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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2013

Notfälle in der naturheilkundlichen Praxis

Cover

© Bobboz - Fotolia.comZwar sind sie seltene Ereignisse, umso wichtiger ist aber die stete Bemühung um ihre Vermeidung und die routinierte Einübung kompetenter Hilfsmaßnahmen. Erste Hilfe und Notfallmaßnahmen in der Praxis bilden einen Schwerpunkt im Heilpraktikerstudium und sind häufig gestellte amtsärztliche Überprüfungsfragen – doch bei vielen Kolleginnen und Kollegen liegt die Ausbildungs- und Zulassungszeit Jahrzehnte zurück, die Kenntnisse verblassen, das Ungeübte verfällt.

Wir dürfen jedoch nicht vergessen: Die Bereitschaft im Notfall, Erste Hilfe zu leisten (ob in der Sprechstunde, beim Hausbesuch, als Straßenverkehrsteilnehmer, Passant usw.) ist mit der Stabilität des zugehörigen Wissens eng verbunden.

Daher sind das Wissen und die Übung unerlässlich,

  • sodass der Behandelnde in der Lage ist, den Notfall zu erkennen – überhaupt erst einmal zu überlegen, ob in diesem individuellen Fall, und wenn ja, welcher besondere Notfall zu erwarten ist;
  • sodass von der Praxis, vom Hausbesuch oder vom Unfallort aus rechtzeitig ein Notruf an die Rettungszentrale betätigt wird;
  • und was wir bis zum Eintreffen eines professionellen Helfers im Dienste des Patienten tun können und wie wir ggf. seine Vitalfunktionen bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erhalten wollen.

Einige Gerätschaften und Notfallmedikamente sollte eine gut geführte Praxis vorsorglich anschaffen und stets griff- und einsatzbereit führen; schließlich nützt uns eine Thermokompresse auf Zimmertemperatur oder eine längst in der Haltbarkeit abgelaufene Cortison-Notfallspritze im Bedarfsfall reichlich wenig! Die meisten der Notfallmittel sind problemlos in der Vorratshaltung und in der Beschaffung (so z.B. Glukosegel, hämostyptische Watte, physiologische Kochsalzlösung, Verbandmaterial, kleiner Sauerstoffapplikator in Sprayformat, Venenstauer, Kunststofftüte zur Wiedereinatmung usw.). Einige der vorzüglichen Mittel sind jedoch nur unter Nachweis der Heilpraktikerzulassung ohne ärztliches Rezept zu bekommen (wie die Adrenalin- und Cortison-Fertigspritzen für den Notfall) und zu einigen weiteren ist der Zugang nur über spezielle Sachkundekurse mit pharmakologischer Zusatzqualifikation und praktischer Übung möglich. Solche Kurse biete ich im Auftrag der Paracelsus Schulen als Notfallmittel-Sachkunde-Sonderseminar seit einigen Jahren regelmäßig an und bringe so Niedergelassene in den legitimen Besitz der wichtigsten Mittel und in den aufgefrischten Stand der Erkenntnisse.

Gesetzliche Regelung

Als Dozentin habe ich sehr oft die Äußerung von Kursteilnehmern gehört: „So etwas halte ich nicht vorrätig, wir dürfen solche verschreibungspflichtigen Medikamente eh nicht verwenden oder verordnen!“ Diese Aussage betrifft korrekterweise nur die Verordnung und die Anwendung in einer Therapie, also in Behandlungen und zur Behandlung, die im Voraus so geplant und konzipiert sind, dieses Heilmittel über die reguläre (alltägliche) Wirksamkeit anzuwenden. Die gleichen Mittel aber können in medizinischen Notfällen als Notfallmedikament lege artis von Heilpraktikern angewendet werden, um Not (Lebensgefahr) von dem Patienten zu wenden. Sie sollten sogar zur Anwendung kommen – sofern der Anwender mit ihnen vernünftig umgehen kann und legitim in den Besitz der Mittel gekommen ist!

In welchen Fällen sorgen Sie sich ernsthaft um die Vitalfunktionen des behandelten Patienten?

