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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2016

Ein vergessenes Organ und die Immunregulation

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FROXIMUN AG , Foto: © ag visuell - Fotol ia.comDie Eigenheiten des Leaky-Gut-Syndroms

Der Dreh- und Angelpunkt der Immunregulation für den gesamten Körper ist meines Erachtens die Schleimhaut des Verdauungstraktes. Ich nenne sie die „innere Haut“ oder „zweite Haut“. Hier ist die Kontaktzeit wesentlich länger als auf der äußeren Haut oder im Respirationstrakt. Da etwa 70% der körpereigenen Immunzellen an den Verdauungstrakt angelagert sind („Wächterfunktion“), ist hier die wesentliche Basis für den Gesamtzustand und das Aktivitätsniveau im Immunsystem. Und damit auch dem Grundlevel der Histaminausschüttung.

Dies gilt vor allem für die Dünndarmschleimhaut. Durch das GALT (gut associated lymphoid tissue) kann also entscheidender Einfluss auf die gesamte und ortsferne Immunregulation genommen werden.

Das vergessene Organ

Der Dünndarm steht nur selten im Zentrum der Diagnostik, trotz seiner beachtlichen 5 Meter Länge und mehr als 200 m2 effektiver Innenfläche. In endoskopischen Untersuchungen werden leider nur der Anfangs- und Endbereich betrachtet. Einzige Ausnahme hierzu ist die Kapsel-Dünndarm-Kamera, die aber nicht häufig eingesetzt wird.

Die Dünndarmwand ist so entscheidend wichtig, da fast alle Nährstoffe hierdurch aufgenommen werden und die Schleimhaut passieren. Leider werden auch in der ganzheitlichen Medizin Darmbehandlung und -stabilisierung fast immer nach altem Schema gemacht: Pro- und prebiotische Mittel sollen die Flora wieder aufbauen, vielleicht noch ein paar entzündungshemmende Komponenten dazu und vielleicht einige „ist für alles gut“-Elemente. Reicht das? Ich glaube nicht.

Die meisten Behandlungen wirken vornehmlich auf das Milieu des Dickdarms und beeinflussen damit den Dünndarm viel zu wenig.

Die Regeneration der Dünndarmwand ist dabei der Schlüssel zum Durchbruch

Der Näherung/Proximität von Blutgefäßen in den Dünndarmzotten ist von der Natur so eingerichtet worden, um Stoffe möglichst effektiv aufnehmen zu können. Hiermit wird vermieden, diesen Aufnahmeprozess über eine weite Entfernung energieaufwändig zu leisten. Das einreihige Epithel erneuert sich etwa alle 1-3 Tage, Reparatur wird also stets groß geschrieben. Es überrascht nicht, dass strukturelle Schädigungen und Reizungen durchaus normal sind, schon aufgrund der großen Oberfläche des Verdauungstraktes. Wenn solche Angriffe häufiger werden, kann sich die Situation aber drastisch verschärfen. Vieles ist noch in Diskussion, zumindest scheint das Darmepithel z.B. irritiert zu werden durch:

  • Lebensmittelzusätze, wie Konservierungsmittel
  • Gärstoffe, die bei unzureichender Verdauung im Darm entstehen
  • Übermaß an waschaktiven Substanzen (Detergenzien)
  • Nitrosamine, Nitrite und andere Reizstoffe
  • Lipopolysaccharide aus Bakterienwänden, wodurch Immunantworten geradezu provoziert werden
  • Toxine, aus der Umwelt (z.B. Schwermetalle, Pestizide aus der Landwirtschaft)
  • Toxine, die durch Parasiten (Bakterien, Pilze, etc.) im Körper gebildet werden

Der Körper kann mit vielen Dingen gut umgehen – ein Übermaß entscheidet über das Wohl oder Weh. Auch ist die Situation nicht im gesamten Verdauungstrakt gleich, Reizungen spielen sich meist nur in Bereichen ab. Aber zur Immunsensibilisierung kann das bereits reichen.

Undicht oder geschädigt?

FROXIMUN AG, Foto: © Tefi - shutterstock.comIm Bild des Leaky-Gut-Syndroms (Abb. 1) wird das Szenario gemalt, dass viele Stoffe durch die angegriffene Darmwand ungehindert in den Körper gelangen: Verdauungspartikel, Bakterien, Toxine. So packend dieses Bild ist, hier ist Vorsicht geboten. Wenn dies uneingeschränkt wahr wäre, hieße dies Peritonitis und Sepsis. Ich denke, die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. In extremen Fällen kann dies punktuell passieren, in dem gesamten Rest der Graduierungen einer gereizten Dünndarmwand zählt die Nähe, die Sensibilisierung der Abwehrzellen in dem Bereich als Auslöser der Immunverschiebung. Daher ist die „Undichtigkeit“ eher eine teilweisen Erosion der Darm-innersten Schicht, darunter finden sich ja noch genug Basalstrukturen und Serosa. Dieser Unterschied wird häufig nicht gemacht.

