Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/1999

Abgrenzung und Gemeinsamkeiten von Psychologischer Beratung vs. Psychotherapie

Cover

r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 1
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

 

Es gibt gewichtige Meinungen, unter anderem die von Rogers und von Patterson, die Beratung und Therapie weitgehend gleichsetzen. Beratung, Behandlung, Psychotherapie werden im Buch von Rogers “Die nicht-direkte Beratung” München 1972, mehr oder weniger austauschbar verwandt, und zwar, “weil sie sich alle auf die gleiche grundlegende Methode beziehen – auf eine Reihe direkter Kontakte mit dem Individuum, die darauf abzielen, ihm bei der Änderung seiner Einstellungen und seines Verhaltens zu helfen”.
Auf der anderen Seite wird immer der Versuch unternommen, Beratung und Therapie möglichst genau gegeneinander abzugrenzen.

Erkennbar sind verschiedene Abgrenzungskriterien.

  • Das erstes Kriterium wird in der Art der Probleme gesehen, mit denen es Beratung und Therapie zu tun haben. Beratung bezieht sich vor allem auf die Hilfe und Anleitung in Gegenwart und Zukunft zu gedanklicher, teils emotionaler Auseinandersetzung des Klienten mit sich und seiner Umwelt.

  • Therapie wird demgegenüber eher mit Persönlichkeitsstörungen stärkerer Art verbunden, deren Beseitigung bzw. Heilung oft nur durch Veränderung der Verhaltensstruktur möglich ist.

  • Zum anderen werden die Verhaltensweisen und Techniken der Einflußnahme auf den Klienten/Patienten als Abgrenzungskriterium herangezogen. Beratung soll mehr durch unterstützende Methoden, Psychotherapie mehr durch deutende und aufdeckende Verhaltensweisen gekennzeichnet sein.

  • Ein weiteres Abgrenzungskriterium wird vor allem in der Intensität der Beeinflussung festgestellt:

    • die zeitliche Dichte der sozialen Wechselbeziehungen (Interaktionen)
    • die Gesamtdauer der Behandlung
    • die Orientierung der Interaktion auf das individuelle Erleben und Verhalten des Klienten
    • die Einbeziehung der grundlegenden Probleme und Gründe über die Anlässe des Verhaltens und Erlebens hinaus
    • die Art der Beziehung zwischen dem Behandelnden und dem Klienten – soll in der Therapie stärker ausgeprägt sein als in der Beratung
  • Zum Schluß macht man den Unterschied auch in den Zielen deutlich. Beratung hat es mit Zielsetzungen, die um Entwicklung, Erziehung, Vorbeugung und seelisches Gleichgewicht zu tun haben, während die therapeutische Zielsetzung vorwiegend Heilung, Wiederherstellung, Persönlichkeitsumgestaltung zum Inhalt hat. Alle Bemühungen um eine Abgrenzung von Therapie und Beratung machen deutlich, eine exakte Trennung ist sehr schwierig, man spricht vielmehr von fließenden Übergängen zwischen Beratung und Therapie. Auf der einen Seite geht es also um Behandlung, Besserung, Heilung, demnach eine kurative Hilfe, während auf der anderen Seite eher alltägliche und aktuell auftretende Schwierigkeiten und Konflikte im Vordergrund stehen, die auch über den psychischen und sozialen Bereich hinaus Hilfe bei Orientierungs- und Entscheidungsproblemen erforderlich machen können. In Sinne einer solchen durchaus üblichen Trennung wird der Schwerpunkt der psychologischen Beratung mit Inhalten wie erzieherisch, unterstützend, situationsorientiert, problemlösend, bewußtseinsbezogen, kurzzeitig – die der Psychotherapie mit unterstützend in Krisensituationen, rekonstruierend, innerlichkeitsorientiert, analytisch, betonend, langzeitig gekennzeichnet.

Nachdem in einer Artikelserie PARACELSUS report Heft 1-6/98 die Methoden und das Instrumentarium der psychologischen Beratung ausführlich beschrieben wurde, beschäftigt sich der Autor nunmehr mit den:

Grundlagen und Wirkungsweisen psychotherapeutischer Behandlungsverfahren.

