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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2011

Schamanische Reisen in andere Welten

Cover

Ist es wirklich möglich? Können wir in Trance unseren Körper verlassen und in andere Welten eintauchen? HP PSY Carola Seeler, die sich seit Jahren intensiv mit Schamanismus beschäftigt, klärt auf.

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Das Wort „Schamane/Schamanin“ existiert in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert und stammt wahrscheinlich aus der Sprache der Ewenken, einer kleinen, Tungusisch sprechenden Gruppe von Jägern und Rentierhirten in Sibirien. Schamanismus folgt einer uralten Tradition, in der Natur als belebt und beseelt empfunden wird. Alle kulturellen, religiösen und spirituellen Handlungen basieren auf dieser Annahme.

Wenn der moderne westliche Mensch davon ausgeht, dass seine „reale“ Existenz in der „realen“ Welt Wirklichkeit ist, und das, was ihm als nicht erklärlich erscheint, zu den „Dingen zwischen Himmel und Erde gehört, die man eben nicht erklären kann“, so ist im Schamanismus die Dimension der Geister allgegenwärtig, auch wenn sie in der Regel dem Menschen verborgen ist.

© Michael Rieth I © Natalia Chircova - Fotolia.comEin besonderes Merkmal des Schamanismus ist die Trancereise, in der die Seele des Schamanen den Körper verlässt und in andere Welten reist. Auch schamanische Reisen innerhalb „unserer Welt“ sind möglich. Doch nicht jede Person, die in irgendeiner Weise Kontakt zu Geistern hat oder in Trance tritt, ist ein Schamane. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass eine grundlegende Technik schamanischen Reisens der Zustand kontrollierter Trance ist. Der Schamane reist in Trance nicht einfach „irgendwohin“, sondern folgt einer Art Landkarte mit eigener Geografie, die als Widerspiegelung mentaler Zustände betrachtet werden kann.

Es wird heute retrospektiv (Forschung, archäologische Funde), aber auch beobachtend (im real existierenden Schamanismus) unter den Begriff „Schamanismus“ subsumiert, was indigene Kulturen mit schamanischer Tradition gemein haben: Ein Schamane ist ein Mittler zwischen den Welten. Er nutzt unterschiedliche Kräfte und zeremonielle Hilfsmittel, um die alltägliche Wirklichkeit zu verlassen und in nichtalltägliche Bereiche der geistigen Welten einzutauchen. Dort sucht und findet er Antworten auf für den Stamm oder Einzelpersonen bedeutsame Fragen. Im zeremoniellen und rituellen Geschehen geht es dem Schamanen um die vorübergehende Auflösung der Ich-Grenzen, Zugang zum höheren Selbst und zu entsprechenden Energien und Bewusstseinszuständen.

Ein Schamane ist nach heutigem westlichem Verständnis ein spiritueller Spezialist mit sozialer Funktion. Für die Ewenken ist er Heilpraktiker, Psychotherapeut, Sozialarbeiter und Orakel in einer Person. Seine wichtigste Aufgabe in der Hirten- und Jägerkultur ist der Kontakt mit den „Tiergeistern“, aber auch Praktiken wie „Wettermachen“ und „Abwehr magischer Angriffe“ gehören zu seinen Aufgaben. In anderen Kulturen stehen die Aufgaben des Exorzisten oder die des Begleiters der Seelen Verstorbener ins Totenreich und die des Zeremonienmeisters bei Ritualen oder Visionssuchen im Vordergrund.

In allen schamanisch geprägten Weltbildern gibt es mehrere Welten, die zum Teil unabhängig voneinander, zum Teil innerhalb desselben Raumes existieren. Neben dem besonders häufig nachgewiesenen Modell der 3 Schichten – Himmel, Erde und Unterwelt – kommen 7-, 9- oder 16-schichtige Modelle vor. In der Regel verbindet eine Achse, der Weltenbaum oder eine Leiter, die Ebenen und die Schamanen nutzen diese Achse für ihre schamanischen Reisen, oft begleitet von ihrem jeweiligen Krafttier.

Kernschamanismus ist eine Spielart des Schamanismus, die auf den allgemeinen Prinzipien und Praktiken basiert, die in dieser Form in vielen indigenen Kulturen zu finden sind und die erfolgreich auch in nichtindigener Umgebung angewandt werden können. Er beinhaltet die Annahmen, dass

  • das Arbeiten in anderen Bewusstseinszuständen, die durch monotone Geräusche (z.B. gleichmäßiges andauerndes Trommeln und Singen) erreicht werden können, möglich ist.
  • das Betreten anderer Welten (Realitäten), die üblicherweise nicht von Normalsterblichen erreicht werden können, möglich ist.
  • der Reisende aus diesen Welten hilfreiches, heilendes Wissen für sich und andere mitbringen kann.

Grundlegende Techniken des Kernschamanismus sind:

  • “Bewusstseinsveränderungen, um eine schamanische Bewusstseinsebene zu erreichen“. Dieser Satz wurde maßgeblich von Michael Harner, Gründer und Direktor der Foundation for Shamanic Studies geprägt.
  • Reisen in eine nichtalltägliche Wirklichkeit. Diese Welt ist Träumen und Mythen ähnlich.
  • Entwicklung von Beziehungen zu geistigen Helfern. Dazu gehören die Geister von Tieren, der Elemente, des Landes, der Toten oder der Gottheiten und heiligen Wesen der jeweiligen Religion, wobei hier „Geist(er)“ durchaus als geistige Kraft oder als Seele (z.B. des Landes oder des Tieres) verstanden werden kann.
  • Die Heilpraktiken der Extraktion: Krankheiten werden aus dem Körper herausgezogen, Seelen rückgeführt, Kraft wird wiederhergestellt.
  • Das Inszenieren eines Umfeldes, in dem schamanisches Arbeiten möglich ist. Dies wird durch Tänze, Gesänge, Rituale und Kostüme bewirkt.
  • Die Wertschätzung und Werthaltung bestimmter religiöser und/oder magischer Objekte und Plätze in der Natur, die ganz dem persönlichen Empfinden des schamanisch Arbeitenden entsprechen.

“Tell me one last thing“, said Harry. “Is this real? Or has this been happening inside my head?“… „Of course it is happening inside your head, Harry, but why on earth should that mean that it is not real?“
(„Harry Potter and the Deathly Hallows”, J. K. Rowling, Bloomsbury, 2007)

© Michael Rieth I © Natalia Chircova - Fotolia.comDie sogenannte „Mittlere Welt“, die alltägliche Welt, beinhaltet nicht nur Stadt, Land und Fluss, Haus, Hof und Hund, sondern auch Sonne, Mond und Sterne, Galaxien, Mikroorganismen und Elektronen. Man kann auch in dieser Welt schamanisch in die nichtalltägliche Welt reisen, in der sogenannte „paranormale Aspekte der Wirklichkeit“ gesehen werden. Die Untere und die Obere Welt unterscheiden sich von der Mittleren Welt dadurch, dass sie nicht in unserer Zeit liegen und aus dem Raum-Zeit-Kontinuum der täglichen Erfahrung hinausfallen. Bereits im frühen Hinduismus und im Buddhismus ist z.B. von Akasha, dem „unbegrenzten Weltenraum“ die Rede, was beweist, dass sich Menschen schon zu allen Zeiten mit den Dimensionen und der Vielfältigkeit der Aspekte der Wirklichkeit befasst haben.

Vor langer Zeit schon hat sich jedoch in weiten Teilen der Welt der Mensch von der Natur der Dinge getrennt und betrachtet sich nicht mehr als Bestandteil derselben, sondern scheint unabhängig von ihr zu existieren. In gleichem Maße hat sich der Mensch im Zuge seiner Entwicklung spezialisiert. Diese Spezialisierung ist Segen und Fluch zugleich. Segen, weil wir heute wissen, was wir nie zuvor wussten, und dieses Wissen uns Kraft und Macht über viele Krankheiten und Missstände verleiht. Fluch, weil sie getrennt hat, was einmal zusammengehörte, und uns vergessen ließ, was wir einmal wussten.

Der Schamane oder der schamanisch arbeitende Mensch weiß, wann er in einen anderen Bewusstseinszustand eintreten muss, um Ratschläge zu erhalten oder Dinge zu tun, die er hier, in der gewöhnlichen alltäglichen menschlichen Wirklichkeit, nicht tun könnte. Er reist dann in Welten, die nicht die alltägliche Wahrnehmungswelt der Menschen sind, seien es nun Parallel- oder Außenwelten. Auf diesen anderen Plattformen, die größer und umfassender sind als alltägliche, sind Begrenzungen aufgehoben und er kann mit Geistwesen, geistigen Helfern, Naturgeistern und Dämonen, die er sonst nicht wahrnehmen würde, verhandeln.

Viele der heutigen schamanisch arbeitenden Menschen haben von ihren Erfahrungen berichtet, und davon, dass durch ihre Arbeit scheinbar tief verborgene Erinnerungen freigelegt wurden. Schamanismus ehrt und respektiert altes Wissen. Diejenigen, die sich auf schamanische Erfahrungen einlassen, vernehmen dann zumindest das Echo eines noch älteren Wissens, das tief verborgen unter den vielen Schichten unserer Entwicklung noch vorhanden ist. Dabei ist es zunächst nur eine unwichtige akademische Frage, ob es sich bei diesem „Nachhausezurückkehren“ um eine schamanische oder „einfach nur“ die Erkenntnis handelt, Teil eines größeren Ganzen auf diesem Planeten, in unserem Universum und vielleicht innerhalb dieser beiden und darüber hinaus zu sein. Wir spüren in solchen Momenten, dass wir immer nur halb sein werden – halb wissend, halb dabei, halb gesund – solange wir dies nicht akzeptieren. So ist auch unsere Sehnsucht nach Vollkommenheit erklärbar.

Gekürzter Auszug aus dem Buch „Hexen, Schamanen und Priesterinnen im Wandel der Zeit“, Carola Seeler, mit freundlicher Genehmigung Verlag Joh. Bohmeier, Leipzig.

Carola Seeler
Carola Seeler
Zertifizierte Psychologische Beraterin (VFP) und Heilpraktikerin für Psychotherapie
carolaseeler@gmx.net

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