Bei Feststellung der Bewusstlosigkeit (Patient ist nicht ansprechbar, reagiert auf unsere Fragen nicht): Eine kurze Ohnmacht (Synkope) kann durch unerwartete Schmerzreize (z.B. als Akupunkturnadelungsphänomen) ebenso entstehen wie auf plötzliches Erblicken von Blut (hiervon ist hauptsächlich das männliche Geschlecht betroffen). Sanfte Schmerzreize (z.B. Wange beklopfen, Schulter umfassen und leicht rütteln) und lautes persönliches Ansprechen sowie Frischluftzufuhr beenden fast jede Synkope rasch.

Handelt es sich um tiefe Bewusstlosigkeit, so bleibt die Reaktionsfähigkeit, die Reflexantwort anhaltend aus und die Rettungszentrale muss dringend verständigt werden. Hinter solchen plötzlichen tiefen Störungen können lebensbedrohliche Ursachen (z.B. Totalverschluss einer Hirnarterie, also ein akuter Schlaganfall oder eine bedrohliche Unterzuckerung) stehen.

Hinter einer kurzen Bewusstlosigkeit kann auch (ein bis dahin nicht bekannter) epileptischer Anfall als Ursache stehen. Sie geht meistens mit starken Krämpfen einher, diese können aber auch fehlen. Beim krampfenden Epileptiker ist die Sicherung seiner Lage erst einmal vordergründig: Verhindern, dass er von der Behandlungsliege stürzt oder sich an scharfen Kanten, Kanülen, Instrumenten verletzt. Um einen möglichen Zungenbiss zu verhindern, sollten keine Maßnahmen getroffen werden (Gummikeile und Beißstifte einführen finden sich nur noch in uralten Lehrbüchern und steigern die Krampfbereitschaft erkennbar). Nach dem epileptischen Anfall ist der Betroffene besonders schutzbedürftig, müde und geschwächt. Oft hatte er im Anfall eingekotet oder eingenässt. Mit einer leichten Decke zudecken, dabeibleiben und beruhigend Zureden ist eine sinnvolle Strategie – weitere Maßnahmen trifft der professionelle Helfer, der Notarzt oder Rettungssanitäter.

Feststellung des Atemstillstandes

Die Beobachtung des Brustraumes lässt keine Atemexkursionen vernehmen, per Stethoskop sind keine Atemgeräusche auskultierbar, vor Mund und Nase keine Atemfeuchtigkeit auf einer Spiegelfläche feststellbar.

Feststellung von erkennbaren äußeren und vermuteten inneren starken Blutungen, mit der Gefahr eines akuten lebensbedrohlichen hypovolämischen Schockes und sonstiger Schockursachen.

Feststellung des Kreislaufstillstandes: Halsschlagaderpuls an beiden Seiten über 30 Sekunden nicht tastbar, Patient wird rasch sehr blass bis zyanotisch und ohnmächtig.

Was tun Sie in solch einem Fall?

Im Vordergrund steht die mögliche Wiederherstellung der Vitalfunktionen sowie die Verständigung der Rettungszentrale.

Dann sollte die sogenannte cardiopulmonale Wiederbelebung (Reanimation) nach ABC-Schema angewendet werden:

A = Ansprechen (mehrfach und deutlich), Atemwege freimachen
B = Beatmung
C = Circulation herbeiführen: Herzdruckmassage, wenn zugänglich Defibrillator anwenden

Wenn weder Puls noch Atemzüge feststellbar sind und Sie ohne Helfer versorgen müssen: sofortige Verständigung der Rettungszentrale, danach: 30 kräftige, Brustkorb komprimierende Herzdruckmassagen und zwei tiefe Beatmungen im Wechsel durchführen, bis der Patient dem Rettungsdienst übergeben werden kann.

Für alle Fälle gilt: Regelmäßige Kontrollen zwischendrin durchführen, ob ein tastbarer Pulsschlag oder die Atmung in Gang gekommen ist!

In letzter Zeit mehren sich internationale Berichte und Studien, dass die alleinige Herzdruckmassage als Reanimationsmaßnahme erfolgreicher und nachhaltiger ist als die kombinierte Methode. Hierüber dürfen wir geteilter Meinung sein. In meinen Augen ist der wirkliche Grund des neuen Vorschlages eher die Vereinfachung der Abläufe für den laienhaften Helfer und damit die Bereitschaft überhaupt zu wecken, reanimieren zu wollen.

