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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2017

Fallstudie aus der Berater-Praxis: Dating-Burnout

Cover

Klientin

Inge, 49 Jahre

Die Klientin kommt aus eigenem Antrieb in die Praxis, nachdem ihr Hausarzt Burnout diagnostiziert hat. Inge hat sich vor drei Jahren von ihrem Mann getrennt, nachdem dieser sie über viele Jahre hinweg emotional „verhungern“ ließ. Es wurde bei der Trennung vereinbart, dass beide minderjährigen Töchter bei ihrem Vater im eigenen Haus bleiben sollen. Das ging solange gut, bis eine neue Frau ins Haus einzog und das Klima vergiftete (Aussage Inge). Ständige Irritationen sind an der Tagesordnung. Tränen, viele Telefonate und die Erkenntnis, dass ihr ehemaliger Mann sich kaum noch um die beiden Mädchen kümmert, belastet sie sehr. Ein konstruktives Gespräch mit ihm ist nicht möglich − das war es schon früher nie!

Es wird ein Gespräch mit der älteren Tochter vereinbart. Schnell stellt sich heraus, dass der emotionale Stress von Inge andere Hintergründe haben muss. Die Situation zuhause sei zwar gelegentlich angespannt, aber ansonsten liefe alles ohne große Probleme. Es wird mit der Tochter ein Strategieplan erarbeitet, den sie mit ihrem leiblichen Vater und seiner neuen Partnerin bespricht. Es werden klare Ziele vereinbart, die familiäre Situation verbessert sich innerhalb kürzester Zeit, die Gesamtsituation der Neu-Familie stabilisiert sich.

Nur Inge fühlt sich immer schlechter, sie schläft nicht mehr richtig, an ihrem Arbeitsplatz ist sie nervös und ständig gereizt. Sie ist beruflich schnell überfordert, zieht sich von Freunden zurück, sitzt in der Freizeit fast nur noch am PC und empfindet keine Lebensfreude mehr.

Sie sei im Moment Single, aber auf Suche. Näher will sie zunächst nicht darauf eingehen. Dann erzählt sie doch von Dating-Portalen, wo sie aktiv sei, von Anzeigenschaltungen in der regionalen Presse usw. Und sie spricht unter Tränen von ihren Erlebnissen. Sie sei völlig gestresst, denn das, was sie erlebe, sei zum Teil erschütternd. Die Mehrzahl der Männer, die sich meldeten, suchten nur ein kurzes Abenteuer, sie seien meist verheiratet und nur auf Suche nach „Frischfleisch“. Tief verletzt, erzählt sie dann von einem sehr intensiven emotionalen Kontakt nach Übersee. Dieser hat sich über E-Mails, WhatsApp und Telefongespräche aufgebaut. Ihr Gegenüber schien ihr aus der Seele lesen zu können, sie fühlte sich nach den Jahren des emotionalen Verhungerns in der Ehe endlich verstanden und als Frau wahrgenommen. Der Tag des ersten persönlichen Treffens rückte immer näher, die Vorfreude war übergroß. Dann ein Anruf vom Flughafen: Ihm sei gerade sein Koffer mit Unterlagen/Geldbörse/Flugticket gestohlen worden und die Maschine würde gleich losfliegen.

Er bat Inge, ihm rasch 2800 Euro per Blitzüberweisung zu schicken und er würde sich unendlich auf das baldige Treffen mit ihr freuen. Sie tat, was gewünscht war, und wartete dann am Flugplatz auf ihn. Nur, er kam nie an und meldete sich fortan auch nicht mehr. Sie war einem Betrüger „auf den Leim“ gegangen, der ihre emotionale Hoffnungslosigkeit skrupellos ausgenutzt hatte. Sie fühlt sich nun betrogen, hintergangen und in ihren Grundfesten erschüttert. Erzählen konnte sie das bisher niemandem, denn man würde sie sonst wohl auslachen wegen ihrer Naivität.

Jetzt ist sie wieder bei anderen Portalen angemeldet, aber mehr als übervorsichtig geworden. Trotzdem hat sie sich in einen Geschäftsmann verliebt, der leider sehr viel auf Reisen sei und selten Zeit habe. Dass er verheiratet ist und kleine Kinder hat, kam durch Zufall heraus. Seitdem ist sie frustriert auf der Suche und glaubt nichts mehr von dem, was Männer ihr sagen. Aber der Wunsch nach einer Beziehung ist nach wie vor vorhanden. Sie trifft sich jede Woche mit mehreren Männern, kann/will aber keine Tiefe mehr zulassen, was ihr eigentlich völlig widerstrebt. Sie fühlt sich zerrissen und wie eine Getriebene. One Night Stands kommen für sie nicht in Frage, denn Sex ohne Liebe kennt sie bereits zur Genüge aus ihrer Ehe.

Allein, dass sie endlich mit jemandem über die „Flughafen-Affäre“ reden kann, bringt eine sicht- und fühlbare Entspannung. Als ich ihr erzähle, dass sie nicht die Einzige ist, die auf diese Betrugsmasche hereingefallen ist und dass diese Form des Abkassierens gut durchorganisiert in Dating-Portalen zu finden ist, fühlt sie sich erleichtert: „Muss ich also nicht komplett an mir zweifeln“, sind ihre erlösenden Worte.

Während des nächsten Treffens erarbeiten wir, wie sich die weitere Partnersuche gestalten soll. Zuerst muss Inge die völlig vernachlässigten Kontakte zu ihrem Freundeskreis neu aktivieren. Danach soll sie sich auf ein Portal festlegen und die anderen stilllegen. Wildes und planloses „Herumdaten“ muss unterbunden werden, denn die ständigen Impulse von immer neuen, fremden Männern irritieren nicht nur, sondern können auch dazu führen, dass sie sich selbst einen Traummann bastelt, den es in Wirklichkeit nicht gibt.

Die „Schmetterlinge im Bauch“ sind beim ersten Kontakt sicher sehr wichtig, nur leider wird dann allzu oft die Ratio ausgeschaltet. Genaues Beobachten des Gegenübers, gezielte Fragestellungen bezüglich Lebenssituation und -verhältnissen und kritisches Hinterfragen mögen zwar unromantische Züge haben, aber sie können davor bewahren, nicht wieder an den Falschen zu geraten. Spleens oder Eigenschaften, die bei einem Treffen als störend empfunden werden, soll sie niemals ignorieren oder darauf hoffen, dass sich das schon legen wird. Bei den Gesprächen soll sie auf Widersprüche achten und sofort nachhaken. Speziell soll sie ihr Bauchgefühl nicht ignorieren. Denn das „zweite Gehirn“ reagiert anhand somatischer Marker (emotionale Erfahrungsgedächtnis) und ist bei komplexen Entscheidungsfindungen meist ein sehr guter Ratgeber.

Mit diesen Tipps fühlt sie sich für weitere Treffen gestärkt. Sie will über ihre Erfahrungen berichten.

Jürgen Koch-DraheimJürgen Koch-Draheim
ist zertifizierter Burnout-Coach, Paar-Berater, Personal-Trainer, Leiter eines Instituts für Burnout-Prophylaxe in Freiburg, Autor der Bücher „Burnout des Mannes“ und „Dating-Burnout“
info@burnout-chance.de

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