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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2012

Nicht einfach nur gespielt

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Heilende Prozesse in der Spieltherapie mit Kindern

2012-06-Spiel1Die kinderpsychologische Beratung und Therapie unterscheidet sich in besonderer Weise von der Erwachsenentherapie. Das Kind kann seine Probleme und Empfindungen nicht wie der erwachsene Patient im reflektierenden Gespräch äußern, sondern braucht einen persönlichen Zugang, der seiner Entwicklungs- und Altersstufe angemessen ist. Nahezu automatisch stoßen wir dabei auf das Spielen. Im Spiel findet das Kind eine Ausdrucksmöglichkeit, die dem Gespräch in der Erwachsenentherapie ähnlich ist. Spielen, Malen und Gestalten sind für das Kind Möglichkeiten, seine erlebte Welt darzustellen, sie umzugestalten, zu lernen und korrigierende Erfahrungen in der Beziehung zum Therapeuten zu machen. Wir können also sagen, die Spieltherapie ist die geeignetste Methode in der therapeutischen Behandlung des Kindes. Der Spieltrieb ist dem Kind angeboren und es entwickeln sich unterschiedliche Spielarten in den verschiedenen Entwicklungsstufen. Unabhängig davon, welche therapeutische Richtung oder Schule wir betrachten: Selten fehlen wenigstens einige Spielsachen, die als Hilfestellung im Umgang mit dem Kind herangezogen oder zur diagnostischen Arbeit verwendet werden.

Wie in anderen psychologischen Beratungssituationen ist die Beziehung zwischen Kind und Spieltherapeut die Grundlage für Vertrauen, Wachstum und heilende Beziehungserfahrungen. Eine Vertrauensbeziehung zum Kind herzustellen, ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe des Spieltherapeuten. Innerhalb der Übertragungsprozesse des Kindes auf den Spieltherapeuten, die auf bisherigen Erfahrungen mit Bezugspersonen basieren, spiegeln sich insbesondere traumatische oder konfliktbehaftete Beziehungen wieder.

2012-06-Spiel22006 lernte ich Florian, 8 Jahre alt, in meiner Praxis kennen. In den ersten Spielstunden war sein Verhalten mir gegenüber äußerst ablehnend und aggressiv, er ging zerstörerisch mit den Spielsachen um, wurde beleidigend und verweigerte jede Mitarbeit. Seine Eltern, beide alkoholkrank, hatten Florian geschlagen und vernachlässigt, sodass er vier Monate vor unserem ersten Treffen in eine Pflegefamilie kam. Die Pflegeeltern fühlten sich erzieherisch überfordert, bekamen keinen Zugang zu Florian und konnten seine Aggressionen nicht zuordnen. Das Kind hatte keine andere Chance, als seine neuen Bezugspersonen und mich mit alten Erfahrungsmustern zu vergleichen. Mit seinem Verhalten wollte er diese „gewohnten“ inneren Bilder von Menschen wiederherstellen. In der Psychotherapie wird in diesem Zusammenhang der von Sigmund Freud geprägte Begriff des „Wiederholungszwanges“ genannt. Florian spielte nicht, nahm jedoch Spielsachen und Material in die Hand, um sie zu beschädigen und schimpfte dabei, er wisse nicht, warum er mit so „blöden Sachen“ in diesem „dummen Zimmer“ sei. Ich zeigte Florian zwar Grenzen und Regeln im Umgang miteinander und mit den Materialien auf, doch entwürdigte ihn nie in seiner Person und brachte ihm konsequente Wertschätzung entgegen. Als er erstmals begann, innerhalb von Kampfsituationen zwischen Dinosauriern im Sand zu spielen, veränderte sich auch unsere Beziehung. Daran hatte er sichtlich Freude, und ich half ihm, Seen und Höhlen in die Landschaft einzubauen. In der 12. Spielstunde brachte er ein Buch über Dinosaurier mit und bat mich, es vorzulesen. Dabei saßen wir beide auf dem großen Sitzsack und Florian schien die Nähe zu genießen. Es gelang ihm, zunehmend zu vertrauen und sich nicht von alten Verletzungen bestimmen zu lassen. Heilende, korrigierende Erfahrungen können nur hergestellt werden, wenn Bezugspersonen und Therapeuten nicht auf das symptomatische Verhalten des Kindes eingehen, sondern wertschätzende Beziehungsstrukturen aufrechterhalten. Manchmal ein sehr schwieriger Weg, denn gerade Enttäuschte und Entwürdigte möchten sich vor erneuten Verletzungen schützen.

Eine weitere Aufgabe in der therapeutischen Arbeit mit Kindern besteht darin, die Entwicklungsphase des Kindes, in der es sich befindet, mit einzubeziehen. Die psychischen Konflikte erwachsener Patienten liegen in der Ursache oftmals weit zurück, sind zumeist in der Kindheit geprägt worden. Dabei ist es mühevoll, Erinnerungen zu wecken und an alte Erfahrungen heran zu kommen, die für das psychische Leid oder abnorme Verhalten verantwortlich sind.

Bei Kindern sind wir als Therapeuten, Berater oder Pädagogen der Ursache der Störung sehr nah. Die Verdrängung von Konflikten ist noch nicht manifestiert, Abwehrmechanismen noch nicht so verhärtet und genau dort liegt eine besondere Chance zur Aufdeckung und Verarbeitung von Konflikten und Erlebnissen, die das Kind in seiner gesunden Entwicklung hemmen. Die kindliche Psyche unterliegt dem Wachstumsprozess der Natur, die Seele möchte sich zu einer Persönlichkeit formen und negative Erfahrungen und Konflikte lösen. Dieser Drang wird insbesondere im kindlichen Spiel sichtbar, dort ist der Ausdruck unbewusster Emotionen möglich. Es kommt zu symbolischen Mitteilungen und Handlungsweisen, die der Therapeut verstehen sollte, um dem Kind Unterstützung zu bieten und einen geschützten Raum zu schaffen, in dem das Kind seine psychischen Prozesse externalisieren und Lösungen für Konflikte finden kann. Das Puppenhaus, Handpuppen, Spielküchen, die Schultafel, archetypische Symbole wie Dinosaurier, Krokodil, Hund und andere Tiere, ein Sandspielkasten, Märchenbücher, Babypuppe mit Utensilien, Verkleidungsmaterial, Musikinstrumente, Malutensilien, Autos und vieles mehr regen das Kind an, seine innere und äußere Welt zu konstruieren und in Rollen abzutauchen. Es stellt seine erlebte Welt dar, die subjektiven Erfahrungen und Gefühle.

Dabei ist in der therapeutischen Behandlung des Kindes die Einbeziehung des sozialen Umfeldes und seiner Bezugspersonen unverzichtbar. Bezugspersonen können förderlich, aber auch hemmend auf den Heilungsprozess einwirken. Oftmals herrscht eine falsche Einstellung über „Spieltherapie“, die Eltern können sich wenig darunter vorstellen oder hemmen das Kind durch Ängste und Bedenken. Hier sind Aufklärung und Transparenz notwendig, jedoch ohne, dass das Vertrauen des Kindes missachtet wird. Es würde sich leicht verschließen, wenn es spürt, dass seine Aktionen und Erzählungen weiter getragen werden. Das Kind ist als Teil seiner Familie zu betrachten, seine „Störung“ kann eine Reaktion auf eine Familienproblematik sein. In diesem Fall verlangen die Eltern eventuell eine Geheimhaltung, die das Kind belastet. Dieses erkennt der Therapeut oft durch eine Spielhemmung in der Therapie.

Die Entwicklung in der Kindertherapie ist vor allem mit Namen wie Anna Freud (die die Theorie ihres Vaters Sigmund Freud auf die Behandlung von Kindern übertrug), Hans Zulliger, Melanie Klein, D. W. Winnicott (allesamt psychoanalytisch orientierte Kindertherapeuten) und Virginia Axline (die sich an dem klientenzentrierten Grundkonzept von Carl Rogers orientiert) verbunden.

Einer der Grundannahmen des Therapeuten ist, dass das auffällige Verhalten des Kindes, seine Symptomatik, einen Sinn hat. Es ist die kreative Lösung des Ichs, mit einer inneren psychischen Problemsituation oder äußeren Gegebenheiten umzugehen. Wir können dem Kind daher nicht einfach seine Störung „nehmen“, ohne alternatives Verhalten aufzubauen. Diese Anerkennung der Symptomatik als Ich-Leistung geht mit einer Wertschätzung des Kindes in seiner Individualität einher.

Eine spieltherapeutische Behandlung kann bei verschiedenen Störungen stattfinden. Insbesondere werden jedoch neurotische Störungsbilder als Indikatoren für eine Spieltherapie angezeigt. Dazu gehören:

  • Ängste
  • Hemmungen
  • neurotisch bedingte Aggressionen
  • Störungen in der Entwicklung des Kindes, die psychisch bedingt sind
  • Spielstörungen
  • Kontaktstörungen
  • Essstörungen und andere psychosomatische Erscheinungen
  • Schulschwierigkeiten, die psychisch bedingt sind und
  • Erziehungsprobleme

Bettina Papenmeier Bettina Papenmeier
Dipl. Soz.-Pädagogin, Psychologische Beraterin (VFP) und Dozentin an der Paracelsus Schule Bielefeld
lernen-und-wahrnehmen@t-online.de

Literaturempfehlungen

  • Ude-Pestel, Anneliese Betty: Protokoll einer Kinderpsychotherapie, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998
  • Axline, Virginia M.: Kinder-Spieltherapie im nicht-direktiven Verfahren, Reinhardt Verlag, München, 2002
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