Mögliche Schockursachen können z.B. sein:

  • Allergische, anaphylaktische Reaktionen (z.B. auf Heilkräuter-Aromaöl-Massagen, Auftragung von Salizylsäure zur Keratolyse bei einem Patienten mit Asthma bronchiale, Injektionen, Infusionen mit unverträglichen Mitteln)
  • Neurogene Schockarten (z.B. beim Erleben von plötzlichen Schmerzen, phobische Angstzustände)
  • Hypoglykämie (Unterzuckerungsschock, meist beim insulinbedürftigen Diabetiker, seltener z.B. bei Fastenden oder bei Aufregung in der fortgeschrittenen Schwangerschaft)
  • Cardiogener Schock („Herzanfall“, z.B. pektanginös oder beim akuten Herzinfarkt)

Je nach Schockursache sind unterschiedliche Maßnahmen zu treffen:

Bis auf den cardiogenen Schock ist die Lagerung gleich: Stamm und Kopf flach, beide Beine im steilen Winkel hochgehalten (dadurch fließt reichlich venöses Blut zum rechten Herzen zurück, mit dieser venösen Reserve aus den Kapazitätsgefäßen kann oft Abhilfe geschaffen und der Kreislauf stabilisiert werden).

Beim cardiogenen Schock wird der Betroffene mit erhöhtem Oberkörper, ansonsten aber flach gelagert. Hierdurch kann der venöse Rückfluss zum Herzen hin reduziert und damit die Pumparbeit des angegriffenen Organs erleichtert werden.

Bei Vermutungen eines allergischen Schockgeschehens potenzielle Allergene sofort entfernen (z.B. gründliches Abwaschen der salizylhaltigen Schälpaste, Abwischen der Aromaöle, Unterbrechung der Infusion).

Bei Schock durch krankhafte Angst oder Schmerzen beruhigend zureden, glänzende Instrumente aus der Hand legen, Akupunkturnadel ziehen, für Frischluftzufuhr und beruhigte Atmung sorgen. Bei hektisch atmenden und dadurch krampfenden Patienten: Mit einer kleinen davorgehaltenen Plastiktüte die eigene Atemluft wieder etliche Atemzüge lang einatmen zu lassen. Dadurch erhöht sich der CO2-Gehalt im Blut und die Krampfneigung geht zurück.

Bei Unterzuckerungsschock sollte schnellstens für Glukosezufuhr gesorgt werden. Ideal sind Gelpräparate aus der Apotheke, die eine mäßig fließende Gelkonsistenz aufweisen und an den Mund- und Rachenschleimhäuten angeheftet recht schnell in die Blutbahn wechseln können. Diese können auch bei Patienten mit beginnenden Schluckstörungen in den Mund gegeben werden. Geeignet sind auch Traubenzuckertäfelchen oder -tabletten. Ungeeignet sind Schokolade und Ähnliches, da durch den relativ hohen Fettgehalt die Aufnahme der Glukose ins Blut verzögert wird.

Bereits beim leisesten Verdacht auf eine akute Lungenembolie (Immobilität, Thrombosen in der Anamnese) ist die sofortige Verständigung der Rettungszentrale vordergründlich. Der Betroffene wird mit erhöhtem Oberkörper, wenn möglich mit tiefer gestellten Beinen („hängende Beine“) gelagert. Noch effektiver wäre die Entlastung des angegriffenen rechten Herzens durch den sogenannten unblutigen Aderlass, was aber allgemein nicht sehr bekannt ist. Der tiefe Sinn des „weißen Aderlasses“ liegt darin, größere Blutmengen in die Venen der Extremitäten abzudrängen. Hierzu benötigen wir vier Stauungsschläuche oder Manschetten (z.B. Blutdruckmessmanschette), die um die Arme und Beine so aufgepumpt und so fest gespannt werden, dass der arterielle Puls gerade noch tastbar, dafür aber die zurückführende Vene abgeklemmt ist. Bei Erwachsenen kann man auf diese Weise an die zwei Liter Venenblut in die Peripherie abdrängen – die Kapazitätsgefäße füllen sich und das rechte Herz muss weniger pumpen.

