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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2012

Bindegewebsmassage

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Muskelblockaden lösen und Organfunktionen verbessern

Massage ist eine der bekanntesten Heilkünste und wurde bereits 3000 v. Chr. im Orient erwähnt. In Südostasien gehören Massagen, einer langen Tradition folgend, zu einer selbstverständlichen Gesundheitsvorsorge. Die Ärzte im alten Griechenland und in Rom zählten Massage zu den wichtigsten Therapieformen zur Heilungsförderung und Schmerzlinderung. Hippokrates, Vater der Medizin, vertrat die Meinung, dass jeder Arzt, neben allen anderen Heilmethoden, auf jeden Fall auch die Massage beherrschen sollte.

Allein Berührung hat heilende Aspekte

2012-06-Bindegewebs1Untersuchungen haben ergeben, dass unser Immunsystem durch seelische und emotionale Faktoren beeinflusst wird. So schwächen u.a. Negativstress, Kummer oder unfreiwillige Einsamkeit unser Immunsystem. Wir werden hierdurch anfälliger für Krankheiten, unsere Widerstandsfähigkeit ist herabgesetzt.

Berührungen wirken direkt über die Haut auf das Limbische System, ein Areal im Gehirn, welches Einfluss auf unser Gefühlsleben hat. Diese Erkenntnisse aus wissenschaftlich gestützten Erhebungen sind bei allen Massagetherapien von großem Nutzen.

Einige Wissenschaftler vertreten die These, dass unser Körper ungelöste Spannungen und unterdrückte Gefühle speichert, worüber u.a. auch unser (in dem Fall meist erhöhter) Muskeltonus Aufschluss geben kann.

Hochgezogene Schultern, angespannte Kiefermuskulatur, festgezogene Gesichtsmuskeln, ein steifer Nacken, ein gebeugter fester Rücken sind häufig mit ganz speziellen emotionellen Reaktionen verbunden. Diese manifestieren sich unter Umständen zu einem entsprechenden Krankheitsbild. Viele von uns kennen Rückenschmerzen, den Spannungskopfschmerz, nächtliches Zähneknirschen oder Ähnliches, was in direktem Zusammenhang mit einem erhöhten Muskeltonus gesehen werden kann.

Berührung löst Spannungen und Blockaden. Sie setzt nervale Impulse und aktiviert Sensoren. Berührung ist, besonders im Kindes-, aber auch im Erwachsenenalter noch, ein wichtiger Bestandteil für eine gesunde Entwicklung. Viele von uns kennen die beruhigende Wirkung, die allein durch die liebevolle Berührung der Mutter auf ein schreiendes Baby besteht.

Berührung erhöht aber auch die Aufmerksamkeit. So haben Forschungen ergeben, dass ein Kind einer Erklärung intensiver folgen kann, wenn ihm z.B. die Hand des Erklärenden auf der Schulter liegt. In der indischen Lehre vom gesunden und langen Leben, dem Ayurveda, ist es üblich, Babys zu massieren, um eine gesunde Entwicklung zu fördern. Auch die Mütter werden nach der Geburt massiert, um sie körperlich zu unterstützen und zu stärken. Die veränderte Stoffwechsel- und Hormonsituation, die nach der Geburt entsteht, kann in positiver Weise ausgeglichen werden. In den USA gaben Untersuchungen Aufschluss über eine deutlich positive Entwicklung von frühgeborenen Säuglingen, die schon im Inkubator regelmäßig ein- bis zweimal am Tag für mehrere Minuten eine Massageberührung bekamen.

Die Berührungsformen durch die Massagegriffe sind in ihrer Wirkung vielseitig. Je nach Art der Massage können differenziert unterschiedliche Wirkungsziele angesteuert werden.

Eines haben aber die meisten Massagen gemeinsam: Über die Berührung der Haut erfolgt eine sensorische sowie nervale Stimulation. Diese wiederum hat, neben vielen anderen positiven Aktivierungen, eine Mehrdurchblutung, eine Anregung des Lymphflusses, die Verbesserung des Stoffwechsels und damit eine Unterstützung des gesamten Organismus zur Folge.

