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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2014

Einsatz spezieller Darmbakterien zur adjuvanten Behandlung stressassoziierter Erkrankungen

Cover

© Eisenhans - Fotolia.comDas enterale Nervensystem stellt nach dem zentralen Nervensystem die größte Ansammlung von Nervenzellen in unserem Körper dar. Der Vagusnerv verbindet beide Zentren miteinander. Der Informationsfluss ist bidirektional, aber 90% der Informationen sendet das Bauchhirn an das Gehirn, umgekehrt sind es nur 10%. Dieser Informationsaustausch ist Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. Dabei richtet sich das Interesse der Forscher zunehmend auf das intestinale Mikrobiom und seinen Einfluss auf unser Fühlen und Denken.

Das Zusammenspiel zwischen dem enteralen Nervensystem, dem Mikrobiom und dem Gehirn eröffnet neue Therapiemöglichkeiten bei Stress induzierten somatischen und psychischen Beschwerden.

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Erste Hinweise ergaben sich aus Experimenten mit Mäusen, die den probiotischen Keim Lactobacillus rhamnosus JB-1 bekamen. In Verhaltensstudien zeigten sie weniger Anzeichen von Stress, Ängstlichkeit und depressivem Verhalten als die Kontrollgruppe ohne Probiotika. Auch auf biochemischer Ebene waren deutliche Unterschiede erkennbar: Die Probiotika-Gruppe hatte niedrigere Level des Stresshormons Corticosteron und darüber hinaus veränderte Gehirnrezeptoren für Gamma-Aminobuttersäure (GABA), einem Neurotransmitter mit Schlüsselfunktion bei Gemüts- und Angsterkrankungen. Entscheidend dabei: Wurde der Vagusnerv ausgeschaltet, verschwanden die positiven Effekte des probiotischen Keims vollständig (Bravo et al.).

Auch in Humanstudien konnte der Einfluss von probiotischen Bakterien auf das Verhalten und Empfinden nachgewiesen werden. Gesunde Freiwillige, die über stressbedingte gastrointestinale Symptome klagten, erhielten in einer klinischen Studie die probiotischen Kulturen Lactobacillus helveticus R0052 und Bifidobacterium longum R0175, während die Kontrollgruppe keine Bakterien erhielt. Nach drei Wochen waren Übelkeit, Erbrechen und abdominelle Schmerzen signifikant gesenkt (Diop et al.).

Der direkte Einfluss auf das menschliche Gehirn konnte in einer weiteren Untersuchung durch Magnetresonanztomografie erbracht werden: Teilnehmer konsumierten über vier Wochen ein probiotisches Getränk, eine zweite Gruppe nahm das Getränk ohne Probiotika ein, während eine dritte Gruppe nichts erhielt. Das Probiotikum hatte einen messbaren Einfluss auf bestimmte Hirnareale, die emotionalen Reaktionen zugeordnet sind (Tillisch et al.).

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Die günstige Beeinflussung des Stresshormons Cortisol durch die Gabe probiotischer Kulturen konnte ebenfalls beim Menschen gezeigt werden. Unter dauernder Stressbelastung kommt es zur Ausbildung eines inneren Stresssignals im Gastrointestinaltrakt, das zu einer Erhöhung des Cortisolspiegels beiträgt. Bei gesunden Freiwilligen, die für 30 Tage die schon genannten Stämme Lactobacillus helveticus R0052 und Bifidobacterium longum R0175 einnahmen, ließ sich der Cortisolspiegel gegenüber der Placebogruppe signifikant senken. Die Probanden fühlten sich geringer durch Stress belastet, insbesondere waren sie weniger depressiv verstimmt, empfanden weniger Aggressivität und feindselige Gefühle. Auch die Problemlösefähigkeit war erheblich besser. Die probiotischen Stämme hatten einen angstlösenden Effekt (Messaoudi et al.).

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Ein Erklärungsmodell für diese positiven Effekte ist die Fähigkeit der beiden probiotischen Stämme, die Darmbarriere zu regenerieren und damit regulierend auf den Hormonhaushalt, hier auf das Stresshormon Cortisol, zu wirken.

Diese Ergebnisse empfehlen, künftig Probiotika mit klinisch belegter Wirkung als begleitendes Element einer ganzheitlichen Stresstherapie einzusetzen.

In den nachfolgenden Fallstudien wird die Anwendung in der psychologischen Praxis beschrieben.