Venöse Blutungen sind von eher oberflächlichen Läsionen der Haut zu erwarten und sind gleichmäßig in der Blutungsstärke. Sie erfordern saubere (sterile) Abdeckung und das Anlegen eines Kompressionsverbandes, soweit möglich auch die Hochlagerung der betroffenen Region. Ein gut angespannter Stauschlauch ist bestens geeignet für das kurzfristige Anlegen eines kleinen bis mittleren Kompressionsverbandes.

Im Falle einer kleinen arteriellen Blutung ist neben der Kompression und der Lagerung auch noch die Kälteapplikation hilfreich. Obwohl muskulöse Arterienwände allein schon durch die mechanische Verletzung vom Körper selbst enggestellt werden (sogenannte Reparaturischämie), kann die Engstellung mit über der Haut applizierter Kälte noch gefördert werden. Hierdurch wird sowohl die Schmerzempfindung als auch die Blutverlustmenge reduziert.

Nasenbluten der Risikopatienten ist eine wohlbekannte Plage der Heilpraktikerpraxis. Prophylaxe tut not: Gefährdete sollten sich nicht tief bücken beim Entkleiden oder beim Besteigen der Behandlungsliege. Tritt Nasenbluten auf, was durch Festpressen der Nase an die Nasenscheidewand über mehrere Minuten trotzdem weiter anhält, so sind weitreichende Erste-Hilfe-Maßnahmen erforderlich. Der Patient wird mit dem steil erhobenen Oberkörper aufrecht sitzend gelagert, am besten über einen Wartezimmerstuhl „rückwärts gesetzt“.

Okzipital (im Bereich Hinterhaupt, oberer Nacken und Hals) sollte eine eisig kalte Kompresse angelegt werden. Die herauslaufende Blutmenge sollte hygienisch (Krepptuch, Nierenschale) aufgefangen, jedoch nicht verworfen werden. Sollte die notärztliche Versorgung später nötig sein, ist das Wissen um die vorher verlorengegangene Blutmenge für die professionelle Nachbehandlung von Interesse (die Blutverlustmenge wird von den meisten Ersthelfern extrem überschätzt)!

Was gilt für alle Notfälle bei Ihrer Arbeit?

Bis kompetente Hilfe eintrifft, führen Sie die Hilfsmaßnahmen ohne Unterlass hindurch. Beruhigend auf den Patienten einreden kann nur der Helfer, der mit der Situation einigermaßen vertraut ist. Auf jeden Fall versuchen, die eigene Aufregung äußerlich nicht anmerken zu lassen! Frische Luft zuführen (Fenster öffnen), enge Kleidung des Betroffenen lockern, Brille, schweren Halsschmuck etc. abnehmen (diese sicher aufbewahren) und regelmäßig ruhig ansprechen ist wichtig.

Alle von uns verabreichten Mittel werden dem professionellen Helfer mitgeteilt (am besten zeigen Sie und geben Sie die Verpackung, die Ampulle, die Nadel, Kanüle, die leere Tube etc. mit). Anschließend werden die Art des Notfalles und die professionelle Übernahme des Patienten (vom Sanitäter oder vom Notarzt, mit der Uhrzeit) in Ihre Karteikarte eingetragen.

Meine persönliche Meinung ist, dass die Berufsverbände eine möglichst lückenlose Sammlung von freiwillig gemeldeten praxisrelevanten Notfällen haben sollten. Nur hierdurch lassen sich hilfreiche Trainingsmaßnahmen, Kurse und Fachfortbildungen gestalten. Ebenso könnten wir über die Sammlungen riskante Mittel und Anwendungen der naturheilkundlichen Praxen ausfindig machen – die Fallsammlung wäre also dienlich, um Risiken zu erkennen, diese zu minimieren und die Behandlungssicherheit zu optimieren.

Dr. Maria Noszvai-Nagy Dr. Maria Noszvai-Nagy
Dipl.-Biologin, Medizinerin, Medizinpädagogin und Heilpraktikerin

drnoszvai@web.de

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