Die Haut ist mit Rezeptoren ausgerüstet, die bei Stimulierung durch Massage das Gehirn mit angenehmen Empfindungen versorgt, so dass Endorphine freigesetzt werden. Muskulatur und Körper können sich entspannen. Es entsteht dadurch eine vorteilhafte Wechselwirkung auf die inneren Organe. Auch die werden im Verlauf einer Massage (und auch noch danach) entspannt und besser durchblutet. Sie können so ihre Funktion wesentlich besser erfüllen.

Im entspannten Zustand sinkt der Puls, das Herz wird optimal versorgt und schlägt ökonomischer. Denken wir an den Verdauungstrakt, an Magen, Darm, Leber, Galle, so wissen wir, dass diese Organe für eine gesunde Funktion eine entspannte Gesamtsituation des Körpers benötigen. Der parasympathische Nervenanteil bietet ihnen die optimale Grundlage für eine ausgewogene Funktion und kann in der Entspannung wirken.

Massage hilft dabei, die Selbstregulation des körperlichen und psychischen Gleichgewichts zu erhalten oder dieses wieder herzustellen. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass regelmäßige Massage, ca. ein- bis dreimal wöchentlich, das Immunsystem stärkt und die gesundheitliche Gesamtsituation deutlich verbessert.

Die Vielfalt der Massagearten und -formen ist groß

2012-06-Bindegewebs2Einige seien hier genannt: Da gibt es die Ayurveda-Massagen, die klassischen Massagen, Lymphdrainagen, Reflexzonenmassagen, Shiatsu, Traditionelle Thai Massage und viele, viele mehr.

Die Handhabung, ja Philosophie, welche zur Gesundung führen soll, unterscheidet die einzelnen Massageformen zwar voneinander, aber den Menschen als eine Einheit von Körper, Geist und Seele zu betrachten, ihn zu stärken und in seiner Gesundheit oder Gesundung zu stützen, das ist allen gemein.

Beruht die Heilungsförderung z.B. bei der Shiatsu-Behandlung auf der Anregung der Meridiane (Energiebahnen) des Körpers durch punktuellen Druckreiz, führt sie bei der ayurvedischen Abhyanga, mit reichlich warmem Sesamöl großflächig ausgeführt, über die Stimulation der Hautrezeptoren zur Entspannung, zum Loslassen und dadurch zum Entgiften.

So geht es bei der klassischen Massage über das detaillierte Kneten der Haut- und Muskelschichten zuerst einmal um die lokale Mehrdurchblutung und Stoffwechselanregung. Zwar kommt die Bindegewebsmassage aus der Familie der klassischen schulmedizinischen Massagen, doch unterscheidet sie sich in Grifftechnik und Wirkungsweise auch von ihr.

Wendet sich die ausführende Wirkung der klassischen Massage in erster Linie an die Muskulatur und den Bewegungsapparat, richtet sich die Bindegewebsmassage reflektorisch vom äußeren Körpergewebe an die inneren Organe, um diese in ihren Aufgaben und Funktionen zu unterstützen und zu stärken oder bei der Gesundung behilflich zu sein.

Hier ist die Bindegewebsmassage den anderen Reflexzonenmassagen wie Fuß- und Handreflexzonenmassage sehr ähnlich. Der Unterschied zwischen diesen reflektorisch wirkenden Massageformen besteht lediglich in der Positionierung und damit auch dem Behandlungsbereich der Organzonen. Bei der Bindegewebsmassage finden wir diese Organzonen im Bereich des Rückens, bei den anderen beiden Reflexzonenmassagen im Bereich der Fußsohle bzw. in der Innenhand.

Einen grundlegenden Anstoß zur medizinischen Dokumentation gab es allerdings erst Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Mediziner Head und MacKenzie brachten eine sogenannte segmentale Verbindung zwischen Hautarealen und Organzugehörigkeit zur Veröffentlichung, bei der sie Hautzonen (Dermatome) und Muskelzonen (Myotome) mit inneren Organerkrankungen in Verbindung brachten. Im Rückschluss bedeutet das: Ist ein Organ geschwächt oder gar erkrankt, kann sich dieses auf der dazugehörigen Hautregion zeigen.

2012-06-Bindegewebs3Die entsprechenden Hautpartien, hier nun Bindegewebszonen genannt, weisen entweder veränderten Tonus auf oder unterscheiden sich in anderer Weise von der restlichen Gewebestruktur. Diese Veränderung ist meist durch so bezeichnete Aufquellungen oder Einziehungen sichtbar und gleichermaßen auch über die Tonusveränderung tastbar.

