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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2016

Sucht & eine Strategie, die Sucht verhindert

Cover

In Sicherheit ist, wer alles fühlen darf –
Hintergründiges über unsere „Alltagsdrogen“

© Dan Kosmayer I fotolia.comDas Verlangen nach „Drogen“ geht im Grunde auf ein Bedürfnis zurück, Bestimmtes in sich nicht zu fühlen. Der „Stoff“ hat einen direkten Bezug zu den Gefühlen, die kompensiert werden sollen. Dank der Homöopathie ist es uns möglich, hinter die Drogenwirkung zu schauen. Dadurch wird verständlicher, weshalb einige Menschen zu einem speziellen Stoff eine größere Affinität haben und andere in Seelenruhe damit in Kontakt kommen können, ohne eine Sucht zu entwickeln.

So ist es erstaunlich, dass Kaffee (Coffea) zur Entspannung getrunken wird, aber zu Anspannung führt. In der Vorstellung wollen wir eine Pause. Aber in Wirklichkeit benutzen wir Kaffee, um „fit“ zu werden. Und es ist ja auch ein tolles Erlebnis, wenn man Kaffee trinkt (leider nur für absolute Nicht-Kaffee-Trinker): Er wirkt euphorisierend, das Herz klopft beinahe so, wie wenn wir verliebt sind; doch in Wirklichkeit findet das nur in unserem Kopf statt. Und weil es so schön war, wird am kommenden Tag wieder Kaffee getrunken, und wieder und wieder und wieder. Je häufiger wir den „Stoff“ zu uns nehmen, umso mehr „brauchen“ wir davon, um die erhoffte Wirkung zu fühlen. Unsere inneren Rezeptoren bereiten sich darauf vor und vervielfältigen sich. Wo vorher vielleicht noch ein Vitaminrezeptor war, wird einfach umgebaut auf die Lust auf Kaffee. Erst wollen wir ihn morgens, dann im Mittagstief und später brauchen wir sogar Kaffee, um einschlafen zu können. Die meisten Kaffeesüchtigen wissen nichts von ihrer Sucht und schon gar nicht, weshalb sie sich entwickelt hat. Aber sobald sie ihn weglassen, bekommen sie Kopfschmerzen als erste Entzugserscheinung!

Angeblich ist Deutschland mittlerweile Weltmeister im Kaffeekonsum. Es wird sogar mehr Kaffee als Bier und Wasser getrunken. Dann sollen „wir“ auch noch Exportweltmeister sein. Und dass auch etwas am Klischee von Pünktlichkeit und Pflichttreue dran ist, dass wird mir selbst eigentlich erst im Ausland bewusst, unter „Meinesgleichen“ fällt mir das natürlich nicht auf.

Jede Sucht ist auch eine Kompensation eines Gefühls, und hier zeigen sich interessante Zusammenhänge: Kaffee möchte gern besonders viel leisten können und übernimmt viel Verantwortung. Dabei überfordert er/sie sich. Die Täuschung: „Man wird nur akzeptiert, wenn man sich überarbeitet“. Vom Anfang (Anbau) bis Ende (Droge) bedeutet Kaffee Ausbeutung der Energien. Denn Kaffee gibt uns nicht mehr Energie, er mobilisiert lediglich vorhandene Reserven. Und dass wir uns damit auslaugen, liegt dann auf der Hand. Eigentlich wollte ich noch ganz in Ruhe einen Kaffee trinken und erlebe dann, wie ich mit einem Becher „to go“ durch die Straßen hetze…

Das kann mit schwarzem Tee nicht passieren. Die Teegeschichte ist der des Kaffees fast entgegen gesetzt. Es gibt Teefeste, Teezeremonien, Teehäuser, in denen man den halben Tag beieinander sitzt und Tee trinkt. Tee to go ist ein No-Go! Es heißt: Zeit für Tee ist immer. Auf meiner hübschen Teedose zuhause lese ich: „Vor dem Tee habe ich keine Kraft zu arbeiten, und nach dem Tee keine Lust“ – besser lässt sich die Arzneiprüfung kaum auf den Punkt bringen. Die Grundhaltung vom Tee ist, dass Einschränkungen nicht vertragen werden (Lieber tot, als nicht gelebt haben). Sowohl schwarzer als auch grüner Tee (Thea chinensis) sucht nach Ausdehnung. Es geht um die schrankenlose Erlebniswelt, alles soll durchdrungen werden. Konventionen werden als einschränkend erlebt und verhindern die Muße. Tee verschwendet vielleicht auch Reserven, aber aus dem Wunsch nach Erweiterung. Nicht um der Anpassung und des Leistungsdrucks wegen, sondern aus Erkenntnisgenuss. Fehlender Lebensgenuss wird in der Teezeremonie kompensiert, die dann gewiss nicht gestört werden darf.

