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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2015

Vorwürfe wegen Behandlungsfehlern nehmen zu

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© silencefoto - Fotolia.comWas Heilpraktiker wissen sollten

Kurt Tucholsky wird nachgesagt: „Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.“ Das ist sicherlich nicht übertrieben: Während vor einigen Jahren Patienten Ansprüche vorwiegend gegen Ärzte und Zahnärzte geltend gemacht haben, rücken nun zunehmend auch andere Leistungserbringer in den Fokus. Seit Jahren verzeichnen auch Gerichte eine deutliche Zunahme von Klagen in diesem Bereich, Versicherer nehmen immer mehr Anspruchsschreiben entgegen. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein und auch damit zusammenhängen, dass die Erwartungshaltung generell zugenommen hat. Aus anwaltlicher Sicht ist zu beobachten, dass Patienten die eigene Unzufriedenheit sehr schnell zum Anlass nehmen, Ansprüche anzumelden und auch einzuklagen.

Jeder Heilpraktiker sollte daher wissen, unter welchen Voraussetzungen er haftet. Dabei geht es nicht um Panikmache, sondern darum, sich mit den rechtlichen Grundlagen insoweit vertraut zu machen, sodass eine eigene Risikoeinschätzung möglich wird.

Haftungsvoraussetzungen

Stellen sich bei einem Patienten während oder nach einer Behandlung Beschwerden ein, so wird häufig ein Behandlungsfehler angenommen. Gleiches gilt auch, wenn der Behandlungserfolg ausbleibt. Patienten unterscheiden dabei in der Regel nicht zwischen zeitlichem und ursächlichem Zusammenhang. Für die Haftung kommt es aber allein auf den ursächlichen Zusammenhang an – ein zeitlicher reicht nicht aus. Es fällt vielen Patienten aber schwer, einzusehen, dass es Fälle gibt, in denen niemand „schuld“ ist. Häufig wird versucht, jemanden für einen bestimmten Verlauf verantwortlich zu machen. Dafür müssen aber objektive Kriterien vorliegen. Fehlen diese, entfällt die Haftung.

Der Heilpraktiker haftet, ebenso wie der Arzt oder Zahnarzt, für Schäden, die er im Rahmen seiner Behandlung verursacht. Haftung meint zunächst einmal das „Einstehen müssen für einen Schaden“. Der Haftungsmaßstab ist dabei grundsätzlich nicht mit dem ärztlichen vergleichbar – Ärzte und Heilpraktiker gehören unterschiedlichen Berufskreisen an – der Heilpraktiker bietet ganz bewusst keine ärztliche Heilkunde an und wird für diesen Bereich auch nicht den ärztlichen Sorgfaltsanforderungen unterliegen.

Im Schadensfall wird ein Sachverständigengutachten vor Gericht klären, wie die Behandlung zu bewerten ist. Bei Ärzten geht es um das Abweichen vom anerkannten medizinischen Standard der jeweiligen Fachgruppe – und bei Heilpraktikern?

Aktuell fehlen noch allgemeinverbindliche, fachliche (Behandlungs-)Standards für Heilpraktiker, wie sie von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) auf ihrer Homepage für den ärztlichen Bereich zur Verfügung gestellt werden.

Zu klären wird also sein, wie ein durchschnittlich gebildeter Heilpraktiker auf dem Stand der Erkenntnisse seiner Profession handeln würde, wann er z.B. für ärztliche (Mit-)Behandlung oder Untersuchung sorgen muss. Haftungsrechtlich ist besondere Vorsicht geboten, wenn eine Behandlung nicht beherrscht wird. Denn: Wer ohne Qualifikation tätig wird, für den gelten die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze der Anfängeroperation. War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war – so heißt es wörtlich in § 630h Absatz 4 BGB.

