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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2018

Aromatherapie

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© llhedgehogll I fotolia.comÄtherische Öle auf der Überholspur

Sehr erfreulich ist, dass in letzter Zeit komplementäre und naturheilkundliche Ansätze auch im medizinischen Bereich wieder mehr Beachtung finden. Ich stelle z.B. fest, dass bislang schulmedizinisch dominierte Institutionen, wie Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen und Krankenhäuser, ein wachsendes Interesse an Aromatherapie-Ausbildungen zeigen. Das liegt einerseits sicher an der steigenden Anzahl von Studien und positiver Erfahrungen weltweit; andererseits könnte auch unser Bestreben nach möglichst nebenwirkungsfreier Heilung oder natürlicher Gesundheitsvorsorge ein dafür Grund sein. Erstaunlich finde ich es, dass Anwendungen mit ätherischen Ölen bei Heilpraktikern – im Vergleich zu den Bereichen Pflege, Klinik und Wellness – oft wenig bekannt sind, obwohl es sich doch um eine naturheilkundliche Methode handelt! (Ätherisch stammt vom griechischen „aither“, womit in der Mythologie der Sitz der Götter oder die Seele der Welt bezeichnet wurde.)

Was verstehen wir unter Aromatherapie und ätherischen Ölen?

In Europa gilt der französische Chemiker René Maurice Gottefossé (1881-1950) als Begründer der modernen Aromatherapie. Er verbrannte sich bei einem Laborunfall und behandelte seine Wunden mit Lavendelöl, woraufhin die Verletzungen schnell und ohne Vernarbungen abheilten. Dies faszinierte Gottefossé und regte ihn zu intensiver Forschung an.

In Deutschland zählt die Aromatherapie heute zur Phytotherapie, sie ist kein eigenes Gebiet der Heilkunde. Es kommen ausschließlich rein pflanzliche Produkte zur Anwendung: ätherische Öle, ihre Hydrolate sowie fette Öle. Diese Pflanzenextrakte könnte man auch als das Konzentrat, die duftende Seele oder das „Blut“ der Pflanzen bezeichnen. Sie sind frei verkäuflich und können unter Beachtung bestimmter Einschränkungen von jedem benutzt werden.

Besteht bei der Anwendung eine therapeutische Absicht, sind nur Ärzte und Heilpraktiker zur Durchführung berechtigt. Beratungen zur Aromatherapie dürfen auch in Apotheken angeboten werden. In allen übrigen Bereichen (Wellness, Kosmetik, Pflege) darf mit ätherischen Ölen nicht gezielt therapiert werden! In diesen Fällen dienen die Öle zur Unterstützung des Wohlbefindens, der Schönheitspflege oder der Anregung der Selbstheilungskräfte. Zur Abgrenzung trägt die Anwendung hier oft andere Namen, wie z.B. Aromapflege oder Aromapraxis.

Prof. Dr. Dr. Wabner schreibt in seinem Buch: „Beim Betrachten der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur kann man also fern aller Esoterik sagen: Aromatherapie ist eine rationale Therapie mit pflanzlichen Ölen und Wässern mit den drei Therapiewegen intern, nasal, percutan“.1)

Was ist das Besondere der Aromatherapie/Aromapflege?

  • Sie riecht sehr gut.
  • Sie hat bei richtiger Anwendung keine (oder nur geringe) Nebenwirkungen.
  • Sie ist preisgünstig.
  • Sie basiert auf mehreren Tausend Jahren Erfahrung, ihr Nutzen wurde inzwischen in Hunderten von wissenschaftlichen Arbeiten belegt.
  • Sie wirkt sogar gegen resistente Keime wie MRSA.1)

Ätherische Öle sind generell keine Arzneimittel! In der Erfahrungsmedizin haben sich Pflanzenextrakte jedoch seit Jahrtausenden bewährt. Und die Forschung bringt immer neue Erkenntnisse ans Tageslicht. Nicht zuletzt deshalb sind ätherische Öle heute zumindest Bestandteil von ca. 2000 Arzneimitteln.

Längst sind noch nicht alle Inhaltsstoffe und Wirkmechanismen der Pflanzenessenzen bekannt, und oft fehlen noch ausreichende wissenschaftliche Belege zur Anerkennung der Wirksamkeit. Das wird nachvollziehbar, wenn wir uns vor Augen halten, dass Lavendelöl ca. 170 Inhaltsstoffe hat und Rosenöl sogar über 400. Im Gegensatz dazu sind synthetische Medikamente mit nur einem oder wenigen Wirkstoffen recht simpel aufgebaut. Trotzdem schreitet die Erforschung stetig voran und erbringt zahlreiche interessante Ergebnisse.

