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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2000

Autogenes Training kann keinen Stress abbauen

Cover

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Unser Alltag verlangt von uns (wir verlangen von uns), dass wir angestrengt tätig sind. Aktivität wird mit Arbeit gleichgesetzt, Arbeit ist gut. Im Sessel sitzen, sich nicht zu bewegen, wird als Faulheit verschrien. Faul sein = nichts tun = schlecht. Wer will schon schlecht sein?
Andererseits sagt äußerliches Stillsein natürlich gar nichts über innerpsychische Tätigkeiten aus, ein äusserlich unbewegter Körper kann innerlich sehr rege sein. Der Anschein kann also trügen. Dabei wird die Qualität der Arbeit letztlich von einem harmonischen Zusammenspiel zwischen Körper und Geist bestimmt. Und dieses Zusammenspiel lebt von der Abwechslung, bei der beide Partner zu ihrem Recht kommen. Der Körper verlangt nach Bewegung – der Geist ebenso: beide brauchen ihre Zeiten für die jeweiligen Bedürfnisse. Und wie unsere Welt durch Ebbe und Flut geformt wird, durch den Wechsel der Jahreszeiten, durch Tag und Nacht, so brauchen Körper und Geist ihre Zeiten der Ruhe und Zeiten der Aktivität. Unsere Muskeln sind dazu da, benutzt zu werden: strecken und beugen, anspannen und locker lassen, tätig sein und ruhen. Ähnliches gilt für unseren Kopf. Tag und Nacht erzwingen in gewissem Maße diesen Wechsel in uns. In gewissem Maße nur deswegen, weil wir uns eine Zeitlang gegen diesen Rhythmus stellen können, kraft unseres Willens. Viel häufiger geschieht es jedoch, daß die Zeit des Ruhens und des Ausspannens, der Schlaf in der Nacht nämlich, gar nicht dazu genutzt wird. Gestresst, d.h. angespannt, legt man sich schlafen, noch angespannter wacht man wieder auf. Auch der Tagesverlauf bringt normalerweise einen steten Wechsel entspannter und anspannender Momente mit sich. Wir werden uns nur selten dessen bewusst – wir leben einfach. Stehen solche Momente, über den Tag verteilt, in einem harmonischen Verhältnis, verbrauchen wir relativ wenig Energie. “Es läuft” sagen wir dann. Sehen wir uns jedoch zu vielen anspannenden, aber auch zu vielen entspannenden Momenten gegenüber, bzw. reagieren wir nicht mehr flexibel genug mit An- und Entspannung – dann entsteht der übliche, kräftezehrende Stress. Für den Alltag heißt das, reine Schreibtischarbeit sollte durch häufige Bewegungspausen unterbrochen werden – wer ständig auf Achse ist, braucht Zeiten des Stillstandes. “Ausruhen” nennen wir das, was eigentlich nur notwendiges Gegengewicht zu vorangegangenen Aktivitäten ist. Wer fortwährend mit dem Kopf arbeitet, braucht ausgleichende körperliche Betätigung, wer mit der Spitzhacke beim Straßenbau arbeitet, braucht geistige Nahrung. Wenn ich in der Furcht vor Verlust des Arbeitsplatzes lebe, muß ich sie zeitweilig auch vergessen können, um nicht an ihr zugrundezugehen. Oder: Ich kann nicht täglich 8 oder mehr Stunden mein Bestes geben. Wenn man ehrlich zu sich ist, muss man sich Pausen zugestehen, “unproduktive” Zeiten, in denen ich faul sein muß – schon allein um Herzinfarkt, Kreislaufkollaps, Magengeschwür o.ä. vorzubeugen. Oder auch nur, um geistig aufnahmefähig zu bleiben. Um geeignete Maßnahmen gegen Stress zu entwickeln, müssen wir uns zuerst mit den physiologischen Stressmechanismen im Körper vertraut machen. Schauen wir uns die Hintergründe nun genauer an. Zunächst einmal handelt es sich beim Streß durchaus um eine historische Erkrankung. Stress gab es schon immer. Damit wir genauer beleuchten können, wie die Stressreaktion im Körper abläuft, machen wir einen Sprung in die Steinzeit. Dabei muß getrennt werden, zwischen Stressund Alarmreaktion. Die Alarmreaktion ist ein lebensnotwendiger Vorgang an sich, der seit Urzeiten untrennbar mit dem Leben verbunden ist. Die Alarmreaktion im Körper ist etwas ganz natürliches, ein seit Millionen von Jahren in allen höheren Tierarten und auch beim Menschen eingebauter Verteidigungs- und Schutzmechanismus. Bei Gefahr mobilisiert er in Sekundenschnelle alle Energiereserven für eine extreme Verteidigungsleistung. Er dient so zur blitzschnellen Vorbereitung auf Flucht oder Angriff. Auslöser sind dabei ganz bestimmte Alarmsignale aus der Umwelt, z. B. eine rasche Bewegung, ein Schatten, ein ungewöhnliches Geräusch, ein Schmerz oder der plötzliche Anblick des Feindes. In all diesen Fällen ist ein biologisch verankerter Mechanismus am Werk, seit langem tief in uns einprogrammiert. Stellen wir uns vor, wie der Steinzeitmensch vor seiner Feuerstelle liegt, sich von der Jagd ausruht. Plötzlich hört er ein Knacken, sieht einen Schatten huschen. Schlagartig setzt der Alarmmechanismus ein. Durch den Aktivitäts- und Wachheitsschub kann er dann zwei Dinge tun:
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– in Sekundenschnelle in die schätzende Höhle laufen.