Also darf der Heilpraktiker nur das diagnostizieren und behandeln, was er individuell auch beherrscht. Zur Entlastung müsste der betroffene Heilpraktiker nachweisen, dass der Schaden des Patienten nicht durch seine mangelnde Kenntnis verursacht wurde. Vorsicht ist auch dann geboten, wenn es um „red flags“ geht. Werden diese übersehen, kann es den Haftungsvorwurf begründen, daher ist auf diese besonders zu achten. Bei diesen geht es darum, Signale für eine gravierende Schmerz- oder Krankheitsursache auszumachen, um so einen abwendbar gefährlichen Verlauf rechtzeitig zu erkennen und zu handeln. Klassisches Beispiel ist das Erkennen einer Appendizitis während einer Magen-Darm-Grippe-Welle.

In einem Zivilprozess ist jeder angehalten, die für ihn günstigen Tatsachen zu beweisen. Im Grundsatz trägt die Patientenseite die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, die Verantwortlichkeit des Arztes oder Heilpraktikers, den Schaden und die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden.

Ausnahmen gibt es z.B. dann, wenn ein grober Fehler, also ein besonders schwerer Pflichtenverstoß, vorliegt. Ein grober Fehler wird dann angenommen, wenn gegen elementare Grundsätze verstoßen und das nicht beachtet wird, was jedem einleuchten muss. In diesen Fällen kommt es zu einer Beweislastumkehr. Das ist jedoch sehr selten.

In Urteilen geht es oft darum, ob und ggf. auch wann ein Heilpraktiker eine ärztliche Mitbehandlung oder Untersuchung vorschlagen muss. Dabei ist anerkannt, dass der Heilpraktiker das Unterlassen der Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe nicht veranlassen oder stärken darf. Er ist verpflichtet, auf die Gefahren hinzuweisen, die sich daraus ergeben können, dass ärztliche Hilfe nicht in Anspruch genommen wird. Das Verwaltungsgericht Hannover hat in seinem Beschluss vom 25. Juni 2010, Az. 5 B 2650/10 die Grenzen der Tätigkeit aufgezeigt, wenn es um schwerwiegende Erkrankungen geht, die in die Hand eines Arztes gehören.

Eine entsprechende Aufforderung an den Patienten, einen Arzt aufzusuchen, ist zu dokumentieren. Die Patientin hatte sich mit einer Brustkrebserkrankung mit Knotenbildung und einer bereits deformierten Brust vorgestellt. Eine Überweisung an einen Facharzt erfolgte nicht. Die Patientin ist infolge dessen verstorben. Dem Heilpraktiker wurde daraufhin wegen fehlender beruflicher Zuverlässigkeit die Erlaubnis entzogen.

Das „Patientenrechtegesetz“ und seine Bedeutung in der Praxis

Viele Heilpraktiker sehen sich aktuell zunehmend Ansprüchen und Erwartungen der Patienten gegenüber, die aus dem „Patientenrechtegesetz“ hergeleitet werden. Das ist, auch wenn es so heißt, kein eigenes Gesetz, sondern vielmehr eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Im Wesentlichen gilt seit 2013, dass

  • der Behandlungsvertrag ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist.
  • Patienten verständlich und umfassend informiert werden müssen, auch über Kostenfolgen, etwa wenn bekannt ist, dass die Krankenkasse Behandlungskosten nicht übernimmt.
  • die Aufklärung gesetzlich vorgeschrieben ist; sie erfordert, grundsätzlich alle Patienten rechtzeitig und umfassend über eine bevorstehende konkrete Behandlungsmaßnahme und über die sich daraus ergebenden Risiken aufzuklären.
  • Patienten-Akten vollständig und sorgfältig zu führen sind. Fehlt die Dokumentation oder ist sie unvollständig, wird zulasten des Behandelnden vermutet, dass die nicht dokumentierte Maßnahme auch nicht erfolgt ist.
  • wichtige Beweiserleichterungen gesetzlich verankert wurden.
  • Patienten ein gesetzliches Recht zur Einsichtnahme in ihre Patientenakte eingeräumt wird.

