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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2015

LERNSTÖRUNGEN bei Kindern ganzheitlich behandeln

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© Picture-Factory - Fotolia.comSo manche Eltern fragen sich: „Warum tut sich mein Kind so schwer beim Lernen?“ In diesem Artikel gebe ich einen Überblick über die naturheilkundlichen Ursachen von Lernstörungen. Leider wird häufig nur über didaktische Maßnahmen nachgedacht und vergessen, dass auch körperliche Störungen das Lernen erschweren oder zu Entwicklungsverzögerungen beitragen können.

Die möglichen Störungen ergeben sich aus den vielfältigen Voraussetzungen für gutes Lernen. Die Naturheilkunde sieht den Körper und die Psyche als Einheit, dargestellt im Dreieck der Gesundheit. Unsere Gesundheit und damit auch die Lern- und Leistungsfähigkeit ist nur so gut wie die schwächste Seite dieses Dreiecks. Jede Schwächung eines Teils des Körpers oder auch der Psyche wird früher oder später die anderen beiden Seiten beeinträchtigen.

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Als Basis ist die Struktur angegeben. Dazu zählen nicht nur die Knochen, Muskeln, Gelenke und Bänder, sondern auch die Struktur gebenden Zellen der Organe. Unter Psyche fällt in diesem Zusammenhang alles, was mit unserem Gemütszustand zu tun hat. Mit Chemie ist der Stoffwechsel unseres Körpers gemeint. In jeder Körperzelle findet eine permanente Aufnahme, Verarbeitung und Ausscheidung der verschiedensten chemischen Stoffe statt. Jede Zelle arbeitet in vielfacher Hinsicht wie eine Chemiefabrik. Wenn sich also ein Kind beim Lernen schwer tut oder Entwicklungsverzögerungen hat, können die Ursachen dafür auf allen drei Seiten des Dreiecks liegen.

Im NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) nach Grinder und Bandler hat man sich u.a. ausführlich damit beschäftigt, was Menschen mit gutem Lernerfolg anders machen als solche, die sich mit Lernproblemen plagen. Neuro steht dabei für das Nervensystem und die Grundlage unserer Wahrnehmung, Linguistik steht für Sprache und Kommunikation im weitesten Sinne, also auch Körpersprache. Programmieren steht für die Möglichkeit, jemandem dabei zu helfen, neue Strategien zur Lösung von Problemen zu entwickeln.

Andere Wissenschaftler haben schon früher herausgefunden, dass wir alle unsere ganz eigene Wahrnehmung, Verarbeitung der Eindrücke und Abspeicherung im Gedächtnis besitzen. Reize werden über die Augen (visuell), die Ohren (auditiv) bzw. über das Gefühl in Form von Tasten, Riechen und Schmecken (kinästhetisch) aufgenommen und verarbeitet. Dabei bevorzugen fast alle Menschen einen Wahrnehmungskanal mehr oder weniger deutlicher als die anderen Kanäle. Während gute Rechtschreiber in der Regel visuelle Menschen sind, die „mit einem Blick“ die Rechtschreibung oder Besonderheiten der Rechtschreibung bei einzelnen Wörtern erfassen und auch visuell im Gedächtnis abspeichern, sind die Menschen mit Lese- oder Rechtschreibproblemen eher auditive Menschen. Da aber über die Hälfte der Wörter anders gesprochen als geschrieben werden, kann man nicht zu einer sicheren Rechtschreibung kommen, wenn man sich die Wörter nur vorspricht. Sie können nicht hören, ob Lohn oder Ton mit oder ohne „h“ geschrieben wird. Das weiß man nur, wenn man das Wort vor seinem inneren Auge sieht. Dann ist das Abschreiben dieses Wortbildes ganz einfach. Bei der Geburt haben wir alle mit dem Gehirn einen absoluten „Supercomputer“ mitbekommen, aber keine Gebrauchsanweisung. Deshalb können wir nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber in der gleichen Situation auch die gleiche Herangehensweise an die Anforderungen durch diese hat wie wir. Darum ist Lernen immer ganz individuell. Der Eine sitzt still und liest es nur durch, während der Andere es sich laut vorsprechen oder sich dabei bewegen will.

Kinder müssen sich von klein auf viel bewegen. Während sie laufen, springen, balancieren, klettern oder im Matsch spielen, trainieren sie die Verarbeitung auch der visuellen und auditiven Eindrücke im Gehirn. Der bekannte Göttinger Hirnforscher und Professor für Neurobiologie Gerald Hüther fordert, dass Kinder dringend praktisch experimentieren müssen, statt nur theoretisches Wissen anzusammeln. Die Kinder schulen dabei das Selbstvertrauen, indem sie diese Herausforderungen meistern. Dieses brauchen sie dringend, wenn es um schwierige oder komplexe Lernaufgaben geht. Sie schaffen sich dabei die notwendigen Voraussetzungen für das dreidimensionale Denken, was eine wichtige Fähigkeit ist und die wir in der Mathematik benötigen. Wenn ich nicht gut rückwärts laufen kann, kann ich schlechter „rückwärts rechnen“, also subtrahieren.

Kinder sind von Natur aus neugierig. Das treibt sie zu immer neuen Unternehmungen an. Die dabei entstehenden Gefühle verbessern die Abspeicherung der Erfahrung. Durch viele Erfahrungen bilden wir unsere Persönlichkeit. Aber die Erfahrungen müssen wir dafür aktiv mit unserem Körper erleben. Passives Konsumieren hilft uns nicht weiter. Aktives Tun befähigt zum Problemlösen und schafft neue Verknüpfungen im Frontalhirn. Diese Verschaltungen werden durch stetes Wiederholen dichter. Was den Kindern gelingt, werden sie gerne immer wieder tun. Und es verstärkt weiter das Selbstvertrauen.

Ursachen im strukturellen Bereich

Im Dreieck der Gesundheit ist mit Absicht die Struktur als Basis eingezeichnet. Unser Gehirn steuert unbewusst permanent ca. 700 Muskeln und 300 Knochen – und das, während wir bewusst gleichzeitig an ganz andere Dinge denken können. Störungen im Bewegungsapparat verbrauchen deshalb mehr Energie als normalerweise, damit ich trotzdem all die Bewegungen ausführen kann, die ich gerade mache – vom Gehen bis hin zu Stift halten. Das kann die Konzentrationsfähigkeit mehr oder weniger stark beeinträchtigen.

Ein schönes Beispiel dafür ist das KISS-Syndrom. Die Bezeichnung KISS für Kopfgelenkinduzierte-Symmetrie-Störung geht auf den Alternativmediziner Dr. Heiner Biedermann zurück. Damit ist gemeint, dass der Kopf nicht freibeweglich auf dem obersten Halswirbel, dem Atlas, als Träger des Kopfes ruht und damit eine Fehlsymmetrie im Körper ausgelöst wird. Als KIDD wird eine Kopfgelenk-induzierte Dyspraxie (Ungeschicklichkeit) oder Dysgnosie (Wahrnehmungsstörung) bezeichnet. Eine KISS kann schon im Mutterleib durch eine ungünstige Lage in der Gebärmutter entstehen. Oft wird es durch die Geburt ausgelöst – vor allem dann, wenn die Kinder während der Geburt stecken bleiben, eine Saugglocke, Zange oder ein Kaiserschnitt benötigt wird. Diese Kinder fallen dann oft schon von Anfang an dadurch auf, dass sie viel schreien, beim Stillen eine Seite bevorzugen und schreien, wenn sie auf die andere Seite gelegt werden.

Sie haben Probleme, sich aufzurichten, das Gleichgewicht zu halten und lernen dadurch später laufen, Fahrrad fahren oder balancieren. Auch die Koordination beider Hände kann eingeschränkt sein, sodass Ball fangen ungelenk aussieht. Insgesamt machen diese Kinder motorisch einen ungeschickten Eindruck, fallen schneller und haben Entwicklungsverzögerungen. Die Feinmotorik kann ebenfalls betroffen sein. Nach einer Behandlung der Kopfgelenke holen die betroffenen Kinder die Entwicklungsverzögerung oft in wenigen Monaten auf.

Nicht nur die Kopfgelenk-induzierte-Symmetrie-Störung kann die Entwicklung beeinträchtigen. Von anderen Ebenen der Wirbelsäule kann sie ebenfalls ausgehen.

Manche Mütter kommen mit ihren Kindern immer mal wieder zur Sprechstunde, weil ich mir die Wirbelsäule der Kinder anschauen soll. Ausgelöst durch einen Sturz, Unfall oder einen Zusammenstoß auf dem Fußballplatz, quengeln und trödeln die Kinder bei den Hausaufgaben. Die Mütter haben beobachtet, dass die Hausaufgaben nach der Wirbelsäulenbehandlung „wie auf Knopfdruck“ schlagartig schneller gehen und die Kinder besser konzentriert sind. Wenn eine gestörte Funktion der Haltemuskulatur der Wirbelsäule, die die seitlich austretenden Nerven beeinträchtigt, die einzige Ursache für die Konzentrationsstörung ist, dann funktioniert diese Behandlung „als würde ein Schalter umgelegt“. So beschrieb es einmal eine Mutter in meiner Praxis.

Durch die Fehlfunktion an der Wirbelsäule wird möglicherweise die Integration der frühkindlichen Reflexe gestört, die nur in einer bestimmten Phase unserer Entwicklung auslösbar sein sollten. Wenn sie weiterhin persistieren, dann stören sie die normale Entwicklung im körperlichen aber auch im psychischen Bereich. So kann eine Symptomatik ähnlich der Aufmerksamkeitsstörung ADS bzw. ADHS möglicherweise auf die Persistenz eines Moro-Reflexes zurückgeführt werden.

Einen Einblick, wie gut es um den Bewegungsapparat eines Kindes bestellt ist, kann man schon dadurch bekommen, indem man das Kind bittet, sich weitgehend unbekleidet mit geschlossenen Füßen einfach mal möglichst gerade hinzustellen. Dabei darf das Kind sich nicht im Spiegel sehen können. Schauen Sie mal ganz genau hin: Sind die Ohren, die Schultern, die Beckenkämme und die Knie auf einer Höhe? Wenn Sie sich eine Linie mittig durch den Körper denken, dann müssen die Nasenspitze, der Bauchnabel und die Mitte zwischen den Fußspitzen auf dieser Linie sein. Nicht die Knochen entscheiden über unsere Haltung, sondern vor allem die Muskulatur, die über die Gelenke gespannt ist und die Knochen durch Anspannen und eine damit einhergehende Verkürzung in eine bestimmte Richtung ziehen. Eine Behandlung der entsprechenden Muskulatur und Gelenke verbessert die Haltung deutlich. Auch bei dieser Behandlung kann es sein, dass der Stoffwechsel oder die Psyche mitbehandelt werden muss. Sie kennen sicher den Ausspruch: Der hat sein Kreuz zu tragen.

Eine Methode, die zur Erforschung der Ursachen sehr gut geeignet ist, ist die Applied Kinesiology (AK). Hauptinstrument der Applied Kinesiology ist die Testung einzelner Muskeln auf die Gegenkraft, die vom Untersucher erzeugt wird. Der amerikanische Arzt und Chiropraktiker Dr. George Goodheart jr. (1918-2008) erkannte, dass sich die Kraft von getesteten Muskeln ändern kann, wenn der Körper stresshaften Reizen durch Störungen an der Wirbelsäule, der Ernährung oder auch im Bereich der Psyche ausgesetzt wurde. Er fand heraus, dass er Schwächen der Muskeln auch durch chiropraktische und osteopathische Techniken beeinflussen konnte. Eine Stärkung schwacher Muskeln konnte aber auch über Akupunktur und Gabe von Vitaminen und Spurenelementen erreicht werden.

Nur wenn alle Muskeln in der richtigen Weise arbeiten können, werden wir eine gute Haltung haben, nicht so schnell ermüden und leistungsfähig sein. Diese gute Muskelfunktion sollte nicht nur im Liegen, sondern auch im Sitzen, Stehen, Gehen und Springen möglich sein. In der AK wird der Körper bewusst strukturellem, chemischem oder emotionalem Stress ausgesetzt, um dabei die Muskelfunktion zu überprüfen. Ein Muskel, der vorher in der richtigen Weise reagiert hat, wird es weiterhin können, wenn der Mensch gesund ist. Ändert sich durch den Reiz die Muskelantwort, dann weiß der Therapeut, dass hier eine Störung vorliegt und wie er sie behandeln muss.

Dr. George Goodheart hat sein Wissen selbstlos an andere weitergegeben und sich nicht um Urheberrechte und Ähnliches gekümmert. Einige seiner Schüler, aber auch andere, die sich berufen fühlten, haben später einige neue Zweige entwickelt, die auch von nicht medizinisch Vorgebildeten angewendet werden, z.B. die angewandte Kinesiologie, Edu-Kinesthetik, Applied Physiology u.a. Die vermittelten Inhalte sind zum Teil ähnlich, teilweise aber auch sowohl vom Testaufbau als auch von den dahinter stehenden Grundannahmen sehr unterschiedlich.

Mit der AK kann der Therapeut auch relativ schnell feststellen, ob das Keilbein, ein Knochen an der Schädelbasis, im osteopathischen (Behandlung der Strukturen des Körpers) Sinne in der Bewegung eingeschränkt ist. Dieses kann sich auf die Augenmotorik auswirken, also die Blicksteuerung in die verschiedenen Richtungen. Das kann das Lesen erheblich erschweren, denn um über die Zeile zu gelangen, benötigt man dann deutlich mehr Blicksprünge (Sakkaden) als normalerweise.

Abb. 2 veranschaulicht dieses Problem. Leser A braucht für die einzelne Zeile über 7 Sekunden, während Leser C nach 1 Sekunde das Ende der Zeile erreicht. Eine Studentin klagte mal darüber, dass sie früher seitenlange Texte problemlos lesen konnte, seit einiger Zeit beim Lesen aber sehr schnell ermüde. Nach der Behandlung des Keilbeines erreichte sie sofort wieder die alte Lesefähigkeit.

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Die Augenmotorik steuert die Feinmotorik und die Zungenmotorik. Ein Kind, welches Probleme mit der Feinmotorik hat, sollte daher unbedingt auf eine Störung der Augenmotorik untersucht werden. Wenn die Augen die Hand bei der Stiftführung nicht gut steuern können, nützt es nicht so viel, Schwungübungen und feinmotorische Übungen zu machen. Zunächst muss die Ursache behoben werden, damit die Übungen anschließend umso erfolgreicher werden und dem Kind leichter fallen. Wenn die Störungen im Bewegungsapparat die einzige Ursache sind, ist die Behandlung dieser Strukturen sicher ausreichend. Im zweiten Teil des Artikels werden Ursachen im Bereich Stoffwechsel und Psyche vorgestellt.

Brigitte Vogt Brigitte Vogt
Heilpraktikerin mit Schwerpunkt Lerntherapie

Brigitte-Vogt@gmx.de

Literatur

  • Weleda Magazin 03/2010 oder Gerald Hüther: Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden. GU Verlag
  • Brigitte Vogt: Lernstörungen bei Kindern. Ursachen ganzheitlich erkennen – nachhaltige Lösungen finden. M.A.M. Verlag
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