Es gibt noch mehr Sehnsucht nach Genuss. Der zarte Schmelz, der uns alles vergessen lässt, was lieblos ist: Schokolade (Chocolate) hat den Konflikt, zwischen Pflicht und Neigung zerrissen zu sein. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies lässt uns immer wieder Trost in einer „Versuchung“ suchen. Es ist die kurze Flucht vor der Verantwortung, in der wir uns mitunter gefangen fühlen. Dem Bedürfnis nach Licht, Sonne, freier Natur und Sinnlichkeit können wir gerade nicht nachgeben, aber wir können es mit einem Stück Schokolade überwinden. Dass in der Arzneimittelprüfung Beschwerden infolge von Lieblosigkeit mit der Furcht zu verhungern oder zu scheitern zu finden sind, wundert nicht. Auch Ruhelosigkeit und Essstörungen finden sich dort. Schokolade ist ja eine Mischung aus Kakao, Milch und Zucker, ebenso spielen die vielen Zusatzstoffe eine Rolle.

Bei der Reinform von Kakao (Cocao theobroma) fühlen sich die Menschen getrieben von der Suche nach Sinn. Der Kinofilm „Chocolat“ ist eine Umsetzung der Arzneimittelprüfung par excellence: Die Kompensation von Mangel an Wärme durch die schokoladenkundige Hauptdarstellerin, die selbst auf der Suche nach dem verlorenen Paradies immer weiterziehen muss, und doch bestrebt ist, in der Erschaffung von etwas Besonderem einen sicheren Platz zu finden. Erst nachdem die Urne der Ahnin zerbricht, kommt sie dort an, wo sie ist.

Kommen wir zu den „geistigen“ Getränken. Sie können unseren Geist benebeln oder beflügeln. Schon Paracelsus wusste, dass eine Droge durch ihr Maß Heilsames oder Schaden bewirken kann. Wo wir anfänglich versuchen, durch ein „Schlückchen in Ehren“ besser aus uns heraus zu kommen, kommen manche hinterher gar nicht mehr herein und geraten außer sich. Alkohol (Äthylalkohol, Ethanol) ist die weltweit am weitesten verbreitete Hauptdroge. Er beeinträchtigt das Urteilsvermögen, weshalb wir unter Alkoholeinfluss unseren eigenen Zustand (ob wir süchtig sind oder nicht) nicht mehr richtig einschätzen können. Anfänglich werden Ängste, Hemmungen und unser Beurteilungsvermögen herabgesetzt, wir werden vielleicht leutselig und zugewandt. Der Pegel macht sich über übertriebenes Lachen bemerkbar. Alkohol soll helfen, Unannehmbares hinzunehmen und einstecken zu können. Im Volksmund heißt das „Schöntrinken“. Später enthüllen wir sogar kleine Geheimnisse, um dann einen plötzlichen Stimmungswandel mitzuerleben, das Umschlagen in die Erregung. Erst Heiterkeit, dann Wutanfälle. Üble Späße. Verlangen nach Aufmerksamkeit. Hemmungslosigkeit, alles wird lebhafter wahrgenommen. Nach dem Überschreiten „des Guten zu viel“ wird kein Widerspruch geduldet. Erst Klagen, Beleidigungen, Konzentrationsstörungen, verworrene Sprache, verringerte Reaktionszeit, Herabsetzung der motorischen Koordination, später auch gewalttätige Handlungen zeichnen die Arzneimittelprüfung aus.

Es wundert nicht, dass Alkohol und Tabak gern zusammen anzutreffen sind. Das alkoholisierte Klima wird manchmal so rau, dass es kaum noch zu ertragen ist. Die beste Ausgangslage, um sich dem Rauchen zuzuwenden.