Fallstudie 1

Generalisierte Angststörung mit stressbedingter chronischer Erschöpfung

Patient

40 Jahre alt, verheiratet, selbstständiger Unternehmer

Anamnese

Der Patient erzählt, dass es für ihn seit einiger Zeit immer schwieriger werde, seinen täglichen Verpflichtungen wie Kundenbesuche, Einkaufen, Autofahren auf Autobahnen etc. nachzukommen. Es habe sich im Laufe von einigen Wochen plötzlich so ein Unbehagen entwickelt, das mit starker innerer Unruhe, Muskelverspannungen im Schulterbereich und mächtigen Angstgefühlen vor vielen verschiedenen Dingen bzw. Situationen einhergehe. Gestern habe er den vollen Einkaufswagen im Discounter einfach stehen lassen und sei hinausgerannt, weil plötzlich sein Herz zu rasen begann. Des Weiteren sei er extrem überarbeitet und verbringe bis zu zwölf Stunden pro Tag im Geschäft. Er empfinde einen gnadenlosen Verkaufsdruck, schlafe schlecht und sorge sich aufgrund akuter finanzieller Schwierigkeiten.

Psychischer Befund

Der Patient wirkt hektisch, spricht laut und schnell, sodass der Leidensdruck deutlich erkennbar ist. Psychomotorisch erscheint er unruhig und angespannt. Seine intellektuelle Leistungsfähigkeit ist unauffällig. Auch Introspektions- und Selbstreflexionsfähigkeiten sind ausreichend vorhanden. Zum Untersuchungszeitpunkt wurden suizidale Tendenzen glaubhaft verneint.

Diagnose

Generalisierte Angststörung ICD-10 F41.1 mit Zustand totaler Erschöpfung ICD-10 Z73.0

Therapieverlauf

Innerhalb von 20 Einzelsitzungen gelang es dem Patienten, mit dem Auto selbstständig zum Discounter zu fahren und sich auch an der Kasse in einer Schlange anzustellen. Auch Kundenbesuche stellten nach dieser Zeit kein Problem mehr dar. Das Gesamtbefinden und seine Arbeitsfähigkeit wurden wieder hergestellt. Möglich machte dies einerseits die rationale Auseinandersetzung mit seinen Ängsten mittels sokratischen Dialogs, andererseits die Bereitschaft des Patienten, sich mit angstbesetzten Alltagssituationen zu konfrontieren und einer aufkommenden Angst standzuhalten. In den Therapiestunden wurde ein lerntheoretisches Modell zum Verständnis der Angststörung und des darauf folgenden Burnouts entwickelt. Zeitgleich erlernte der Patient die Klopfakupressur (EFT = Emotional Freedom Technique) und klopfte die Akupressurpunkte selbstständig vor und während belastenden Situationen. Des Weiteren wurde ein Wochenplan erarbeitet, in dem regelmäßige Muße- und Entspannungszeiten als fester Bestandteil eingeplant wurden. Das Erlernen der Progressiven Muskelentspannung half dem Patienten zusätzlich, seine Verspannungen im Schulterbereich deutlich zu reduzieren und sein Selbstwirksamkeitserleben zu steigern. Aufgrund der hohen chronischen Stressbelastung wurde dem Patienten zur Senkung des erhöhten Cortisolspiegels die Einnahme von probiotik®recur über zwölf Wochen empfohlen. Über die Reduktion der Stresshormonausschüttung konnten eine Normalisierung der Stressverarbeitung und das somatische wie psychische Wohlbefinden unterstützt werden. Drei Monate später ist der Patient nahezu symptomfrei.

Fallstudie 2

Angst- und Panikattacken mit stressbedingten Erschöpfungszuständen

Patientin

26 Jahre alt, Angestellte in der Versicherungsbranche

Anamnese

Die Patientin berichtet, dass sie vor einem Jahr am Sterbebett des Vaters gesessen und die hoch emotionalen Eindrücke wohl noch nicht verarbeitet habe. Sie leide seitdem unter massiven Schuldgefühlen und fühle sich indirekt mitverantwortlich für den Tod des Vaters, da sie sich zum Schluss mit der Situation überfordert gefühlt habe. Darauf entwickelte sich eine starke Angst, geliebte Menschen zu verlieren, die sich in Panikattacken und das Gefühl, alles sei zu viel, steigerte. Im Verlauf des letzten Jahres seien dann aus heiterem Himmel Panikattacken in den unterschiedlichsten Situationen aufgetreten. Diese gingen mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Beklemmungsgefühlen, Atemnot, Schwindel und Zittern einher, was sie nur mit Mühe beherrschen könne. Auch sei sie sehr müde und erschöpft. Außerdem habe sie wenig Motivation, den Alltag zu bewältigen und es falle ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie habe große Verlustängste, dass sie auch ihren Mann und ihren Sohn verlieren könne und dann ganz alleine sei. Sie habe zunächst versucht, mit all dem selbst zurechtzukommen. Sie merke aber, dass sie das schon lange überfordere. Sie wolle nicht wieder in ein tiefes Loch fallen und deshalb jetzt eine kombinierte Gesprächs- und Hypnosetherapie absolvieren.