Erreicht werden soll die Schaffung von Transparenz, Rechtssicherheit, die Förderung der Fehlervermeidungskultur, eine Stärkung der Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern, Stärkung der Rechte gegenüber Leistungsträgern, Stärkung der Patientenbeteiligung, Stärkung der Patienteninformation und damit insgesamt die Stärkung der Position des Patienten.

Wer bereits erste Erfahrungen mit dem Gesetz in der Praxis machen konnte, weiß, dass es wichtig ist, die Abläufe in der Praxis, aber auch die Kommunikation mit dem Patienten den Neuregelungen anzupassen. Das gilt z.B. für den Wunsch des Patienten, seine Behandlungsunterlagen einzusehen. Dabei ist es entscheidend zu wissen, welche Rechte und Pflichten Heilpraktiker und Patienten haben. Denn nur wer sie kennt, kann sich entsprechend verhalten.

Die gesetzliche Neureglung hat nichts Wesentliches verändert. Neu ist aber, dass alles, was vorher durch Rechtsprechung über Jahrzehnte entwickelt wurde, jetzt im Gesetz steht. Der Gesetzgeber wollte einen zentralen „Ort“, an dem die Patientenrechte zu finden sind. Die Neuregelung geht dabei nicht über bereits durch Richterrecht konkretisierte Rechte hinaus – auch wenn in der Presse oft etwas anderes kommuniziert wird.

Was dabei wichtig ist: Der Gesetzgeber differenziert dabei (leider) nicht nach Berufsgruppen, sodass für Heilpraktiker vom Wortlaut her keine geringeren Anforderungen etwa an die Aufklärung gestellt werden. Die Informationsund Hinweispflichten gelten vielmehr für alle, die Behandlungen anbieten.

Wichtig sind (ggf. im Behandlungsvertrag oder Informations-/Aufklärungsbogen)

  • der Hinweis auf eine fehlende Kostenerstattung durch die GKV/PKV/Beihilfe
  • die Aufklärung des Patienten in Hinblick auf Risiken, Komplikationen etc.
  • bei einem Verzicht darauf, die Unterschrift des Patienten, dass ein entsprechendes Angebot gemacht wurde

Durch die gesetzliche Neuregelung sind vor allem die Anforderungen an die Dokumentation nochmals gestiegen. Für alle Praxen sollten die ersten Erfahrungen mit dieser Neuregelung auch Anlass sein, die Verträge/Formulare etc. daraufhin zu überprüfen, ob sie noch aktuell sind und den Anforderungen der § 630c, § 630f BGB gerecht werden.

Es kann auf keinen Fall empfohlen werden, sich allein auf mündliche Aufklärungsgespräche zu verlassen. Auch wenn zum Behandlungszeitpunkt noch keine Anhaltspunkte vorliegen, dass der Patient „schwierig“ sein könnte – eine sorgfältige Behandlungs- und Aufklärungsdokumentation ist zwingend und sollte immer routinemäßig durchgeführt werden.

Vor Gericht gilt der Grundsatz, dass das, was nicht dokumentiert ist, auch nicht stattgefunden hat. Eine gute Kontrollfrage an die eigene Tätigkeit: Wenn nur die Dokumentation zugrunde gelegt wird, was hat stattgefunden? Wird vollständig und zeitnah dokumentiert?

Aufklärung

Kann ein Patient den Behandlungsfehlervorwurf nicht beweisen, erhebt er oft die „Aufklärungsrüge“. Argumentiert wird, dass er sich in Kenntnis der Risiken nicht für die Behandlung entschieden hätte. Dieser Weg hat vor allem dann Erfolg, wenn die Behandlerseite die Aufklärung nicht beweisen kann. Entscheidend kommt es dabei auf die Dokumentation an. Diese hat einen nicht zu unterschätzenden Beweiswert. In § 630e BGB „Aufklärungspflichten“ ist die Verpflichtung zur Aufklärung durch das „Patientenrechtegesetz“ nunmehr ausdrücklich normiert worden. Der Heilpraktiker muss über mögliche Risiken seines Eingriffs informieren und – soweit vorhanden – auch auf Alternativen hinwiesen.

