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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/1999

Psychotherapie bei älteren Menschen

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Beratung und Therapie bei Demenzerkrankungen

Die Zahl der älteren Menschen in Deutschland wächst ständig und mit zunehmendem Lebensalter erhöht sich das Risiko, an einer Hirnleistungsschwäche, der Demenz, zu erkranken. Menschen, die davon betroffen sind, leiden vor allem unter Gedächtnisstörungen und Einschränkungen ihres Urteilsvermögens.

Die Häufigkeit der Erkrankung wird in der Altersgruppe der 65–69 jährigen auf 1-4% geschätzt. Im höheren Alter steigt die Häufigkeit noch an, so daß 15-20% der 80-84jährigen und über 30% der über 90jährigen an Demez leiden. Die Weltgesundheitsorganisation definiert die Demenz als “eine erworbene, globale Beeinträchtigung der höheren Hirntätigkeit einschließlich des Gedächtnisses, der Fähigkeit, Alltagsprobleme zu lösen, der Ausführung sensomotorischer und sozialer Fertigkeiten, der Sprache und der Kommunikation, sowie der Kontrolle emotionaler Reaktionen ohne ausgeprägte Bewußtseinsstörung”. Die Alzheimer-Krankheit ist für etwa 50-70% aller Fälle von Demenz im höheren Lebensalter verantwortlich. Hier ist vor allem eine Hirnatrophie durch Absterben von Nervenzellen im Bereich des Großhirns und in verschiedenen anderen Bereichen festzustellen. Die Krankheit setzt langsam und allmählich ein. Die sich entwickelnde Hirnatrophie führt zu immer stärker werdendem intellektuell – kognitiven Leistungsabbau. Die häufigsten irreversiblen Demenzformen sind die Alzheimer-Krankheit und die Multi-Infarkt-Demenz. Diese ist mit nahezu 20% der Fällen die zweithäufigste Form demenzieller Erkrankungen im Alter. Sie wird durch arteriosklerotische Veränderungen im Hirn hervorgerufen. Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit setzt die dementielle Symptomatik plötzlich ein. Der Verlauf ist der Alzheimer-Demenz ähnlich.

Zur Diagnose der Demenzerkrankung
Grundsätzlich tritt bei einem Menschen im höheren Erwachsenenalter ein Rückgang oder gar ein Verlust seiner bisherigen geistigen Fähigkeit auf, so besteht der Verdacht auf eine Demenzerkrankung. Unter Rückgang der geistigen Fähigkeiten werden:

  • ein gestörtes Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis,
  • die Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und des Urteilvermögens,
  • die Störung der Sprache,
  • die Unfähigkeit früher gut beherrschter Bewegungsabläufe durchzuführen (Knöpfe öffnen, Gegenstände zu erkennen, Funktionen zu beschreiben u.a.) verstanden.

Sollte man die Demenzerkrankung nach dem Schweregrad bestimmen, steht immer im Vordergrund das “Vergessen”. Im einzelnen sollten diagnostiziert werden:

Kurzzeitgedächtnis

  • die Unfähigkeit, neue Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten (der Patient kann sich innerhalb von 5 Minuten nicht mehr an 3 gezeigte Gegenstände erinnern)

Langzeitgedächtnis

  • die Unfähigkeit, sich an Daten zu erinnern, die bisher vorhanden waren, wie z. B. Lebensdaten (Geburtsort, Beruf) oder Dinge des Allgemeinwissens;
  • die Beeinträchtigung des abstrakten Denkens, die Unfähigkeit Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verwandten Begriffen herauszufinden, Schwierigkeiten, die Begriffe selbst zu erklären (was ist …?)
  • die Beeinträchtigung der Sprache und der Fähigkeit, Bewegungsabläufe durchzuführen (z. B. Schuhe zumachen)
  • kein Urteilsvermögen zu besitzen (Dinge nicht vernünftig lösen zu können)
  • nicht Dinge nachzumachen (Figuren zu zeichnen, Puzzle zu legen u.a.)
  • Veränderungen der Persönlichkeit (stärkeres Hervortreten negativer Persönlichkeitseigenschaften)