Psychischer Befund

Keine Denk-, Wahrnehmungs- und Ich-Störungen feststellbar. Starke Versagens- und Verlustängste in Bezug auf Ehemann und Sohn sowie Schlafstörungen und Panikattacken ohne konkreten Anlass. Affektlage niedergeschlagen, sich ohnmächtig und den Problemen hilflos ausgeliefert fühlend. Gedankenkreisen aufgrund möglicher negativer Ereignisse in der Zukunft. Keine Hinweise auf Suizidalität.

Diagnose

Angst- und Panikstörung ICD-10 F41.0

Therapieverlauf

Nach der ausführlichen Darstellung ihrer Krankengeschichte wurde gemeinsam mit der Patientin eine Ressourcenanamnese durchgeführt. Diese diente dem Zweck, herauszufinden, was sie normalerweise gerne tut und was ihr vor dem Tod des Vaters Spaß gemacht hat. Daran schloss sich eine Zieldefinition mit den Wünschen der Patientin für die Zukunft an. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Erarbeitung eines anatomisch-physiologischen Störungsmodells, das der Patientin eine plausible Erklärung für die Entwicklung ihrer Symptome ermöglichte. Hierzu wurde während einer der ersten Therapiesitzungen anhand eines anatomischen Gehirnmodells visuell und für sie nachvollziehbar erklärt, welche Rolle Amygdala, Locus caeruleus, Hippocampus und präfrontaler Kortex im Angst- und Panikgeschehen spielen. Dadurch fiel es der Patientin leichter, sich vorzustellen, wie die Pathogenese ihrer Erkrankung verlaufen sein könnte. Im zweiten Schritt wurde ein Modell entwickelt, wie eine mögliche Salutogenese „aussehen“ müsste.

Mittels moderner medizinischer Hypnose gelang es der Patientin, eine intensive Imagination zu entwickeln, in der sie an einem schönen und sicheren Ort verweilen konnte. Der Fokus lag auf der Erinnerung angenehmer Gefühle und Situationen sowie einer lösungsorientierten Gesprächsführung. In die Hypnose wurden, basierend auf dem zuvor erarbeiteten Störungsmodell, positive Suggestionen für eine nun „entspanntere“ Funktion der Mittelhirnstrukturen eingestreut. Begleitend übte die Patientin Autogenes Training am Abend vor dem Einschlafen. Zur Reduktion des angstassoziierten inneren Stresses wurde die adjuvante Einnahme von Probiotik über zwölf Wochen empfohlen. Neben der Regulation des Cortisolspiegels berichtete die Patientin, dass sie wieder besser durchschlafen und mit den alltäglichen Problemen besser umgehen könne.

Insgesamt konnte die geschilderte Symptomatik innerhalb von zehn Sitzungen schrittweise abgebaut werden. Die Panikattacken sind verschwunden und die Ängste auf ein für sie handhabbares Maß gesunken. Maßgebliche Erfolgsfaktoren waren die sehr gute Compliance der Patientin und eine stabile soziale Unterstützung durch das private Umfeld.

Bernhard Adelberg Bernhard Adelberg
Dipl.-Psychologe, Heilpraktiker, Coach, Weiterbildungen in NLP, Moderner Medizinischer Hypnose und Krisenintervention
info@b-adelberg.de

 

Literatur

  • J. Bravo et al.: Ingestion of Lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve. Proc Natl Acad Sci U S A. 2011 Sep 20;108(38):16050-5
  • L. Diop et al.: Probiotic food supplement reduces stress-induced gastrointestinal symptoms in volunteers: a double-blind, placebo-controlled, randomized trial. Nutrition Research (Elsevier) Volume 28, Issue 1, 2008, Pages 1-5
  • M. Messaoudi et al.: Beneficial psychological effects of a probiotic formulation (Lactobacillus helveticus R0052 and Bifidobacterium longum R0175) in healthy human volunteers. Gut Microbes 2:4, 256-261; 2011
  • K. Tillisch et al.: Consumption of fermented milk product with probiotic modulates brain activity. Gastroenterology. 2013; 144(7): 1394-401, 1401.e1-4
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