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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2016

Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Angstzustände nach Anaphylaxie

Cover

Patient

Herr L., 47 Jahre alt, leitender Angestellter, verheiratet, Vater einer 13-jährigen Tochter.

Die Beziehung zu seiner Frau sei auch nach 18 Jahren sehr harmonisch, die pubertierende Tochter sei folgsam, die Arbeit werde zunehmend durch äußere Strukturen anspruchsvoller, aber für ihn im zu bewältigenden Rahmen. Überstunden fallen wiederkehrend an, es folgen aber dann ruhigere Zeiten. Sein Team sei seit Jahren relativ stabil und zuverlässig.

Herr L. wendet sich an mich, mit dem Wunsch, Autogenes Training (AT) in der Gruppe zu erlernen. Er sei bei seinem Hausarzt gewesen, der ihm dringend geraten habe, „mal entspannen zu lernen“. Seine Frau empfahl ihm AT als Methode. Auf meine Nachfrage erzählte er, dass er vor vier Jahren ein Medikament verschrieben bekommen und nach der Einnahme eine allergische Reaktion hatte. Nun kontrolliert er mehrmals täglich, ob er problemlos schlucken und atmen kann. Er isst sehr hastig, hieraus resultieren Magen-Darm-Beschwerden. Seine Gedanken kreisen zunehmend um dieses Thema.

Beratung

Schon während dieser telefonischen Terminabsprache erkläre ich Herrn L., dass das Erlernen der Methode des Autogenen Trainings in seinem Fall in der Gruppe ungeeignet ist. Ich umschreibe vorsichtig meinen ersten Eindruck einer (beginnenden?) Angstund/ oder Panikstörung und biete ihm Termine in Einzelsitzung an. Mein Vorschlag sind 8 Sitzungen (Standard der Zentralen Prüfstelle Prävention) á 90 Min., 30 Min. hiervon möchte ich für das Gespräch aufwenden, 60 Min. für das Erlernen der Grundstufe Autogenes Training. Herr L. Ist erfreut über diesen Vorschlag und nimmt gern die Termine an.

Anamnese

Bereits in der folgenden Woche findet das Anamnesegespräch statt. Herr L. hatte nach der besagten Medikamenteneinnahme (Antibiotikum) einen anaphylaktischen Schock und war stationär aufgenommen worden. Damals war er mittels Infusion behandelt worden und über Nacht stationär geblieben.

Am Folgetag waren alle Hauteffloreszenzen verschwunden und Herr L. wurden noch weitere 3 Tage Arbeitsunfähigkeit attestiert. Bereits in diesen Tagen fasste er sich beim bewussten Schlucken immer wieder an den Kehlkopf und atmete bewusst immer tiefer ein; er beschrieb annähernd Situationen, in denen er nahezu hyperventilierte. Im Verlauf begann er, Bonbons und Kaugummi zu meiden aus Angst, diese könnten im zuschwellenden Hals vor Schreck steckenbleiben. Beim Essen sei er immer hektischer geworden, immer kleinere Bissen würde immer hektischer und immer weniger gekaut hinuntergeschluckt. Hieraus resultieren inzwischen auch Magenschmerzen, Völlegefühl, Sodbrennen und neuerdings auch Obstipation im Wechsel mit Diarrhoe. Eine hausärztliche Abklärung erfolge seit Anfang des Jahres (es war September) in immer kürzer werdenden Abständen. Blutabnahmen, Magen- und Darmspiegelung und erneute Anfragen nach Unverträglichkeiten beim Arzt begleitet vom Wunsch nach Stuhl- und Urinuntersuchungen seien in nahezu wöchentlichem Abstand erfolgt. Ausflüge mit der Familie sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, da sichergestellt werden muss, dass Toiletten und ein Krankenhaus in der Nähe sind und keinesfalls ein Stau auf der Autobahn einen Stillstand im Auto verursacht. Vom Hausarzt verordnete Notfallmedikation: Cortisontabletten. Natürlich fühlt er sich damit nicht sicher, da er diese im Notfall nicht schlucken kann!

Ansonsten ist Herr L. körperlich und geistig gesund, ein aktuelles Blutbild ist ohne Befund, Impfstatus regelrecht, Vorsorgen beim Urologen erfolgen in zweijährigem Abstand: o.B., Zahnstatus saniert: o.B., EKG in Ruhe und Belastung: o.B., Blutdruck und Puls: o.B., Pupillen isokor, keine Medikamenteneinnahmen, die psychische Befindlichkeit in drei Adjektiven: besorgt, angstvoll, verunsichert. Kein nennenswerter Alkoholkonsum, keine Drogen, keine Medikamente, kein Nikotinabusus, keine psychischen/ psychiatrischen Erkrankungen in der Eigen- und Familienanamnese, keine familiären Suizide, keine eigene suizidale Gefährdung.

Therapie

Es folgen 8 Termine á 90 Min. mit ausführlicher Psychoedukation und umfassender Aufklärung eines von ihm befürchteten anaphylaktischen Schocks. Aufklärung der anatomischen Aspekte – enorm beruhigend war für ihn, dass die Luftröhre vor der Speiseröhre liegt – für den Fall einer drohenden Intubation. Zunahme der Zuversicht in die Fähigkeit, den eigenen Körper autark regulieren zu können, Erklärung von Sympathikus und Parasympathikus, Stress und Steinzeit, Adrenalin und Ruhephase, Säbelzahntiger … etc. Trainingsaufgabe: zweimal täglich 10-20 Min. das AT zu trainieren.

Nach der vierten Stunde war Kaugummikauen möglich, die Mahlzeiten wurden wieder ruhiger eingenommen, die Magen- Darm-Beschwerden reduzierten sich, es gab keine nächtlichen Störungen mehr zwecks Überprüfung der Vitalfunktionen.

In der Zeit bis zur sechsten Stunde war es möglich, den Hausarzt um die Verordnung eines Epinephrin-Injects zu bitten, ein Werkzeug, mit dem sich (u.a. Bienen- und Wespengift-) Allergiker im Notfall behelfen, da das Medikament injiziert wird, nicht oral eingenommen werden muss.

Zur achten Stunde erschien ein entspannter, zuversichtlich lächelnder Herr L., der noch immer nicht glauben konnte, dass er seinen Fähigkeiten vertrauen kann. Immer wieder betonte er, dass er dank AT wieder Vertrauen in die Abläufe seines Körpers hatte und dass er dies noch nicht fassen könne. Ein Feedback nach weiteren acht Wochen war positiv, ein Wochenend-Trip nach Holland war in Planung, die Magenbeschwerden kaum mehr zu erwähnen. Der Schlaf sei tiefer und erholsamer, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stabiler als je zuvor. Es gab keine Einschränkungen des Alltags mehr.

Patricia Sprave Patricia Sprave
Heilpraktikerin für Psychotherapie und Heilpraktikerin

praxis@beziehungsweise-home.de

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