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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/1996

Migräne, Angst, Depressionen

Cover

Hilfe durch Schlafentzug, Schlaftherapie und Aktivierungstherapie

Dr. Bernard A. Bäker

Der Migräneanfall tritt meistens in drei Phasen auf. Bei etwa 70% aller Betroffenen beginnt der Anfall halbseitig. Manchmal wechselt der Schmerz während des Anfalls von einer Seite auf die andere. Begleiterscheinungen sind vor allem Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie Übelkeit mit Brechreiz und Erbrechen.
Unsere Untersuchungen bei insgesamt 800 Migränekranken haben wir zum Abschluß gebracht. Darüber hinaus liegen Erfahrungen in der Behandlung von Migränekranken über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren vor.
Hinsichtlich Ätiologie und Therapie besteht nur wenig Einigkeit. Es gibt eine kaum übersehbare Zahl von Theorien über die Ursache der Migräne, angefangen bei der Behauptung, daß Linkshänder auffallend häufiger an Migräne leiden als Rechtshänder. Grundsätzlich besteht nicht einmal Einigkeit darüber, ob der Migräneanfall mit einem Gefäßspasmus oder mit einer Gefäßerweiterung beginnt. Ich habe schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, daß der Migräneanfall große Ähnlichkeit mit dem Syndrom der brennenden Füße hat. Migräneschmerzen ähneln zweifellos den Beschwerden bei hochgradigen Durchblutungsstörungen mit einer spastischen Verengung der Blutgefäße.

Bei der Debatte um die Entstehungsursache werden meines Erachtens die Begleiterscheinungen der Migräne, wie Depression und Angst, fast immer vernachlässigt. Diese spielen jedoch eine große Rolle, wie unsere Untersuchungen ergeben haben. Jede ausführliche Beschäftigung mit den hier zur Debatte stehenden Komplexen wird automatisch und unweigerlich zu einer Wertung der gesamten fraulichen Existenz und der Belastung der Frau in unserer Zeit.

Bei Männern ist die Migräne nicht nur wesentlich seltener, sie läuft auch völlig anders ab. Die bei Frauen typischen Begleitsymptome Depression und Angst treten bei ihnen weit weniger in Erscheinung.

Depressionen kommen bei Frauen etwa sechsmal so häufig vor wie bei Männern, die Migräne etwa zehnmal so häufig. Als typische Schwester-Krankheit ist die Angst fast immer dabei.

Bisher wurden Migräne, Depression und Angst fast ausschließlich isoliert betrachtet. Von vier Frauen in Mitteleuropa leiden mindestens drei zeitweise oder ständig an Depressionen und Angstzuständen. Fast jede vierte Hausfrau ist mit einer Migräne oder migräneartigen Kopfschmerzen belastet. Viele der Betroffenen haben die Hoffnung, geheilt zu werden, längst aufgegeben. Sie fühlen sich den Anforderungen unserer Zivilisation mit Streß, ständigem Lärm, mit Arbeitsüberlastung, Alkohol, Nikotin, Aufregungen und Schwierigkeiten verschiedenster Art nicht gewachsen.

Vielfach gelten Depressionen und Angst als natürliche Folge der Migräne. Übersehen wird, daß ihre Auslösung häufig die gleichen Ursachen hat wie die der Migräne. Natürlich können Depressionen und Angstzustände die Folge einer länger bestehenden Migräne sein. Es kann jedoch genauso gut umgekehrt eine Migräne durch Depressionen und Angst ausgelöst werden. Wenn man die Ursachen aufdeckt – und dazu gehört eine gründliche Untersuchung und eine Beschäftigung mit den seelischen Hintergründen –, kann man meistens den gesamten Zustand beeinflussen.

Fehlerhafte Anpassungen führen zu negativen Reaktionen

Viele dieser Krankheitszustände werden durch Streßsituationen hervorgerufen. Fast zehn Prozent der von mir behandelten weiblichen Patienten waren Lehrerinnen. Streß kann mit positiven und mit negativen Wirkungen verbunden sein. Vermeiden läßt er sich im allgemeinen nicht.

Eine hervorragende Eigenschaft des Menschen ist jedoch seine Anpassungsfähigkeit. Fehlerhafte Anpassungen führen zu entsprechend negativen Reaktionen, zur Migräne, zu Depressionen und zu Angstzustände sowie zu allen damit verbundenen Erscheinungen wie Schlaflosigkeit, Verdauungsstörungen, Kreislaufstörungen usw.

Aufgrund unserer Untersuchungen steht die sogenannte „Feiertags-Migräne” in Zusammenhang mit Streß. Fast jeder fünfte Patient gibt an, gelegentlich oder immer Migräne-Attacken zu bekommen, wenn er seine Arbeit beendet hat. Diese Attacken treten auf, wenn man sich abends nach der Arbeit entspannen möchte oder an arbeitsfreien Wochenenden. Auffallend ist, daß diese sogenannte Feiertagsmigräne bei Lehrerinnen zu mehr als 50 Prozent auftritt.

Die Veranlagung kann zwar genetisch bedingt sein, ausgelöst wird die Migräne-Attacke durch andere Faktoren. Einer dieser Faktoren kann eine vielfach bestehende, oft gar nicht bewußte Angst sein. Den Migräneanfall könnte man als Abwehrreaktion gegen diese Angst deuten. Der Migräniker bekommt seinen Anfall, weil er diese Angst im Unterbewußtsein verdrängt.

Fast drei Viertel unserer erfaßten Patienten gaben zu, oft überempfindlich auf bestimmte Reaktionen, besonders auf Aggressionen von Mitmenschen zu reagieren. Bei Lehrerinnen ist diese Überempfindlichkeit ganz evident. „Die Angst des Lehrers vor dem Schüler”. Sie versuchen jedoch, die Überempfindlichkeit durch Beherrschung zu unterdrücken.

Tatsächlich sind sie innerlich unsicher und werden mit der Verantwortung nicht fertig. Der Versuch, diese Unsicherheit ständig zu verbergen, führt zu einem Mißverständnis zwischen Beanspruchung und Leistungsvermögen.

Nur kurzfristige Besserungen

Wenn man die bei der Migräne empfohlene Therapie, wie sie sich aus neueren Publikationen ergibt, betrachtet, ist man im höchsten Grade über die resignierende Art dieser Behandlungsempfehlungen erstaunt. Besonders von neurologischer Seite wird stetig betont, es gäbe bei der Migräne nur die Möglichkeit, symptomatisch mit Medikamenten zu behandeln. Entsprechend werden Spritzen, Tabletten und Zäpfchen empfohlen, und zwar in einer Dosierung, die mit Sicherheit in relativ kurzer Zeit zu schweren Organschädigungen führen muß.

95% aller Migräniker nehmen während des Vorstadiums oder beim Anfall die ihnen empfohlenen Medikamente ein. Von den Patienten, die dies über Jahre oder Jahrzehnte tun, hatten die meisten schwere Schädigungen.

An zweiter Stelle der therapeutischen Empfehlungen stand die Akupunktur, die bei den von uns erfaßten 800 Patienten außer bei insgesamt 15 Patienten bei allen angewandt worden war. Etwa 20% der mit Akupunktur Behandelten gaben an, sie hätten eine kurzfristige Besserung verspürt. Eine dauerhafte Beeinflussung wurde bei keinem unserer untersuchten Patienten erreicht. Im allgemeinen hielt die Besserung nur wenige Wochen an. Dann traten die Migräne-Attacken in alter Stärke wieder auf.

An dritter Stelle stehen psychotherapeutische Bemühungen. Bei 35% der Patienten wurden verschiedene psychotherapeutische Verfahren angewandt. Fast alle behandelten Patienten befaßten sich mit dem autogenen Training. Der größere Teil führte dieses jedoch nur halbherzig durch. Auch hierbei wurden kurzfristige, jedoch keine dauerhaften Besserungen angegeben.

Massagen und physikalische Therapie erhielten mehr als 75% unserer Patienten, manche gelegentlich, manche über längere Zeiträume. Eine positive Beeinflussung der Migräne-Attacken wurde von keinem der Patienten festgestellt. Bei etwa 10% trat nach kräftiger Massage eine wesentliche Verschlechterung, insbesondere der zwischen den Migräne-Attacken auftretenden Kopfschmerzen, auf.
Die Behandlung mit physikalisch-therapeutischen Maßnahmen wie Reizstrom-Therapie, Mikrowellen usw. wurde im wesentlichen weder positiv noch negativ bewertet. Erstaunlicherweise gingen nur etwa 10% der Patienten mit Migräne gelegentlich oder regelmäßig in die Sauna. Diese hatten den Eindruck, daß die Sauna einen positiven Therapieeffekt hat.

Ursachen aufdecken

Entsprechend der in den Publikationen vermittelten resignierenden Einstellung zur Migräne machen es sich viele Therapeuten sehr einfach. Sie versuchen mit Spritzen, Tropfen, Tabletten und Zäpfchen vergeblich, eine Beeinflussung zu erreichen. Natürlich ist eine solche Therapie sowohl für den Therapeuten als auch für den Patienten am bequemsten. Beide sind beruhigt, wenn festgestellt ist, daß weder eine Hirngeschwulst noch eine andere bösartige Ursache vorliegt. Daß die ständige Einnahme von Medikamenten in relativ kurzer Zeit Leber, Nieren und schließlich den ganzen Organismus ruiniert, darüber wird leider kaum nachgedacht.

Depressionen, Migräne und Angstzustände

Symptome, die vielfach gemeinsam auftreten, können für den Menschen unerträglich werden und ihn zum Selbstmord treiben. Es ist einfacher, Symptome mit Tabletten zu bekämpfen, als die dahinter steckenden Ursachen aufzudecken und zu behandeln. Vielfach sind die geschilderten Beschwerden nicht einmal zu objektivieren. Darüber hinaus ist es nicht einfach, die passive und resignierende Einstellung vieler Kranker zu beeinflussen. Die meisten sind von einem Therapeuten zum anderen gewandert, am Ende haben sie resigniert. Sie fallen hauptsächlich durch eine inaktive Lebensführung auf, schlafen lange, sind antriebslos und bewegen sich nur soviel, wie es unbedingt nötig ist.

Den Patienten motivieren, aktivieren

Im Mittelpunkt unserer gesamten Therapie steht eine Aktivierung der Lebensführung. Diese Patienten müssen täglich ein Minimum an Bewegungstherapie absolvieren, ganz gleichgültig in welcher Form. Sie sollen sich sportlich betätigen: Laufen, Schwimmen, Radfahren, Reiten, Skilaufen, Gymnastik usw. Wenn eine Aktivierung nicht gelingt, schlägt auf längere Sicht gesehen nach meiner Erfahrung jede Therapie fehl.

Im Rahmen dieser Aktivierung führen wir seit einigen Jahren auch den sogenannten „Schlafentzug” mit großem Erfolg durch. Die Patienten dürfen eine Nacht lang nicht schlafen und sich auch an dem darauffolgenden Tag nicht ins Bett legen. Wir bilden dazu kleine Gruppen, die von einer geeigneten Therapeutin während der ganzen Nacht systematisch beschäftigt werden und wach bleiben. Die Motivierung für eine solche „Wachnacht” ist bei Kranken mit Migräne, Depressionen und Angstzuständen oft sehr schwierig. Viele sträuben sich erbittert, eine Wachnacht mitzumachen. Bei schweren Krankheitszuständen führen wir diesen Schlafentzug einmal pro Woche, insgesamt über drei bis vier Wochen durch.

Schlafentzug mit Schlaftherapie kombinieren

In letzter Zeit sind wir dazu übergegangen, Schlafentzug mit Schlaftherapie zu kombinieren. Wir lassen die Patienten fünf bis sechs Tage schlafen, dann führen wir zwei Tage lang eine intensive Wassertherapie mit aufsteigenden Armbädern und Wechselbädern für die Beine durch. Danach kommt eine Wachnacht. Im Anschluß daran wird abschließend für vier bis fünf Tage eine Schlaftherapie verordnet. Es läßt sich eine auffallende Besserung des Krankheitsbildes feststellen, manchmal andauernd, manchmal zeitlich beschränkt.

Bei etwa zwei Dritteln der so behandelten Patienten tritt eine ganz auffallende Besserung ein. Sowohl die Migräne als auch die Depressionen und die Angstzustände verschwinden. Besonders bemerkenswert ist jedoch die neue positive Einstellung der Patienten zu einer aktiveren und sportlicheren Lebensführung.
Dies versuchen wir durch eine gezielte Verhaltenstherapie zu fördern. In diese werden, falls erforderlich, autogenes Training und Hypnosen eingebaut.

Das große Problem ist in vielen Fällen die hochgradige Medikamenten-Abhängigkeit. Viele Patienten nehmen seit Jahren, manche seit Jahrzehnten große Mengen von Psychopharmaka und Analgetika. Diese kann man naturgemäß nicht von einem Tag auf den anderen absetzen. Das Ziel unserer Therapie ist es jedoch immer, alle Patienten von Medikamenten völlig unabhängig zu machen. Wenn man vielfach heute noch in wissenschaftlichen Beiträgen oder in Arztberichten liest, man habe eine optimale medikamentöse Einstellung erreicht, so stellen solche Feststellungen meines Erachtens ein Armutszeugnis dar. Das Erreichen einer „optimalen Arzneimitteleinstellung” bedeutet in Wirklichkeit, daß man die Kranken zu Nieren- und Leberschäden und am Ende zu schwerem Siechtum verurteilt.

Die Wirbelsäule als entscheidender Krankheitsfaktor

Im Rahmen unserer Aktivierungstherapie richten wir unser besonderes Augenmerk auf die Wirbelsäule. Auch bei kleinen Wirbelsäulenstörungen stellen wir gleich am Anfang der Therapie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einschließlich manueller Behandlungsmethoden die normale Funktion wieder her. Die Wirbelsäule spielt bei etwa 80% der betroffenen Patienten eine wichtige Rolle. Häufig ist dies nur ein Krankheitsfaktor unter mehreren, jedoch in vielen Fällen der entscheidende.

In einigen Fällen, bei denen die gestörte Durchblutung offensichtlich eine Rolle spielt, führen wir eine Sauerstoff-Beatmungs-Therapie in Anlehnung an die Methode von Professor von Ardenne durch.

Bei jedem Patienten wird nach einer gründlichen Untersuchung, die nach psychosomatischen Gesichtspunkten durchgeführt wird, ein umfassender Therapieplan festgelegt. Zu der Therapie gehören Sauna, Kneipp-Anwendungen, physikalische Therapie, Gymnastik und Bewegungstherapie jeder Art und durchblutungsfördernde Maßnahmen.

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