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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2012

Wenn die Seele krank sein will

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Sekundäre Krankheitsgewinne bei organischen und psychischen Leiden

© Mindwalker - Fotolia.comDer Auftrag eines Therapeuten/einer Therapeutin ist es, den Patienten nach gelungener Intervention, sprich Behandlung, in einen besseren Zustand zu versetzen als vor der Behandlung. Unser Bemühen in diesem Sinne, nach bestem Wissen und Gewissen und unter Nutzung all unserer Kompetenz, ist die Dienstleistung, die wir als Heilpraktiker anbieten.

In den Medien ist zu verfolgen, wie selbst die Schulmedizin den Begriff der Ganzheitlichkeit zunehmend weiter in den Vordergrund stellt. Innovative Krankenhäuser lassen ihre Krankenschwestern in energetischen Heilverfahren wie Reiki oder Akupressur schulen, um z.B. die Wundheilung der Patienten nach Unfällen oder Operationen zu unterstützen. In einigen Studienorten der Medizin wird Kommunikation geschult und die Fähigkeit, einen persönlichen Kontakt mit dem Patienten herzustellen, als Teil der Prüfung integriert. Das gefühllose und unsensible Kommunizieren von Diagnosen bzw. diagnostischen Vermutungen vorerst wird hier als wichtiger Faktor für einen psychologisch destruktiven Placeboeffekt verstanden und durch solche Schulungen vermieden.

Ganzheitlich bedeutet für mich, dass das Ökosystem Patient (d.h. die Gesamtheit der lebenden Faktoren in und um den Patienten, die ihn betreffen) nach der Behandlung insgesamt besser dasteht als vorher, und nicht, dass nur in Einzelbereichen Verbesserungen erzielt wurden und andere Bereiche des Ökosystems darunter leiden – wie z.B. bei der Symptomunterdrückung: Der Patient fühlt zwar unmittelbar eine Erleichterung, wird aber auf längere Sicht oft ein bedeutenderes Problem haben als vorher.

So können z.B. Kopfschmerzen einen simplen Wassermangel (im günstigen Fall) anzeigen – der Patient empfindet sie einfach nur als störend und schmerzhaft. Werden sie jedoch mit einer Schmerztablette unterdrückt, ohne dass der Signalnutzen des Symptoms verstanden oder überhaupt erst gesucht wurde, nimmt das System Patient weiteren Schaden, obwohl der Schmerz erstmal beseitigt ist. Bei Ihrem Auto schrauben sie ja auch nicht die Öllampe aus dem Armaturenbrett, sobald diese aufleuchtet, sondern Sie interpretieren das Signal intelligent und füllen Öl nach, bevor der Motor Ihnen um die Ohren fliegt.

Depressionen können ein Hinweis auf nicht gefühlte und nicht gelebte Aggressionen eines Menschen sein. Werden diese nicht ganzheitlich aufgearbeitet, indem man dem Patienten durch therapeutische Hilfe Kompetenzen vermittelt, um diese Aggressionen und die dahinter stehenden Ängste zu fühlen und damit konstruktiv umzugehen, so wirkt eine Behandlung mit Antidepressiva vielleicht depressionshemmend. Sie löst aber auf gar keinen Fall das Problem des Systems und fügt auf lange Sicht Leber und Nieren des Patienten Schaden zu.

Wahre Empathie fängt beim ganzheitlichen Verstehen des Patienten und seinen Herausforderungen an und sollte nicht dort aufhören. Ich gehe in meiner Arbeit von der Hypothese aus, dass jedes Symptom, welches sich in einem System zeigt, einen für das System konstruktiven Nutzen hat. Dies gilt auch, wenn das Symptom störend, schmerzhaft, widerlich oder sogar tödlich auf das System wirkt. Dieser Nutzen ist dem Symptomeigner oft nicht bewusst – er ist also nicht schuld an seiner unbewussten Strategie und hat sie sich nicht wissentlich ausgesucht. Hier ist natürlich mitfühlendes und sauberes Arbeiten und sorgsame Informationssammlung geboten, um nicht mit klischeehaften Verallgemeinerungen Menschen destruktiv in Schubladen zu kategorisieren. Kinesiologie, Hypnose, NLP, EMDR und andere Methoden liefern dazu sehr nützliches Werkzeug.

Meiner Meinung und Erfahrung nach lässt ein System eine Krankheit solange nicht los, bis ihr systeminterner Nutzen auch ohne die Krankheit liebevoll erhalten und zum Wohle des gesamten Systems verwirklicht wird.

In der Psychoonkologie beschäftigt man sich seit neuerer Zeit mit den Faktoren der Psyche, die eine Krebserkrankung maßgeblich beeinflussen oder sogar verursachen können. So lassen sich bei vielen Fällen Jahre vor der Erstdiagnose der Erkrankung für die Person subjektiv empfundene, schwerwiegende und unverarbeitete Traumata finden. Diese können z.B. aus Trennungen, Arbeitsplatzverlust, Todesfällen etc. bestehen. Ermöglicht man dem Patienten durch Therapiemethoden wie EMDR oder andere Traumatherapien eine Verarbeitung dieser Geschehnisse, hat jegliche Form von Heilbehandlung wesentlich bessere Chancen – in einzelnen Fällen tritt sogar eine dramatische Spontanremission auf. So kann eine tödlich verlaufende Krankheit den Signalnutzen haben, endlich wirksame Psychohygiene zu betreiben und alte Traumata durch Verarbeitung loszulassen. Zusätzlich lassen sich durch Methoden wie Meditation und kreative Visualisierung die destruktiven Nebenwirkungen von Chemotherapie oder Bestrahlung in vielen Fällen abschwächen.

So ist für mich die alte Trennung von organischen und psychischen Leiden ein vom ganzheitlichen Verständnis der 100%igen Interaktion von Psyche und Organik überholtes Konzept. Durch die bahnbrechenden Arbeiten von Menschen wie Dr. Bruce Lipton und Dawson Church mit ihren Veröffentlichungen lernen wir, wie viel Einfluss die Psyche mit ihren Wahrnehmungs- und Interpretationsfunktionen epigenetisch ausübt. In diesem Sinne ist eine Betrachtung der unbewussten und vielleicht sogar bewussten sekundären Krankheitsgewinne für mich ein unerlässliches Werkzeug des holistischen Arbeitens in der Heilkunde.

Ich habe immer wieder erfahren, dass sich ein oder zwei Stunden investiert in die Suche nach Krankheitsgewinnen deutlich lohnen. Zuerst ist es dabei wichtig, dem Klienten bzw. Patienten das Konzept unbewusster Krankheitsgewinne zu erklären. Öffnet er sich dafür, kann man solche Krankheitsgewinne fast immer mit den oben genannten Methoden finden. Sie können z.B. bestehen aus: Aufmerksamkeit oder Empathie, die der Kranke von seiner Umwelt erfährt, aus der Kanalisierung von nicht gefühlten und nicht gelebten Emotionen, aus dem Schutz vor Faktoren wie Überarbeitung und vielem anderen mehr.

Schaut man an einem normalen Montagmorgen in die Praxis eines Allgemeinmediziners, wird sein Wartezimmer voll sein. Das Durchschnittsalter der anwesenden Personen wird bei Mitte 50 liegen. Alle diese Personen sind wegen einer tatsächlichen Krankheit dort, nicht etwa wegen einer eingebildeten. Und trotzdem – würde man per Zauberspruch alle diese Personen auf magische Weise dauerhaft von jeder Krankheit befreien, wäre es sehr fraglich, ob man ihnen in ganzheitlichökologischer Weise einen Gefallen getan hätte. Denn einige von ihnen sind vermutlich sozial isoliert an den Rand der Gesellschaft geschoben worden. Sie sind oft einsam und haben niemanden zum Reden. Wenn sie als Kassenpatienten ihre anderthalb bis drei Stunden im Wartezimmer sitzen, kommen sie leicht ins Gespräch, denn Themen wie Gesundheit und Krankheit, Kinder und Enkelkinder usw. liegen sehr nahe. Oft sind diese Stunden im Wartezimmer die einzige soziale Interaktion in der Woche – nehme ich sie einer Person, wird etwas sehr Wichtiges fehlen. Somit wäre es ideal, wenn der Arzt und der Heilpraktiker solch einen Mangel an Interaktion im Gespräch genauso feststellen wie den Krankheitsbefund, um der Person zusätzlich zur Heilbehandlung Kompetenzen und Strategien zu vermitteln, um sozial wieder aktiver zu werden und einen Austausch in Gesprächen auch außerhalb des Wartezimmers zu betreiben. Erst dann ist das Wohl des Patienten ganzheitlich hergestellt, ohne dass die Heilbehandlung einen anderen Vorteil zunichte macht – wenn sie denn Erfolg hat (was bei wichtigen, aber unbeachteten Sekundärgewinnen manchmal zweifelhaft ist).

Ich verbringe oft mehrere Sitzungen mit dem Finden von Sekundärgewinnen und ihrem Erhalt durch neu erschlossene Strategien, bevor wir die Beschwerdesymptome und deren Ursache therapieren. Dabei erlebe ich regelmäßig, wie Heilbehandlungen erheblich beschleunigt und wesentlich reibungsfreier ablaufen, als wenn man Sekundärgewinne außer Acht lässt. Es ist dabei egal, ob es sich nach klassischen Bezeichnungen um organische oder um psychische Erkrankungen handelt.

Krankheit macht mich darauf aufmerksam, dass etwas, was ich tue – sei es in Ernährung, Lebensgewohnheiten, Job, Beziehung, Wahrnehmung und ihre Interpretation in Denken und Fühlen – nicht funktioniert. Wenn das, was Du tust, nicht funktioniert, tu etwas anderes.

Wir sind auch dazu da, Patienten liebevoll und mitfühlend zu helfen, herauszufinden, was es sein könnte und ihnen damit einen Weg aus dem Burnout, dem Krebs oder anderen Pathologien zu weisen, hin zu einem immer leichteren und mit mehr Freude erfüllten Leben.

Henrik Lell
Henrik Lell
Heilpraktiker, Trainer, Dozent
praxis.lell@googlemail.de 

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