KÄMPFEN ODER FLÜCHTEN!

Diese Reaktion an sich ist noch kein Stress, erst wenn andere Umstände dazu kommen. Davon aber später.

Was geschieht eigentlich genau im Körper bei dem Reaktionsmechanismus?

Alle höheren Lebewesen besitzen nicht eines, sondern zwei Nervensysteme.
Eines, welches wir willkürlich in Gang setzen können (Muskelarbeit) und eines, das wir nicht willentlich beeinflussen können und deshalb erhielt es den Namen autonomes Nervensytem. Es versorgt alle inneren Organe wie Herz, Leber, Magen, Darm, Milz, Blase, Geschlechtsorgane, Speicheldrüsen, Augenpupillen und einiges mehr. Es entscheidet also darüber, ob uns manchmal die Spucke wegbleibt, ob wir die Augen aufreißen, wie gut unser Herz uns mit Blut versorgt, ob wir genügend Muskelspannung haben, usw.
Dieses autonome oder vegetative Nervensystem ist wiederum zweigeteilt: In das aktivierende sympathische und das entspannende parasympathische Nervensystem. Die Aufgabe dieses Systems ist die Erhaltung des inneren Gleichgewichts (Homöostase) und die Bereitstellung von Energie für plötzliche Reaktionen und andauernde Versorgung des Körpers.

Wenn der Körper Alarm schlägt:

Zuerst ist es wichtig, dass die einzelnen Stadien dargestellt werden, wie eine Alarmreaktion im Normalfall abläuft Nach Selye kennen wir: Vorphase, Alarmphase, Erholungsphase. Wie funktioniert der Weg zu einer Alarmreaktion?

1. Vorphase (Normalablauf)
Zunächst ist eine Vorphase erkennbar, die der Bereitstellung der Energie für die eigentliche Alarmreaktion dient. Nach der ganz kurzen, vagusgesteuerten “Schrecksekunde”, in welcher alle Kräfte gesammelt werden, erfolgt dann der Übergang in die Alarmreaktion. Je nach der Höhe und der Plötzlichkeit des Stressors (Stressauslösender Umstand von außen) kann die Vorphase kurz sein wie im Falle eines Explosionsknalls, oder auch länger, wie im Falle einer sich zuspitzenden Situation. Die Vorphase wird vom Parasympathius, Vagus dominiert und sorgt für folgende physiologische Reaktionen

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  • Erweiterung der Blutgefäße für bessere Versorgung der Organe
  • Bronchienverengung, Atemverlangsamung (Atem stockt)
  • Erweiterung der Herzkranzgefäße
  • Pulsbeschleunigung
  • Förderung der Harnentleerung

Alles Reaktionen, die dem Körper helfen, Energie zu sammeln, sich auf die Konfrontation vorzubereiten.

