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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/1999

Beratung und Therapie älterer Menschen

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r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 3

Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

Das Älterwerden schreckt viele Menschen. Mit Sport wird versucht, das Altern hinauszuzögern. Oftmals sind die dabei zugezogenen Verletzungen bzw. Unfälle Ursache daß man noch tiefer hinuntergezogen wird. Die Fürsorge des Partners macht noch ungehaltener, obwohl es gut gemeint ist. Oft ist der Hausarzt derjenige, mit dem man sprechen kann, nur ist dessen Beratungskompetenz zeitlich begrenzt. Deshalb ist es eigentlich nur die Psychologische Beratung, die den Problemen des älter werdenden Menschen ausreichend Zeit geben kann und dazu in der Lage ist.

Die Therapie für alte Menschen hat noch keine lange Tradition. Sigmund Freud hat damals von der “Untherapierbarkeit” alter Menschen geschrieben und bis in die Gegenwart folgten Therapeuten der Ansicht, daß ältere Menschen im hohen Alter nicht mehr veränderbar seien. Die Ausbildung von psychologischen Beratern/Therapeuten wurde vernachlässigt. Nur wenige Bildungseinrichtungen bieten Lehrgänge für “Integrative Therapie” mit Alten, Kranken und Sterbenden an. Selbst in der Ausbildung der Altenpflegerinnen, die eigentlich dringend therapeutische Kompetenz benötigen, sind die Inhalte eher kläglich. Gerontotherapie bedeutet, aus dem Griechischen herkommend, Greis und auch die Würde.
Nach wissenschaftlichen Erhebungen erhält nicht einmal ein Prozent der über 60-jährigen Menschen psychologische Versorgungsleistungen, obwohl man weiß, daß etwa 15% von den alten Menschen psychologische Hilfe benötigen. Doch die Lobby für ältere Menschen reicht für eine Veränderung nicht aus und die älteren Menschen fordern es auch noch sehr gering ein. Statt dessen werden die Defizite mit Psychopharmaka gewissermaßen kompensiert. Obwohl bekannt ist, daß diese Mittel gerade für ältere Menschen die besonders wichtigen sozialen Fähigkeiten beeinträchtigen und die Nebenwirkungen wiederum psychische Störungen von Krankheitswert verursachen können.
Mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wird der Bedarf an Psychologischer Beratung/Therapie weiter steigen. Der Prozeß des Alterns beginnt mit 60 und erstreckt sich für viele Menschen bis in das 80. Lebensjahr. Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird für ältere Menschen drängender, je mehr sie die Endlichkeit des Lebens spüren. Sie denken darüber nach, was sie in ihrem Leben richtig bzw. falsch gemacht haben, sie erkennen Erfolge, aber auch Fehler, bezweifeln eigens getroffene Entscheidungen. Verzweifeln nahezu, wenn sie Entscheidungen oder Handlungen nicht mehr wiedergutmachen können, weil der betreffende Mensch verstorben ist. Manche machen sich Vorwürfe, weil sie in Beruf und Gesellschaft zu wenig erreicht haben. Viele drängt es , ihre Erfahrungen anderen mitzuteilen. So kann es auch leichter fallen, eigene Versäumnisse, Schuld und Leistung zu akzeptieren.
Für manche Menschen ist der Gedanke, sterben zu müssen, so schlimm, daß er ihr Leben verbittert und sie in die Selbstzerstörung treibt.
Entsprechend stärker ist auch das Interesse an Fragen der Altersproblematik geworden. Ein wesentlicher Aspekt sind die gesundheitlichen Altersbeschwerden und davon abzugrenzen die psychischen Störungen wie Demenzen und Depressionen. Diese äußern sich bei den alten Menschen in zwei Ebenen, als Hirnleistungsschwäche und/oder als Persönlichkeitsstörung mit Persönlichkeitsveränderung. Dazu kommen Alterssymptome wie nachlassende Konzentrationsfähigkeit, allgemeine Beeinträchtigung des Wohlbefindens und Tagesmüdigkeit. Die Grenzen zwischen noch gesund bzw. für die Altersgruppe normal und krank, ist gerade in diesem Therapiebereich fließend und im Einzelfall oft schwer zu ziehen.

Zur Beeinträchtigung des Erkennens
(dementielle Erkrankung)
Die Erkrankung, bei welcher am meisten die Fähigkeit des Erkennens und der Bewußheit beeinträchtigt wird, ist die Demenz. Ihn Charakteristika sind gekennzeichnet durch den Abbau von intellektuellen Fähigkeiten, Gedächtnisverlust, Konzentrationsverlust Desorientierung und verminderter Urteilsfähigkeit. Hinzu kommen in späterer Entwicklung emotional-affektive Auffälligkeiten Zu Beginn der Erkrankung werden meist untypische psychisch( Störungen, wie Verlust der Aufmerksamkeit und Interesse für sich selbst festgestellt. Die Statistik belegt, daß 5% der über 65 Jahr( alten Menschen, unter dementiellen Beeinträchtigungen leiden. Be den über 85-jährigen ist der Anteil bei etwa 30%. In dieser Gruppe befinden sich auch die Menschen deren Demenz vom Alzheimer Typ sind, deren Ursachen uns derzeit also nur unzureichend bekannt sind.

