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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2016

Wie Komplementärmedizin und Schulmedizin zusammen funktionieren

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Heilkraut oder Kapseln - fotolia.comLiest man Beiträge in Fachzeitschriften oder Foren zum Thema „Schulmedizin oder Alternativmedizin“, dann geht es in den anschließenden Diskussionen in der Regel heiß her. Da wird bis aufs Blut der Standpunkt verteidigt, weil es ja um alles geht: Die Anerkennung der Berufsgruppe in der Öffentlichkeit.

Ärzte argumentieren, dass das alles Placebo sei, es keine Beweise gäbe, Heilpraktiker entgegnen dann: „Wer heilt, hat recht!“ Als jemand, der auf beiden Seiten steht, sitze ich dann immer zwischen den Stühlen und schaue mir das Spektakel kopfschüttelnd an. Denn eigentlich wollen beide Seiten dasselbe erreichen: Das Wohl des Patienten. Nur das gegenseitige Unverständnis führt leider zu nichts.

Ich arbeite im Rettungsdienst, ein Beruf, wie er schulmedizinischer kaum sein könnte, denn die „Therapie“ besteht in vielen Fällen aus der Gabe hochpotenter Medikamente, um den Patienten zu stabilisieren und ihn dann einer stationären Behandlung zuzuführen. Zeit für die wirklichen Hintergründe des aktuellen Problems bleibt da selten.

In meinem anderen Beruf als Heilpraktiker mache ich das genaue Gegenteil. Hier nehme ich mir viel Zeit, die wahren Ursachen zu ergründen. Dennoch haben beide Herangehensweisen ihre Daseinsberechtigung, und es ist gut, dass es beide gibt. Es wäre fatal, sich 90 Minuten Zeit für eine Anamnese zu nehmen bei einem Patienten, der gerade erstickt. Genauso unschön wäre es, einen Patienten, der z.B. eine Phobie hat, ein i.V. Medikament zu verabreichen und ihn ins Krankenhaus einzuliefern.

Der Begriff „Alternativmedizin“ suggeriert dem Patienten genau das! „Überlege dir grundsätzlich, auf welcher Seite du stehen möchtest.“ Meiner Meinung nach ist die Frage nach dem „entweder – oder“ das grundsätzliche Problem. In Österreich ist man vor ein paar Jahren dazu übergegangen, den Begriff der „Alternativmedizin“ durch „Komplementärmedizin“ zu ersetzen. Mit tollem Erfolg, denn ganz nebenbei wurde somit der Wettbewerb und vor allem die „entweder – oder“-Frage gestrichen. Zur Folge hatte dies, dass das Verständnis füreinander gewachsen ist und somit endlich im Sinne des Patienten gemeinsam ergänzend gearbeitet wird.

Beleuchten wir die Vorteile der einzelnen Systeme, so können sich beide Seiten durchaus positive Eigenschaften der anderen abschauen und sich dadurch verbessern.

In der evidenzbasierten Medizin kommen ausschließlich Therapien zum Einsatz, die zuvor in Studien ausgiebig getestet wurden. Es gibt also sichere, wissenschaftliche Beweise für den Erfolg einer Therapieform. In meiner Zeit als Medizinstudent musste ich mich auch ausgiebig mit Studiendesigns beschäftigen und weiß daher, dass es nicht immer einfach ist, eine Sache wissenschaftlich fundiert zu belegen. Es kostet vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld.

Des Weiteren ist man häufig abhängig von den Patienten. Bricht ein Patient die Studie ab, fehlen seine Daten für das Ergebnis. Dieses Problem stellt sich häufig bei Langzeitstudien.

Möchte man eine Therapieform schnell etablieren, weil man gute Erfahrungen damit gemacht hat, ist das vor allem eine Geldfrage. Diese Frage stellt sich der Heilpraktiker nicht, denn er arbeitet ohne diese Studien. Dabei spart er auf der einen Seite viel Geld für die Studien, auf der anderen Seite ist die Wirksamkeit der Therapie auch nicht belegt und er muss sich mit dem zufrieden geben, was seine Patienten ihm rückmelden. Ein definitiver Vorteil eines Heilpraktikers ist die zeitliche Komponente. Der normale Hausarzt von nebenan hat, bedingt durch die Anzahl seiner Patienten, in der Regel durchschnittlich nur zwischen 5 und 10 Minuten Zeit pro Patient. Eine ausführliche Anamnese, die alle Hintergründe aufdeckt, kann auch ein studierter Facharzt für Allgemeinmedizin häufig nicht in dieser Zeit vollziehen. So wird nicht selten nur das offensichtliche Hauptproblem behandelt und die dahinterstehenden Probleme gehen unter.

In der evidenzbasierten Medizin setzen sich zunehmend „SOPs“ (Standard Operating Procedures) durch. Es handelt sich dabei um standardisierte Richtlinien zur Behandlung von definierten Krankheiten. Diese SOPs haben viele Vorteile, weswegen sie auch so beliebt sind. Leider haben sie auch Nachteile, die man kennen muss. Ein Vorteil ist, dass derartige Richtlinien in der Regel von großen Dachverbänden herausgegeben werden, die fachlich in höchstem Maße anerkannt sind. Vor Herausgabe solcher Handlungsanweisungen sind unzählige Studien gelaufen, die dieses Handeln begründen. Vorteil: Handelt man nach diesen Vorgaben, handelt man auf jeden Fall rechtssicher. Handelt z.B. ein Heilpraktiker nicht danach, muss es nicht falsch sein, dennoch wird er aus juristischer Sicht schlechter dastehen.

Die Nachteile: SOPs sind lediglich für genau definierte Krankheiten vorgesehen. Leider gibt es den Standardpatient nicht und so kommt es, dass z.B. bei multimorbiden Patienten das SOP-System an seine Grenzen stößt.

Was die Wissenschaft nicht messen kann, existiert nicht: Das Hummelparadoxon!

Jedes Kind weiß, dass Bienen und auch Hummeln im Sommer fliegen und Blüten bestäuben. Die Grenzen der Wissenschaft: Universitätsstudenten der Universität Göttingen haben in den 1930er-Jahren gemeinsam mit ihrem Aerodynamikprofessor Ludwig Prandtl errechnet, dass es aerodynamisch nicht möglich ist, dass Hummeln fliegen können.

Zum Glück wusste die Hummel nichts von derartigen Berechnungen, und ein jeder kann sich auch heute noch selbst davon überzeugen, dass Hummeln sogar sehr gut in der Lage sind zu fliegen. Mit den damaligen Methoden war es schlicht nicht möglich, den Flügelschlag der Hummel genau zu sehen. Erst als Hochgeschwindigkeitskameras auf den Markt kamen, konnte man sehen, dass der Flügel keinesfalls steif war, wie bei den Berechnungen angenommen, sondern flexibel. Dieses Beispiel zeigt sehr gut auf, welchen Nachteil es haben kann, wenn man sich ausschließlich auf wissenschaftliche Daten beruft und Erfahrungen in den Hintergrund treten. Andersherum gibt es auch viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich beim genaueren Hinschauen ebenso mit Erfahrungen von Anwendern decken.

Wie können nun Komplementärmedizin und Schulmedizin praktisch zusammenarbeiten?

Als Rettungsassistent habe ich häufig mit kranken Menschen zu tun. Schon in mehreren Einsätzen konnte ich Patienten, die akute Schmerzen hatten, mit heilpraktischen Griffen helfen. So wurden wir letztes Jahr zu einer netten, älteren Dame gerufen, die gestürzt war und sich eine Beule am Kopf zugezogen hatte. Die Vitalparameter waren: RR 180/95, Puls 80, SPO² 99%, EKG ohne pathologischen Befund.

Die Ursache des Sturzes, fand sich anamnestisch heraus, war akuter Lagerungsschwindel, der nach wie vor bestand. Nach einer Untersuchung im Rettungswagen entschlossen wir uns, die Beule in der Chirurgie vorzustellen. Da ich die Dame von einem früheren Einsatz bereits kannte, fragte ich sie, ob ich sie noch einmal heilpraktisch untersuchen dürfe. Als ausgebildeter Schmerztherapeut wusste ich um die Zusammenhänge zwischen den genannten Symptomen und HWS-Problematiken. Wie erwartet war nach einer kurzen Untersuchung klar: Der Atlas war massiv nach rechts verschoben. Ich fragte sie, ob ich ihren Halswirbel richten dürfe, dieses wurde bejaht. Nach einer kurzen Dorn-Behandlung (nur HWS) fragte sie nach Richten des Atlasses: „Was ist nun passiert? Es ist plötzlich so hell hier.“ Ich fragte sie nach ihrem Schwindel, dieser war verschwunden. Da sich die Patientin im RTW noch am Monitor befand, konnte ich ebenfalls feststellen, dass sich auch ihr Blutdruck von 180/95 mmHg anfangs auf abschließend 145/90 senkte. Hierzu benötigte es keiner Studie, denn der Patientin konnte direkt geholfen werden. Sie wurde dennoch der Chirurgie zugeführt, um die Beule zu begutachten.

Ich persönlich wünsche mir, dass das gegenseitige Verständnis wächst und derartige Situationen in Zukunft normaler Standard sind.

Patrick C. Nehmzow Patrick C. Nehmzow
Heilpraktiker, Schmerzund Hypnosetherapeut, Rettungsassistent

info@heilpraktiker-nehmzow.de

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