Falsches Reiten kann die empfindliche und komplexe Wirbelsäule des Pferdes langfristig schädigen. Richtiges Reiten hingegen kräftigt den Rücken. Die Fachtierärzte Dr. Knut Giersemehl und Dr. Matthias Baumann erklären, worauf es ankommt. Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Was für den Menschen Glück bedeutet, ist für manche Pferde jedoch eine Höllenqual – denn Schaden und Verletzungen des empfindlichen Pferderückens haben in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugenommen. Das betrifft Freizeitpferde und in besonders großem Umfang Sport- und Turnierpferde. Das Bestreben nach immer besseren Plazierungen und Leistungen des Pferdes drängt dieses Problem immer mehr in das Blickfeld von Reitern und Tierärzten.

Aufbau der Wirbelsäule

Die Wirbelsäule des Pferdes setzt sich aus der Hals-, der Brust-, der Lendenwirbelsäule und dem Kreuzbein zusammen. Die Halswirbelsäule besteht aus 18 und die Lendenwirbelsäule aus sechs Wirbelkörpern.

Die Wirbelkörper sind durch die Bandscheiben und verschiedene Bandstrukturen miteinander verbunden. Das wichtigste Band ist das lange Nackenband – ein fester elastischer Muskelstrang, der vom Hinterkopf bis zu den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule verläuft. Dieser Muskelstrang spielt zusammen mit dem Kopf und Hals eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Spannung im Pferderücken.

Die Wirbelkörper der Kreuzwirbelsäule sind im Verlauf der Entwicklung miteinander zum Kreuzbein verschmolzen und bilden einen einzigen großen Knochen. Die Brustwirbel ergeben gemeinsam mit den daran liegenden Rippen und dem Brustbein den Brustkorb. Die Wirbelsäule des Pferdes erfüllt viele wichtige Aufgaben: Sie trägt und schützt in ihrem Wirbelkanal das empfindliche Rückenmark und überträgt die von der Hinterhand ausgehende Kraft auf die Vorhand des Pferdes.

Biomechanik

Die Wirbelsäule des Pferdes lässt sich mit einer Brückenkonstruktion vergleichen, bei der die Vor- und Hinterhand den Brückenpfeilern gleichen. Die eigentliche Brücke wird von der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur gebildet. Stabil wird diese Brücke erst, wenn sich durch das Anspannen der Bauchmuskulatur der Pferderücken nach oben wölbt. Die Bauchmuskulatur stützt also die Wirbelbrücke zwischen den zwei Pfeilern und sorgt gleichzeitig dafür, dass sich die Dornfortsätze an den Wirbelkörpern voneinander entfernen. Die dazwischen liegenden Bänder schützen die Wirbelsäule vor einer zu starken Aufkrümmung. Der lange Rückenmuskel ist der wesentlichste Stabilisator der ,,Wirbelbrücke”. Dieser Muskel ist paarig ausgebildet, das heißt, er befindet sich auf beiden Seiten des Rückens an den Dornfortsätzen. Allein die Ausprägung des langen Rückenmuskels kann dem Tierarzt in vielen Fallen Hinweise auf ein Rückenproblem geben. Dabei gilt: Je stärker dieser Muskel ausgebildet ist, umso besser kann er die empfindlichen Wirbelkörper schützen und stützen. Die gesamte Rückenmuskulatur des Pferdes hat eine stoßdämpfende Funktion, denn die Wirbelsäule wird bei jedem Tritt oder Sprung einer Erschütterung ausgesetzt.

Anzeichen und Erkennung

Für den Tierarzt ist es nicht immer einfach, ein Rückenproblem auf den ersten Blick deutlich zu erkennen. Häufig wird eine Diagnose dadurch erschwert, dass das entscheidende klinische Symptom nicht so sehr ein erkennbarer Schmerz, wie beispielsweise eine Lahmheit, sondem vielmehr ein Verlust der Leistungsfähigkeit ist. Außerdem gibt es viele Pferde, die trotz eines Rückenleidens zufriedenstellende Leistung erbringen oder von Natur aus einen empfindlichen Rücken besitzen. Diese Pferde reagieren beim Abtasten sehr sensibel oder zeigen unter dem Sattel verhaltene Bewegungen, ohne dass eine krankhafte Veränderung im Rücken vorliegt. Die häufigsten Anzeichen für ein ernst zu nehmendes Problem im Bereich des Pferderückens sind:

  • Das Pferd reagiert beim Putzen und Satteln mit schmerzhaften Reaktionen (Rücken wegdrücken, Ausweichbewegungen) oder wird sogar widerspenstig
  • das Pferd zeigt ein vermindertes Springvermögen, drückt den Rücken weg oder verweigert das Springen komplett;
  • das Pferd springt mit festem, durchgedrückten Rucken und geht gegen die Hand
  • es springt vom Trab häufig in den Kreuzgalopp
  • der Gang ist hinten beidseitig häufig klamm und kurz oder es zeigt sich eine ein- oder beidseitige Hinterhandslahmheit
  • Dressurpferde zeigen mangelnden Raumgriff und schwache Verstärkungen
  • die Rückenmuskulatur ist schwach ausgebildet oder zurückgebildet und die seitlichen Fortsätze der Wirbelkörper sind sehr deutlich zu sehen

Wenn das Pferd eines oder sogar mehrere dieser Symptome aufweist, sollte es einem Tierarzt vorgestellt werden. Dieser wird in der Regel mehr über die Vorgeschichte des Pferdes erfahren wollen, den Rücken eingehend betrachten und gründlich abtasten. Um eine erste Diagnose zu erstellen, ist es außerdem unerlässlich, dass der Tierarzt das Pferd an der Longe und unter dem Reiter sieht. Beim Abtasten des Rückens testet der Tierarzt, wie das Pferd auf Belastung im Rücken reagiert und erkennt, wo sich Verspannungen befinden. Die Reaktion des Pferdes auf den Druck kann sich soweit steigern, dass es nach hinten ausschlägt oder “in die Knie” geht. In diesem Fall muss herausgefunden werden, wo genau die Schmerzen ausgelöst werden. Um die Diagnose auf den Punkt zu bringen, gibt es mehrere Möglichkeiten: Man kann den Rücken des Pferdes röntgen lassen, einzelne Rückenbereiche betäuben, um zu sehen, wo der Schmerz sitzt oder in sehr komplizierten Fallen, eine szintigraphische Untersuchung machen lassen. Allerdings ist es nicht möglich, wie in der Humanmedizin, die gesamte Wirbelsäule mit allen Wirbelkörpern und Gelenken vollständig röntgenologisch sichtbar zu machen. Auf dem Röntgenbild lassen sich lediglich die Dornfortsätze darstellen, da der Rest der Wirbelsäule von zuviel Muskelmasse umgeben ist. Häufig kann der Tierarzt aber anhand der Aufnahmen eine Aussage über den Grad der krankhaften Veränderungen treffen. Eine häufige Ursache für Rückenschmerzen beim Pferd sind die sogenannten “kissing spines”. Bei dieser Krankheit berühren sich die Dornfortsätze, was beim Pferd zu großen Schmerzen führt.

Ursachen

Rückenprobleme können von der Wirbelsäule selbst und von der Muskulatur ausgehen. Da die knöcherne Wirbelsäule und die Rückenmuskulatur in enger Wechselwirkung miteinander stehen, sind allerdings meist beide Komplexe betroffen.

Bestimmte Pferdetypen (nervige Pferde) und Pferde mit speziellen anatomischen Gegebenheiten, (zum Beispiel ein zu langer Rücken oder ein Senkrücken) neigen besonders zu Rückenproblemen und müssen daher gewissenhaft gymnastiziert werden. Krankhafte Veränderungen an der Wirbelsäule, wie die ,,kissing spines”, Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke, Abnutzungserscheinungen, Frakturen und Veränderungen an den Zwischenwirbelbändern führen aber auch bei Pferden mit ,,normalen” Rückenformen zu erheblichen Problemen. In den meisten Fällen sind reiterliche Fehler und lang andauernde falsche Einwirkung in Kombination mit nicht artgerechter Haltung die Ursache für Rückenprobleme. Zu wenig Weidegang, langes Stehen in der Box und schlechte Gymnastizierung führen zu einseitigen Belastungen und zur Überanstrengung einzelner Rückenpartien. Bei der Suche nach den Ursachen für Rückenerkrankungen sollten auch Sattel- und Zaumzeug sowie eventuell bestehende Erkrankungen der Gliedmaßen oder Zahnprobleme berücksichtigt werden.

Vorbeugen und behandeln

Grundsätzlich muss man zunächst herausfinden, welche Ursachen das Rückenleiden auslösen. Häufig besteht ein Teufelskreislauf zwischen Schmerz und Verspannung: Der Schmerz verursacht die Verspannung und diese wiederum den anhaltenden Schmerz. Dieser Kreis lässt sich kurzfristig durch bestimmte Maßnahmen unterbrechen, wobei ein langfristiger Erfolg – sofern keine organischen Schäden bestehen – nur durch eine angepasste und zweckmäßige Gymnastizierung des Pferdes erreicht werden kann.

Boxenruhe oder Koppelgang, je nach Erkrankungen ein stark heruntergefahrenes Training- und Wettkampfprogramm sowie verschiedene Medikamente sind die ersten Schritte, die eine Besserung einleiten. Die am häufigsten angewandte und am schnellsten wirksame Methode, um den Schmerz zu lindern, ist die lokale Injektion entzündungshemmender und muskelentspannender Medikamente in die Rückenmuskulatur. Diese Methode hat jedoch nur Erfolg, wenn der Reiter sich wirklich daran hält, seinem Pferd nur ein schonendes Programm zuzumuten. Leider gerät gerade das häufig in Vergessenheit, so dass das Pferd nach kurzer Zeit wieder mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat.

Je nach Schweregrad der Erkrankung bestehen viele Möglichkeiten, die in ihrer Kombination erfolgreich sein können:

  • Veränderung der Reitweise: Achten Sie darauf, das Pferd regelmäßig tief über den Rücken zu reiten. Allerdings nur in Maßen, da sonst die Vorhand zu sehr belastet wird. Gestalten Sie das tägliche Training abwechslungsreich, beispielsweise durch Galopparbeit im Wald oder Klettern.
  • Physiotherapie: Bei der Physiotherapie werden die Gelenke aktiv und passiv bewegt. Außerdem kann die Massage von Gelenken, Muskeln und Sehnen Verspannungen Iösen und Schmerzen mildern.
  • Longenarbeit: Bei der gezielten Longenarbeit kann das Pferd ungehindert den Rücken aufwölben. Die Muskulatur wird gelockert, gedehnt, gekräftigt und die Durchlässigkeit wird verbessert.
  • Osteopathie: Der Osteopath kann Blockaden im Skelett erkennen und durch gezielte Bewegungen lösen.
    Akupunktur: Die Akupunktur ist Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin. Sie ist eine Ergänzung zur schulmedizinischen Behandlung, bei der mittels Nadeln, die in bestimmte Bereiche eingeführt werden, Blockaden und Verspannungen gelöst werden.
  • Einsatz muskelaufbauender Präparate: In manchen Fällen ist es sinnvoll, muskelaufbauende Medikamente (Dopingproblematik beachten !) oder Zusatzfuttermittel, die den Muskelaufbau unterstützen, zu füttern.
  • Magnetfeldtherapie: Pulsierende Magnetfelder regen den Stoffwechsel in den Knochen und den Muskeln an. Sie beschleunigen und unterstützen den Heilungsprozess und wirken entspannend.
  • Aquatrainer: Im Aquatrainer werden Gelenke, Muskeln und Sehnen sanft bewegt. Dies hilft besonders, die Rücken- und Hinterhandmuskulatur schonend aufzubauen.

Erschienen im St.Georg 6-2002