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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2010

Über die Relativität der Wirklichkeit

Cover

Mein Weltmodell

Warum hat jeder Mensch seine eigene, ganz persönliche Vorstellung von der Welt? Und warum gehören Missverständnisse obligatorisch zur Kommunikation? Coach Liane Probst beschreibt, wie unsere individuelle Wirklichkeit entsteht und wie unsere Wahrnehmung wirklich funktioniert.

© Patrizia Tilly - Fotolia.comDas Modell der Welt, begründet in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts vom polnischen Psychologen und Linguistiker Alfred Korzybski, geht davon aus, dass individuelle Vorerfahrungen und kulturelle Prägungen in jedem Menschen ein einzigartiges „Modell der Welt“ entstehen lassen. Jeder schafft sich seine eigene Weltvorstellung. Da wir alle unterschiedliche Lebenswege bestreiten und andere Erfahrungen dabei machen, unterscheidet sich unser „Modell der Welt“ z.T. erheblich von den Vorstellungen unserer Mitmenschen.

Im Grunde geht es darum, sich bewusst zu machen, dass das, was wir für die Welt halten, nur das ist, was unsere Sinne uns vermitteln.

Wir schaffen unsere individuelle Wirklichkeit wie folgt:

  1. Wir beobachten Daten und Fakten, nehmen neurologisch über unsere Sinne wahr.
  2. Wir wählen Daten aus unseren Beobachtungen aus.
  3. Wir fügen kulturelle und persönliche Bedeutungen hinzu.
  4. Wir entwickeln Annahmen.
  5. Wir ziehen Schlussfolgerungen.
  6. Wir bilden Überzeugungen und Glaubenssätze in Bezug auf die Welt und das Leben. Hier beginnt die reflexive Schleife: Unsere Überzeugungen beeinflussen, welche Daten wir beim nächsten Mal auswählen.
  7. Wir handeln gemäß unseren Überzeugungen.

Daraus resultiert: Je mehr wir unseren Überzeugungen, unserem „Modell der Welt“ folgen, desto mehr Beweise erbringen wir für ihre Gültigkeit.

Ein grundlegendes menschliches Dilemma besteht darin, dass wir die Wirklichkeit nicht direkt erfassen können. Um uns Ursachen, Geschehnisse und Handlungsweisen zu erklären, schaffen wir uns unser eigenes Modell der Welt und leben danach. Aus diesem Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen:

  1. die Toleranz für die Wirklichkeit anderer – denn dann hat das Konstrukt anderer Menschen genauso viel Berechtigung wie mein eigenes.
  2. das Gefühl der absoluten Eigenverantwortung. Wenn ich glaube, dass ich meine eigene Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese auch verantwortlich, kann sie nicht meinen Mitmenschen „in die Schuhe schieben“.

Im kommunikativen Verhalten des Menschen spiegelt sich diese Landkarte der individuellen Wirklichkeit wider. Aus der Grundannahme des Modells ergeben sich konkrete Ableitungen für den Kommunikationsprozess:

  • Missverständnisse gehören zur Kommunikation dazu: Mein Gegenüber hat ein anderes „Modell der Welt“ als ich.
  • Um Missverständnisse möglichst gering zu halten, ist eine offene und nicht wertende Haltung in der Kommunikation erforderlich. Um mit anderen Menschen gut kommunizieren zu können, muss ich sein „Modell der Welt“ verstehen.

Die Wirklichkeit wird von uns nicht gefunden, sondern erfunden.

Nur, weil wir etwas nicht sehen oder begreifen, bedeutet es trotzdem, dass es in der Welt des Anderen volle Gültigkeit hat.

Liane Probst Liane Probst
Dipl. Trauerrednerin,
Psychologische Beraterin,
Systemischer Coach
lprobst@t-online.de

Übung

Linkes Auge zuhalten und mit dem rechten Auge den Stern fixieren. Beim Abstand von ca. 30 – 40 cm zum Blatt ist der Kreis nicht mehr zu sehen.

2010-04-Wirklichkeit3

Diese örtliche Blindheit beruht darauf, dass an der Stelle der Netzhaut, an der die Nervenfasern aus der lichtempfindlichen Schicht des Auges zum Sehnerv zusammenlaufen, keine Lichtsinneszellen vorhanden sind. Wird der schwarze Kreis genau auf diese Stelle projiziert, ist er nicht mehr zu sehen. Man beachte, dass diese örtliche Blindheit nicht durch einen dunklen Fleck im Gesichtsfeld auffällt, sondern überhaupt nicht wahrnehmbar ist. Erst die „Beobachtung der Beobachtung“ lässt den blinden Fleck erkennen.

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