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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/1996

Wenn der Zappelphillip nervt

Cover

Das hyperkinetische Syndrom (HKS)

Dr. Walter Eichlseder
Hp Beatrix Angelika Buthut

Der „Struwelpeter”-Autor, Dr. Heinrich Hoffmann, Direktor des psychiatrischen Krankenhauses am Affenstein in Frankfurt, hat 1844 auf anschauliche Weise eine Verhaltensstörung illustriert, von der wir heute wissen, daß es sich um eine angeborene Fehlsteuerung bestimmter Neurotransmitter im Zentralnervensystem handelt. In der europäischen medizinischen Literatur wurde von Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg ausführlich über diese als geistesgestört betrachteten Kinder berichtet. Dabei standen Wesenszüge wie unsoziales und aggressives Verhalten im Vordergrund. Erst 1937 wurde von Charles Bradley aus Providence, USA, über eine wirksame Behandlung dieser Kinder mit Amphetamin berichtet (Amphetamin ist ein Betäubungsmittel, das heute selbst in der sogenannten Schulmedizin als veraltert, „obsolet” und risikoreich gilt. Anm. der Redaktion).

HKS-Syndrom 
Auffälligkeiten im Vorschulalter und im Kindergarten
  • dauernd und in kaum erträglicher Weise unruhig
  • unvorsichtig; unfallgefährdet
  • kann nicht oder nur für kurze Zeit mitspielen oder mitarbeiten
  • stört Zusammenspiel zerstört, was andere aufgebaut haben
  • zwickt, haut, boxt, beißt andere Kinder
Verhalten während des Unterrichts
  • liegt auf oder unter der Bank
  • kann nicht abwarten, ruft dazwischen
  • schwätzt laut, macht Krach; stört andere Kinder beim Arbeiten
  • kaspert
Allgemeine Leistungsbereitschaft
  • bricht jede Tätigkeit, die Durchhaltevermögen verlangt, bald wieder ab, z.B.Judo, Schwimmen, Erlernen eines Instruments, Briefmarkensammeln
  • keine Ausdauer,z.B. beim Basteln oder Malen

Die Kernstörungen sind Aufmerksamkeitsschwäche, Hyperaktivität,„Bewegungsunruhe” (die frühe und immer noch populäre Namensgeberin der gesamten Störung), Impulsivität und das mangelhafte Sozialverhalten bis hin zur Aggressivität. Diese individuell verschieden stark ausgeprägten Kernsymptome bestimmen in ihrer Interdependenz ein sehr vielgestaltiges, für unerfahrene Beobachter verwirrendes Erscheinungsbild.

Ganz allgemein sind Aufmerksamkeit und Konzentration Grundvoraussetzungen für alle Lernvorgänge, für die gesamte kognitive Entwicklung. Im Mittelpunkt steht das Erlernen einer ausreichenden Fertigkeit, Information optimal zu verarbeiten, d.h. zu assoziieren, strukturieren, klassifizieren und integrieren. Dies ist Voraussetzung für alles Lernen, den Aufbau des Gedächtnisses und die Fähigkeit zum raschen Abruf seiner Inhalte. Nur so ist man in der Lage, Probleme in einer angemessenen Zeit zu lösen und sich situationsgerecht zu verhalten. All dies – Informationsverarbeitung, Lernen, Gedächtnis und Wiedergabe – ist aufmerksamkeitsabhängig und beim HKS empfindlich gestört, aufgrund der zentralen Störung der Aufmerksamkeit. Die offizielle Bezeichnung in Nordamerika, ADHD=„Attention Deficit Hyperactivity Disorder” trägt dem Rechnung.

Aufmerksamkeitsschwäche und Hyperaktivität

Wie zeigt sich – ganz konkret – die Aufmerksamkeitsstörung?

Die Informationsverarbeitung ist ineffizient, zu langsam, ungenau und stark schwankend. Die Lernstrategien sind sehr einfach, d.h. nicht auf Bewältigung komplexerer Leistungen angelegt. Die Konzentrationsfähigkeit ist ungenügend. Deshalb ist das HKS-Kind – individuell unterschiedlich ausgeprägt – gestört im Erlernen abstrakter Inhalte, prosozialer Verhaltensweisen und motorischer Fähigkeiten. In den ersten zwei Lebensjahrzehnten muß am meisten gerlernt werden, d.h. vom Bewußtsein überwachte („kontrollierte”), noch nicht oder wenig geübte Informationsverarbeitungsprozesse stehen im Vordergrund. Dies verlangt viel Aufmerksamkeit. Bei HKS-Kindern ist sie bald erschöpft, wenn bei höheren Anforderungen vorwiegend ungeübte, noch nicht automatisierte Vorgänge/Tätigkeiten zu bewältigen sind.

Die Aufmerksamkeit bedarf einer dauernden Zufuhr von Stimuli, um einen optimalen Wachheitszustand aufrecht zu erhalten. Vigilanz, “Wachheit”, ist Ausdruck für eine ausreichende und dauernd vorhandene Bereitschaft und Fähigkeit des Gehirns zur Steuerung der kognitiven Prozesse.

Aus der Beobachtung der HKS-Kinder geht hervor, daß HKS-Kinder nur durch eine stark erhöhte Stimulus-Zufuhr in die Lage versetzt werden, den Anforderungen der Informationsverarbeitung voll zu genügen. Sie sind deshalb gezwungen, dauernd nach neuen und starken Reizen zu suchen oder, notfalls, sie selbst zu produzieren. Reizabschirmung ist deshalb wirkungslos. Sie erfreuen sich jeder Abwechslung, jeder „Störung” und produzieren, wenn die Situation zu „reizarm” ist, Störverhalten. Sie brauchen „Nervenkitzel”, um wenigstens so aufmerksam sein zu können wie andere Kinder es ohne diese Hilfsmittel sind. Das daraus resultierende Verhalten nennen wir „hyperaktiv”.

Genaue Studien des hyperaktiven Verhaltens zeigen, daß es gekennzeichnet ist durch vermehrte Aktivität in strukturierten (Klassenzimmer) und unstrukturierten Situationen (Spielen im Pausenhof), ferner durch einen besonderen Stil der Aktivität und durch überhöhte Aktivitäten zur Unzeit.

Impulsivität

Der Impulsive handelt, ohne zu reflektieren. Er denkt nicht, er überlegt nicht. Er spricht ohne zu überlegen; und er handelt, ohne zu planen – auf den ersten Impuls hin.

Mangelhaftes Sozialverhalten

Das ist bei der großen Mehrzahl der Kinder ein durchschlagendes Problem. Es ist äußerst stabil, vom Kleinkindesalter bis ins Erwachsenenalter hinein. Der daraus resultierende schlechte Ruf re-etabliert sich in jeder neuen Gemeinschaft sehr rasch, in Kindergarten und Schule, im Freundeskreis und in der Familie.

Die schnelle Aburteilung des HKS-Kindes durch Gleichaltrige und Erwachsene führt zur Ablehnung. Außerdem evoziert das atypische Sozialverhalten des Kindes ein direktives Verhalten von Seiten der Umgebung: der Eltern, Lehrer und Kameraden. Das HKS-Kind ist ein negativer Katalysator. In seinem Umfeld steigern sich Probleme des Zusammenlebens. Die Kooperation einer Gemeinschaft wird nachhaltig gestört, was nicht selten mit dem Ausschluß des Kindes aus der Gemeinschaft endet. Das HKS-Kind bestimmt die Qualität seines Lebensraums.

Ursache des mangelhaften Sozialverhaltens scheint eine relative Unfähigkeit zu sein, prosoziales Verhalten zu generieren. Das HKS-Kind weiß zwar, „was sich gehört”, kann es aber im entscheidenden Augenblick nicht ausführen, weil seine geringe Fähigkeit, eine Situation gründlich zu durchdenken, es daran hindert, eine durchdachte, sozial akzeptable Handlungsweise einzuleiten.

Aggressivität

Drei Viertel aller HKS-Kinder zeigen Symptome eindeutiger Aggressivität;drei Viertel aller aggressiven Kinder die Symptome des HKS. Auch die Aggressivität ist schon im Kindergarten erkennbar und führt in der Schule zu erheblichen Problemen, in der Familie zu unerträglichen Spannungen. Die Gruppe der aggressiven HKS-Jugendlichen ist prognostisch hochbelastet durch Jugendkriminalität, beträchtliche Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, andere psychiatrische Erkrankungen und häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes.

Auch hier wiederum wurde als Ursache die ungenügende Informationsverarbeitung und eine daraus entstehende Fehleinschätzung potentiell undurchsichtiger Situationen eruiert, was eine Bereitschaft zu aggressivem Vorgehen gegen den vermeintlichen Gegner begünstigt. Aus amerikanischen Forschungsarbeiten der biologischen Psychiatrie ergab sich überdies, daß die Neigung zu impulsiv-aggressivem Handeln mit einer biochemischen Fehlsteuerung assoziiert ist, nämlich mit einer ungenügenden Aktivität des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn.

Diagnostik

Hier ist ein ausführliches Interview mit Eltern und Kind unter Einbeziehung aller zusätzlichen Informationen aus Kindergarten und Schule das wichtigste Mittel zur Erkennung des HKS. Angesichts des typischen Erscheinungsbildes sind EEG und Computertomogramm nicht notwendig. Dasselbe gilt für psychologische Tests und aufwendige neurologische Untersuchungsverfahren. Nach Beginn der Behandlung sind jedoch Tests, mit deren Hilfe man eventuell zusätzlich bestehende, aufmerksamkeitsunabhängige, also mit dem HKS nicht ursächlich verbundene Teilleistungsstörungen freilegt, manchmal hilfreich, weil dann versucht werden kann, diese durch gezielte, übende Verfahren zu verbessern.

Therapie

Die klassische Psychotherapie (z.B. Spieltherapie) ist nur von ganz geringer Wirkung, da es sich beim HKS nicht um eine reaktive, psychosozial determinierte Störung handelt. Verhaltenstherapeutische Verfahren erweisen sich häufig als ineffizient. Der Aufwand ist sehr groß, das Ergebnis kurzlebig.

Von besonderer Bedeutung hingegen ist konsequente Diät: Alle Süßigkeiten, aber auch Konservierungs- und Farbstoffe (mit „E-Nummern” auf den Lebensmittelverpackungen gekennzeichnet) verstärken das Phänomen.

Daher: Diät ähnlich der bei Candida-Befall. Sie allein reicht allerdings nicht aus. Deshalb empfiehlt sich folgende „3-Säulen-Therapie”:

1. Autogenes Training für Kinder
Meditations- und Entspannungsübungen, auch gezielte heilpädaogische Verfahren, zeigen nachhaltigen Erfolg.

2. Ohrkerzen-Therapie, kombiniert mit spezieller Musiktherapie
Diese Maßnahme wirkt psychisch beruhigend und ausgleichend. Sie harmonisiert beide Gehirnhälftn, deren Synchronität bei HKS offenbar gestört ist. Nach Einweisung durch den Therapeuten kann auch die Mutter diese Therapie zu Hause fortführen.

3. Homöopathische und phythotherapeutische Therapie
Baldrianpräparate in D2 oder D3 oder Johanniskrautkapseln. Besondere Dosierungen sind oftmals im Schulalter nötig, wenn bei schlechten Noten, zusätzlich zum HKS, plötzlich depressive Zustände auftreten.

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