Krankheitsverlauf:
Gedächtnisstörungen mit zunehmenden Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Denkstörungen – Orientierungsverlust (meist niedergeschlagenes, wechselhaftes Gemüt, schweres Zurechtfinden in vertrauter Umgebung) – Wesensveränderung und Kontaktarmut (Vermeidung von sozialen Kontakten, Wesensveränderung wie Jähzorn, Prahlerei) – Sprachstörungen (Probleme beim Benennen von Gegenständen und Ereignissen) – Keine Krankheitseinsicht (Kein Wahrnehmen von Leistungsdefiziten)

Der Schweregrad von Demenzerkrankungen wird eingeteilt in:

leicht

intaktes Urteilsvermögen, noch unabhängiges Leben möglich, aber beginnende Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der Handlungssicherheit

mittel

teilweise Aufsicht schon notwendig, die Lebensführung ist noch eingeschränkt möglich

schwer

Aufsicht ist erforderlich, die körperliche Hygiene ist nur mit Hilfe zu schaffen, ein Zeitgefühl ist nicht mehr vorhanden, er verirrt sich leicht.

Dauer der Erkrankung

  • Demenz vom Alzheimer-Typ ca. 6-8 Jahre (im Einzelfall von einem Jahr bis zu 15 Jahren)
  • Verlauf der Krankheit ist nicht vorhersehbar (schubweises Verschlechtern des Zustandes).

Ursachen der Demenzerkrankung
Es gibt heute 4 Hauptformen der Demenzerkrankung: Bei der Hälfte der Erkrankungen handelt es sich um die Alzheimer-Krankheit, deren Ursachen noch unerforscht sind, etwa 10% sind durch Schäden an den Blutgefäßen des Gehirns verursacht. Demzufolge kann auch ein Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung und/oder Sprachverlust die Folge sein. Mischformen der gefäßbedingten Demenzerkrankung mit der des Alzheimer-Typs kommen in etwa 10 bis 25% der Fälle vor. Weitere 10% sind auf andere Krankheiten zurückzuführen (mit Hirnleistungsstörungen). Erkrankungen, die eine Hirnleistungsstörung zur Folge haben können:

  • chronische Lungenfunktionsstörung
  • Stoffwechselerkrankungen und Vitaminmangelzustände
  • Vergiftungen
  • Infektionskrankheiten
  • gut- und bösartige Geschwülste
  • Unfallverletzungen mit Hirnschädigungen
  • Herz – Kreislauferkrankungen
  • Krampfanfälle und auch
  • psychische Erkrankungen wie z. B. Depressionen

Die oft in der Praxis vorkommende Alters-Depression kann ähnliche Krankheitsbilder ausweisen, wie Antriebslosigkeit und Gedächtnisstörungen. Deshalb spricht man hier auch von Pseudo-Demenz. Bei der Pseudo-Demenz klagt der Patient mehr über Gedächtnisstörungen als über Leistungsverluste. Sehr viel spielen Schuldgefühle und Versagensängste eine Rolle. Der Demenzerkrankte verwehrt sich oft gegen Gedächtnisstörungen. Er beschuldigt andere, ist fordernd und leicht umstimmbar. Im Zweifelsfalle sollte zuerst die Depression behandelt werden.

Frühzeichen einer Demenzerkrankung sind:

  • nachlassende Aufmerksamkeit
  • abnehmende Kontakte zu anderen Menschen (das sich mehr und mehr Zurückziehen)
  • Verringerung der geistigen Leistungsfähigkeit (aber ihre Verharmlosung)
  • Aktivitätenabbau im Alltag

Psychologische Interventionsmöglichkeiten:
Ziele von Beratung und Therapie sind die Stärkung der vorhandenen Fähigkeiten, die Steigerung von Aktivitäten und die Schaffung und Aufrechterhaltung der Kontakte zu anderen Menschen. In der Praxis haben sich dabei vor allem die Verhaltenstherapie, aber auch die Milieutherapie, das Realitätsorientierungstraining und die Angehörigenarbeit bewährt.

