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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2016

Deutschland zwischen Helferwahn & Machbarkeit

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© WoGi - fotolia.comVölkerwanderungen gab es schon immer. Früher war man jahrelang unterwegs, um an ein Ziel zu kommen. Heute benötigt man für dieselbe Strecke lediglich ein paar Wochen, im Idealfall nur noch wenige Stunden. Ganz besonders fällt das spätestens dann auf, wenn die Probleme ferner Kriegswirren über Nacht zu den eigenen werden. Auf die jetzige Situation war die Kanzlerin nicht vorbereitet. Den Flüchtlingsstrom hat sie, durch ihr ständiges Winken und Selfies schießen, geradezu angeheizt.

Was gut gemeint ist, ist noch lange nicht gut durchdacht. Helfen wollen den Flüchtlingen bestimmt viele. Doch die Ad-hoc-Entscheidung der Kanzlerin, tausende Syrer aus Ungarn ohne Registrierung und ohne gesundheitliche Kontrolle einreisen zu lassen, entwickelte sich im Laufe der Zeit zum Dilemma. Eine nicht kalkulierbare Gefahr geht von illegal Einreisenden aus, die über alle möglichen Grenzen zu uns migrieren. Mit all ihren Krankheiten. Allein in den ersten drei November-Wochen des letzten Jahres meldete die Bundespolizei knapp 180000 illegale Einreisen. Das Risiko, sich eine ansteckende Krankheit einzufangen, ist somit nicht wegzudiskutieren. Zudem rechnet die Internationale Organisation für Migration (IOM) auch in den Folgemonaten nicht mit einem Rückgang der Asylsuchenden. Frank Laczko, Chef des globalen Datenanalysezentrums der IOM, äußerte sich so: Syrien wird die Herausforderung Nummer Eins bleiben. Die Schlüsselfrage ist aber, was mit den Millionen Syrern passiert, die schon jetzt außerhalb ihres Heimatlandes und in die Nachbarstaaten ausgewandert sind.

Die ersten, die mit dem nicht mehr abzureißen drohenden Flüchtlingsstrom konfrontiert werden, sind – gleich nach den Grenzern – die Gesundheitsämter. Und die haben wirklich alle Hände voll zu tun. Die Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer in den Großstädten, besonders Berlin und Bayern, sind besonders vom Flüchtlingsstrom betroffen. Ziemlich sicher dürfte die Marke von 1 Million Flüchtlingen bis Ende 2015 geknackt worden sein. Die meisten Zufluchtsuchenden kommen aus dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Syrien. Aber auch aus der Ukraine, dem Irak und aus Somalia. Schnell werden so Probleme in der Ferne plötzlich die eigenen.

Rein theoretisch werden die Flüchtlinge dann nach der Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft der einzelnen Bundesländer entsprechend zahlenmäßig verteilt. In deren Erstaufnahmeeinrichtungen werden die Asylbewerber zuvor registriert. Und während des bis zu drei Monate dauernden Aufenthalts findet die Anhörung zum Asylverfahren statt. Erst danach werden die Asylbewerber auf die einzelnen Kommunen verteilt. So viel zur Theorie.

In Bayern melden sich aber so viele Flüchtlinge, dass man dort mit der Registrierung nicht mehr nachkommt. Und schon fällt das Theoriehäuschen in sich zusammen. So kommt es vor, dass in einer ausrangierten 650-Mann-Kaserne plötzlich 1200 Flüchtlinge hausen. Das führt natürlich, über kurz oder lang, immer wieder zu Spannungen unter den Zuwanderern. Die Regierung setzt ggf. auf Zwangszuweisung. Stehen nicht genug Plätze zur Verfügung, werden den Städten einfach trotzdem Menschen zugewiesen. Verordnungen und Paragraphen spielen auf einmal keine Rolle mehr. Standards sind plötzlich nur noch Makulatur.

Jetzt ist die Frage: Wie sieht der Ablauf in der Praxis wirklich aus? Und mit welchen Krankheiten werden wir konfrontiert? Dazu nehmen heutzutage i. d. R. die Pressesprecher der Gesundheitsämter Stellung.