Einer der weltweit anerkanntesten Duftforscher ist Prof. Dr. Dr. Dr. med. Hans Hatt (Uni Bochum). Er legt sehr anschaulich dar, dass unser gesamtes Leben über Düfte gesteuert wird und wir sogar unsere Genetik über Duftmoleküle wahrnehmen.2) So ist auch bekannt, dass bereits 0,2 Sekunden nach Auftreffen von Duftmolekülen auf der Riechschleimhaut in der Nase bereits psychische Reaktionen eintreten. Jeder Therapeut sollte das wissen!

Prof. Hatt war auch der Erste, der ab 1999 aufzeigte, dass im menschlichen Körpergewebe überall Duftrezeptoren vorkommen und hier eventuell sogar Ansätze für neue (komplementäre) Krebstherapien entstehen könnten.3) Er stellte fest, dass Tumorzellen bis zu 1000 Mal mehr „Riechrezeptoren“ haben als gesunde Zellen. Ein Forscherteam um Prof. Hatt konnte 2017 an Zellkulturen belegen, dass das Duftmolekül Treonan (Ligusterduft) an den Duftrezeptor OR51B4 im Enddarm andockt, dort das Wachstum von Krebszellen vermindert und die Zellen absterben.4)

Seit wenigen Jahren ist es in Deutschland auch möglich, bei chronischen Infektionskrankheiten und Infektionen mit multiresistenten Keimen wirksame ätherische Öle mittels Aromatogramm testen zu lassen. Schon 1979 veröffentlichte der französische Arzt Paul Belaiche seine Forschungen über ätherische Öle mit starker antibiotischer Wirkung. Auch neuere Untersuchungen, wie die von Prof. Wabner an einem Münchner Krankenhaus, bestätigen diese Erkenntnisse und haben sie für unseren heutigen medizinischen Alltag anwendungstauglich gemacht.

Zu den interessanten Ölen gegen pathogene Keime gehören u.a. Teebaumöl, Thymian, Lemongrass, Manuka, Oregano, Rosmarin, Eukalyptus, Zimt und Nelke. Für ein Aromatogramm werden die entsprechenden Erreger auf einen Nährboden aufgebracht, in den auch mit unterschiedlichen Ölen getränkte Plättchen gelegt werden. Wenn ein Öl wirksam gegen den Erreger ist, bildet sich um das Plättchen herum ein „Hemmhof“. Der Arzt oder Therapeut bekommt dann vom Labor Anwendungsempfehlungen, je nach Sitz des Erregers im Körper. Damit wird auch dem unerfahrenen Therapeuten erstmalig die Möglichkeit eröffnet, ätherische Öle gezielt in seine Therapie einzubinden.

Welche Qualitätsunterschiede gibt es?

Für eine verantwortungsvolle Arbeit, sowohl in der Aromatherapie wie auch in der Aromapflege, sollten wir Qualitätsunterschiede beachten. Leider sind viele im Handel erhältliche Öle nicht nebenwirkungsfrei für die direkte Arbeit am menschlichen Körper geeignet.

Qualitätsklassen im Überblick:

  • Künstliche (naturidentische) Öle:
    Sie sind künstlich ohne natürliches Gegenstück, es wird nur ein Geruch erzeugt.
  • Natürliche Öle:
    Sie sind teilweise auch in Bio- oder Demeter-Qualität erhältlich, jedoch sind nicht immer 100% der namensgebenden Pflanze enthalten. Diese Öle beinhalten oft auch sehr hohe Anteile an Alkohol oder billigeren, fetten Ölen und sind damit teilweise gestreckt.
  • Naturbelassene (genuine) Öle:
    Sie enthalten 100% der namensgebenden Pflanze und werden mit sehr schonenden Herstellungsverfahren gewonnen. Entscheidend sind auch das Saatgut selbst, Pflanzentyp, Anbau und Ernte der Pflanze.