Mithilfe von Tabak (Tabacum) ist es scheinbar möglich, die Kontrolle zu bewahren in Situationen, in denen man innerlich fassungslos ist. Kein Wunder, dass die meisten das Rauchen während der Pubertät beginnen. Dank des Tabaks können wir cool erscheinen, indem wir unsere Empfindungen dämpfen und unsere Gefühle damit unterdrücken. Äußerlich gefasst, können wir (scheinbar) gelassen hinnehmen, wogegen wir nichts machen können.

Fast noch besser gelingt es mit Haschisch (Cannabis indica). Eine fröhliche Vortäuschung von Sorglosigkeit und Leichtigkeit entsteht: Die Welt da draußen ist schlecht (andere sind doof), die im Inneren ist gut (wir sind genial) – alles easy. Es geht um geistige Ergüsse und abstraktes Theoretisieren mit Fehleinschätnicht gut genug zu sein. Cola fürchtet daher, den Ort der Sicherheit verlassen zu müssen. Draußen erscheint es bedrohlich, weshalb er mit seinem Genie nicht heraus kommt. Seine Ängste: Vor dem Absturz, Täuschung, besser zu sein als alle anderen.

Nur am Rande sei noch erwähnt, dass viele Sportler Kokastrauchblätter (Coca) kauen, um ihre Leistungsgrenzen zu steigern. Die Blätter enthalten Kokain, das zum Glauben verhilft, mit allen Lebensbedingungen fertig zu werden. Dabei verausgaben sich die Betreffenden bis zur totalen Erschöpfung. Die anfängliche Euphorie schlägt um in Enttäuschung. Die Selbstüberschätzung führt zu Überanstrengung und nicht selten zu schweren Verletzungen.

Zurück zur heutigen Coca-Cola, die mit dem ursprünglichen Getränk nicht mehr viel gemein hat. Sie beinhaltet folgendes: Wasser, Zucker, Kohlensäure, Lebensmittelfarbstoff E150d (Zuckerkulör), Säuerungsmittel Phosphorsäure, Aroma, Koffein, Orthophosphorsäure, Zuckeraustauschstoff Saccharin. Vanille-, Orangen-, Zitronen- und Zimtöle, Phosphorsäure, Haushaltszucker (chemisch Saccharose).

Der Hinweis auf Phosphorsäure (Phosphoricum acidum) dürfte erklären, weshalb Coca-Cola auch zu tun hat mit Reizüberladung und dem Bedürfnis, Schwäche zu kompensieren. Im Grunde geht es um Erschöpfung aufgrund fehlenden echten Kontakts, die durch Reizüberflutung kompensiert wird.

Die am meisten verbreitete und versteckte Sucht, zumindest in den Industrieländern, ist das Verlangen nach Zucker (Saccharum raffinatum − Industriezucker). Sich gut verkaufen können und dabei möglichst raffiniert sein, ist mittlerweile ein Kulturgut des Kapitalismus! Befriedigung durch Konsum, Ersatzbefriedigung, Raffen, „Highspeed“, Erfolgsrausch, der dann zum Absturz führt. Mitunter handeln manche „Börsianer“ wie auf Kindergeburtstagen (Zuckerfest): Mit anfänglicher Überaktivität den Spaß übertreiben bis einer schreit.

Kompensiert wird die Suche nach Liebe (besonders zur mütterlichen). Das Gefühl, (emotional) nicht gestillt bzw. genährt zu sein, macht die Suche nach Süßigkeiten zum Ersatz. Es besteht das Verlangen nach Nähe, aber man bekommt statt Liebe ein Bonbon oder Geld. (J. Becker) Das starke Verlangen nach und auch die Unverträglichkeit von Süßigkeiten zeigt die Verwandtschaft zwischen Zucker und Geld: Es geht um die Kompensation der inneren Leere mithilfe von Konsum.