Versicherungsschutz

Als Anwalt sieht man immer wieder Fälle, in denen der Versicherungsschutz nicht oder nur unzureichend geklärt ist. Wer als Heilpraktiker tätig ist, sollte schon aus ureigenstem Interesse für ausreichenden Versicherungsschutz sorgen. Es gibt vermutlich viele Gründe, warum dieses Thema stiefmütterlich behandelt wird. Vielfach wird geäußert, dass schon nichts passieren werde, man immer so nette Patienten habe, mit denen ein sehr enges Verhältnis gepflegt werde und man die Prämien sparen wolle.

Das Vertrauen auf das Ausbleiben des Haftpflichtfalls mag im Einzelfall berechtigt sein. Es ist aber auch riskant, denn letztlich kann auch derjenige mit einer Klage bedacht werden, der meint, alles richtig gemacht zu haben. Theoretisch kann ein einziger Haftpflichtfall existenzbedrohend sein. Daher sollte es selbstverständlich ein, für ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen. Wenn dieser dann nie benötigt wird, umso besser. Die Prämien sind in der Regel auch überschaubar.

Das Verfahren im Überblick

Was tun, wenn das Anspruchsschreiben des Patienten ins Haus flattert oder sich der Patient mündlich beschwert? Zunächst und auch im weiteren Verfahren: Ruhe bewahren! Das klingt simpel und überflüssig, ist aber wichtig – gerade dann, wenn es zu mündlichen Vorwürfen kommt. Ein Anspruchsschreiben des Patienten ist umgehend an die Versicherung weiterzugeben. Diese übernimmt dann die weitere Korrespondenz mit dem Patienten bzw. seinem Rechtsanwalt. Gelingt außergerichtlich keine Einigung und erhebt der Patient Klage, sollte ein Rechtsanwalt, möglichst ein Fachanwalt für Medizinrecht, die weitere Vertretung übernehmen. Vor Gericht wird dann mittels Sachverständigengutachten geklärt, ob die Behandlung fehlerhaft war oder nicht und ob die Schädigung ursächlich darauf zurückzuführen ist. Dem Gutachten des Sachverständigen kommt dabei die entscheidende Bedeutung zu. Sein Votum ist oft prozessentscheidend. Weil es sich um medizinische und nicht um juristische Fragen handelt, ist das Gericht verpflichtet, einen medizinischen Sachverständigen zu befragen.

Zusammenfassung

Es kann nur dringend empfohlen werden, sich wenigstens in Grundzügen mit dem „Patientenrechtegesetz“ vertraut zu machen. Gerade die Themen Aufklärung und Dokumentation bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Ausreichender Versicherungsschutz gehört zu einer professionellen Praxisführung – darauf zu verzichten kann existenzbedrohend sein. Wenn der Patient Beschwerden/Unzufriedenheit äußert, sollte zunächst ein Gespräch in ruhiger Atmosphäre stattfinden.

Sobald das Anspruchsschreiben kommt, ist dieses umgehend an den Haftpflichtversicherer weiterzugeben. Zu diesem Zeitpunkt läuft die Korrespondenz über die Versicherung. Gerade am Anfang werden oft Fehler gemacht, die sich später kaum noch korrigieren lassen. Daher sollte dem Patienten nur zeitnah mitgeteilt werden, dass das Schreiben weitergereicht wurde. Einlassungen zur Sache sind zu diesem Zeitpunkt nur noch in enger Abstimmung mit dem Versicherer sinnvoll.

Rein aus anwaltlicher Perspektive: Das größte Haftungsrisiko besteht weniger in dem Verabreichen einer Spritze ohne Aufklärung, sondern mehr in der Überschätzung des eigenen Könnens, im Übersehen der „red flags“ oder der Nichterhebung notwendiger Befunde. Daher sollte in diesen Bereichen besonders sorgfältig gearbeitet, aber auch dokumentiert werden.

Dr. Birgit SchröderDr. Birgit Schröder
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht

kanzlei@dr-schroeder.com

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