Das Bindegewebe entsteht in der embryonalen Entwicklung aus dem mittleren der drei Keimblätter, dem Mesoderm. Aus diesem Keimblatt entwickeln sich neben dem Bindegewebe auch das menschliche Skelett, die Muskulatur, unsere Blutgefäße, die Milz u.a.

Man bedenke, dass das Bindegewebe ca. 16% des Körpergewichtes ausmacht und nicht nur Stütz- und Haltefunktion hat, wie man früher annahm. Im gesamten Bereich des Skeletts finden sich bindegewebige Strukturen, z.B. die Knochenhaut, aber auch Gelenkkapseln, Epiphysenfugen, Sehnen und Bänder. Dieses Gewebe bildet die Unterlage der Haut, umhüllt einzelne Muskelfasern und einige Muskelgruppen. Auch die Organkapseln sowie die Zwischenräume der Organlager bestehen aus Bindegewebe. Nervenumhüllungen, Gefäßwände, … überall ist Bindegewebe in unterschiedlicher Form, Dichte und Funktion im Spiel. Die bindegewebigen Fasern sind im gesamten Körper miteinander verbunden, das macht, davon geht man immer mehr aus, Bindegewebe zum „Informationsgewebe“ des Körpers. Jede Zellhülle, jeder Zellverband erhält nicht nur seine Form, sondern auch seine Stabilität durch das Bindegewebe. Es ermöglicht in Grenzen eine organspezifische Bewegung bei Erhaltung der vorgesehenen Form.

Funktionen des Bindegewebes

  • Das kollagene Fasernetz bzw. die kollagenen Fasern geben den Knochen eine Art Leim und damit eine Grundelastizität.
  • Retikuläre Fasern bilden ein netzförmiges Gerüst und überziehen damit beispielsweise Muskelfasern oder Fettzellen.
  • Elastische Fasern finden sich in der Haut, in Organkapseln, in den Gefäßwänden der Blutund Lymphgefäße, überall dort, wo Ausdehnung im Zuge der Funktion notwendig ist.
  • Elastisches Bindegewebe kann sich um die zweieinhalbfache Länge ausdehnen und auch in die Ursprungsform zurückkehren.

Das macht unsere Haut so dehnbar, wenn wir an Gewicht zu- oder abnehmen. Und so wird es möglich, dass unsere Lunge sich beim Einatmen ausdehnt und sich bei der Ausatmung zurückzieht, um einige Beispiele für diese Elastizität zu erwähnen.

Auch wenn die Forschung noch längst nicht alles in diesem Zusammenhang entdeckt hat, so ist eines sicher: Bindegewebe ist ein wichtiges Körpergewebe, welches viele unterschiedliche und wichtige Funktionen erfüllt.

Entstehung und Wirkung der Bindegewebsmassage – Entdeckung durch Eigenbehandlung

2012-06-Bindegewebs4Häufig sind medizinische Therapien das Ergebnis einer Erkrankung ihres Entdeckers. So ist es auch bei der Bindegewebsmassage: Die Physiotherapeutin Elisabeth Dicke (1884-1952) litt an sehr schweren arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine sowie an wiederkehrenden Rückenschmerzen im Lumbalbereich. Sie begann sich mit einer speziellen Strich- und Zugtechnik zu behandeln. Im unteren Rücken und im Bereich der Gesäßmuskulatur massierte sie mit dieser ungewöhnlichen Technik ihr eigenes Bindebzw. Muskelgewebe.

Als sie dabei entdeckte, dass sich ihr Gesundheitszustand durch diese Art der Behandlung erheblich verbesserte, forschte sie in den folgenden Jahren mit wissenschaftlicher Unterstützung der Ärztin Dr. med. Hede Teirich-Leube weiter an der Wirkung dieser besonderen Massage. Beide stellten fest, dass es eine nervale Versorgungsverbindung unterschiedlicher Rückenpartien oder Segmente zu inneren Organen gibt. Gezielte Massagegriffe im Bereich der dem Organ zugeordneten Hautareale, der Head´schen Zonen, verbessern die Störung bzw. Erkrankung des Körpers deutlich.