2. Alarmreaktion (Normalablauf)
Nach dem vorgeschalteten Absinken der vitalen Funktionen folgt dann die akute Alarmphase mit einem steilen Anstieg der Aktivität, in der nunmehr der Sympathikus die Oberhand hat. Hilfsmechanismen werden in Gang gesetzt, um das Leben aufrechtzuerhalten, so dass die Reaktion sich über größere Gebiete ausbreitet. Der Körper stellt sich auf maximale Leistung und Reaktion ein und ist für “Kampf oder Flucht” bestens vorbereitet. Wahrgenommende Sinnesreize, die Gefahr bedeuten, werden an die Großhimrinde gemeldet. Im Hypothalamus, einem Teil des Zwischenhirns entstehen Angstgefühle. Die Informationen gelangen an die Hypophyse. Diese erbsengroße und ungeheuer wichtige Drüse im Hormonhaushalt sendet bei Aktivität (sei es Sport oder Stress) das Hormon: Adreno Cortico Trope Hormon (ACTH) an die Nebennierenrinde (NNR) und das veranlasst die NNR, die wichtigsten Stresshormone auszuschütten: Adrenalin und Cortisol. Gleichzeitig erhält auch die Schilddrüse die Information, sofort aktiv zu werden, denn die Schilddrüse ist ja eine der Drüsen für den Energiehaushalt. Wenn der Thyroxinspiegel sehr hoch ist, werden alle Gewebe im Körper auch empfindlicher für Adrenalin. Beide Hormone rüsten den Organismus für eine Notfallreaktion, bei der alle Kräfte zu mobilisieren sind. Adrenalin wirkt als Kurzzeithormon, Cortisol dagegen ist ein Langzeithormon.

Was genau geschieht dann im Körper? (Die Reaktionen des Sympathikus)

  • Die Pupillen öffnen sich, um besser sehen zu können,
  • das Herz schlägt schneller, um mehr Blut in Gehirn, Muskeln und Organe zu pumpen,
  • die Haut wird weniger gut durchblutet, um zu kühlen,r0002_at4
  • die Atmung ist tiefer und schneller und verbessert so die Sauerstoffversorgung,
  • alle Verdauungsprozesse , zu denen man Ruhe braucht, werden eingestellt,
  • wir schwitzen und zwar als Kühlung und Abtransport der Abbauprodukte,
  • der Blutzuckerspiegel steigt, um Energie freizusetzen,
  • die Blutfettwerte steigen,
  • die Sinnesorgane werden aktiviert und besser durchblutet,
  • die Blutgerinnung wird hochgesetzt,
  • dieVerletzungsgefahr ist größer,
  • das Immunsystem wird unterdrückt unter Cortisol, unter Adrenalin angeregt,
  • die Gefäße verengen sich, der Blutdruck steigt,
  • die Geschlechtsorgane werden in ihrer Funktion vernachlässigt,
  • die Muskeln besser durchblutet;
  • und noch etwas geschieht:
    Es tritt eine Denkblockade ein. Ein sinnvoller Mechanismus, um uns daran zu hindern, allzulange über die notwendige Handlung nachzudenken. Es muß blitzschnell reagiert werden und nicht lange überlegt.

    3. Erholungsphase (Normalablauf)
    Normalerweise folgt nach der körperlichen Betätigung die Erholungsphase. Der Jäger hat durch die massiven Anstrengungen das Tier erlegt oder ist in seiner Höhle geflüchtet. So ist der Reaktionsmechanismus und seine Folge, die Regeneration, also ursprünglich sehr natürlich, es folgt nach der kurzen Reaktionsphase in der freien Wildbahn ein langer Erholungs- und Entspannungszeitraum.

    4. Phase unter Stress
    Bei Stressreaktionen läuft der Prozess der 3. Phase anders ab. Es kommt durch das Weiterbestehen oder das sofortige Eintreten eines neuen Stressors zu einer Abwehr- oder Widerstandphase.