Nicht alle Öle werden mittels Dampfdestillation gewonnen. Bei manchen Pflanzen, z.B. Jasmin oder Neroli, müssen aufwändigere Verfahren, teilweise mit flüchtigen Extraktionsmitteln wie Hexan oder Alkohol, eingesetzt werden. Diese Öle werden als Absolues bezeichnet. Bei anderen Verfahren, wie z.B. der CO2-Extraktion, ist ein sehr hoher Druck erforderlich. Nicht immer schonen die verwendeten Verfahren die sensiblen Pflanzenstoffe optimal, sie sind deshalb z.T. umstritten oder bewirken Einschränkungen in der Nutzung des gewonnenen Öls. Hier ist eine strenge Rückstandskontrolle durch die Herstellerfirmen nötig!

Leider gibt es keine weltweit einheitlichen Siegel. Somit muss der Nutzer so viele Informationen wie möglich über die Firmenphilosophie des Herstellers einholen, auf Erfahrungen anderer aufbauen und eventuell sogar selbst einmal eine Destillation miterleben. So habe ich mir vor drei Jahren Anbau, Kultivierung und Destillation von Immortellen-Produkten in Kroatien angesehen.

Im Rahmen der eigenen Weiterbildung zur Aromatherapie lohnt es sich auch, sich nicht nur an Fachliteratur deutschsprachiger Autoren zu orientieren, da es in vielen Regionen der Erde hervorragende, langjährige Anwendungserfahrungen und Studien gibt. Ein Autorenteam aus Pakistan z.B. hat im Mai 2017 eine Zusammenstellung aus über 100 wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht, mit den Schwerpunkten:

  • Epilepsie und weitere Krampfleiden
  • angstlösende Eigenschaften
  • Lernverhalten und Gedächtnis
  • Demenz
  • Anti-Amyloid-Effekt bei Nervenzellen
  • oxidativer Stress

Zusammenfassend schreiben die Autoren (frei übersetzt): „Ätherische Öle sind bei fast allen bisher bekannten pathologischen Zielen der Alzheimer-Demenz wirksam. Ätherische Öle haben ebenso ein neuroprotektives und Anti-Aging-Potenzial und sie sind wirkungsvoll bei weiteren Formen der Demenz sowie bei Epilepsie, Angststörungen und anderen neurologischen Erkrankungen.5)

Manchmal tun wir uns im Alltag jedoch schwer damit, auch solches Wissen vorbehaltlos anzunehmen und im Rahmen unserer rechtlichen Regelungen einzusetzen. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die vor über 30 Jahren in Amerika entwickelte, bei uns aber immer noch recht unbekannte „Raindrop-Technique-Massage“.

Sie eignet sich hervorragend sowohl für den Wellnessbereich wie auch für die Therapieunterstützung. Ich habe diese Massageform in elf Jahren über 1000 Mal durchgeführt und auch in meinen Ausbildungen miterlebt. Bei kaum einer anderen Anwendung mit ätherischen Ölen habe ich so viel positives Feedback erfahren und diese bei uns unübliche Anwendungsform schätzen gelernt. Die Massage wird mit neuen verschiedenen ätherischen Ölen an Füßen und Rücken durchgeführt. Sie ist ein Feuerwerk für alle Sinne und unterstützt das Bestreben unseres Körpers, gesund zu bleiben.

Die Anwendung ätherischer Öle ist ein interessanter Zweig der Naturheilkunde und der Wellnessbranche. Sie können die Arbeit in diesen Bereichen erheblich bereichern. Wer einmal davon fasziniert ist, wird die wundervollen Düfte in der eigenen Arbeit nicht mehr missen wollen.

Holger TilleHolger Tille
Wellnesstrainer, Aromapraktiker, Dozent der Paracelsus Schulen

h.wellness@icloud.com

Quellen

1) Wabner, Dietrich und Beier, Christiane: Aromatherapie. Urban & Fischer, 2012
2) www.br.de/mediathek/video/profr-medhanns-hatt-immer-der-nase-nachwie-duefte-unser-leben-bestimmenav:584f883c3b467900119e50d5
3) https://idw-online.de/de/news669883
4) Lea v. Weber et al. PLOS One. 2017. DOI: 10.1371/journal.phone.0172491
5) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5447774/pdf/fnagi-09-00168.pdf

Literaturempfehlungen

  • Wabner, Dietrich & Theierl, Stefan: Klinikhandbuch Aromatherapie
  • Steflitsch/Wolz/Buchbauer: Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis
  • Young, Gary: Ätherische Öle Nachschlagewerk (German Essential Oils Desk Reference 6th Edition)
  • Zimmermann, Eliane: Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe

Foto: © llhedgehogll I fotolia.com

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