Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2015

Tiergestützte Interventionen in Therapie und Beratung

Cover

© Baronb - Fotolia.comTiergestützte Therapien führen in Deutschland noch immer ein Schattendasein, obwohl sie in anderen Ländern wie z.B. den USA verbreitet, anerkannt und evaluiert sind. Mit ein Grund dafür mag auch sein, dass es nicht leicht ist, durch das Dickicht der Möglichkeiten und Angebote durchzublicken und beurteilen zu können, ob es sich um eine seriöse Maßnahme handelt, die sinnvoll und nützlich ist für das individuelle Anliegen.

Ein Tier als Co-Therapeut?

Erstmal nein! Die therapeutische Leistung muss vom Menschen erbracht werden. Das Tier kann weder den Beziehungsaufbau noch die fachliche Kompetenz ersetzen. Das Tier darf immer nur Ergänzung, nie Ersatz für menschliche Zuwendung sein. Der Hund soll nicht die Rolle als „besserer Mensch“ einnehmen, das Pferd nicht als Gymnastikball missbraucht werden.

Tatsächlich hat der Hund aber im Laufe seiner Anpassung an den Menschen Eigenschaften angenommen, die sich der moderne Mensch anscheinend abtrainiert hat, und das Pferd ist fähig (und meist auch willig dazu), Kinder und Erwachsene zu tragen. Somit sind sie (und ihre zahlreichen Artgenossen) unter bestimmten Bedingungen fähig, eine Nachreifung im Sinne therapeutischer Maßnahmen zu ermöglichen.

Wesentliche Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Bedürfnisse von Mensch und Tier aufeinander abgestimmt sind. Der Umgang mit dem Tier muss vom Klienten erwünscht und vom Tier akzeptiert sein. Wichtig hierbei: Nicht nur die Wirkung des Tieres auf den Mensch, sondern auch die umgekehrte Reaktion muss beachtet, beobachtet und analysiert werden.

Einsatzbereiche

Hervorragend geeignet ist der Tiereinsatz in der Kinder- und Jugendarbeit (Erlebnispädagogik, Spieltherapie, Schulprojekte etc.). Bei der Behandlung von Ängsten, ADHS, Störungen des Sozialverhaltens und Lernstörungen können inzwischen nachweislich gute Erfolge erbracht werden. Die Kinder sind motivierter und auch therapieerfahrene (und -frustrierte) Jugendliche lassen sich ansprechen; das Tier hat „Eisbrecher-Funktion“.

© iofoto - Fotolia.comVerbreitet sind Tierbesuche inzwischen auch in Senioren-Einrichtungen. Anwesende Vierbeiner erhöhen die Attraktivität für Bewohner und Besucher. Sie bieten Gesprächsstoff, Körperkontakt und lösen Erinnerungen aus („Schlüssel zur Vergangenheit“).

Im Krankenhaus tragen sie zur Belebung oder Beruhigung bei (Vögel, Aquarien), heben die sterile Atmosphäre auf und können Kindern bei unangenehmen Untersuchungen helfen. Bewohner bzw. Patienten müssen aber stets selbst entscheiden können, wie viel Kontakt ihnen angenehm ist.

Auch in der Forensik werden Tiere eingesetzt. Sie senken das Aggressionspotenzial und unterstützen durch ihre Reaktion das Erlernen angemessener Emotionsäußerungen.

Folgende Formen tiergestützter Interventionen werden unterschieden:

Tiergestützte Aktivität
Dabei handelt es sich um eher spontane Tier-Mensch-Interaktionen, die kein bestimmtes Ziel beinhalten und keine Erfolgskontrolle benötigen (z.B. Besuchstiere in Altersheimen und Kliniken, Streichelgehege, Stationstiere). Die Durchführung der Maßnahme ist häufig von Ehrenamtlichen oder Mitarbeitern der Einrichtung organisiert. Dafür ist üblicherweise keine spezielle Ausbildung notwendig, aber Freude an der Arbeit mit Mensch und Tier, Einfühlungsvermögen und Erfahrung mit dem Tier (z.B. um Stressreaktion zu erkennen) sind notwendig. Das Tier muss nicht über besondere Fähigkeiten, wohl aber über einen ausgeglichenen Charakter verfügen und im Fall von Besuchsdiensten folgsam und kommandosicher sein. Hygiene spielt entsprechend der Institution eine entscheidende Rolle. Der Kostenaufwand wird vom Träger der Einrichtung oder von Vereinen übernommen.

Tiergestützte Pädagogik
Beispiele: Schulzoo, Kindergartenprojekte, Kinder- und Jugendfarmen. Die Anwesenheit von Tieren erzieht zu Ordnung, Pünktlichkeit, Selbstdisziplin, Fürsorglichkeit und Verantwortung. Trotzdem dürfen Kinder nicht mit der Pflege allein gelassen werden. Die Verantwortung für das Wohl der Tiere muss von Erziehern mitgetragen werden.

Tiere reagieren ehrlich, konsequent und kompromissloser als Menschen, ohne berechnend oder autoritär zu sein. Hunde geben häufig positives Feedback. Für sie sind schlechte Noten irrelevant, sie bieten bedingungslose Akzeptanz und ständige Verfügbarkeit. Die Nachteile der familiären Haustierhaltung können durch Gemeinschaftsprojekte umgangen werden.

