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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2014

Pferdgestützte Therapiearbeit

Cover

© Jürgen Fälchle - Fotolia.comHeike und Habanero stehen sich in der Mitte der Reithalle gegenüber. Heike liebt Pferde, seit Kurzem nimmt sie Unterricht. Hier möchte sie mehr über die unsichtbare Verbindung zwischen Pferd und Mensch erfahren, sie möchte wissen, wie Pferde Menschen helfen können, sich selbst besser zu fühlen und zu finden.

Habanero ist ein stattlicher fuchsfarbener Andalusierwallach, groß und kraftvoll. Er geht auf Heike zu, wirft den Kopf dabei verspielt hin und her. Heike blickt ihn bewundernd an, merkt aber auch, dass sein Näherkommen ganz schönes Herzklopfen in ihr auslöst.

„Achte auf die Signale deines Körpers“, hatte die Reitlehrerin zu ihr gesagt. „Dein Körper spiegelt dir unvermittelt, was wirklich los ist.“

Heike schluckt. Habanero hat sich bis auf drei Meter angenähert, und er sieht nicht so aus, als wolle er gleich anhalten. Heikes Herzklopfen wird immer stärker. Ihr fällt die Gerte ein, die sie in der Hand hält. Die Gerte ist ein verlängerter Arm, und die Übung heißt „Raum einnehmen, Grenzen setzen“, so die Erklärung, bevor sie mit Habanero in die Halle ging.

Habanero kommt immer näher und Heike merkt, wie unwohl sie sich fühlt. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut: Ganz oft im Leben lässt Heike Menschen einfach über ihre Grenzen hinweggehen. Jedes Mal ärgert sie sich, wenn Menschen in ihren persönlichen Raum eindringen, der Abstand während eines Gespräches zu nah ist, das Gegenüber zu lange ihre Hand schüttelt oder ein Arbeitskollege sie einfach in der Kaffeeküche mal eben so in den Arm nimmt.

Heike möchte das nicht. Doch es fällt ihr schwer, Grenzen zu setzen. Nun kommt ein 600-Kilo-Pferd auf sie zu, immer näher. Heike ist wieder mal in ihrem Konflikt gefangen.

Habanero bleibt einen Meter vor ihr stehen. Sie spürt seinen Atem. Ihr ist das viel zu dicht. Hilflosigkeit steigt auf, die sie so gut kennt. Sie weiß, was sie nicht will, ist aber unfähig, ihre Lage zu ändern.

Habanero merkt ihre Unsicherheit und streckt seinen Kopf in ihre Tasche, wo die Leckerlies drin sind. Das ist zu viel!

Heike fühlt sich ohnmächtig. Die Pferdeexpertin bemerkt ihre Angst und bittet sie, Habanero mit der Gerte vorsichtig auf Abstand zu halten. „Beschreib mit der Gerte einen Halbkreis vor Dir. Das ist Dein Raum, und er ist so groß, wie Du ihn für deine Sicherheit brauchst.“

Heike schluckt, Habanero blickt sie mit seinen dunklen Augen an. Sie streckt die Gerte vor sich aus und bewegt sie sehr langsam mit einer halbkreisförmigen Bewegung. Habanero geht trotzdem weiter auf sie zu, denn sie wedelt zwar mit der Gerte, aber ihr Körper und ihr Atem drücken etwas ganz anderes aus: Hilflosigkeit statt Entschlossenheit.

Pferde sind hochsensible Wesen, die eines wollen: Klarheit und Authentizität von unserer Seite. Pferde mögen keine Zweifel, und aus diesem Grund ist Habanero verwirrt: Heike wedelt zwar mit der Gerte, aber eigentlich weiß sie gar nicht, was sie will. Also probiert Habanero es weiter und geht so lange auf sie zu, bis er ihr fast auf den Fuß tritt.

Heike geht erschrocken zurück. Wie oft ist ihr das schon passiert? Sie findet einen Menschen unsympathisch, der kommt auf sie zu, sie lächelt, weil sie so erzogen ist, aber eigentlich ist es ein Zähnefletschen, was ihr Gegenüber aber nicht wahrnimmt. Und schon kommt es zu einer Grenzüberschreitung.

„Habanero fordert Dich auf, klare Grenzen zu setzen“, sagt die Lehrerin. Sie bittet Heike, fünf Meter von Habanero wegzugehen und die Übung noch einmal zu beginnen. Sie solle auf sich hören und die Grenze so setzen, dass sie sich noch immer wohl und sicher fühle.

