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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2013

Der Körper als Erfahrungsraum

Cover

© yvart - Fotolia.comEine einführende Betrachtung zum energetischen Arbeiten

Das Konzept des Energiekörpers bzw. die Rede von einem ätherischen Körper, der den physischen Leib durchdringt und umgibt, hat mittlerweile Eingang in diverse heilpraktische Ansätze gefunden. Aber auch in der Literatur über Wege spirituell ausgerichteter Lebensanschauungen stößt man auf eine vermehrte Auseinandersetzung mit diesem Konzept. Allgemein am bekanntesten ist dabei wohl die Lehre von den Hauptchakren, die den Körper in sieben Teilbereiche gliedert. Mit diesen Bereichen assoziiert man jeweils bestimmte auratische Schichten, die den Körper umgeben und die das darstellen, was man als die Ausstrahlung einer Person begreift. Der Gebrauch der Chakren als Bezugspunkte innerhalb der Rede über den Körper zeigt auf ein Wissen, das nicht allein für Interessierte an praktischer „Energiearbeit“ zum Gemeingut geworden ist.

Die Lehre von den Chakren entstammt der sogenannten tantrischen Strömung des klassischen Yogas, die sich ab dem 4. Jahrhundert herauszukristallisieren begann. Zu dieser Zeit ist die yogische Philosophie bereits mehrere Hundert Jahre tradiert. Das bedeutet, dass sie in der Zwischenzeit schon einige Weiterentwicklungen und Zusammenführungen verschiedener Schulen erfahren hat. Die damit assoziierten Meditationstechniken reichen noch viel weiter zurück. Der Tantrismus bekräftigt den Körper als kosmischen Leib. Man versteht darunter, dass die Kräfte und bestimmte Regionen des Körpers kosmischen Prinzipien entsprechen, mit denen der Mensch Übereinstimmung sucht. Das ist eine für unsere Auffassungsgabe durchaus kontroverse Anschauung. Wir sind es zwar gewohnt, von uns selbst als Psyche zu sprechen, hätten aber wohl erste Schwierigkeiten damit, die uns vertrauten Ich-Inhalte direkt mit unserem Körper zu identifizieren. Das aber meint der Begriff des kosmischen Leibes: eine tatsächliche Deckung von physischen und mentalen Schichten, von Empfindungen und Gedanken, von psychischen und kognitiven Mustern mit der feinstofflichen Struktur des Energiekörpers. Die Chakren markieren eben solche Schwellen, an denen Arten der Stofflichkeit und des Bewusstseins ineinander umgesetzt werden. Für die yogische Philosophie ist jeder Erscheinung ein bestimmter Grad von Bewusstseinskraft zu eigen. Der menschliche Körper beherbergt demnach mehrere Formen von Bewusstsein, deren Zusammenwirken die Möglichkeiten, die Potenziale sowie die Grenzen unseres individuellen Erlebens schaffen.

In der Meditation sucht der Tantrismus diese Chakren zu läutern. Das bedeutet die Ablösung des individuellen Bewusstseins von seiner Anhänglichkeit an die persönliche Existenz. Durch die Überwindung der Ich-Grenzen erlebt sich der Meditierende in Korrespondenz mit der wirkenden Bewusstseinskraft rings um ihn herum. Er erhält so Zugang zum Mysterium eines Körpers, der die Gesamtheit der Dinge und Erfahrungsmöglichkeiten bereits in sich umfasst. Die tantrische Rede von den Chakren ist vor allem das Ergebnis meditativer Praxis, also weniger Theorie und mehr eine Versprachlichung sehr konkreter und teils das Fassungsvermögen des Verstandes übersteigender Erfahrungen. Eine wichtige Meditationserfahrung ist z.B., zu erkennen, dass sich der gesamte Bereich der Wahrnehmung tatsächlich nach der Art der Qualität der Chakren und nach der Art ihrer Abstimmung untereinander zusammensetzt. Wie komplex derartige Erfahrungen der Konzentration auf die Chakrenpunkte in der meditativen Versenkung sein können, das bezeugt u.a. Arthur Avalons Abhandlung über die „Schlangenkraft“. Und genau hier liegt mein Diskussionsschwerpunkt.

Wie leben in einer Kultur, die der Sprache sehr viel Vertrauen entgegenbringt und die dem Wissen eher von der Rede als von der Praxis ausgehend begegnen möchte. Die übernommene Theorie der Chakren gibt uns ein Beschreibungsmodell zur Hand, mit dem wir uns bezeichnen können. Dadurch ist es z.B. möglich, meine Emotionalität im Bereich des Herzens, meine Sexualenergie im Unterbauch oder feinere mentale Ebenen um die Stirn zu verorten. Die Möglichkeit, den Komplex meines Selbsterlebens mit Empfindungen, die ich an meinem Körper wahrnehme, gleichzusetzen, das stiftet Beruhigung. Es versichert uns unseres körperlichen Daseins. So unzweifelhaft wertvoll das auch sein mag, hat es eine Reduktion der Konzeption des Energiekörpers auch im Bereich praktischer Verfahren zur Folge.

Man möchte sagen: Weil nun jeder die Chakren so gut kennt, vergisst man, dass sie lediglich spezifische Energiepunkte auf der Mittellinie des Körpers sind, dieser Körper jedoch – wie im Meridiansystem der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM) repräsentiert – von einer viel umfassenderen Vielzahl an Energiefasern und -punkten gebildet wird. Diese anderen Punkte sind aber für das energetische Arbeiten zumeist viel essenzieller.

Die Chakren haben eine bestimmte Funktion. Ihre Spezifik ist zunächst ihre trichterförmige Gestalt, die außerdem die Eigenschaft besitzt, zu kreisen. Sie stellen die energetische Bezugnahme und das Medium des Austauschs des Körpers mit seiner Umwelt dar. Die Trichter öffnen sich sowohl zur Körpervorder- als auch zur Rückseite des Körpers hin. Im Meridiansystem der TCM werden diese Öffnungen durch Verdichtungspunkte auf dem mittleren Kanal angezeigt, der einmal auf der Vorderseite des Torsos (chin. „ren-mai“) und zum anderen an der Wirbelsäule (chin. „du-mai“) entlanggeht. Die Chakren sind sagittal ausgerichtete Achsen mit Ausnahme des Kronen- und Wurzelchakras, die miteinander korrespondieren und den Körper in seiner Vertikale, also vom Scheitel bis zum Perineum, durchziehen. Das vordere Feld des Körpers ist der Rezeptivität zugeordnet, der Aufnahme von Energie und zudem Raum der sinnlichen Erfahrung. Im Rücken breitet sich entsprechend das Radianzfeld aus – der Raum des Ausgangs von Energien, in dem sich der Ausdruck persönlicher Stimmungs- und Gefühlslagen vollzieht. Eine erste Unterscheidung, die sich hieraus gewinnen lässt, ist die Bedeutung der Tore am Rücken des Körpers in der ihnen eigenen Funktion, Energie abzugeben. Die hinteren Tore liegen immer leicht unterhalb der Höhe der vorderen Öffnungen.

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Die hinteren Tore in Stichworten

Jadekissen
Inspiration, Regulation des Atems (hinten am Schädelansatz).

Nackenpunkt
Sammelpunkt für Energie zur Verteilung im Körper.

Tor der Durchlässigkeit
Ausgangstor für Energien von emotionaler und mentaler Qualität, die vom Herzraum aufgenommen werden, dient somit seiner Entlastung (zwischen den Schulterblättern).

Nebennierenpunkt
Zentraler Austritt der persönlichen Kraft, auch der sexuellen Energie.

Kreuzbein
Reguliert die Sexualenergie in Bezug auf die Speisung der Bewusstseinskraft.

Der Spin innerhalb der Trichter verteilt aufgenommene Energie im Körper und dient damit der energetischen Versorgung des Körpers auch auf physiologischer Ebene. Zwischen Umwelt und Körper, ihrer Kommunikation und der innerkörperlichen Aktivität stehen offenbar diese Chakren. Bemerkenswert ist aber, dass die Chakren selber weder die Regulation der Homöostase des Energiekörpers übernehmen, noch die Speicher für vitale Energie darstellen, die uns für Wahrnehmungsprozesse aller Art zur Verfügung steht. Allerdings befinden sich zwischen allen Hauptchakren kleinere Energiezentren, die als Speicher fungieren. Die eigentlichen Regulatoren des bioenergetischen Haushalts des Körpers liegen hingegen jeweils seitlich der Hauptchakren. Dies sind kugelförmige Strahlungspunkte. (Aufgrund des größeren Abstands zwischen Kronenund Wurzelchakra befinden sich die mit diesen Trichtern zusammenhängenden Regulatoren etwa jeweils am Ende des seitlich ausgestreckten Arms.) Wenn die Chakren den vorderen sowie hinteren Bereich des Energiekörpers definieren, dann tun das die Regulatoren in Hinsicht auf die Seiten des Energiekörpers.


Die Speicherzentren in Stichworten

Haaransatz
Intuition.

Gaumen/Mund
Traumbewusstsein.

Oberhalb des Brustbeins
Innerer Raum, Verwirklichung der Stille, Stimmigkeit und Ganzheit des eigenen Seins.

Unteres Ende des Brustbeins
Aufmerksamkeit für energetische Geschehen, Manifestationspunkt unserer Wünsche.

Nabel
Energiedepot unseres Willens, Tastsinn für Vibrationen, Sinn für persönliche Kraft.

Geschlecht
Affekthaushalt von Nähe-Distanz- Verhältnissen zu anderen.


Die Regulatoren in Stichworten

Seitlich an der Stirn
Innerer Dialog mit sich selbst, Selbstbeschreibung und Weltbeschreibung.

Auf den Schultern
Vermittlungspunkte zwischen auflösenden Energien sowie strukturierenden Energien aus dem Körperumfeld und dem eigenen Energiefeld des Körpers, geistige und interaktive Beweglichkeit.

Die beiden Brusthälften
Ernährungs- und Verantwortungszentren, energetische Koordination der Prozesse des Denkens (rechts) und Fühlens (links), Feingefühl, Raum für andere.

Die Seiten des Bauchs
Sogenannte Vitalzentren, koordinieren die Verteilung von Energie in die einzelnen Organe, Vitalität.

Leisten
Weitergabe von Energie aus den Beinen an die Chakren, Erdung.

Von diesen Punkten, die die Hauptchakren umlagern, sind mehrere für Varianten des energetischen Arbeitens von großer Bedeutung. Hier nur ein paar Hinweise:

1. Bewegungskünste wie das Qigong oder Tensegrity arbeiten effektiv mit den Vitalzentren. Mittels Bewegungstechniken führt man diesen Zentren Energie vom Rand des Energiekörpers zu und kräftigt damit die leibliche und mentale Konstitution in ihrer Gesamtheit.

2. Spontane Berührungen des Brustraums und der Schulterpartie im zärtlichen Umgang zwischen Partnern oder sei es bei herzlichen freundschaftlichen Umarmungen verweisen nicht nur auf die enorme Bedeutung dieser Zentren für zwischenmenschliche Beziehungen. In ihnen erfolgt eine Abstimmung unserer mentalen und emotionalen Verfassung mit der von anderen Lebewesen. Und diese Zentren können auch durch gezielte Berührungen wie z.B. Massagen in ihrer Aktivität stimuliert werden.

3. Im Bereich des Heilströmens (allem voran das Jin Shin Jyutsu) besteht eine Aufmerksamkeit für mehrere Energiepunkte des Körpers, wobei oftmals wie im Reiki eher die oberen Zentren Berücksichtigung finden, und zwar in Hinsicht auf eine Läuterung und Sensibilisierung der mentalen Kräfte. Der Kopfraum, gewissermaßen als Ort der persönlichen Weltbeschreibung und einer entsprechenden Stimmungslage, steht im Fokus von Bemühungen, die das Individuum in Kontakt mit einem transpersonalen Bereich zu bringen beabsichtigen.

4. Die Energiepunkte am oberen und am unteren Ende des Brustbeins sind mitunter essenziell für Seinserfahrungen religiöser und mystischer Natur. Es kommt nicht von ungefähr, dass man in der Spätantike den Sitz der Seele im Zwerchfell lokalisierte. Dort vermutete man den Ort des höheren Selbst in seiner Identität mit der göttlichen Schöpfungskraft.

Der mittlere Kanal, auf dem die Hauptchakren liegen, verlängert sich über den physischen Körper hinaus. Die Energiezentren oberhalb und unterhalb des Körpers spannen die auratischen Schichten, das bioenergetische Feld des Körpers, auf. In Techniken wie dem luziden Träumen oder Trancereisen gilt das transpersonale Feld als der eigentliche Energiekörper. Er ist Kommunikationsmedium und Erfahrungsraum abstrakterer Formen des Bewusstseins, kann aber auch wie z.B. im Fall der bioenergetischen Massage mittels therapeutischer Tätigkeit aufgegriffen werden.

Für die Energiearbeit im alltäglichen Leben viel entscheidender sind hingegen die energetischen Strukturen der vier Extremitäten. Auf der feinstofflichen Ebene der Arm- und Beinmuskulatur lagern wichtige Speicherräume der konkreten Gestalt unserer Persönlichkeit und unseres sozialen Verhaltens. Was wir mit Psyche benennen, ist in seiner Gestalt konkret im energetischen Körper präsent und insoweit auch nahbar. An den Gelenken der Gliedmaßen befinden sich weitere Regulatoren der Energieverteilung.


Energetische Struktur der Beine in Stichworten

Kniepunkte
Flexibilität, Annahmefähigkeit, Motivationskraft, Lernfähigkeit, Beständigkeit, Aufbaukraft, Verwurzelung, Verbindung.

Fußpunkte
Beständigkeit, Aufbaukraft, Verwurzelung, Verbindung mit den Dingen der Umgebung.

Waden
Speicher von persönlicher Kraft, die man für andere hat.

Vordere Oberschenkel
Speicher persönlicher Kraft, die man für sich selbst benutzen kann.

Hintere Oberschenkel und Gesäß
Speicher für persönliche Gesichte als energetisches Muster, u.a. zur Generierung von Sinnzusammenhängen im weiteren Erleben.

Oberschenkelinnenseite
Kinästhetisches Gedächtnis, implizites Körperwissen.


Energetische Struktur der Arme in Stichworten

Handpunkte
Bewegliche Energietentakeln, die den Energiefluss mit jeder Berührung ausrichten und modulieren, Fähigkeit, Energie willentlich zu verteilen, auf- und abzugeben.

Ellenbogenpunkte
Durchsetzungsvermögen, Kooperationsbereitschaft, Regulation der Beziehungsintensität.

Oberarm
Fähigkeit, mentale Prozesse stabilisieren zu können und in einer Form zu konsolidieren bzw. gewisse fixe Formen für prozessuale Geschehen zu öffnen oder gar in ihrer Feste ganz aufzugeben.

Der Blick auf die Extremitäten führt uns am Ende zur Behandlungssituation: Mit seinen Beinen nimmt der Praktiker einen festen Stand ein, er sucht das Gleichgewicht seiner Kräfte für die wache Aktivität seiner therapeutischen Arbeit. Mit den Armen und Händen berührt, streicht, umgreift, drückt er und dringt in die bioenergetischen Dichten des eigenen oder des Körpers seines Klienten ein, nimmt Energie auf, verlagert, glättet, verteilt sie mit jeder Berührung und regt gewisse energetische Bereiche an. Der Energiekörper wird in seiner Form und Aktivität ununterbrochen moduliert. Jede Bewegung, jedes Verharren wirkt auf ihn ein und bestimmt somit das Selbstempfinden und dadurch die Möglichkeiten für weiteres Handeln. Die Energiearbeit stellt insofern lediglich eine aktive und zielorientierte Form dessen dar, was Menschen unentwegt tun, wenn sie sich bewegen oder einander berühren. Die Bedeutung der therapeutischen Behandlung leitet sich demnach aus ihrer Zielgerichtetheit ab, mit der sie energetische Muster zu modulieren sucht.

Georg Zetlmeisl Georg Zetlmeisl
Magister Artium der Sozial- und Geisteswissenschaften, Dozent an den Paracelsus Schulen

FilouPhilo@web.de

Literaturempfehlungen

  • Elias Wolf, Das Buch der 28 Chakren, Schirner Verlag
  • Felicitas Waldeck, Jin Shin Jyutsu, Nymphenburger Verlag
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