Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1999

Neuropsychologische Störungen bei akuter Höhenkrankheit

Cover

r9905_ho

 

Was ist Höhenkrankheit?
Wie läßt sie sich vermeiden?

Der folgende Artikel versucht, Grundlagen über die Pathophysiologie zentralnervöser Symptome der Höhenkrankheit zu vermitteln. Der Autor Jens Bielenberg ist Apotheker und stellt die Grundlagen der Pathophysiologie der Höhenkrankheit dar. Ein Syndrom mit Relevanz für Heilpraktiker.

Der Aufenthalt in den Bergen kann erhebliche Gesundheitsrisiken in sich bergen, sogar tödlich sein, wenn nicht eine ausreichende Akklimatisierung oder eine medikamentöse Prophylaxe erfolgt. Im Organismus laufen Anpassungsvorgänge ab, die mit individuell unterschiedlichen Höhenbeschwerden einhergehen.

Bei körperlicher Arbeit besteht bereits in mittleren Höhen (1600 bis 2000 m über dem Meeresspiegel) eine leichte, in 3000 m eine mittelschwere und in 5000 m eine schwere arterielle Hypoxämie. In 4000 m Höhe werden nur noch 80 % Sauerstoffsättigung des Blutes erreicht, bei 8000 m im Ruhezustand 50 % (Kasten1), bei körperlicher Arbeit nur noch 33 %. Die arterielle Hypoxämie ist charakterisiert durch Kopfschmerzen, Atemnot, Husten, Erbrechen, Schwindel; in schweren Fällen tritt der Tod infolge einer Thrombose oder eines Lungenödems ein. Sinkt der arterielle oPH 2 unter 25 mm Hg (entsprechend etwa 7500 m Höhe), wird die Mehrzahl nicht adaptierter Probanden bewusstlos. Eine akute Hypoxie stimuliert zur Hyperventilation. Das führt durch beschleunigte Abatmung von Kohlendioxid zu einer respiratorischen Alkalose. Auch im Liquor cerebrospinalis nehmen der Kohlendioxidpartialdruck und die H+- Ionenkonzentration ab. Daraus resultiert eine verminderte Atemstimulation von auf CO 2 und H+-Ionen ansprechenden Zentren. Hypoxie, arterielle Hypokapnie und Alkalose führen zu einer Erhöhung der Laktatkonzentration im Blut und im Liquor cerebrospinalis sowie zu einer Abnahme der Pufferkapazität. Um der Dehydrierung vorzubeugen, sollte so viel getrunken werden, dass mindestens 1 l Urin pro Tag ausgeschieden wird.

Allgemeine Grundlagen und Begriffsdefinitionen

Die Höhenkrankheit ist nicht nur ein Phänomen, das sich Expeditionsbergsteigern im Hochgebirge stellt, sondern die akute Höhenkrankheit (AMS – acute mountain sickness), die eigentliche akute Bergkrankheit, tritt vermehrt in Höhen zwischen 2500 und 5000 m auf, also auch in den Alpen. Man schätzt, dass 50% aller Bergsteiger über 3500m Seehöhe AMS bekommen. Die Manifestierung einer AMS ist aber in erster Linie von der Art des Aufstiegs und von der Dauer von Akklimatisierungsprozessen abhängig. Trekker, die das Flugzeug nach Lukla (Nepal, 2850 m) für den Aufstieg auf den Everest nutzen, leiden später doppelt so häufig an AMS als solche, die zu Fuss nach Lukla aufsteigen. In den Alpen wurde eine Inzidenz für AMS von 9 % auf 2850 m, 13 % auf 3050 m und 34 % auf 3650 m festgestellt.

Formen der akuten Höhenkrankheit:

Eine akute Höhenkrankheit äussert sich durch plötzliche heftigste Atemnot. Viele der Erkrankten klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Unsicherheit beim Gehen (Ataxie) und werden benommen und apathisch. Es können Veränderungen an der Netzhaut des Auges auftreten, die zu Blutungen und in seltenen Fällen zur Erblindung führen können.