Die Beeinträchtigung der Affekte
(depressive Erkrankung)
Depressionen bzw. depressive Reaktionen im Alter schränken vor allem den Umgang mit Gewohnheiten und Affekten ein. Dazu gehören Verlusterlebnisse, körperliche Gebrechen, soziale Isolierung, aber auch Alkohol- und Medikamentenmißbrauch. Andere Störungen sind extreme Persönlichkeitsakzentuierungen auch Aggressionen und Selbstwertverluste – alles das führt zu starken Einschränkungen der Lebensqualität im Alter.
Eifersucht, Wahn, sensitive Reaktionen, hypochondrische Ängste die aus einer entsprechenden Persönlichkeitsstruktur erwachsen können den Umgang mit alten Menschen stark einschränken. Zu diesem Störungsbild gehören auch extreme (abnorme) Trauerreaktionen, die bis zur Lebensunfähigkeit, auch zum Suizid, führen können.

Probleme der Diagnosestellung,
psychologischen Beratung/Therapie

Von besonderer Bedeutung in der Gerontotherapie ist die Diagnosestellung. Minimale geistig-seelische Veränderungen, das Sich-zurückziehen, Aufgeben von bisherigen Gewohnheiten, Veränderung von Verhalten, plötzlicher Stimmungswechsel u. a. können als Indikatoren für beginnende psychische Störungen angesehen werden Im frühen Stadium einer dementiellen Erkrankung sind z. B. motorische und psychische Hilfen wichtig, die das Anfangsstadium erheblich verzögern können. Bewährt hat sich vor allem Gehirn-Jogging (Training der Gedächtnisleistung). Ist z. B. durch einen Gefäßverschluß das organische Korrelat einer bestimmten psychischen Funktion im Gehirn zerstört worden, so kann es auch durch hohe Aufwendungen in der Medizin nicht wiederhergestellt werden, aber es kann der Ausfall einer Funktion durch Training anderer Funktionen kompensiert werden. Es zeigt sich in der psychologischen Praxis, in welch hohem Maße eine stabile Persönlichkeit selbst hirnorganische Defizite auffangen kann. Andere Störbereiche wie z. B. ungezielte Erregungszustände können gedämpft werden.
Die erlebnismäßige Aufarbeitung und das Training von neu oder anders zu bestimmenden Verhaltensweisen beeinflußt zunehmend das Bild der Psychologischen Beratung/Therapie.
Der rasche Wandel von Werten verunsichert alte Menschen intensiver als jüngere, hinzu kommt die in der Gesellschaft stattfindende Geringschätzung der persönlichen Reife und der großen Lebenserfahrung. Nicht mehr gebraucht zu werden entwickelt Gefühle der Wertlosigkeit, daß sich da mit verbindende Zurückzieher trägt ein weiteres zur Vereinsamung älterer Menschen bei Die äußeren und inneren Probleme verstärken sich zunehmend wechselseitig. Auf die äußeren, die körperlichen und die inneren, die seelischen Probleme und deren Einschränkung reagieren manche alte Menschen mit Mißtrauen, Verbitterung und Rückzug. Deshalb sollte sich Psychologische Beratung und Therapie vorwiegend mit den aktuellen Verlusten und Einschränkungen befassen: Verlust des Partners Einschränkungen im physischer Bereich (Laufen, Sehkraft, Gehör), Abschied aus dem sozialen Umfeld (Familie, Wohnung Arbeit, Freizeitinteressen).
Gerontotherapie und Beratung verlangen viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl, da die Berater/Therapeuten meist erheblich jünger sind und noch keine vergleichbare Lebenserfahrung besitzen.
Ältere Menschen suchen noch recht selten den Weg zur Beratung/Therapie. Oft werden sie von einfühlsamen Ärzten oder verständnisvollen Angehörigen dazu ermutigt.
Deshalb sollte der Berater/ Therapeut das stets beachten und umsetzen (Leidensdruck berücksichtigen).

In der Beratung/Therapie stehen Konflikte und ihre Wurzeln, konkrete Übungen nach Therapieplan und Rollenspiele im Programm. Der Kontakt auch zu anderen in den Gruppengesprächen regt an, mehr Lebensmut zu entwickeln und stärkt das persönliche Gefühl “Ich bin”. Was andere erreicht haben, kann auch Ansporn und eigene Motivation werden.
Ziel der Beratung/Therapie ist nicht nur. Angst, übermäßige Trauer oder Depressionen zu überwinden, sondern in kleinen Schritten verlorene Lebensqualität zurückzubekommen, alte Fähigkeiten wieder neu zu entdecken, alltägliche Probleme besser zu bewältigen und aktiver zu leben. Der Betroffene lernt seine innere Haltung zu verändern, negative Erwartungen und Selbstwertverluste werden kritisch bewertet, neuen Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen wird Platz gemacht, die Zufriedenheit mit dem Leben wird zum neuen Lebensinhalt.
Psychologische Beratung/Therapie kann die Lebensqualität alter Menschen heben und sie allgemein aktivieren. Sie sollte die persönliche Integrität und Identität der Menschen sichern, körperliche Beeinträchtigungen und Schmerzen mindern und psychische Störungen lindern.

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