    “Von der Notbereitschaft zum Daueralarm”
    Wenn der Reaktionsmechanismus und seine Folgen also ursprünglich sehr nützlich sind, so liegt doch der große Unterschied zu unserer heutigen Stresssituation darin, dass es sich nicht mehr wie in alten Zeiten oder in freier Wildbahn um einen kurzen Alarm mit langer Erholungs- und Entspannungszeit handelt, sondern mehr um einen Daueralarm, um ein wahres Trommelfeuer von Umweltreizen. Die Erholungsphasen werden immer kürzer, die Spannungen summieren sich und lassen unsere körperlichen und seelischen Funktionen kaum mehr zur Ruhe kommen.

    Wo manifestiert sich der Streß?

    Stress bevorzugt die verletzlichsten Zellen oder die anfälligsten Organe. Der jeweilige Schwachpunkt ist bei jedem Menschen ein anderer. Das erklärt, wieso gleiche Stressfaktoren oder -ereignisse bei dem einen Menschen Krebs, beim anderen eine Erkältung, ein Magengeschwür, einen hohen Blutdruck oder Arthritis auslöst und wieder einen anderen unbehelligt lässt.

    Stressbedingte Krankheiten

    • Immunsystem (Immunreaktionen erniedrigt durch Cortisol, die Folge sind Infektanfälligkeit, Allergien, bis hin zu Krebs)
    • Schmerzen (Kopfschmerzen, Migräne sind oft ein Zeichen von Überlastung und Muskelverspannungen, sowohl im Hals-Kopfbereich als auch der Himgefäße)
    • Schlafstörungen (Schlaflosigkeit, Einschlaf-, Durchschlafstörungen-, zuviele Gedanken und Sorgen wirken wie ein Aktivitätsmotor)
    • Verdauungsprobleme (Sympathiekus setzt die Verdauung auf Sparflamme – Verstopfung, Durchfall, Blähungen, Magendrücken, Ulcus, Krämpfe, Entzündungen)
    • Atemschwierigkeiten (Asthma, Bronchitis kann neben allergischbedingt (siehe oben) auch sehr stark stressbedingt sein, Hyperventilation, Atembeklemmung)
    • Hautprobleme (Ekzeme, Akne, Neurodermitis, Psoriasis, Herpes usw.)
    • Herzkrankheiten (Angina pectoris, Rhythmusstörungen, Insuffizienz, Infarkt, Herzneurose)
    • Kreislauf ( Durchblutungsstörungen, hoher Blutdruck, niedriger Blutdruck, Schwindel, Ohnmacht)
    • Blutwerte (Blutzucker, Insulin, Diabetes, Cholesterin, Blutsenkung)
    • chronic fatigue syndrom (chronisches Müdikeitssyndrom)

    und weitere.

    Anspannung-Entspannung- Spannungsausgleich

    Eine Grundspannung, das heißt, ein gewisses Aktivitätsniveau des menschlichen Organismus, ist die Voraussetzung für körperliche und geistige Tätigkeiten. Durch die physiolgische Aktivierung der Großhirnrinde wird diese Spannung in Belastungsituationen gesteigert. Dauerspannung kann psychische und organische Schäden hervorrufen. Aus gesundheitlichen Gründen sollten deshalb Phasen der Anspannung von solchen der Entspannung in einem sinnvollen Wechsel abgelöst werden. Ausreichender, ungestörter Schlaf gewährleistet normalerweise die notwendige Entspannung. Besser wäre es, täglich mehrere kleine Pausen für Entspannung einzuplanen.
    Um etwas leisten zu können, muss der Organismus ein bestimmtes Spannungsniveau haben. Bei hohem Aktivitätsniveau befinden sich die körperlichen und geistingen Systeme gewissermaßen in einer Art erhöhter Ak-tionsbereitschaft. In diesem Zustand verbraucht der Organismus viel Energie. Beliebig lange lässt sich deshalb diese Aktionsbereitschaft nicht aufrecht erhalten. Man ermüdet.
    Deshalb ist es wichtig, zwischen Situationen der Beanspruchung auch immer wieder Phasen der Erholung einzuschalten, um sich auszuruhen und den optimalen Spannungszustand neu einzuregulieren. Im Zustand der bewussten Entspannung erholt man sich schneller und intensiver und ist in der Lage, sich wieder einzupendeln auf das ideale Leistungsniveau.
    Das optimale Leistungsniveau findet man wie bei einer Geige:
    Der beste Klang entseht, wenn die Seiten weder zu lasch noch zu straff bespannt sind.