FROXIMUN AG, Foto: © Tefi - shutterstock.com

Solange Sensibilisierungen sich immer wiederholen, kann sich das Gesamtgeschehen weiter aufschaukeln. Zunehmend mehr Nahrungsbestandteile werden nicht mehr gut vertragen, mehr Antikörper werden produziert, die Immunantwort verschiebt sich in Richtung TH2 und, allem voran, die Schwelle zur Ausschüttung von Histamin erniedrigt sich immer mehr. Diese Sekundärmechanismen stehen viel mehr im Vordergrund als die externe Zufuhr von Histamin durch die Nahrung. Sobald das Fass „voll“ ist, zählt dann aber alles.

Ein sehr unterschätzter Faktor bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist die Entstehung sog. aberranter Antikörper, die (leider) auf fremde Strukturen passen, wie z.B. Schilddrüsen- oder Sexualhormonrezeptoren und vieles andere mehr. Die Regulationskreise werden also insgesamt ausbalanciert, je ruhiger die Situation am (Dünn-)Darm ist.

Ausleitung sorgt für mehr Ruhe

Die konsequente Elimination von Giftstoffen durch Ausleitungsverfahren entlastet den Stoffwechsel und befreit das Maß an Leberaktivität, die sonst für eine körpereigene Ausleitung nötig wäre. Je weniger Stoffwechselstress, umso weniger (Elektronen-)Mangel, oxidativer und nitrosativer Stress, umso weniger vorzeitige Alterung und degenerative Prozesse. Eine Befreiung des Stoffwechsels reduziert auch die Neigung zu viszeralem Fett mit seinen hormonell aktiven Potenzial für Bluthochdruck, Diabetes etc.

Im Fokus: Die Oberflächenreizung

Solange die Dünndarmschleimhaut irritiert ist, schaukeln sich Unverträglichkeiten immer weiter hoch. Ein simples Weglassen einzelner Nahrungsteile oder eine Rotationsdiät sorgt zwar vorübergehend für mehr Ruhe, langfristig ist das aber keine Lösung. Der Grund hierfür ist die räumliche Nähe der Blutgefäße innerhalb der Darmzotten zur Schleimhautoberfläche. Nur bei der vollständigen Beruhigung dieser Kontaktzone nimmt die Produktion von Antikörpern wieder ab.

Die überraschende Neuigkeit: Der Körper ist ein Ganzes

© pixabayBei bestimmten Konstitutionstypen lässt Stress nicht nur die Grundmauern wackeln, sondern leitet sich auch über das Darmsystem ab. Ich nenne dieses Phänomen „Blitzableiter“. Der Volksmund kennt viele Metaphern dafür, dass z.B. „etwas auf den Magen schlägt“, „etwas ist auf den Bauch geschlagen“, „etwas verschlägt einem den Appetit“ und allem voran „etwas macht einem Schiss“ (bitte entschuldigen Sie den Klartext). Eine Tendenz, „Dinge in sich reinzufressen“ (in mehrfacher Hinsicht) oder „mit einem Thema schwanger zu gehen“ (bezogen auf die Körpersilhouette) und andere Mechanismen können eine erlernte Strategie für das emotionale Überleben sein. Ehedem als Kind ins Repertoire genommen, begleitet es einen meist viel länger, als es wünschenswert ist. Themen, die oft mit dem Dünndarm zusammenhängen, beziehen sich meiner Erfahrung nach auf Leistung, Erfolg, Perfektion, Getriebenheit und der Hoffnung auf Anerkennung durch/Abgrenzung von Autoritäten, jetzt oder früher. Jeder macht sicherlich dazu seine eigenen Beobachtungen. Eine begleitende verhaltens- und erkenntnistherapeutische Hilfe unterstützt die Änderung und Loslösung von erlernten (Stress-)Verhaltensmustern, wodurch wiederum die Gesamtregulation und der vegetative Grundtonus verbessert werden. Der Mensch ist oder fühlt sich um vieles leichter. Homöopathische Potenzen von z.B. Nux vomica im LM-Bereich können das vegetative Reaktionsverhalten zusätzlich in Balance bringen. So wird der sehr beschäftigte Blitzableiter zu dem, was er eigentlich sein sollte: Ein Reservesystem für Notfälle. Und nicht zur Hauptverkehrsstraße oder derjenigen Leitung im Haus, die immer unter Spannung steht.

Eine Änderung im intestinalen Mikrobiom (umgangssprachlich: Darmflora) reduziert auch das hintergründige Feuerwerk an Entzündungsmediatoren und immunaktiven Substanzen. Um es aber, wie schon am Anfang des Artikels, nochmal zu betonen: Im Vergleich zum Dünndarm hausen im Dickdarm etwa viermal so viele Bakterien. Der Dünndarm hat folglich etwas anderen Regeln.

Der Ansatz zur Behandlung

In der langjährigen Erfahrung bei der Behandlung von Unverträglichkeiten, teilweise der schwersten Formen wie MCS (Multiple Chemische Sensibilität) gekoppelt mit chronischer Müdigkeit, Mitochondropathie, Depressionen u.v.a.m., hat sich ein Mechanismus als zentrales Element bewährt: Die Bindung von Histamin im Darm, am Ort des Geschehens. Besonders effektiv und zuverlässig ist der orale Einsatz von MANC®, ein Absorbens natürlichen, mineralischen Ursprungs, mit hoher Affinität zur Histaminbindung und -ausleitung. So werden Reizungen direkt reduziert und es wird für eine ungestörte Reparatur der Strukturen gesorgt. Dadurch wird der Darm wieder „dicht“. Anstatt dem Geschehen hinterher zu laufen, wird so direkt beruhigt und weiterem vorgebeugt. MANC® ist das Kurzwort für modifizierter aktivierter Natur-Klinoptiolith und ist Hauptwirkstoff verschiedenster natürlicher Medizinprodukte zur oralen und kutanen Anwendung. In den allerschwierigsten Fällen war dies oft die einzige Herangehensweise, die wieder Bewegung ins Geschehen brachte und dadurch eine Besserung überhaupt erst ermöglichte, später aufrecht erhalten hat. Denn MANC® kann langfristig oder sogar dauerhaft verwendet werden.

Raus aus dem Hamsterrad

So wird auch der Aufschaukelprozess beendet. Durch eine konsequente Behandlung kann der (Dünn-)Darm wieder in seinen Grundzustand zurückkehren. Das „Abfangen“ irritierender Elemente, zivilisatorische Belastungsfaktoren und epigenetischer Einflüsse sorgt dafür, dass bei vielen Patienten die Unverträglichkeiten aufhören oder auf ein kaum merkbares Minimum reduziert sind.

Die Beruhigung der Schleimhaut minimiert gleichzeitig die Empfänglichkeiten für Erreger und Sekundärprozesse. Humanes Papilloma-Virus (HPV) bei Darmkrebs und Cervix-Ca, Helicobacter pylori bei Gastritis, Epstein-Barr-Virus (EBV) bei Blockaden der Oberbauchorgane und B-Zell-Lymphomen sind nur einige Beispiele.

Die intakte Rolle der Defensine als Immunfaktoren auf der Schleimhaut wird kaum beachtet. Zwar werden sekretorische IgAs als Parameter bestimmt, bei den Therapiezielen aber ignoriert. Erst eine intakte Schleimhaut kann das notwendige Maß an Oberflächenabwehr wieder herstellen.

Auf die Gefahr hin, eine heilige Kuh zu schlachten: Die Ausbreitung von Candida im Darm ist ein Symptom – und nicht die Primärursache. Klar, darauf folgen dann Sekundärprozesse, und eine ganz andere Brisanz bekommt eine mögliche systemische Belastung in Blut und Zellen (Stichworte: Camouflierter Candida/zellwandlose Formen). Aber im Darm schwindet der Anteil an Candida sehr bald von alleine, meiner Erfahrung nach, sobald das Mikromilieu wieder verbessert ist. Dazu gehört nicht nur die Darmflora, sondern genauso auch die Reizarmut des Strukturgewebes, eben der Darmwand. Auf einer irritierten Oberfläche lässt es sich schlecht in Ruhe ansiedeln, oder?

Die dadurch erreichte Entlastung des GALT-Immunsystems setzt Valenzen frei, die jetzt für die eigentliche Abwehr wieder eingesetzt werden können, eben auch an anderer Stelle. Der Mehrverbrauch an Energie wird gestoppt, wodurch Symptome wie postprandiale Müdigkeit, Verspannungen, Gereiztheit und Depression weniger werden.

Um also bestehende Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Allergie-Typ III, IgG4-vermittelt) zu behandeln, sollte stets individuell angepasst vorgegangen werden, da es nunmal keine zwei „gleichen“ Patienten gibt.

Eine nachhaltige Therapie der Unverträglichkeiten verlangt nach der Bindung von Histamin. Da diese Unverträglichkeiten inzwischen so verbreitet sind, hat diese Vorgehensweise eine große Bedeutung für die heutige Zeit.

Marcus StantonMarcus Stanton
Arzt in Lübeck, Dozent und Autor für ganzheitliche Medizin, Vorsitzender und Rektor der IFOS, Mode-rator von „Quantensprung“ bei nexworld.tv
praxis@docstanton.info

Literaturhinweis

1)Wilson, M.: Microbial Inhabitants of Humans. Their Ecology and Role in Health and Disease. Cambridge University Press, Cambridge, 2005

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