Beim Tiertraining wird aus dem lernenden Kind ein lehrendes. Es erlebt Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung. Die Durchführung erfolgt durch (Sozial-)Pädagogen und Helfer. Die Kosten werden von der öffentlichen Hand oder von Elternvereinen getragen.

Tiergestützte Förderung
Für Menschen mit Beeinträchtigungen (Gefährdungen, Störungen, Behinderungen) unter Einbeziehung eines Tieres, das für den Einsatz trainiert wurde. Die Maßnahmen werden durchgeführt von qualifizierten Experten (Sonderpädagogen, Sozialpädagogen, Sprach- und Ergotherapeuten). Sinn und Zweck sind planvolles Fördern und Fordern einzelner Personen oder Aktionen kleiner Gruppen.

Beispiel: Heilpädagogisches Reiten, Wohnund Schulprojekte für Menschen mit Behinderung, Fürsorge-Bauernhöfe (entstanden in den Niederlanden für Menschen mit sozialen oder körperlichen Problemen: Landwirtschaft, Viehzucht, Hofläden mit Wohnmöglichkeit). Kostenübernahme oder Zuschüsse erfolgen durch den Bezirk, Jugendämter, kirchliche Einrichtungen und spendenfinanzierte Hilfsprojekte.

Tiergestützte Therapie
Das Tier wirkt unterstützend und helfend mit bei der Behandlung von Krankheiten, Behinderungen und psychischen Störungen, z.B. in der Familientherapie, bei verhaltenstherapeutischen Methoden und körpertherapeutischen Maßnahmen wie der Hippotherapie.

Voraussetzungen für therapeutisches Arbeiten sind:

  • die Definition eines konkreten therapeutischen Zieles (Teilziele)
  • die Maßnahme muss von geschultem Fachpersonal durchgeführt und begleitet sein
  • das Therapiegeschehen muss dokumentiert werden (Anamnese, Therapieplan)

Ein Tier kann auch sinnvoll in Komplementärtherapien einbezogen werden, so in die Physio-, Ergo- und Sprachtherapie, bei Lernstörungen und in Rollenspielgruppen.

Therapeutisches Reiten kann im Rahmen von Ergotherapie oder Reha-Aufenthalten von der Krankenkasse bezuschusst werden. Einzelne Projekte lassen sich über Sponsoring finanzieren.

Tiergestützte Diagnostik
In Verbindung mit Therapie ist auch sehr interessant, dass die Zusammenarbeit mit einem Tier nicht nur bei der Behandlung, sondern auch für die Diagnostik wertvolle Hilfe leisten kann. Ausführliche Untersuchungen sind dokumentiert im Buch „Tiergestützte Kinderpsychotherapie“ (s. Literatur). Diese Studie zeigt, dass während der tiergestützten Therapie charakteristische Interaktionsmuster beobachtet wurden, die spezifisch für das jeweilige Störungsbild sind, sodass die Zuordnung zu Diagnosegruppen möglich wird. Das Verhalten der Kinder mit dem Tier zeigt die Diagnose schneller, neutraler und unverfälschter als eine explorative Gesprächssituation. Zusätzlich ergeben sich auch gleich Anhaltspunkte und Ressourcen für die therapeutische Arbeit, die unmittelbar in die Entwicklung konkreter Therapieziele einfließen können. Kinder lassen sich meist gerne auf den Umgang mit Tieren ein und es entstehen weniger Befürchtungen, als sie in einer üblichen Testsituation auftreten würden.

Tiergestütztes Coaching
Dieses findet häufig mit Pferden statt, deren Herdenverhalten dem menschlichen Sozialverhalten ähnlicher ist, als man gemeinhin annehmen möchte. Dabei wird nicht geritten, sondern vom Boden aus eingeübt und beobachtet, in welcher Form Einfluss genommen und Wirkung erzielt werden kann. Die auf diese Weise gesammelten Erfahrungen können im privaten und beruflichen Alltag Anwendung finden. Praktiziert wird diese Art des Coachings in der Jugendarbeit und beim Führungskräftetraining. Die Kosten müssen privat getragen werden, bei großen Firmen oder Ausbildungsinstituten kann es ein finanzielles Budget dafür geben.

Zur Vervollständigung müssen noch Assistenztiere wie Behindertenbegleithunde, Blindenhunde und Krankheitswarntiere genannt werden. Diese werden aber ganz individuell auf den einzelnen betroffenen Menschen ausgebildet. Eine Kostenübernahme ist durch Krankenkassen oder Hilfsorganisationen möglich.

Es ist manchmal schwierig, die einzelnen Bereiche streng voneinander abzugrenzen. Trotzdem ist es für eine fundierte und seriöse Arbeit notwendig, dass die ausführenden Berater, Therapeuten und Pädagogen wissen, innerhalb welchen Rahmens sie sich bewegen und wo die Grenzen ihrer Möglichkeiten sind. Je nach Art der tiergestützten Intervention ist somit der Therapeut bzw. der Betreuer der Tiere mehr oder weniger gefordert und entsprechend qualifiziert muss seine Ausbildung sein.

Elisabeth Pulina Elisabeth Pulina
Psychologische Beraterin

elli.pulina@t-online.de

Literatur

  • Anke Prothmann: Tiergestützte Kinderpsychotherapie, Peter Lang Verlag
zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü