Im Jahre Zwei nach Hamburg

Wie hat sich die Stimmungslage der Nation Hunden gegenüber gewandelt, seitdem im Sommer 2000 eine wahre Verordnungslawine losgetreten wurde und Hunde in den Medien zu Monstern und Bestien mutierten? Tierarzt und TV-Moderator Dr. Rolf Spangenberg mit einer sehr persönlichen Betrachtung der Hundehaltung unter neuen Vorzeichen.

Der entsetzliche Unglücksfall, bei dem in Hamburg ein Kind von einem Hund zu Tode gebissen wurde, sollte nicht vergessen werden. Auch dann nicht, wenn man überlegt, daß in der Zwischenzeit mehrere andere Kinder und Jugendliche von fehlgeleiteten Menschen auf grausige Weise umgebracht wurden. Allerdings reift die Erkenntnis, daß eben nicht Hunde bestimmter Rassen oder spezielle Waffen dafür verantwortlich waren, sondern schlicht und schrecklich ungewöhnlich gewaltbereite Menschen! Der Hundehalter des Unglückstieres in Hamburg war 17 mal vorbestraft und seinem Hund – zu Recht! – Leinen- und Maulkorbzwang auferlegt worden. Die Politiker zauberten nach dem allgemein Aufsehen erregenden Vorfall in Windeseile eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen aus dem Ärmel. Wie der hessische Innenminister Volker Bouffier wörtlich sagt: “Das Gerede der Tierschützer kann die Bevölkerung nicht beruhigen, wir Politiker müssen nun etwas tun!” Das war sicherlich gut gemeint, ging an dem eigentlichen Problem der gefährlichen Menschen aber weit vorbei.

Hunderassen auf dem Index

Eine Reihe von Hunderassen wurde tiefgreifend diskriminiert. Als Stichworte seien nur Leinen- und Maulkorbzwang sowie eine grotesk erhöhte Hundesteuer genannt. Dabei war die einzige “Schuld” dieser Rassen, daß sie in Deutschland von dunklen Elementen als Statussymbole mißbraucht wurden. Dies zusammen mit Uhren einer Nobelmarke, bestimmten Sportwagen und hoch geschürzten blonden Damen. Ein Blick über die Grenzen ist immer aufschlußreich. Bullterrier und Staffordshire Terrier werden wegen ihres stabilen Wesens beispielsweise in England als Familienhunde betrachtet und Kindern als Schutz mitgegeben. Das ist auch sehr vernünftig, denn wenn ich Angst um kleine Kinder haben müßte, wurde ich sie nicht ohne die Begleitung von ein oder zwei gut ausgebildeten Staffordshire Terriern (und eines Erwachsenen) aus dem Hause lassen. Dann brechen allerdings schlechte Zeiten für menschliche Unholde an!

In ihrem Buch “Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!” berichtet die prominente Tierärztin Maria Gräfin von Maltzan von ihrem Leben im Nachkriegs-Berlin. Die nächtlichen Straßen waren unsicher, und sie wurde immer von drei frei laufenden Bullterriern begleitet. Wenn ein Schrei zu hören war, ging sie gemächlich dort hin und befreite einen liegenden Gangster (einmal war es peinlicherweise ein amerikanischer Offizier!), der von ihren Hunden gestellt und umgeworfen worden war, aus seiner mißlichen Lage. Nie habe einer ihrer Hunde zugebissen!

Wie sieht es derzeit in Deutschland mit den Hunden aus? Diese ältesten Freunde des Menschen waren – völlig unberechtigt vorübergehend in einen schlechten Ruf geraten. Das ist verwunderlich, denn Jahr für Jahr kommen beispielsweise mehr Menschen durch Schwäne zu Schaden als durch Hunde. Der Schwan hat aber ein stabil-gutes Image, beim Hund wechselt es leider. Welcher Politiker würde es wohl wagen, den Schwänen Schnabelkörbe zu verordnen und ihre Brut zu beschränken?

Aufmerksame Hundehalter

Die Hundehalter haben nach anfänglicher Empörung recht vernünftig reagiert. Als Läufer (Jogger), der meistens allein durch Wald und Flur streift, habe ich so meine Erfahrungen gemacht. Es kam früher öfter vor, daß man freilaufenden größeren Hunden begegnete, deren Halter sich weitgehend neutral verhielten. Allenfalls konnte man den üblichen Spruch “Der macht nix, der will nur spielen!” hören. Es ist aber nicht jedermanns Sache, sich mit einem leicht aufdringlichen größeren Hund auseinanderzusetzen. Dieses Bild hat sich in meinem Umfeld auffällig gewandelt.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden die Hunde – sofern sie nicht ohnehin an der Leine laufen – herangerufen, wenn sich ein Fremder nähert. Sie gehorchen auch erstaunlicherweise und blicken mit einer Mischung aus Spielfreude und Neid auf den fremden Läufer, dem sie sich so liebend gerne eine Weile anschließen würden. Da ist dann mein Standardspruch “Keine Angst, ich tu’ ihm nichts und beiße nicht!”. Kürzlich begegnete ich in der Feldmark sogar – welch ein ungeheuerliches Verbrechen! einem jungen Paar mit zwei frei laufenden Pit Bulls ohne Maulkorb. Die beiden “Bestien” blickten mich mit freundlich wedelndem Schwanz an, und die Halter waren sichtbar erleichtert, daß ich nicht sofort um Polizeischutz nachsuchte! Diese Hundefreunde hatten meine volle Sympathie. Wenn ein Hund, und sei es der friedlichste, nur an der Leine und mit Maulkorb ausgeführt wird, muß er ja zwangsläufig bösartig werden.

Langsame Normalisierung

Es hat also den Anschein, daß sich die “Hundeszene” langsam wieder normalisiert. Der Bürger freut sich, wenn Hundehalter auf seine Ängste Rücksicht nehmen und auch den Hundekot auf Gehwegen entsorgen oder – besser noch – die Verunreinigung vorbeugend vermeiden. Die Politiker konnten ihre verantwortungsvolle Arbeit zum Schutze der Bürger damit krönen, daß sie Gesetze und Verordnungen unauffällig wieder zurücknehmen, die unbestreitbar an den Fakten haarscharf vorbeigehen und sich nicht bewährt haben!

Erschienen in: Der Hund – 08/2002