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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2014

Fallstudie aus der psychologischen Praxis: Trauertagebuch mit Hilfe von Hypnose

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Die Geschichte

© igor - Fotolia.comThomas aus Hamburg hatte sein Leben immer im Griff, wie er selbst sagt. Der 46-Jährige war mit seiner Freundin Angelika (48) seit 15 Jahren zusammen. Sie hatten einen gut laufenden antiquarischen An- und Verkaufsladen, eine schöne Wohnung in Hamburg und waren glücklich. Doch am 1.12.2012 änderte sich alles: Angelika starb an einem Herzinfarkt. Thomas hat es bis heute nicht verkraftet.

Seit diesem Tag ist Thomas wie gelähmt. Er verlässt die Wohnung kaum noch, ist sozial völlig isoliert. Zu Hause rührt er nichts mehr an, Angelikas Sachen sind in der gesamten Wohnung verteilt und liegen genauso, wie diese sie hinterlassen hat. „Ich kann die Sachen von Angelika nicht wegschmeißen, das wäre Verrat“, erzählt Thomas mir im Herbst 2013. Er kann die Sachen einfach nicht wegräumen oder gar entsorgen – Unterwäsche, Kosmetikartikel, selbst Zigarettenstummel – und befindet sich so auf der Schwelle zum Messietum. Er lebt nur auf der Couch im kleinen Büro in der Wohnung. Im Flur stapeln sich Zeitungen, im Büro liegen Briefe ungeöffnet herum. Seine Kleidung liegt auf dem Boden, die Bettwäsche ist seit Monaten nicht gewaschen, überall leere Flaschen. In der Küche ist alles noch so, wie es Angelika hinterlassen hat, im Kühlschrank schimmeln die Lebensmittel. Töpfe, Geschirr und Pfannen stehen verdreckt in der Küche, Ungeziefer hat sich im Müsli und anderen Lebensmitteln in der Küche breitgemacht.

Thomas bekommt Hartz IV, doch das Amt droht, dass er in eine kleinere Wohnung umziehen muss, da seine aktuelle Wohnung für eine Einzelperson zu groß und zu teuer ist. Ein Umzug würde aber bedeuten, dass alles von Angelika weggeräumt oder entsorgt werden müsste. Diese Aussicht lähmt ihn zusätzlich.

Die ersten therapeutischen Schritte

Wir vereinbaren das Erstgespräch bei mir in der Praxis. Er ist sehr refl ektiert und ich kann spüren, dass er früher sein Leben im Griff hatte. Für den zweiten Termin gebe ich ihm die Hausaufgabe, seinen Lebenslauf zu schreiben, mit allen positiven und negativen Erlebnissen seines Lebens. So kann ich ihn darauf vorbereiten, sich mit den Ereignissen zu beschäftigen.

In den kommenden Sitzungen lasse ich Thomas unter Hypnose alles erzählen. Er kann nun ein Trauertagebuch im Nachhinein führen, welches er durch schriftliche Aufzeichnungen zu Hause ergänzt. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Tagebuch sehr hilfreich bei der Verarbeitung von Konflikten ist. Das ist aber oft nicht einfach, daher unterstütze ich dieses Konzept bei Thomas mit der Hypnose.

Die nächste dynamische Phase

In der fünften Sitzung arbeiten wir mit der Pin-Point-Technik. Es überkommt ihn ein weiteres Gefühl der Traurigkeit und Verlassenheit, das nichts mit Angelika zu tun hat. Er erzählt: Er ist fünf Jahre alt und seine Mutter sagt ihm, dass der Vater weg ist. Sie macht ihm klar, dass er nie wieder kommen wird und bei einer anderen Frau ist und dort noch andere Kinder hat. Thomas versteht das alles nicht und wartet auf den Vater. Er lässt alles so liegen wie am Vorabend, als der Vater ihn ins Bett gebracht hat. Die Zeitschrift „Bussi Bär“, aus der der Vater ihm vorgelesen hatte, liegt noch genau so da, der neue Fußball, den er zu seinem fünftem Geburtstag geschenkt bekommen hat usw. Thomas wartet und wartet. Niemand darf sein Zimmer betreten, auch seine Mutter nicht, denn er will genau da weitermachen, wo er mit dem Vater aufgehört hatte, zu spielen. Doch der Vater kommt nicht zurück.

Dann müssen Mutter und Sohn berufsbedingt umziehen, in eine andere Stadt und in eine kleinere Wohnung. Diese ist sehr dunkel, er hat ein eigenes Zimmer, die Mutter schläft im Wohnzimmer. Alles ist ganz anders, neue Menschen sind um ihn herum. Thomas zieht sich zurück und redet nicht mehr.

Nach dieser intensiven Sitzung wird Thomas klar, was passiert ist und woher er das Situationsgefühl mit Angelika kennt.

Nun geht es um die Aussöhnung mit dem inneren Kind: Ich suggeriere Thomas, dass er als Erwachsener das Kind sieht, das er damals war und ihm das erklärt, was er damals nicht verstanden hat. Er beschützt das Kind und liest ihm vor, spielt mit ihm, gibt ihm alles, was der kleine Thomas damals gebraucht hätte und was die Mutter ihm in ihrem eigenen Schmerz nicht geben konnte. Er sagt dem Kind, dass er es sehr lieb hat und dass er stolz auf es ist. Der kleine Thomas hat nun einen Beschützer, den er rufen kann, wenn er Schutz und Hilfe braucht.

Fazit

Thomas nahm weitere Therapiestunden bei mir, um alles aufzuarbeiten. Heute wohnt er in einer neuen kleinen Wohnung, geht wieder raus und befindet sich im Aufbau eines neuen Antikladens. Er hat eine kleine Schatztruhe angelegt mit den wichtigsten Sachen von Angelika. Er hat ihr einen neuen Platz in seinem Herzen gegeben und schaut nun in die Zukunft.

Sabina Hankel-Hirtz Sabina Hankel-Hirtz
Heilpraktikerin für Psychotherapie

info@mind-wind.de

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