    Müde vom Stress?

    Sie kommen müde und erschöpft nach einem anstrengenden, stressreichen Arbeitstag nach Hause.
    Sie haben schwere Beine, obwohl (weil!) Sie sich kaum bewegt haben. Sie lassen sich auf die Couch fallen, schalten den Fernseher an und dösen ein. Wie fühlen Sie sich danach?
    Frisch und erholt?! Wohl kaum! Höchstwahrscheinlich sind Sie wie erschlagen. Ihr Körper hat ja den ganzen Tag über Stressenergie freigesetzt, um Sie zu körperlicher Hochleistung zu befähigen. Und Sie haben den ganzen Tag gesessen: am Telefon, mit den Patienten, beim Arbeitsessen, in der Konferenz, im Auto… Und Sie haben sich sehr bemüht, diese freigesetzten Flucht- und Alarmenergien nicht rauszulassen, Sie haben sich angespannt, verkrampft. Was Ihr Körper jetzt braucht, ist Abreaktion, das Abführen von überschüssiger Energie. Dies mag sich vielleicht paradox anhören, bei Müdigkeit sich bewegen. Die Ursache der Müdigkeit ist ja gerade durch das Übermaß an Anspannung und deren Blockierung entstanden. Sie mögen vielleicht vorher müde sein, stellen aber nach einer kurzen Zeit der Bewegung fest, dass Sie ja doch voller Energie sind. Die Bewegung kann ganz unterschiedlich ausgelebt werden: Fitnessstudio, Fahrradfahren, Schwimmen, Joggen, Kinder anbrüllen, Fenster putzen, Holz hacken, Garten umgraben usw. Sie haben das getan, wozu der Stressmechanismus Sie vorbereitet hat – zu kämpfen oder flüchten. Bewegung ist die Arbeitsebene des Sympathikus und kann nur so abgebaut werden. Doch wie oft “zwingt” uns unser unnatürlicher Lebensrhythmus zu einem ganz anderen unphysiologischen Verhalten.

    Nach Stress ist Entspannung verboten!
    Nach Stress ist Bewegung notwendig!

    Die Stressreaktion ist ein sehr sinnvolles, in tausenden von Jahren entstandenes Anpassungs- und Abwehrsystem unseres Körpers, das uns drohende Gefahren wie eine Weckuhr rechtzeitig meldet und durch seinen Ablauf Schäden von unserem Körper fernhält, indem wir kampf- oder fluchtbereit sind. In unserer sogenannten modernen Zeit ist aber nun die körperliche Arbeit einer Bewegungsarmut gewichen. An die Stelle greifbarer, rein körperlicher Stressoren früherer Jahrhunderte (Hitze, Kälte, Infektionen, Blutverluste, Hungersnot usw.) sind sehr viel subtilere Anforderungen und Bedrohungen getreten, die wegen ihrer vielschichtigen Verkettung untereinander von höchster Brisanz und Gefährlichkeit sind. Die Gesamtzahl aller auf uns täglich hereinprasselnden und durch unser Denken und Fühlen in uns entstehenden und wirksamen Stressoren ist unbegrenzt. Diese haben ihren letzten Ursprung in der weiten Umwelt unserer Gesellschaft, die wir uns selbst geschaffen haben.

    Dampf ablassen

    Körperlich abreagieren – wenn man die Möglichkeit hat, sich körperlich abzureagieren, tut man das, wozu man physiologisch vorprogrammiert ist. Man bewegt sich. Nach einem frustrierenden Arbeitstag die Treppe statt des Fahrstuhls zu nehmen, ist schon der erste Schritt

    Beispiele:
    -mit der Faust auf den Tisch schlagen
    -mit dem Fuß aufstampfen
    -die Treppe hochlaufen
    -einen Gegenstand werfen
    -die Kinder anschreien
    -den Garten umgraben
    -Sport treiben

    Hin und wieder im Stress den Gefühlen freien Lauf lassen, ist ein weitere Möglichkeit zur kurzfristigen Erleichterung. Die im Stress angestauten Gefühle kann man abreagieren, indem man im Auto laut schimpft oder sich bei Freunden ausheult. Dabei muss man sich soweit unter Kontrolle haben, dass man sich und anderen nicht schadet und so neuen Stress verursacht. Es mag durchaus momentan erleichtern, nach einem anstrengenden Arbeitstag die Ehefrau anzuschreien; in der Folge aber belastet das gekränkte Gesicht der Partnerin oder aber der heftige Ehestreit aufs Neue. Oder man handelt sich immer wieder Konflikte mit Kollegen ein, weil man unbedacht, wütend, cholerisch “zuviel sagt”. Um eine Belastungssituation zu verändern, können mehrere Techniken zusammen oder nacheinander eingesetzt werden. Dies erhöht meistens den Effekt. Sollten Sie nach einer Stresssituation zur Ruhe kommen wollen und sich hinsetzen, die Augen schließen und zu sich selbst sagen: “Ich bin ganz ruhig!”, kurze Zeit später werden Sie feststellen, dass Sie überhaupt nicht ruhig sind, sondern wütend, aggressiv, sauer. Diese Reaktionen sind natürlich, gesund und logisch. Logisch ist aber auch die Bereitstellung von Energie durch den Sympathikus, der den Körper unter Strom setzt. Also ist es nach dem Stress notwendig, diese Energie auszuleben und zwar so lange, bis man sich besser fühlt, der Dampf abgelassen wurde. Dann erst kann man sich hinsetzen und sich entspannen, denn Entspannung ist Prophylaxe!

    Anspannungs – Potentiale optimal nutzen!

    “Spannung” – aus dem Physikunterricht erinnern wir uns: in einem elektrischen Schaltkreis verhält sich die Spannung (U) proportional zum Widerstand (R) und umgekehrt proportional zum Stromfluss (I) – U = R x 1. Das heißt: bei wachsendem elektrischen Widerstand nimmt die Spannung zu, während der Stromfluss entsprechend abnimmt. Was bedeutet dies auf den Menschen übertragen? Je größer die Widerstände, die Blockaden sind, desto größer ist die (An)spannung, und desto geringer der freie Energiefluss. Es fehlt die Leichtigkeit. Wir benötigen Anspannung zur Lebensentfaltung. Gerade die Überwindung von Widerständen und Ängsten führt zu einer Weiterentwicklung. Eine systematische Abschirmung von allen Reizen würde allerdings zu einer Unterforderung führen, zu einer Unterspannung, zu einer Auflösung unserer Kräfte mit ebenfalls psychosomatischen Störungen.

    Was hat Stressausgleich mit Bewegung zu tun?

    Wirkung von körperlicher Aktivität gegen und bei Stress

    Im Stress stellt sich ein Anpassungsproblem ein. Bewegungstraining und Sport können hier unter mehreren Aspekten eine stressausgleichende Alternative darstellen, um dieses Anpassungsproblem besser zu kontrollieren oder manchmal sogar zu beseitigen:

    1. Bewegungstraining und Sport sind Handlungsfelder, in denen ohne Druck Anforderungen individuell gesteuert und realisierbar gestellt und bewältigt werden können. Man kann sich also individuell herausfordern und als effizient erleben.
    2. Im Bewegungstraining lassen sich Strategien trainieren, die zur Bewältigung von psychischen und physischen Anforderungen auch anderweitig einsetzbar sind.
    3. Bewegungstraining und Sport verbessern psychische und somatische Voraussetzungen, mit Stress umzugehen. Sie können das Körperbild ändern und das Gefühl muskulärer Straffheit geben. Aus dem Gefühl heraus, körperlich fit und leistungsfähig zu sein, lässt sich z. B. an die Bewältigung anstehender Anforderungen selbstbewusster und erfolgszuversichtlicher herangehen.
    4. Im Bewegungstraining und im Sport kann man den Bogen zwischen Spannung und Entspannung “am eigenen Körper” erleben. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil Entspannung und Stress zwei unvereinbare Gegenpole sind. Wer entspannt ist, kann keinen Stress erleben.
    5. Durch Stresssituationen wurde eine erhöhte Spannung im Körper aufgebaut, d.h. Aggressionen und Wut bleiben im Körper bestehen. Adrenalinwirkung, Kampf-Flucht- Syndrom, also Funktionen, die sonst durch Bewegen und Agieren abgebaut werden. So kann man mit Sportbewegungstraining diesen Mechanismus nachholen und Stress abbauen.

    Autogenes Training und die Interpretation des Stressreizes

    Wir haben es beim Stress nicht nur mit den einwirkenden Reizen, den sogenannten primären Stressoren zu tun, und auch nicht nur mit der biologischen Stressreaktion im Organismus und ihren Folgen, sondern auch mit den zum Teil durch gedankliche Assoziationen ausgelösten sekundären Reaktionen. So ist die Frage, ob wir Menschen nicht gerade mit unserem Intellekt wenigstens den zusätzlichen Stress, den wir selbst in unserem eigenen Gehirn erzeugen, vermeiden könnten? Warum sollte es uns nicht möglich sein, das hochmütige Gesicht eines Vorgesetzten oder die anschnauzenden Worte eines Beamten auch ohne Stressreaktion gedanklich zu verarbeiten? Warum können wir uns nicht sagen, dass es im Grunde meist die persönliche Schwierigkeiten des Anderen sind, die ihn zu einer bestimmten Haltung veranlassen? Wir können uns klarmachen, dass ein großer Teil von Stressreizen, die durch solche Probleme zustande kommen, von Natur aus neutral, also eigentlich gar keine Stressoren sind. Daß eine Änderung der unbewussten Reaktion auf scheinbare Stressoren durch bewusste Gewöhnung geschehen kann, quasi durch Abhärtung, zeigte das Experiment eines amerikanischen Colleges: Examenskandidaten bekamen einen Horrorfilm über grausame Professoren und ihre inquisitorischen Methoden mehrfach vorgespielt und gingen dann, überrascht von der relativen Güte ihrer tatsächlichen Prüfers, äußerst entspannt und mit eindeutig besseren Noten durchs Examen.

    Ist es wirklich lebensbedrohlich?

    In unserer Zeit haben sich die Gefahren, die den prähistorischen Menschen bedrohten, reduziert. Der Stressmechanismus unserer Vorfahren ist uns jedoch erhalten geblieben. Durch die Reizüberflutung einerseits und gesellschaftliche Bedingungen andererseits “sehen” wir häufig Bedrohungen, die keine wirklich lebensbedrohlichen sind, beispielsweise im Fernsehen. Unser Körper reagiert jedoch wie damals in der Historie: Zustände, durch die wir uns bedroht und verletzt fühlen, d.h. unsere Individualität in Gefahr sehen, treten jedoch häufiger auf als in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte. Deshalb produziert unser Körper ständig jene “Gefahrenabwehrhormone” und regt unseren Organismus zur Dauerhöchstleistung an. Erhöhte Leistung bedeutet aber erhöhten Verschleiß. So wird Stress zum Faktor der Gesundheitsbedrohung. Dabei ist es nicht nötig, daß “Bedrohungen” real existieren, vielmehr reicht auch hier bereits die Vorstellung eines bedrohlichen Übels, um die hormonale Reaktion und damit den Stress in Gang zu setzen.
    In dem Maße, wie es uns mehr gelingt, die Stressauslöser in den Griff zu bekommen, gewinnt die Entspannungsmethode des Autogenen Trainings zunehmend tiefgreifend Bedeutung für die Stressverhütung.
    Mit dem Autogenen Training gelingt es, direkt auf die „Schaltzentrale Gefahrenabwendung”, nämlich das Unterbewußtsein, einzuwirken. Genauso wie Streßreaktionen durch Vorstellung ausgelöst werden können, kann durch gezielte Vorstellung Stress für künftige Situationen abgewendet werden.

