gewinnt der Klient neue Einsichten und Betrachtungsweisen gegenüber seinen Problemen und entwickelt eigenständige Lösungsvorschläge, am Ende sollte er selbständig mit den Problemen umgehen können.
  • Das Erkennen positiver Erfahrungen
    Der Berater bekräftigt Ansätze in den Aussagen des Klienten, die einen ersten positiven Schritt in Richtung der Problemlösung auslösen. Der Klient versucht, die Lösungswege zu realisieren.
  • Klärung der bestehenden Möglichkeiten
    Es wird gemeinsam nach den besten Lösungswegen gesucht. Durch Realisierung von Lösungswegen gewinnt der Klient weitere Sichtweiten im Umgang mit seinen Problemen.

Zusammengefaßt sollte der/die Berater/in folgendes umsetzen, er/sie:

  • stärkt den/die Klient/in durch Anerkennung
  • regt den/die Klient/in zur (Re)Konstruktion/Reflexion des Problems an
  • fokussiert auf Ausnahmen
  • hilft dem/der Klient/in, Ressourcen zu erkennen
  • klärt und respektiert Auftrag, Erwartung und Anliegen des/der Klient/in
  • verändert den Bezugsrahmen des Problems
  • fokussiert auf Defizite/Pathologien
  • lenkt die Aufmerksamkeiten auf Zukünftiges
  • regt den/die Klient/in an, seine /ihre Ziele zu äußern
  • bemüht sich um guten Rapport, Zustimmung und/oder Erlaubnis
  • unterbricht Muster der Situation oder Kommunikation
  • bietet als Experte/in eigene Erklärungen, Deutungen, Lösungen an
  • hilft dem/der Klient/in seine/ihre Ziele zu spezifizieren
  • fragt nach Unterschieden, die für den/die Klient/in einen Unterschied machen
  • greift auf oder arbeitet mit Sprache und Metaphern des/der Klient/in
  • erweitert den Möglichkeitsraum des/der Klient/in durch Induktion alternativer Bewußtseinszustände
  • regt den/die Klient/in zum unmittelbaren Erleben des Problems an
  • hilft dem/der Klient/in etwas ander(e)s zu machen
  • hilft dem/der Klient/in seine/ihre Ziele im Rahmen eigener Kompetenzen zu operationalisieren
  • die Aufmerksamkeit auf die Entstehungsgeschichte bzw. Ursachen des Problems
  • regt den/die Klient/in zum unmittelbaren Erleben des gewünschten Zieles an
  • exploriert die Lebenssituation des/der Klientin

Die kurze Darstellung des Beratungsprozesses unter der Sicht des psychologischen Beraters kann die innermenschlichen Konflikte, Auseinandersetzungen mit den Problemen, Gefühlsausbrüchen und Interaktionen zwischen Berater und Klienten nur unzureichend darstellen. Der Berater ist nicht davor gefeit, daß seine eigene Stimmung das Beratungsgespräch beeinflussen kann. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, wenn sich trotz verschiedener Methoden und Techniken der Berater immer wieder ähnliche Problemlösungsprozesse beobachten lassen, die im Buddhismus als die “vier heiligen Wahrheiten” (1. Vom Leiden; 2. Vom Entstehen des Leidens; 3. Von der Aufhebung des Leidens und 4. Vom Wege zur Aufhebung des Leidens) bekannt sind.

Dr. paed. Hartmut Gutsche
Psychotherapeut (HPG)
Trübenbachstraße 2
98527 Suhl
Tel. 03681/721430

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