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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2017

Burnout – Keine psychische Erkrankung?

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© opticaltech I Fotolia.comMit diesem Artikel versuche ich eine Antwort darauf zu finden, ob die gegenwärtige Einstufung des Burnout-Syndroms innerhalb des internationalen Klassifikationssystems ICD-10 die Wertigkeit des Leidensdrucks der Betroffenen abbildet und insoweit angemessen ist.

Das Burnout-Syndrom (auch Erschöpfungssyndrom) ist eine stark zunehmende Diagnose. Das ist nicht nur der Presse zu entnehmen – auch die praktische Erfahrung spiegelt das wider. Ich begegne in meiner Praxis vermehrt solchen Klienten.

In der international gültigen Klassifizierung ICD-10 ist dieses Syndrom nicht eigenständig erfasst. Es findet sich nicht in der Kategorie F für psychische Erkrankungen, wie man vermuten könnte, sondern unter Z73 als „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. In der amerikanischen Klassifikation DSM-V ist das Syndrom überhaupt nicht zu finden. Eine Abgrenzung zum Chronique-Fatigue-Syndrom (CFS) erfolgt nicht. Die Wissenschaft hält eine Abgrenzung derzeit für schwierig, da es bei den Symptomen zu Überlappungen kommen kann.

Unzweifelhaft haben berufliche Anforderungen in den letzten Jahren zugenommen. Das äußert sich in einem wachsenden Leistungsdruck, insbesondere aber auch in der Anforderung, Ergebnisse oder Ziele in immer kürzerer Zeit zu erreichen. „Produktivitätssteigerung“ nennt sich das. Demzufolge finden wir häufig das Diagnosemerkmal: „Stress am Arbeitsplatz“. Ein Erschöpfungssyndrom basiert jedoch oft auf „multifaktoriellen Ursachen“, wie z.B. zusätzlichen Kommunikations- und Interaktionsproblemen innerhalb der Familie oder des sozialen Umfeldes.

Stress am Arbeitsplatz entsteht zumeist aus einer fehlenden oder falschen Reaktion des Arbeitnehmers auf eine Aktion des Arbeitgebers oder Vorgesetzten. Natürliche Ressourcen, die eine angemessene und authentische Reaktion des betroffenen Arbeitnehmers ermöglichen könnten, werden durch Leistungsdruck und emotionale Gebundenheit blockiert. Es fehlt das Bewusstsein für folgende, durchaus mögliche Reaktionen: sich abgrenzen; sich selbst wertschätzen und schützen, auch einmal „Nein“ sagen können oder den Kompromiss suchen und vereinbaren. Das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis des Klienten sowie die Objektivierung seiner „Funktion“ im betrieblichen Beziehungsgeflecht spielen eine maßgebliche Rolle. Ebenso die Konfliktlösungskompetenz.

Mit dieser Einschätzung geht meine Überlegung zu einer sinnvollen Einstufung des Burnout-Syndroms dann schon in Richtung einer „psychogenen Störung“. Die Entwicklungsgeschichte des Klienten ist beteiligt, das Lernverhalten ist ursächlich verantwortlich.

Zugegeben: Es ist nicht immer einfach, sich abzugrenzen sowie klar und authentisch zu kommunizieren oder zu agieren. Es gibt sicherlich Situationen, in denen das außerordentlich schwierig ist.

Syndrom-Merkmale

Die Symptome eines Burnout-Syndroms können vielfältig sein. Neben dem Gefühl von emotionaler Bedrängnis und innerer Leere, der Neigung zum Grübeln, Angst und Depression ist auch ein sozialer Rückzug möglich. Alles erzeugt irgendwann einen hohen Leidensdruck. Tatsächlich ist das Burnout-Syndrom ein beträchtlicher, subjektiv empfundener Leidenszustand. Dieser birgt zudem die Gefahr, in mittelschwere psychische Erkrankungen hineinzulaufen.

Eine Einstufung nach Z73 (ICD-10) wird der Bedeutung des Syndroms insofern nicht gerecht, da es mit folgenden Merkmalen eher zu einer niedrigschwelligen Störung im Verhaltensbereich verbunden wird:

  • Mangel an Entspannung oder Freizeit
  • sozialer Rollenkonflikt
  • unzulängliche soziale Fähigkeiten
  • körperliche oder psychische Belastung ohne nähere Angaben

Der hohe subjektive Leidensdruck sowie eine große Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung mittelschwerer psychischer Störungen werden nicht ausreichend gewichtet.

Ein transparentes Gesundheitswesen erfordert bei einer Klassifizierung von Erkrankungen über Diagnoseschlüssel eine klare Differenzierung und die Möglichkeit der eindeutigen Zuordnung. Nur so ist es auch dem behandelnden Arzt oder Therapeuten möglich, Auswirkungen zu erkennen und zielgerichtet einzugreifen.

Ich plädiere aufgrund der möglichen, beachtlichen psychischen Begleitfaktoren für eine F-Diagnose. Den richtigen Diagnoseschlüssel gibt es schon. Es sind die Anpassungsstörungen unter F43.2. Eine Abgrenzung zu schweren oder posttraumatischen Belastungsstörungen ist ohne weiteres möglich. Eine Klassifizierung als Anpassungsstörung kann deshalb erfolgen, weil es sich bei den Ursachen in der Regel um eingeschränktes Selbstwertgefühl, Kompetenzdefizite, fehlendes oder falsches Interaktionsverhalten und in seltenen Fällen zusätzlich um spezielle Persönlichkeitsmerkmale handelt. Die F-Diagnose wäre der Schlüssel für zielgerichtetes Handeln in Therapie und Coaching.

Rainer WieckhorstRainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Reinbek, Experte für Kommunikation, Angst- und Panikstörungen
info@balance-concept.de

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