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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2012

Harnwegsinfekte – Vorbeugen ist besser als Antibiotika

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50 bis 80% aller Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Harnwegsinfektion (HWI). Ebenfalls betroffen sind betagte Patienten, Katheterträger, Immobilisierte und Rollstuhlfahrer. Komplementärmedizinisch ist eine Prophylaxe und/oder adjuvante Therapie sinnvoll.

© Piotr Marcinski - Fotolia.comVerminderter Harnabfluss, eine pH-Wert-Verschiebung des Vaginalsekrets sowie bestimmte Blutgruppenantigene (non-secretors) tragen dazu bei, dass Frauen besonders sensibel für Infektionen der Harnwege sind. Neben der Korrelation mit sexueller Aktivität begünstigt vaginaler Östrogenmangel in der Menopause die Infektion. Ein weiterer Grund ist die weibliche Anatomie: Die kurze Harnröhre liegt genau neben der kontaminierten Analregion. Die meist aufsteigende, unkomplizierte akute Zystitis tritt bei fast einem Drittel der Frauen einmal jährlich auf. Männer mit HWI sind meist älter und haben eine Obstruktion der Harnwege, etwa eine vergrößerte Prostata.

Klinisch zeigt sich ein Druckschmerz im Unterbauch mit Ausstrahlung in den Meatus urethrae. Der Urin ist häufig trübe, oft sind eine Leukozyturie und eine Bakteriurie nachweisbar. Typisch sind erschwertes Wasserlassen, Harndrang, Tenesmen sowie eine Makrohämaturie. Bei einer Pyelonephritis kommen Flankenschmerzen, Fieber und Schüttelfrost dazu.

Geriatriker leiden oft stumm

Bei Senioren verläuft eine Harnwegsinfektion häufig „stumm“. Die charakteristischen Symptome treten nicht oder nur abgeschwächt auf. Demente Patienten können sich zudem häufig nicht verständlich machen. Folglich ist es notwendig, das Verhalten der Patienten, besonders in Heimen oder Kliniken, sehr aufmerksam zu beobachten. Es ist besser, eine ärztliche Untersuchung durchzuführen als eine Infektion zu übersehen.

Diagnose: Teststreifen reichen meist aus

Verursachender Übeltäter ist in 72% E. coli, gefolgt von Proteus mirabilis, Klebsiella pneumoniae, Staphylococcus saprophyticus und Streptococcus faecalis. Bei typischer Symptomatik kann ein Urinstreifentest die Diagnose HWI bestätigen. Er zeigt Leukozyten, Nitrit oder Hämoglobin an. Verwendet wird der Mittelstrahlharn des Morgenurins, wobei der Erststrahlharn (ca. drei Sekunden) verworfen wird. Die Kontrolle sollte nach Beendigung der Antibiotikatherapie mit Chinolonen nach fünf Tagen, nach Therapie mit Betalaktamen oder Trimetoprim nach drei Tagen erfolgen.

Ein negativer Harnstix schließt jedoch eine Harnwegsinfektion nicht aus. Bei Proteinurie oder Hyperbilirubinämie sind die Leukozyten negativ, bei Staphylokokken, Enterokokken oder Candida-Spezies das Nitrit. Klagt ein Patient ohne auffälligen Urinstatus über „HWI-typische” Beschwerden, kann sich dahinter auch eine Reizblase verbergen. Sie gilt als funktionelle Störung, da für ihre Symptome keine organischen Ursachen gefunden werden.

Tipps zur Prophylaxe einer HWI

  • Viel trinken!
  • Den Harndrang nicht unterdrücken.
  • Die Harnblase vollständig entleeren.
  • Direkt nach dem Geschlechtsverkehr die Blase entleeren, um eine Keimwanderung zu vermeiden.
  • Therapie einer Obstipation.
  • Keine übertriebene Sexualhygiene, keine Zerstörung der körpereigenen Vaginalflora.
  • Unterkühlung und Nässe vermeiden.
  • Spermizide Gele (Kondome, Diaphragma) steigern das Infektionsrisiko.

Bakterien entern Zellen

Die Befähigung zur Auslösung von Harnwegsinfektionen wird maßgeblich über die Fimbrien der Bakterien bestimmt. Mit diesen „Tentakeln“ können sie sich fest im Gewebe verankern. Die Adhärenz am Zielgewebe wird über Lektine an der Oberfläche der Fimbrien vermittelt. Nach der Besiedelung des Blasenwandgewebes durch pathogene Bakterien ist die fimbriale Adhärenz das Schlüsselereignis einer gewebeinvasiven Infektion.

Wirksamkeit nicht immer belegt

Im Maßnahmenkatalog der naturheilkundlichen Praxis hat die Durchspülungstherapie einen festen Platz. Verwendung finden verschiedene Drogen in Form von Teemischungen oder Instanttees, die sogenannten Blasen- und Nierentees. Die Begriffsdefinition „Aquaretika“ trifft für die pflanzlichen Diuretika weniger zu, da sie nach neuem Kenntnisstand nur einen geringen Einfluss auf den Elektrolythaushalt haben, die Bezeichnung „Durchspülungsmittel“ ist treffender.

Obwohl viele Drogen eine positiv bewertete Monographie aufweisen, ist in den meisten Fällen der wirksame Bestandteil sowie der Wirkmechanismus nicht geklärt. Die Wirkung im klinischen Modell ist nicht gleichzusetzen mit dem klinischen Effekt und damit der Wirksamkeit.

Flavonoide, Saponine, ätherische Öle und Mineralstoffe werden für die Wirkung immer wieder verantwortlich gemacht, spezifische Wirkungen sind jedoch meist nicht nachweisbar. Mineralstoffe sind nachweislich nicht diuretisch wirksam, über aliphatische und organische Säuren liegen keine Belege vor. Von den schlecht resorbierbaren Saponinen ist lediglich für Aescin ein diuretischer Effekt bestätigt, wohingegen für Terpene in ätherischen Ölen keine Beweise vorliegen.

Man unterscheidet diuretische und antibakterielle Drogen. Bei Harnwegsinfektionen werden u.a. angewendet:

  • Bärentraubenblätter
  • Brunnenkressekraut
  • Meerrettichwurzel
  • weißes Sandelholz
  • Cranberry (amerikanische Preiselbeere)

Desinfizierend wirken Bärentraubenblätter und Meerrettichwurzel. Das phenolische Arbutin der Bärentraube wird jedoch nur im alkalischen Urin freigesetzt. Außerdem mindert der bittere Geschmack der Teezubereitung deutlich die Compliance. Für Brunnenkresseextrakte liegen zahlreiche positive Studien vor. Mit am besten ist die Datenlage jedoch für Cranberry.

Cranberryextrakte gut dokumentiert

© Printemps - Fotolia.comCranberry ist eine Beerenstrauchart aus der Pflanzenfamilie der Heidekrautgewächse (Ericaceae). Die englische Bezeichnung Cranberry leitete sich von „crane berries“ („Kranichbeere“) ab. Die Staubfäden der Blüten bilden einen Schnabel, der die ersten Siedler an einen Kranichschnabel erinnerte. Bereits die Indianer in Nordamerika schätzten die Beeren als Heil- und Nahrungsmittel. Was damals Empirie war, ist heute vielfach mit wissenschaftlichen Daten untersucht und belegt. Der Saft der Früchte der Cranberry (Vaccinium macrocarpon Aiton oder V. oxycoccus L.) enthält u.a. Äpfel- und Zitronensäure, Hydroxycinnamate, Iridoide und Flavonolglykoside.

Für die antioxidative und bakterienhemmende Wirkung sind jedoch Proanthocyanidine und Anthocyane die wichtigsten Substanzen. Anthocyane sind in vielen Blüten und Früchten für deren Farbe verantwortlich. Proanthocyanidine werden auch als Polyphenole betrachtet und sind farblose Vorstufe der Anthocyanidine. Viele pflanzliche Nahrungsmittel wie Tee, Kakao, Nüsse und Rotwein enthalten Proanthocyanidine (PAC). Bei den PACs wird zwischen dem A-Typ (doppelt verknüpft) und dem B-Typ (einfach verknüpft) unterschieden. Nur der A-Typ verfügt über eine ausreichende Wirkung auf Colibakterien.

PACs verstümmeln Colibakterien

Bei E. coli und anderen pathogenen Keimen erfolgt die Kontaktaufnahme mit dem Gewebe über tentakelartige Fimbrien. Cranberry-PACs verhindern nahezu völlig die Expression von unterschiedlichen Fimbrien. Werden die Colibakterien auf diese Weise „verstümmelt“, können sie nicht mehr an der Blasenwand haften. Sie haben somit eine ihrer wichtigsten Infektionseigenschaften eingebüßt. Die Wirkung der PACs spielt sowohl bei der Prophylaxe als auch bei der Therapie einer Zystitis eine Rolle.

Studien belegen Wirksamkeit

Mehrere klinische Studien bei Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten haben einen prophylaktischen Effekt von täglichem Cranberrykonsum nachgewiesen.

In einer finnischen Studie von Kontiokari et al. erhielten 150 junge Frauen mit Harnwegsinfektionen durch E. coli in der Vorgeschichte entweder keine Therapie, 50 ml eines Saftgemisches aus Preiselbeer- und Moosbeerensaftkonzentrat oder 100 ml eines Lactobacillus-Getränkes. Die Rate des ersten Wiederauftretens von Harnwegsinfekten war in der Cranberrygruppe gegenüber der Kontrollgruppe um 56% reduziert, während in der Lactobacillus-Gruppe die Rezidive ebenso schnell auftraten wie in der Kontrollgruppe.

In der placebokontrollierten Studie von Avorn et al. wurden 153 Seniorinnen untersucht. Sie erhielten entweder für sechs Monate täglich 300 ml Cranberrysaft oder ein synthetisches Placebogetränk. Das Auftreten von Bakterien und Leukocyten im Urin war in der Gruppe mit Cranberrysaft gegenüber der Placebogruppe um 42% reduziert.

In einer Studie von Bailey et al. wurde gezeigt, dass durch die tägliche Einnahme von Cranberrykapseln über zwei Jahre Harnwegsinfekte völlig ausbleiben. Die Patientinnen erkrankten vor der Cranberrygabe bis zu sechsmal im Jahr. Auch Senioren und Menschen, die einen Blasenkatheter tragen müssen, profitieren von der Einnahme von Cranberryprodukten.

Tablette versus Saft

Üblicherweise gilt bei Nahrungsmitteln der Grundsatz: Je natürlicher und naturbelassener, desto besser. Ein Cranberrysaft hat im Vergleich zu einer oralen Darreichungsform jedoch etliche Nachteile. Er ist oft deutlich teurer, hat einen vergleichsweise hohen kalorischen Brennwert, muss gekühlt gelagert, in größeren Mengen vorrätig gehalten werden und trifft meist auch nicht jedermanns Geschmack. Fruchtsaftzubereitungen sind oft zucker- und kalorienhaltig, was Diabetiker beachten müssen. Weil er auch säurehaltig ist, sollte auf den Schutz des Zahnschmelzes geachtet werden. Eine Alternative zum Fruchtsaft sind Extrakte in Tablettenform.

In zwei unabhängigen Studien von Stothers sowie Kontiokari et al. wurde bewiesen, dass Tabletten mit Cranberryextrakt hinsichtlich der Wirksamkeit einem Saft ebenbürtig sind. Die Studie konnte eine ca. 20%ige Senkung der Häufigkeit von rezidivierenden Harnwegsinfekten nachweisen.

Ein sinnvolles Cranberrypräparat sollte folgende Anforderungen erfüllen:

  • Standardisierung auf die Proanthocyanidine (PAC) mit 36 PAC/Tag*
  • Lactose- und glutenfrei
  • Vitamin-C-haltig

Diese Eigenschaften erfüllen einige Produkte, die derzeit auf dem Apotheken- und Reformhausmarkt erhältlich sind (z.B. PREISELSAN, CRANBERRY+C u.a.). Es gibt auch Cranberrypräparate in zertifizierter Bioqualität. Als Vitamin-C-Spender sollte in jedem Fall Acerolafruchtextrakt dienen, denn die darin enthaltenen Flavonoide steigern im Vergleich zur Ascorbinsäure chemischen Ursprungs die biologische Aktivität erheblich.

* Die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit AFSSA (Agence francaise de securite sanitaire des aliments) empfiehlt eine tägliche Menge von 36 mg Proanthocyanidinen (PAC) zur Gesunderhaltung von Blase und Harnwegen.

Matthias Bastigkeit
Matthias Bastigkeit
Fachdozent für Pharmakologie und Medizinjournalist (DJV)
Bastigkeit@aol.com

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