„Visualisiere, wie Du ihn stoppst und schicke dann das Bild in Deinen Körper und auch zu Habanero.“

Heike konzentriert sich, versucht, ganz im Augenblick zu sein und denkt ganz bewusst: „Ich will bei Habanero sein, ich mag ihn, aber ich bestimme den Abstand.“

Habanero wendet sich ihr interessiert zu. Ihr Körper drückt jetzt Entschlossenheit aus, sie atmet gleichmäßig und ist sehr aufmerksam. Das bemerkt Habanero, denn Pferde sind so feinfühlig, dass sie unsere Aura lesen können, uns abscannen und sofort wissen, was mit uns los ist. Pferde sind so empfindsam, dass sie einen hungrigen Löwen von einem satten unterscheiden können, und im letzteren Fall wissen, dass sie ganz in seiner Nähe grasen können, ohne dass es gefährlich wird. Pferde können unsere Gedanken und Gefühle spüren. Was sie nicht mögen, ist, wenn wir nicht echt sind, wenn wir eigentlich traurig sind und trotzdem fröhlich tun, wenn wir mit einer Gerte rumfuchteln und trotzdem nicht sicher sind, was wir damit eigentlich bewirken wollen.

In einer Herde verständigen sich Pferde mit kleinsten Zeichen, ein Ohrenwackeln genügt und der Rangniedrigere macht Platz, wenn der Höherstehende ans Futter will. Pferde können gleichzeitig fliehen, weil ihre Nervensysteme miteinander verbunden sind. Sie wissen sofort, ob einer ihrer Kumpel rennt, weil er flieht oder rennt, um sich der puren Lebensfreude hinzugeben. Pferde müssen andere Lebewesen so genau lesen können, weil ihr Leben davon abhängt.

Habanero bewegt sich nun langsamer auf Heike zu, denn ihr Körper signalisiert: „Du kannst kommen, aber ich bestimme, wie weit.“ Damit kann Habanero etwas anfangen. Vorsichtig nähert er sich ihr zentimeterweise. Nun setzt Heike auch die Gerte ein, wieder in einem Halbkreis, diesmal steckt aber ein echter Wunsch dahinter: „Halt Abstand!“

Das ist eine klare Ansage und Habanero bleibt stehen.

„Ist das der Abstand, bei dem Du Dich sicher fühlst?“, fragt die Pferdeexpertin. „Ja, so ist er bei mir, aber nicht zu nah.“ Als Heike das sagt, leckt Habanero sich die Lippen. Er bestätigt ihr damit, dass sie ein echtes Herzensgefühl ausgesprochen hat.

Heike ist glücklich. Sie hat mithilfe von Habanero erfahren, dass sie Grenzen setzen kann, dass sie einen eigenen Raum hat, der nur ihr gehört und den sie schützen muss.

Die US-Amerikanerin Linda Kohanov hat diese pferdegestützte Therapiearbeit entwickelt. In ihrem Zentrum in Arizona hilft sie sowohl traumatisierten Pferden als auch Menschen, wieder auf den eigenen Weg zu kommen.

Pferde sind hervorragende Lehrmeister, denn da sie Fluchttiere sind, nehmen sie ihre Umwelt sehr bewusst und sensibel wahr und reagieren entsprechend darauf. Wenn wir mit einem Pferd zusammen sind, dann sind wir Teil seiner Herde und das Pferd reagiert auf unsere nonverbalen Aussagen wie z.B. Muskelanspannung, Veränderung unseres Herzschlages oder unserer Atmung.

Durch das Pferd haben wir die Möglichkeit, zu erkennen, wann wir uns hinter einer Maske verstecken und können dann ausprobieren, wie es ist, authentisch zu sein. Sobald wir authentisch sind, nimmt das Pferd Verbindung zu uns auf. Es fühlt sich wohl bei uns, da wir eine klare Botschaft aussenden. Wir erfahren dadurch ein Angenommen-Sein und eine positive Bestätigung, dass es gut so ist, wie wir in unserem authentischen Kern sind. Es hilft uns, unser Vertrauen in uns selbst zu stärken und im Alltag umzusetzen.

Amerikanische Forscher haben mittlerweile bewiesen, dass Lernerfahrungen, die an emotionale Erlebnisse gebunden sind, eine Vielzahl von neuen neuronalen Verbindungen im Gehirn schaffen. Sind die emotionalen Erlebnisse positiv und an authentische Erfahrungen geknüpft, ist der Effekt der neuronalen Verschachtelungen noch stärker.

Gesa Fuchs Gesa Fuchs
Heilpraktikerin

info@pferde-begegnung.de

 

Literatur

  • Linda Kohanov: The Tao of Equus: A Woman‘s Journey of Healing and Transformation Through the Way of the Horse. New World Lib, Novato (USA), 2007
  • Linda Kohanov: Botschafter zwischen den Welten: Pferde und wir, eine gemeinsame Reise in die unentdeckten Gebiete unserer Möglichkeiten. Franckh Kosmos Verlag, Stuttgart, 2008
  • Linda Kohanov: Der bewusste Weg mit Pferden – 40 Karten mit Pferde-Archetypen und Praxisbuch. Franckh Kosmos Verlag, Stuttgart, 2011
  • Linda Kohanov: The Power of the Herd: A Nonpredatory Approach to Social Intelligence, Leadership, and Innovation. New World Lib, Novato (USA), 2013
  • Candance Pert: Moleküle der Gefühle: Körper, Geist und Emotionen. rororo, Reinbek, 2001
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