    Kognitionen als Anti-Stress- Management

    Stress ist nicht nur durch die Handlung und deren Folgen beeinflußt, sondern auch durch die Gedanken, Bilder und Gefühle, die man vor, während und nach der Stressepisode hat.
    Kognitive Ereignisse beziehen sich auf bewusste, identifizierbare Gedanken und Bilder. Sie erscheinen im individuellen Bewusstseinsstrom des Individuums oder sie können potentiell in das Bewusstsein abgerufen werden.
    Man kann sie auch als automatische Gedanken bezeichnen im Sinne von Nachrichten, die in Kurzform erscheinen. Solche kognitiven Ereignisse kann man als eine Form des inneren Dialogs bezeichnen. Diese inneren Dialoge bestehen u.a. aus Ursachenbeschreibungen, Erwartungen und Bewertungen des Selbst oder aus blockierenden Gedanken und Bildern. Die Personen verhalten sich unreflektiert und spontan. Dennoch kommen unter gewissen Umständen bewusste Prozesse ins Spiel. Wenn die Personen z. B. eine Entscheidung treffen oder ein Urteil fällen müssen, etwa in ungewissen und neuen Situationen, oder wenn sie mögliche Handlungsausgänge und Folgen abzuschätzen haben, tendieren sie zu Selbstinstruktionen.
    Kognitive Prozesse verweisen auf die Art, wie wir automatisch oder unbewusst Informationen verarbeiten. Diese Prozesse organisieren die mentalen Repräsentationen und Schemata. Das Wissen einer Person um solche kognitiven Prozesse und die Fähigkeit, sie zu kontrollieren, bezeichnen wir als “Metakognition”. Die Metakognition ist das Scharnier zwischen dem, was normalerweise außerhalb des Bewusstseins liegt, und dem, was der Bewertung, Analyse und dem Training zugänglich ist.

    Den Streß verblassen lassen

    Die Selbstwahrnehmung des Menschen ist selbstbestimmt, d.h. ich bestimme selbst, wie stark eine Aussage oder eine Erinnerung mich stresst. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, daß der Auslöser von Konfliktstress in bereits erlebten Ereignissen zu finden ist. Es handelt sich um die “Tonbildschauen” vergangener Erlebnisse, die wir in unserem Gehirn und Unterbewusstsein gespeichert haben, und die wir unbewusst bei ähnlichen Ereignissen wieder aufrufen. Wir sind diesen Erinnerungen jedoch nicht hilflos ausgeliefert, sondern können diese im Nachhinein und im Voraus verändern. Und damit reduzieren wir den Stress, den eine unangenehme Erinnerung immer wieder auslöst.

    Was bewirkt die Entspannung durch Autogenes Training?

    Entspannung scheint auf den ersten Blick eine simple Angelegenheit zu sein. Dennoch haben wissenschaftliche Untersuchungen erwiesen, dass sie tiefgreifende physiologische Veränderungen bewirkt, die die betreffende Person in einen Zustand versetzt, der sich von ihrer normalen Alltagsverfassung radikal unterscheidet. Entspannung kennzeichnet sich durch Wendung nach innen und die Verlagerung der Konzentration von den äußeren Vorgängen auf den eigenen Körper und den eigenen Geist aus. Dieser Entspannungszustand bringt automatisch eine gewisse Distanz mit sich, oder, anders ausgedrückt, einen Mangel an Interesse für das, was man nach außen hin darstellt. Der systematische Einsatz der Entspannungsreaktion durch Autogenes Training ist bei jeder Krankheit hilfreich, die durch Stress entstanden ist. Aber auch die psychischen Wirkungen sind enorm. Angst und leicht, oder mittlere Depressionen lassen sich vermindern, und – ganz wichtig – Wut und Feindseligkeit lassen sich für zukünftige Situationen entschärfen. Diese psychischen Zustände werden ja von physiologische Veränderungen begleitete Angst erzeugt Übelkeit, Durchfall, Schlaflosigkeit, Nervosität, Wut und Feindseligkeit sind Risikofaktoren erster Ordnung für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
    Die Umsetzung des Autogenen Trainings in die therapeutische Arbeit mit Patienten ist möglich durch das praktische und umfassende Ausbildungsseminar zum Seminar- und Kursleiter für Autogenes Training.

    Verfasser
    Jan W. Moestel/Heilpraktiker

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