Cerebrale Form der Höhenkrankheit:
Das Hirnhöhenödem (HACE) als Erscheinungsform der AMS ist wahrscheinlich Folge der abrupten Zunahme des zerebralen Blutflusses schon bei Höhen zwischen 3500 und 4000 m. Auf Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Ataxie, Nystagmus und Pupillenödeme kann bei Zunahme der Rahmenbedingungen Koma und Tod folgen.

Pulmonale Form der Höhenerkrankung:
Das Höhenlungenödem (HAPE) kann unabhängig von AMS/HACE auftreten, wobei jedoch Höhenkrankheit neben der Geschwindigkeit des Aufstiegs sowie körperlicher Anstrengung ein prädisponierender Faktor sein kann. HAPE beginnt meist in der zweiten Nacht in einer neuen Höhe und äußert sich durch Atemnot und blutigen Auswurf. Unbehandelt kann HAPE rasch zu Herz-Lungenversagen, Kollaps und Tod führen.

Symptomatologie der akuten Höhenkrankheit sowie Prävention und Therapie

Beim Aufstieg zum Everest-Gipfel endete der Versuch eines Bergsteigers, Sauerstoff zu sparen, indem der Regler des Ventils einer Sauerstoffflasche, die sich in seinem Rucksack befand, durch einen Kameraden zugedreht werden sollte, fatal. Der Regler wurde auf- statt zugedreht. Die Freude über die plötzliche Klarheit des Denkens endete in Hyperventilation, Schwindel, verschwommenem Sehen und Ohnmacht.

Der Wissenschaft ist die Beeinträchtigung intellektueller und motorischer Leistungen in extremen Höhen schon lange bekannt. Um den Einfluss extremer Höhen auf die neurologischen Funktionen besser untersuchen zu können, wurden sechs Mitglieder einer Everest-Expedition in einer Unterdruckkammer einem Unterdruck ausgesetzt, der auf dem Gipfel des Mount Everest zu erwarten ist. Ferner wird in der internationalen medizinischen Literatur häufig über neuropsychische Veränderungen berichtet. Dazu gehören:

  • Stimmungsschwankungen,
  • Depressionen
  • Konzentrations- und Erinnerungsstörungen
  • Seh- und Sprachstörungen
  • Halluzinationen.

Nach Aufenthalt in extremen Höhen ohne Sauerstoffatmung, besonders in Höhen über 8500 m, wurden permanente kognitive Beeinträchtigungen und insbesondere Störungen im Bereich bifronto- temporo-limbischer Strukturen festgestellt. Diese zerebralen Läsionen geschehen auch ohne neurologische Auffälligkeiten während der Höhenexposition.

Leitsymptom Höhenkopfschmerz
Der Schlüssel für die Auslöser des Höhenkopfschmerzes liegt in der Erhöhung des intrakraniellen Druckes, im Glutamat- und Prostaglandinstoffwechsel sowie in einer Veränderung der Thrombozytenfunktion. Es handelt sich charakteristischerweise um dumpfklopfende, okzipitale oder bitemporale Schmerzen, vor allem nachts und beim Aufwachen. Differentialdiagnostisch kommen Meningealreizungen (Sonnenstich), vor allem Migräne, in Betracht.