Verhaltenstherapie:
Mit den Techniken der Verhaltenstherapie wie Stimuluskontrolle, Modellerlernen und operante Techniken können Verhaltensänderungen erzielt werden. Es treffen oft Probleme bei der Bewältigung des Lernvorganges bei den Patienten aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigung auf. Inhalt der Maßnahmen sind der Erhalt bzw. der Wiedererwerb einfacher Fähigkeiten wie eigenständiges Waschen, Essen, Anziehen, Einkaufen u. a. m. Verhaltensstörungen wie Schreien, Spucken, aggressives, oppositionelles Verhalten kann durch soziales Training begegnet werden. Die Vorteile von verhaltenstherapeutischen Techniken bestehen darin, daß sie auch im fortgeschrittenen Demenzprozeß wirksam eingesetzt werden können.

Milieutherapie:
Hier wird der gesamte Wohn- und Lebensbereich zur Förderung und Anregung zur Lebensbewältigung therapeutisch genutzt. Es werden gemeinsam mit dem Patienten Betätigungsmöglichkeiten festgelegt, dabei wird von der stimulierenden Wirkung der räumlichdinglichen Umgebung für den Patienten ausgegangen.

Vorgegangen wird in 4 Abschnitten:

  1. Informationsaustausch mit den Angehörigen über die genauen Leistungsmängel. Aufstellen eines Behandlungsplanes.
  2. Genau abgestimmtes Gedächtnistraining mit Hilfestellung bei der Bewältigung der Aufgaben. Mut machen, um Niedergeschlagenheit zu überwinden. Stets positiv stimulieren, auch mit kleinen Belohnungen.
  3. Trainingsmaßnahmen, um die verbleibenden Fähigkeiten zu erhalten
    – Üben von täglichen Gängen (Toilette, Garten, Einkaufen)
    – Austesten der Leistungsgrenze (Reaktivieren von verloren gegangen Fähigkeiten).
  4. Anpassen der Umwelt zum Leistungsvermögen des Patienten
    – Zurechtfinden erleichtern
    – abgeschlossene Wohnumgebung mit möglichst wenig Hindernissen
    – Orientierungshilfen anbringen: Schilder, Nachricht u. a.
    – Kleidung vereinfachen (Reißverschlüsse, Schlupfschuhe)

Realitätsorientierungsarbeit / Lebensbewältigungstraining
Hier werden Elemente der Verhaltenstherapie und der Milieutherapie gemeinsam genutzt. Ziel ist die Verbesserung der zeitlichen, örtlichen und personellen Orientierung des verwirrten älteren Menschen. Gefördert werden Selbständigkeit und soziale Kompetenz. In einem 24-Stunden Training wird der Alltag des Demenzkranken organisiert, um vor allem die Orientierungsfähigkeit zu unterstützen. Es werden vom Therapeuten und eingewiesenen Angehörigen dem Patienten ständig verbale Informationen gegeben, wie z. B. namentliche Anrede, ständiges Wiederholen der Information, Aufmerksam machen auf Zeiten, Orte, Wetter, Daten u. a. m. Aufgabe ist es, das Realitätsbewußtsein des Kranken wieder zu entwickeln, dabei ist das “Erfolgserlebnis” der Schlüssel zur Motivation. Die Umgebung des Patienten sollte überschaubar, angenehm und stets anregend gestaltet werden, mittels Schilder, Farben, Zeichen. In den Therapiesitzungen einzeln und auch in Gruppen finden intensive Realitätsorientierungen statt. Als Hilfsmittel dienen Geschichten, Episoden, Erzählungen, Kalender, Tagebücher, Bilder, Gegenstände aus dem Alltag, Erinnerungsstücke u. a. m. Grundsätzlich gilt, je früher die Demenzerkrankung erkannt und mit einer Therapie begonnen wird, um so eher kann deren Verlauf und Intensität positiv beeinflußt werden, stets aber in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt.

Dr. H. Gutsche
Psychotherapeut

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