Durch eine ganz bestimmte Zug- und Strichtechnik, überwiegend ausgeführt mit Mittelund Ringfinger, gehen Versorgungsimpulse zum Zielorgan. Dies geschieht über den sogenannten kuti-viszeralen Reflexbogen (kuti = Haut, viszeral = Eingeweide). Nun war es sichtbar und nachweislich möglich, mit derart platzierten Massagegriffen im Bereich dieser Bindegewebszonen Einfluss zu nehmen auf einzelne Organe oder auf das Organsystem.

2012-06-Bindegewebs5Frau Dicke setzte ihre Massagegriffe hauptsächlich im Bereich der Gesäßmuskulatur ein. Hier finden sich sowohl die arterielle Beinzone wie auch die Venen-Lymphzone. Die so über die Nervenbahnen weitergeleiteten Anregungen verbessern die Durchblutung, den Stoffwechsel, damit die Ernährung des Körperorgans und dadurch die Versorgung des gesamten Körpers. Im Fall der Frau Dicke trat eine Verbesserung der Beindurchblutung ein.

Ebenso ist es im Bereich des oberen Rückens durch entsprechende Grifftechnik möglich, den Magen, den Darm, die Nieren oder die Lungenfunktion zu aktivieren. Denn im oberen Rückenbereich finden sich z.B. eine Magenreflexzone ebenso wie Darm-, Nieren- und Lungenreflexzonen. Nicht nur Verspannungen der Muskulatur können sich lösen, sondern auch Störungen am gesamten Organsystem können aufgehoben werden.

Da die beiden Berufskolleginnen die so entwickelte Massage hauptsächlich mit Bindegewebe in Verbindung brachten, nannten Frau Dicke und Frau Teirich-Leube diese Art der Behandlung „Bindegewebsmassage“. Und so wird die Therapie bis heute genannt.

Die Bindegewebsmassage gehört zu den ganzheitlichen, manuellen Behandlungsformen und ist nebenwirkungsfrei. Trotzdem ersetzt sie im Krankheitsfalle nicht eine ärztliche Therapie oder Beratung. Bei Unklarheiten sollte immer ein Arzt konsultiert werden.

In der Praxis

2012-06-Bindegewebs6Die richtige Vorbereitung auf eine Massage entscheidet mit, wie gut diese wirkt. Es ist daher von nicht geringer Bedeutung, dass Sie Ihren Massageraum bei entsprechender Außentemperatur gut heizen. Ein kleines Zusatzheizgerät kann eventuell von Vorteil sein, um die Temperatur des Massageraums kurzfristig auf eine angenehme Wärme zu bringen.

Denn wenn es kühl ist, kann sich weder der Klient noch die Muskulatur entspannen. Außerdem ist es gut, eine Decke oder ein Handtuch bereitzulegen, um den Klienten nach der Massage für die anschließende Nachruhe abzudecken. Die Behandlungszeit einer Bindegewebsmassage am Rücken beträgt ungefähr 30 Minuten. Optimal ist eine Nachruhe von 30 Minuten.

Über besondere Strichführung soll bei der Bindegewebsmassage reflektorisch das dem Areal zugeordnete Organ erreicht und damit dessen gesamte Versorgung verbessert werden. Hierzu wird überwiegend mit einzelnen Fingern oder Fingerkuppen (meist des Mittelund Ringfingers, auch bezeichnet als Finger 3 und 4, oder dem Daumen) beider Hände massiert. Die Wirbelsäule unterteilt dabei den Rücken in zwei gedachte Rückenhälften. Diese werden nacheinander in einer vorgegebenen Massagefolge behandelt. Begonnen wird am unteren Rücken, im Bereich des Beckens, beendet wird die Massage am oberen Rücken oder im Bereich oberer Brustkorb mit einigen Abschlussgriffen.

Unser Körper ist als eine komplexe Einheit zu verstehen, und daher ist es bei einer Bindegewebsmassage angebracht, sie als komplette Massage durchzuführen. Selbst wenn bestimmte Bereiche des Rückens bestimmten Organen zugeordnet sind und vielleicht einzelne Organe durch unsere Massage einen Aktivierungs- oder Heilungsimpuls erfahren sollen, ist es sinnvoll, den Rücken in der Gesamtheit mit der angegebenen Strichführung zu behandeln. Die einzelnen Organsysteme stehen in Verbindung und können sich durch die Massage gegenseitig stärken sowie in Funktionseinklang bringen.

Carola Bleis
Carola Bleis
Bewegungstherapeutin, staatl. geprüfte Masseurin und med. Bademeisterin
carola.bleis@kabelmail.de

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