In den Erstaufnahmestellen wird im Rahmen einer Erstuntersuchung u.a. geröntgt und auf TBC, Hepatitis und HIV untersucht. Bei Fieber und Muskelschmerzen wird routinemäßig weiter untersucht auf Malaria, Typhus und Lassafieber. Auch Krätze ist ein Thema. Durch die Strapazen der Flucht sind die Flüchtlinge meist völlig erschöpft und dehydriert. Darunter leidet natürlich das Immunsystem. Infolgedessen gehören ganz natürliche grippale Infekte, wohlgemerkt auch Masern, zur Tagesordnung. Sowieso in den Gemeinschaftseinrichtungen. Auch die Influenza könnte zu einer echten Herausforderung werden. Für Verdachtspersonen führt der Weg sofort zu einem behandelnden Arzt, oder ohne Umweg in die Klinik, bis zur völligen Genesung. Die Frage, wie hoch die Quote der Infektionskrankheiten bei der Erstaufnahme liegt, beantworten die befragten Ämter einheitlich mit ca. 1%.

Für die Bevölkerung bestehe aber „kein erhöhtes Ansteckungsrisiko“, sagte neulich eine Sprecherin des Robert-Koch-Institutes (RKI). Übertragungen könne es allenfalls in den Flüchtlingseinrichtungen selbst im familiären Kontakt geben. Mit Verlaub: Die Frau wird für ihre Aussagen bezahlt. Die Risiken kann niemand abschätzen! Das sieht man am neuesten „Bericht für Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2014“ des RKI. Darin steht nämlich, dass gerade die Zahl der offenen und somit infektiösen Lungentuberkulosen bereits in 2014 (4488 Neuerkrankungen) stark angestiegen ist. Über ein Drittel der Fälle geht auf das Konto von deutschen Patienten, knapp zwei Drittel betreffen Patienten mit Migrationshintergrund. Probleme machen wieder einmal mehr die resistenten Keime. Man muss aber schon relativieren: Viele Deutsche verbringen ihren Urlaub in fernen Ländern, in denen exotische Infektionskrankheiten drohen. Und immer mehr, vorrangig ältere deutsche Patienten, erkranken auf Grund einer Reaktivierung von latenten TB-Infektionen. Auch hier rechnet das RKI mit einem weiteren Anstieg der Erkrankungen.

Viele Menschen benötigen Medikamente, die sie in ihrer Heimat genommen haben. Natürlich müssen diese Patienten schnellstens versorgt und eingestellt werden, damit keine weiteren Schäden entstehen. Aber selten sind Dolmetscher vor Ort. Die Sprachbarrieren sind enorm. Auf Flyern wird in allen möglichen Landessprachen geworben, sich durchimpfen zu lassen. Es wird vermutet, dass die meisten Flüchtlinge das Angebot annehmen werden. Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob überhaupt genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen.

Fakt ist, dass weit über die Hälfte der Flüchtlinge traumatisiert ist und dringend eine psychotherapeutische Behandlung bräuchte. Da ist z.B. der 14-jährige Junge, der mit ansehen musste, wie sein Onkel und sein Bruder brutal ermordet wurden. Und der seitdem die Sprache verloren hat. Viele Menschen, gerade auch Kinder, wurden Augenzeugen von Folter und Vergewaltigungen. Sie leiden seitdem unter Schlafstörungen, Albträumen, Geräuschempfindlich- und Schreckhaftigkeit sowie Depressionen. Es werden händeringend approbierte Psychotherapeuten gesucht, die mit Kassen abrechnen können. Um die Lücke einigermaßen zu schließen, wird diskutiert, dass mehr Psychotherapeuten befristete Kassenzulassungen erhalten sollen für die Behandlung von Flüchtlingen. Rechtlich ist das möglich, muss aber von der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen umgesetzt werden.

Es ist wie so oft: Auf diese Situation war niemand vorbereitet. Und natürlich ist sie schwierig. Man arbeitet am Limit. Vergangenen August und September war die Zahl der Zuwanderer besonders hoch. Um das Pensum einigermaßen zu schaffen, wurden u.a. von den Amtschefs der Gesundheitsämter bereits pensionierte Kollegen wieder rekrutiert. Zudem gibt es viele private Helferinnen und Helfer, die durch ihren ständigen Einsatz mächtig unterstützen. Doch irgendwann ist das Maß voll. Hält der Zustrom an, dann ist Deutschland in absehbarer Zeit total überfordert. Ein Tag hat nur 24 Stunden, in eine Literflasche passen lediglich 1000 Milliliter, und in Deutschland? Auch das kann man berechnen! Hoffentlich noch rechtzeitig. Wenigstens die Urlaubsreise nach Marrakesch kann man sich jetzt sparen. Marrakesch ist jetzt nämlich immer da, wo ich auch gerade bin.

Horst Boss Horst Boss
Heilpraktiker, Medizinjournalist

horstboss@t-online.de

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