Womit wir jetzt bei einer Stilblüte unserer Zeit angelangt sind. Die meisten Suchtstoffe führen letztlich dazu, dass wir nicht mehr funktionieren oder uns anpassen können. Es gibt aber neuerdings etwas, das uns noch anpassungsfähiger und leistungsbereiter macht:

Ritalin enthält Methylphenidat (ein Amphetamin-Derivat). Kinder mit AD(H)S sollen nach Einnahme dieses aufputschenden Medikaments ruhiger werden. Bei höher dosierter Gabe wirkt es antriebssteigernd und kann zu Halluzinationen führen. Bei geringer Dosierung kommt es zu euphorischen Stimmungen. Hungergefühl und Wachstum werden gehemmt, körperliche Ausdauer und Konzentration nehmen zu. Das Medikament unterdrückt dadurch kreative, spontane und selbstständige Aktivitäten. Die Kinder sind weniger aufsässig, dafür gehorsamer und genügsamer, sie sind zugänglicher für routinemäßige, „langweilige“ Aufgaben.

Wunderbar, jetzt verstehen wir auch, weshalb die Ritalin-Aktie so ein einträgliches Geschäft war. Wo die „Kokser“ sich noch die Nasenschleimhaut ruiniert haben, haben sich die Pharmaunternehmen damit eine goldene Nase verdient. Nebenbei bemerkt, auch diejenigen, die ihre Dosis auf dem Schulhof lieber weiterverkaufen, statt sie selbst einzunehmen. Ritalin macht, ähnlich wie Kokain, süchtig. Im Entzug ist mit hoher Depressivität zu rechnen. (Dr. Kremer) Man fühlt sich wie ein fremdes Wesen. Es treten Orientierungsverlust in Raum und Zeit auf. Daneben gibt es eine Reihe von Nebenwirkungen. Dessen wurde ich mir erst bewusst, nachdem ich versucht hatte, einen Jugendlichen mit Juckreiz und Quincke-Ödem zu behandeln, ohne vorher zu fragen, ob er „unter Ritalin steht“. Erfahrung macht klüger. So kommen auch Haarausfall, Schwindel, Kopfschmerzen, Störungen des Herzrhythmus, Trockenheit der Schleimhäute, Appetitlosigkeit, Magen-Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Muskelkrämpfe, Schweißausbrüche, Psychose, gesteigerte Nervosität und Schlaflosigkeit vor. (Quellen: Dr. Kremer, in: raum&zeit Nr. 115, 1/2-2002; ZeitenSchrift 25/2000; Arzneimittelprüfung durch Dr. S. Kruse, durch Gudjons veröffentlicht)

Wir können alles zur Sucht machen!

Aber was haben wir davon? Was ist es, was damit kompensiert werden soll? Was soll uns niemand verbieten dürfen? Mit dem folgenden Experiment zeigt sich schnell, wo wir unsere „Fixierung“ haben: Stellen Sie sich einmal vor, auf was Sie auf gar keinen Fall verzichten würden? Und wenn sie es doch tun müssten, was würden Sie befürchten zu fühlen?

Mithilfe der Sucht müssen wir nicht weiter suchen. Es findet keine Entwicklung mehr statt und wir können länger in Situationen verbleiben, auch wenn sie uns nicht gut tun. Das betrifft auch Antidepressiva, Cortison und andere unterdrückende Maßnahmen. Das eigentliche „Fehlen von etwas“ wird im Suchtstoff gebannt. Wir sorgen nicht mehr für unsere Gesundung, sondern wir sorgen uns eher darum, unseren „Ersatzstoff“ zu bekommen. Und das Suchen im Inneren erstirbt. Sucht ist also eine Strategie, um das Selbst zu verhindern. Schade drum.

„Sehnsucht sehnt sich nach dem, was dich sucht“

Eine gute Strategie gegen die Sucht? Erinnern wir uns an unsere Herzenssehnsucht und gehen ihr nach. Es spricht nichts dagegen, sich dabei eine gute Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Wir müssen es nicht aus eigener Kraft schaffen, wir dürfen uns dabei auch helfen lassen.

Amati HolleAmati Holle
Heilpraktikerin, Homöopathin, Künstlerin, Autorin

info@amatiholle.de

Buch-Tipp

  • 2016 05 Sucht3Holle, Amati:
    Wesentliches auf den Punkt gebracht,
    Familien und Reiche in der Homöopathie,
    Narayana Verlag
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