Acetylsalicylsäure zur Therapie des Höhenkopfschmerzes
Eine Studie der Abteilung für Sportmedizin der Universität Innsbruck zur Anwendung von Aspirin zur Prophylaxe gegen Kopfschmerzen in großen Höhen im Oktober 1997 hatte zum Ergebnis, dass Acetylsalicylsäure das Auftreten von Kopfschmerzen verhindert, ohne die Sauerstoffversorgung zu verbessern. Die Einnahme von Aspirin war verbunden mit einer weniger ausgeprägten Aktivierung der Herz- und Atemfrequenz nach kurzzeitiger körperlicher Belastung in der Höhe. Es drängt sich die Assoziation auf, dass Hypoxie-induzierte Erhöhung des Prostaglandinspiegels mit einer sympathischen Stimulation und der Aktivierung von Nociceptoren verbunden ist. Die Autoren der Studie, in der 325 mg Aspirin alle 4 Stunden, beginnend eine Stunde vor Erreichen der Höhe, gegeben wurden, vertreten die Theorie, dass Aspirin die Prostaglandin-induzierte Sympathikusaktivierung in der Höhe reduzieren kann.
Modifikation des Prostaglandinstoffwechsels als Korrelat der Abnahme des Glutathionspiegels infolge höheninduzierter Hypoxie.
Untersuchungen des Einflusses systemischer Hypoxie auf das Glutathion (GSH)-Redox-System in Hirn, Leber, Lunge und Plasma neugeborener Ratten ergaben, dass vor allem Hirn und Lunge besonders empfindlich auf Hypoxie reagierten, mit einem signifikanten Anstieg der Konzentration oxydierten Glutathions (GSSG). In der Leber wurde eine Abnahme des GSH, gefolgt von einer Abnahme des GSSG nach Hypoxia beobachtet. Das infolge der Hypoxie vermehrt anfallende AMP wird zu Hypoxanthin und Xanthin metabolisiert; beides sind Substrate der Xanthinoxidase, ein Enzym, das wesentlich an der Bildung von Sauerstoffradikalen und Wasserstoffperoxyd beteiligt ist.
Die prophylaktische Anwendung von Acetylsalicylsäure wird in der internationalen medizinischen Literatur kontrovers diskutiert, da Kopfschmerz als initiales Symptom einer Höhenkrankheit Warnzeichen ist.

Leitsymptom Ataxie
Bei jeder Form von Höhenbeschwerden ist immer ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Gang- und Steh-Unsicherheiten zu lenken. Das Auftreten von Ataxie ist das wichtigste Alarmzeichen von dem Übergang von AMS zum lebensbedrohlichen Höhenhirnödem, das nie aus heiterem Himmel auftritt, dessen Vorboten aber häufig verschwiegen werden. Da das lebensbedrohliche Hirnödem durch geeignete Gegenmaßnahmen vermieden werden kann, sollten Expeditions- oder Trekkingteilnehmer auf mögliche Gangunsicherheiten ihrer Begleiter achten.

Leitsymptom plötzlicher Leistungsabfall
Das auffälligste Leitsymptom eines bevorstehenden Höhenlungenödems ist ein plötzlicher Leistungsabfall. Achtung: die schon bei milder Höhenkrankheit auftretende Schlaflosigkeit sollte auf keinen Fall durch Benzodiazepine oder Barbiturate sowie Alkohol behandelt werden, da diese atemdepressorisch wirken und die besonders in der Nacht auftretenden lebensgefährlichen Ödeme verstärken können. Bei Hypertonie und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sich gezielte Bewegungstherapien in Höhen von 1800 bis 2400 m als sehr wirksam erwiesen. Es konnte eine statistisch signifikante Blutdrucksenkung festgestellt werden, die mehrere Monate anhielt.

JENS BIELENBERG

Kardiovaskulare Kontraindikationen für einen Gebirgsaufenthalt

  • Maligne Hypertonie
  • Koronarerkrankungen Schweregrad IV (Beschwerden bereits in Ruhe, bei Alltagsbelastungen oder bei passivem Höhenwechsel)
  • Zustand bei apoplektischem Insult (besonders durch Hirnblutung bei Hypertonie oder Aneurysma)
  • Fortgeschrittenes Stadium der Corpulmonale
  • Alle klinischen noch manifesten Entzündungen
  • Alle Erkrankungen mit Ruheinsuffizienzsymptomatik
zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü