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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2017

Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Flugangst

Cover

Klient

Bernd, 46 Jahre Bernd kommt auf Empfehlung zu mir. Als erfolgreicher Geschäftsmann nutzt er das Flugzeug. Aber: Er leidet unter Flugangst.

Anamnese

„Schon beim Packen meines Koffers überkommt mich die Angst. Mir wird dabei übel. Ich sehe mich eingeschlossen im Flieger sitzen, wie ich Stunden ausharre, bis ich wieder raus kann“, erklärt mir Bernd bei unserem ersten Treffen. Dennoch steigt er immer wieder in den Flieger und erträgt seine Furcht heroisch, was darauf hindeutet, dass seine Angst nicht krankhaft ist. Denn weder ist Bernds Handlungsfähigkeit eingeschränkt, noch beherrscht die Angst vor dem Fliegen seinen Alltag. Wenn er sich auch unwohl fühlt, seine Gefühlswelt ist nicht dauerhaft belastet. Die Flugangst tritt nicht ohne Grund auf, sondern nur, wenn ein Flug kurz bevor steht.

Im Erstgespräch gehen wir die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten durch. Da seine Angst nicht krankhaft ist, erwägen wir den Kurs „Selbstcoaching mit EMDR“. Während des Workshops, den ich jeweils mit nur einem Teilnehmer durchführe, wird das aktuelle Thema intensiv bearbeitet, und gleichzeitig lernt der Klient, wie er sich in zukünftigen belastenden Situationen selbst mit EMDR helfen kann.

Therapie

Bernd entscheidet sich für den dreistündigen Intensiv-Workshop. Eine Woche nach unserem Erstgespräch sitzt er in einem bequemen Sessel vor mir. „Bevor wir beginnen, erkläre ich Ihnen noch ein wichtiges Hilfsmittel. Eine EMDR-Sitzung geht in der Regel mit schnellen Augenbewegungen einher. Normalerweise würde ich vor Ihren Augen mit meiner Hand winken und Sie auffordern, meinen Handbewegungen mit Ihren Augen zu folgen. So stelle ich sicher, dass Sie die Augenbewegungen korrekt ausführen. Da wir heute einen Selbstcoaching-Workshop durchführen, damit Sie sich zukünftig mit EMDR auch selbst helfen können, benutzen Sie eine EMDR-Brille, die Sie exakt anleitet.“

Funktionen und Bedienung der EMDR-Brille sind schnell erklärt, und ich beginne den EMDR-Selbstcoaching-Prozess: „Bernd, wenn Sie an Ihre Flugangst denken, welche Vorstellung belastet Sie am stärksten?“

„Ich fühle mich schon unwohl, wenn ich einen neuen Flug plane. Spätestens am Gate schlägt mein Herz richtig schnell und ich schwitze verstärkt. Im Flieger ist mir schlecht und ich würde am liebsten sofort aussteigen. Geht aber nicht“, erzählt Bernd.

„Stellen Sie sich jetzt bitte vor, wie Sie im Flugzeug auf Ihrem Platz sitzen, angeschnallt“, fordere ich meinen Klienten auf.

Bernd schaut bekümmert: „Ja, das reicht aus. Da ist sie, meine Angst; mir wird übel!“

Ich hake nach: „Bitte bewerten Sie das Ausmaß Ihrer Angst auf einer Skala von 0 bis 10“ – „3 bis 4“, lautet die Antwort.

„Wo genau spüren Sie jetzt Ihre Angst vor dem Flug?“, frage ich.

Bernd windet sich im Sessel: „Im Magen, auch ein wenig in den Schläfen, ein leichter Druck ist da. Außerdem spüre ich ein Zittern in meinem rechten Bein.“

Ich reiche ihm die EMDR-Brille: „Bitte setzen Sie jetzt die Brille auf, und starten Sie diese.“

Bernd lehnt sich mit der aufgesetzten Brille im Sessel zurück und startet eine Anwendung. Ich spreche weiter: „Folgen Sie mit Ihren Augen dem Lichtimpuls der Brille und atmen Sie ruhig weiter. Nach 30 Sekunden endet die Stimulation automatisch! Behalten Sie die Brille dann auf.“ Nach dem ersten Durchgang sitzt der Klient ruhig da. Ich frage: „Was ist jetzt?“

„Ich bin nicht sicher, aber das Zittern im Bein hat aufgehört. Mein Magen fühlt sich noch flau an. Der Druck in den Schläfen hat abgenommen. Ich denke aber, dass ich jetzt ein Gewicht auf meiner Brust spüre.“

„Gehen Sie damit weiter und starten Sie die Brille erneut“, sage ich nur. Nach 30 Sekunden frage ich wieder. „Was ist jetzt?“

„Mein Magen ist ruhig, der Druck an den Schläfen ist verschwunden. Das Gewicht auf meiner Brust ist nach oben gewandert, meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt.“

Wieder fordere ich: „Gehen Sie damit weiter!“

Er startet die Brille aufs Neue. 30 Sekunden später verzieht sich sein Mund zu einem unsicheren Grinsen: „Jetzt ist das Gefühl an meiner Kehle verschwunden. Ich spüre nichts Unangenehmes mehr.“

Ich bitte Bernd, an die Situation, wie er im Flugzeug sitzt, zu denken. Er nimmt die Brille ab und schaut mich an: „Das ist verrückt! Ich sehe mich selbst, wie ich dort sitze und mich neugierig umschaue. Aber irgendwie bleibt in mir alles ruhig; ich spüre keine Angst.“

„Bewerten Sie jetzt das Ausmaß Ihrer Belastung auf einer Skala von 0 bis 10!“ Mein Klient schaut mir in die Augen und sagt: „0, da ist keine Belastung mehr!“

Bernd fliegt seitdem ohne Angst, wenn auch mit „bewusster Achtsamkeit“, wie er es nennt.

Anmerkung

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist im Ursprung eine Trauma-Therapie. Der EMDR-Selbstcoaching-Prozess unterscheidet sich vom EMDR-Standard-Protokoll und kommt bei Alltagsbelastungen, wie Angst, Stress und mentalen Blockaden, nur dann zur Anwendung, wenn diese nicht krankhaft sind.

Thomas BuhlThomas Buhl
Heilpraktiker für Psychotherapie, EMDR- und Trauma-Therapeut

buhl@remstim.com

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