Psyche ist das griechische Wort für Seele, Therapie heißt Krankenbehandlung. Psychotherapie ist demnach Krankenbehandlung mit seelischen Mitteln. Sie kann auch körperliche Leidenssymptome heilen, weil viele körperliche Vorgänge mit den seelischen Vorgängen zusammen hängen und daß viele körperliche Krankheiten in Wirklichkeit seelische Ursachen haben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ein ungelöstes “Problem Kopfschmerzen macht”, dass “Ärger auf den Magen schlägt”, dass die Galle vor Wut übergeht” oder daß schmerzliche Erlebnisse “an die Nieren gehen”. Heute weiß man, daß die Krankheitsursachen vieler Fälle von Bronchial-Asthma, von Magengeschwüren, von Dickdarmentzündungen, von krankhafter Abmagerung, von Herzrasen und Rhythmusstörungen, von Migräne, von Hautflechten, von Krebs und noch anderen körperlichen Krankheiten im seelischen Bereich liegen. Die Heilungsaussichten von psychoneurotischen und psychosomatischen Krankheiten mittels Psychotherapie, wenn sie kurz nach dem Auftreten behandelt werden, sind ausnehmend gut. Je länger die Neurose (seelisch verursachte Krankheit) besteht, um so negativer sind die Heilungsaussichten. Auch das Lebensalter spielt eine Rolle. Jüngere Menschen besitzen auf Grund ihrer noch stärkeren seelischen Gesundheits- und Selbstentfaltungskräfte höhere Erfolgsaussichten. Ihre bedeutend besser ausgebildete Fähigkeit, sich noch in grundlegenden Charakter- und Wesenszügen zu verändern und ihre bessere Anpassungsfähigkeit unterstützt den Heilungsprozeß. Diese psychische Fähigkeit nimmt in der zweiten Lebenshälfte, so ab vierzig Jahren, deutlich ab. Wesentlich ist jedoch stets den eigenen Gesundungswillen des Patienten und seine Bereitschaft in der Psychotherapie aktiv mitzuwirken, heraus zu arbeiten. Bei chronischen, das heißt durch jahrelange Dauer verfestigten seelisch verursachten Krankheiten kann häufig nur eine Besserung und keine völlige Beseitigung der Symptome erreicht werden. Wesentlich ist, daß die Arbeitsfähigkeit wieder eintritt und daß ein deutlicher Zuwachs an Lebensqualität mit einer sinnvollen Lebenserfüllung erfolgt. Für Kinder sind die Erfolgsaussichten in der Psychotherapie besonders günstig. Oft wird mit der frühzeitigen Behandlung einer kindlichen Neurose der Übergang einer solchen in eine erwachsenen Neurose verhindert. Leider gibt es unter den Patienten mit psychoneurotischen und psychosomatischen Erkrankungen auch solche, bei denen auf Grund ungünstiger seelischer oder auch körperlicher Voraussetzungen eine Psychotherapie wegen geringer Heilungsaussichten nur bedingt angewandt werden kann.
Die meisten neurotischen Krankheitsbilder entstehen als Folge einer seelischen Problematik. Dazu kann es kommen, wenn der Patient infolge zu strenger, liebloser oder triebfeindlicher Erziehung in seiner seelischen und geistigen Entwicklung behindert wurde oder zu einem großen Teil seine normalen Lebensbedürfnisse, Selbstentfaltungskräfte und Triebwünsche unterdrückt bzw. diese in sein Unterbewußtsein abgedrängt wurden. Oft wird demzufolge versäumt, die Fähigkeit zu erlernen, diese natürlichen Lebenskräfte und -wünsche in ausreichendem Maße im Unterbewußtsein wahrzunehmen und diese durch bewußtes Handeln zu befriedigen. In der Psychotherapie wird dem Patienten dazu verholfen, diese bisher unbewußt wirkenden Trieb- und Lebenskräfte allmählich kennenzulernen.

Das Kernstück der Therapie ist also eine vertiefte Selbsterfahrung. Der Patient arbeitet an den Selbsterfahrungsschritten aktiv mit. Der Psychotherapeut gibt keine Anweisungen und keine Lebens- und Verhaltensratschläge, er gibt lediglich Anregungen, Vermutungen, Erklärungen und Deutungen, um sich selbst besser verstehen zu können. Jede Therapie verläuft anders, weil nie gleiche Voraussetzungen vorhanden sind. Jede Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist deshalb auch einmalig und unverwechselbar,jedoch geprägt von Veränderungen. Die häufigste ist nach Beginn der Therapie die Intensivierung aller innerseelischen Vorgänge. Nach einigen Behandlungsstunden entsteht eine gewisse Erregung beim Patienten. Es wird mehr über sich nachgedacht, der Patient wird aufmerksamer seinen Problemen gegenüber, auch sensibler, manchmal empfindlicher und gereizter. Es kann auch zur Verstärkung der Symptome kommen. Diese Reaktion deutet auf einen innerseelischen Entwicklungs- und Wandlungsprozeß, die bis dahin ruhenden seelischen Kräfte werden wach und aktiv. Das wäre auch ein Merkmal dafür, daß die Behandlung wirksam wird. Das “Innere” des Patienten macht gewissermaßen aktiv mit. Es hilft auch, allen Zweifeln und Widerständen gegen die Therapie erfolgreich zu begegnen.

Eine weitere Begleiterscheinung ist eine sich entwickelnde Gefühlsbeziehung zwischen Patienten und Therapeuten. Die Beziehung kann sich im Verlaufe der Therapie noch verstärken, bzw. verändern. Dabei geht es oft um Gefühle wie Schutz, Geborgenheit, Sicherheit, Nähe, Angenommenheit, Vertrauen, Verstandensein u.a.m.. Andererseits können auch Gefühle der Enttäuschung auftreten. Auch kann sich ein Gefühl der Unterlegenheit, der Machtlosigkeit beim Patienten einstellen. Die “richtige” Gefühlseinstellung zum Therapeuten wird zum wertvollen Hilfsmittel für die Heilung. Denn durch eine verstehende therapeutische Haltung durch Patienten und Therapeuten ist das “Empfinden und besser begreifen” von psychischen Prozessen gegeben und somit der Weg frei zur nachträglichen Selbstentfaltung. Die Behandlung durch einen Psychotherapeuten ist also mit einer stärkeren persönlichen Abhängigkeit des Patienten verbunden. Das sollte jedoch nur eine vorübergehende Begleiterscheinung für den Prozeß der seelischen Gesundung sein. Die psychotherapeutische Behandlung ist gekennzeichnet durch erhöhte Selbstbeachtung, Sensibilität, Labilität und geistiger Aufmerksamkeiten sowie durch Mobilisierung und Aktivierung der positiven Kräfte beim Patienten. Mit Entfaltung der positiven und gesunden Persönlichkeitskräfte im fortgeschrittenen Stadium der Therapie wird eine zunehmende Verselbständigung eintreten und die Abhängigkeit zum Therapeuten kompensieren bzw. zurückdrängen. Der Therapeut sollte rechtzeitig die Abhängigkeit im Beziehungsgefüge abbauen und den Patienten die folgende Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen.

Dr. paed. Hartmut Gutsche
Psychotherapeut (HPG)
Trübenbachstraße 2
98527 Suhl
Tel. 03681/721430

zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü