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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1998

Trauerbegleitung in der psychologischen Beratungspraxis

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Ein Erfahrungsbericht

r9806_trGehörte bislang die Erziehungsberatung, Einzel- und Paarberatung und die Krisenintervention zu den Schwerpunkten in meiner Praxis, so hat sich nun noch die Trauerbegleitung als weiterer Schwerpunkt hinzugesellt. Um dieses höchst sensible Thema mit in meine tägliche Praxis zu integrieren, bedurfte es einiger wichtiger Erlebnisse, Schulungen und die jüngste Erfahrung, die ich mit dem Thema Tod und Sterben erlebte. Das daraus resultierende “Konzept” im Umgang mit trauernden Klienten, die echte Begleitung benötigen, möchte ich hier vorstellen.

Menschen, die einen geliebten oder nahestehenden Menschen verloren haben, fallen oft in ein tiefes Loch von Resignation. Sie wissen nicht, wie sie ohne den verstorbenen Menschen weiterleben sollen. Dazu kommen die “Formalitäten”, wie Beerdigung, Ämtergänge, Versicherungsangelegenheiten etc., die völlig überfordern. Es tauchen viele Fragen und Selbstvorwürfe auf: “Habe ich alles richtig gemacht?” oder “Ich konnte mich nicht einmal mehr verabschieden!” Oft wird die wichtige Trauerarbeit nicht zugelassen und verdrängt: Man will (oder kann) es einfach nicht wahrhaben, daß der geliebte Mensch tot ist – einfach weg ist! Der Tod ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Über Tod und Sterben spricht man nicht. Ein Todesfall in der Familie ist eine sehr intime, persönliche Angelegenheit: Man ist nicht offen für Hilfe von außen!

Dies galt bis vor einiger Zeit auch für mich, bis ich in meiner Praxis mit dem Thema “Tod” durch eine Klientin konfrontiert wurde. Die Frau suchte mich auf, nachdem ihr Freund nach einer kurzen schweren Krankheit verstarb. Sie litt vor allem darunter, daß sie sich nicht vom Verstorbenen hatte verabschieden können. Sie wolle auch keine Hilfe von Verwandten und Freunden annehmen, da “die kein offenes Ohr” für sie hätten. Also bat sie mich, ihr beizustehen in dieser schwierigen Zeit.

Zunächst recht hilflos dieser für mich ganz neuen Situation gegenüberstehend, beschloß ich erstmal wie auch in anderen “normalen” Fällen vorzugehen: Ich hörte einfach aktiv zu und nahm echten Anteil. Die Klientin sprach viel über den persönlichen Verlust, daß sie nicht mehr weiterwisse und daß sie sich noch sehr gern von ihrem Freund verabschiedet hätte. Die Offenheit, mit der die Klientin über den Tod, das Sterben und den Verstorbenen sprach, tat mir gut und verwischte meine eigenen Unsicherheiten.

Nach den ersten zwei “Begleitungen” (Sitzungen), entwickelte ich eine Art Konzept für den Umgang mit dieser Klientin: Sie wünschte sich Abschied von dem verstorbenen Freund zu nehmen. Ich ermutigte sie dazu, sich jetzt einfach laut und nachträglich zu verabschieden. Sie sollte auch die Möglichkeit erhalten, dem verstorbenen Freund noch mal all das zu sagen, wozu sie nicht mehr kam. Der Klientin fiel es schwer, in meinem Beisein dies zu tun und wir einigten uns darauf, daß sie einen Abschiedsbrief an den Freund schreibt. Viel später erzählte mir die Klientin, daß es ihr sehr geholfen hat, jemand neutralen zu haben, der sie und ihre Sorgen und Nöte ernst nimmt und der “sich traut über den Tod zu sprechen”.

Mich hat die Klientin und der Umgang mit dem Tod und der Trauer nicht mehr losgelassen und ich überlegte mir ein “Konzept” für emotionale erste Hilfe. Dieses beruht auf eigenen Erfahrungswerten (wie eben geschildert) und hat sicher keine Allgemeingültigkeit. Sicher ist es aber von Kollegen und Kolleginnen anwendbar, die auch zum erstenmal in ihrer Praxis mit diesem Thema konfrontiert werden: Wichtig ist, offen und ehrlich dem trauernden Klienten bedingungslose Akzeptanz entgegenzubringen und sich ohne Scheu dem Thema Tod zu öffnen (Tabuisierungen und falsche Scham verunsichern den Klienten). Freiräume zum Äußern von Gefühlen, auch negative Gefühle wie Haß, Wut, Ärger dem Verstorbenen gegenüber, einräumen, können ein wichtiges Ventil für Emotionen sein. Hierbei wird nicht bewertet oder geurteilt! Themen, die dem trauernden Klienten wichtig sind, brauchen Platz und dürfen nicht bagatellisiert werden, auch wenn sie nicht unmittelbar mit dem Tod zu tun haben.

Empathie von Seiten des Beraters ist oberstes Gebot. Gemeinsam eine mögliche Abschiednahme (ggf. auch am offenen Sarg) thematisieren. Möglich ist auch ein Abschiedsbrief an den Verstorbenen. Dabei stets die Gefühle des Trauernden respektieren – niemals drängen! Auch Gespräche über die Todesursache kann für den Trauernden Klienten hilfreich sein, denn es kann die Frage nach dem “WARUM” beantworten (wie in meinem geschilderten Fall). Der Ablauf und die Organisation der Beerdigung sollten ebenso offen besprochen werden: Was wünschen die Hinterbliebenen – was hätte sich der Verstorbene gewünscht? Den trauernden Klienten auch nach der Beerdigung hilfreich zur Seite stehen und zeigen: “Ich bin weiter für dich da!”. Viele Trauernde fallen nach der Beerdigung in ein emotional tiefes Loch: Was zu tun war ist getan, was jetzt? Hier muß der Berater präsent sein und erreichbar sein, um in dieser weiteren (vielleicht schwersten) Phase der Trauer beizustehen. Es können gemeinsam die schönen und auch die schlechten Zeiten mit dem Verstorbenen thematisiert werden. Fotoalben aus alten Zeiten ermutigen den Trauernden über seine Gefühle zu sprechen. Sie können auch als Anlaß über Gespräche über neue Perspektiven und Lebensinhalte sein.

Trauerarbeit kann individuell ein sehr unterschiedlich langer Prozeß sein: Deshalb niemals den Klienten zu irgend etwas drängen. Ich habe gelernt, während der Trauerbegleitung nicht nur Gespräche in der Praxis zu führen, sondern ggf. Hausbesuche bei dem Klienten durchzuführen, ihn evtl. zum Friedhof zu begleiten. Die ersten Gespräche in der Praxis sollten den trauernden Klienten auch spürbare Nähe entgegenbringen. Dabei gilt jedoch: Soviel Nähe wie möglich, und so viel Abstand wie nötig. Der Berater sollte nicht hinter dem Schreibtisch sitzen, sondern direkt neben dem Klienten. Es kann durchaus sein, daß der trauernde Klient Ihre Hand halten will, um festen Halt zu spüren (so war es z.B. bei mir der Fall). Am Ende einer jeden Sitzung während der Trauerbegleitung sollte nachgefragt werden, ob der trauernde Klient noch etwas ganz Wichtiges vergessen hat “loszuwerden” und wie es ihm momentan geht. Der Zeitfaktor bei der Trauerbegleitung steht erst an zweiter Stelle: Man kann die Zeit nicht bemessen und der trauernde Klient darf sich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Evtl. nachfolgende Klienten sollten entsprechend später einbestellt werden.

Für mich als Trauerbegleiter war es im Nachhinein wichtig, mich mit Kollegen auszutauschen, um diese neue Erfahrung zu verarbeiten und einfach auszusprechen.

Kay-Christian Horst Praxis f. Psychol. Beratung Bornumer Str. 164 30453 Hannover Tel. 0511/2610246

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