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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2013

Osteopathie bei Multipler Sklerose

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Bei der Multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung des ZNS, in deren Verlauf es zu Schädigungen am Myelin kommt, was zu mehr oder weniger ausgeprägten Symptomen wie Fatigue, Parästhesien, muskulärer Spastik, Opticusneuritis, Blasenentleerungsstörungen, Obstipation oder ataktischen Gangmustern führt.

Die Verläufe sind bei den Erkrankten zum Teil sehr unterschiedlich, zu Beginn dominiert der schubförmige Verlauf, der im Lauf der Jahre in einen sekundär progredienten Verlauf transformieren kann. Die Erstmanifestation liegt in der Regel vor dem 50. Lebensjahr und es sind deutlich mehr Frauen als Männer betroffen.

Was kann die Osteopathie, die sich mit der manuellen Behandlung von funktionellen Störungen beschäftigt, bei Multipler Sklerose leisten? Natürlich kann man mit einem solchen Behandlungsverfahren eine Autoimmunopathie nicht heilen, unter Umständen aber eine ganze Menge zur Verbesserung der beklagten Symptome beitragen. Die Osteopathie fußt u.a. auf der Grundannahme, dass der Körper eine Funktionseinheit ist, dass sich die Funktion und die Körperstruktur gegenseitig beeinflussen und dass der Organismus die Fähigkeit der Autoregulation besitzt.

In meiner Praxis betreue ich seit fast 20 Jahren Betroffene aus dem gesamten deutschsprachigen Raum mit einem eigens entwickelten multimodalen Therapiekonzept, bei dem verschiedene Verfahren wie Diätetik, Mikronährstoffe und Entgiftungsverfahren miteinander synergistisch kombiniert werden. Jeder weitere Patient und jedes weitere Jahr in meiner Praxis bestärken mich in meiner Überzeugung, dass es sich bei der MS nicht um ein monokausales Geschehen handelt, sondern dass es eine Vielzahl möglicher Ursachen bzw. krankheitsverstärkender Faktoren gibt. Diese zu erkennen und den Betroffenen so individuell wie möglich zu behandeln, ist die aus meiner Sicht entscheidende Grundlage, um befriedigende Ergebnisse zu erzielen.

Ein wichtiger Baustein dieses Therapiekonzeptes ist die Osteopathie. Das hat verschiedene Gründe: Einerseits handelt es sich bei der Osteopathie immer um eine Individualbehandlung, da jeder Patient mit seinem Bewegungsapparat, seinem Verdauungs- oder Nervensystem einzigartig ist. Damit meine ich natürlich nicht seine Anatomie, sondern die individuellen Veränderungen, die durch das Leben und die Erkrankung in Funktion und Struktur entstanden sind. Zweitens ist die Osteopathie eine Behandlung, die Bezug nimmt auf die Selbstheilungskräfte jedes Einzelnen und mit diesen in Interaktion tritt. Drittens – und das ist der wichtigste Grund für die Arbeit in der täglichen Praxis – werden Sie bei genauer Beobachtung und Untersuchung der Ihnen anvertrauten Menschen immer wieder feststellen, dass durchaus nicht alle der beklagten Symptome tatsächlich auch durch die MS verursacht werden.

Viele sind funktionell (mit-)bedingt und genau das ist der Ansatz, bei dem die Osteopathie so erfolgreich eingesetzt werden kann. Obwohl die Multiple Sklerose bis heute das OEuvre des Ausgeliefertseins hat, werden Sie feststellen, dass man viele Symptome lindern, gestörte Funktionen verbessern und so der Erkrankung den Stachel nehmen kann.

Dieser Artikel liefert Ihnen – wie alle meine Artikel zu diesem Thema – kein fertiges „Kochrezept“ zum Thema Multiple Sklerose. Einfach deswegen, weil es keines gibt. Vielmehr möchte ich Sie neugierig machen. Neugierig darauf, was Sie mit Ihrem Kopf, Ihren Händen und Ihrem Herzen tun können, um den Betroffenen zu helfen. Außerdem möchte ich Ihre Sichtweise auf MS-Symptome erweitern, damit Sie sich stets fragen: „Was außer der MS kann noch für dieses Problem (mit-)verantwortlich sein?“ Am Beispiel der Fußheberschwäche möchte ich Ihnen diesen Ansatz verdeutlichen.

Fußheberschwäche

Die wesentliche Arbeit beim Heben der Füße leistet der M. tibialis anterior, der vom N. peronaeus profundus innerviert wird, einem Ast des N. peronaeus communis, letztendlich erfolgt die Innervation also aus dem N. ischiadicus und dem Segment L4-L5.

Etwa 2/3 der in meiner Praxis untersuchten MS-Patienten mit dieser Diagnose haben weniger einen „schwachen“ Fußheber, als vielmehr einen verkürzten M. tibialis anterior mit massivem Muskelhartspann und druckdolenten Triggerpunkten. Ein solcher Muskel kann keine Ausdauerleistung entwickeln, weil er sich in einem Zustand befindet, als hätte er gerade einen Marathonlauf hinter sich gebracht. Zusätzlich finden sich bei diesen Patienten sehr häufig Defizite bei den für die Regulation der Muskelspannung essenziellen Elementen Magnesium, Kalium, Kupfer, Calcium und Natrium. Um dem auf die Spur zu kommen, sollten Sie die ersten drei im heparinisierten Vollblut und die letzten beiden im Serum untersuchen lassen und bei Mängeln bis zur Befundnormalisierung substituieren.

Ich lasse diese Untersuchungen im Labor GanzImmun/Dr. Ralf Kirkamm in Mainz durchführen.

Sie werden bei diesen Patienten, zumindest wenn die Störung schon länger vorliegt, funktionelle bzw. morphologische Veränderungen im Bereich der unteren LWS und des Beckens finden, z.B. Bandscheibenprotrusionen bei L4-L5-S1, ISG-Blockaden oder schmerzhafte und verspannte Hüftbeuger.2013-03-Osteo1 Bitte erinnern Sie sich daran, dass der N. peronaeus Ast des N. ischiadicus ist: Dieser verlässt die Wirbelsäule im Segment L4-L5 und kann u.a. von hypertoner Hüftbeugermuskulatur in seiner Funktion eingeschränkt werden!

2013-03-Osteo2Je nach individuellem Status ist es sinnvoll, den M. tibialis anterior mittels Friktionsmassage bzw. Triggertechnik (Foto 1) zu behandeln.

Oft unterstütze ich die spasmolytische Wirkung mit dem Baunscheidtverfahren (Foto 2), das die arterielle Durchblutung bzw. den Lymphabfluss in diesem Bereich wesentlich verbessern kann.

2013-03-Osteo3Da an der Funktion des Gehens natürlich auch die Knie und die Oberschenkel beteiligt sind, ist es hier nicht selten notwendig, die Patella (Foto 3) bzw. den Tensor fascia lata (Foto 4) mitzubehandeln.

2013-03-Osteo4Diese meist schmerzhaften parietalen Techniken können die Beweglichkeit und die Kontrolle des betroffenen Beines verbessern. Um den N. ischiadicus zu entlasten, kann es notwendig sein, eine bestehende ISG-Blockade zu beseitigen.

2013-03-Osteo5In meiner Praxis hat sich dafür eine sanfte Technik gut bewährt, bei welcher der sogenannte Scherengriff aus der craniosacralen Osteopathie mit der Behandlung des atlanto-occipitalen Übergangs C0-C1 kombiniert wird (Foto 4a/5).

2013-03-Osteo6Die oft schmerzhaften Hüftbeuger können mit einer Mischung aus Friktionsmassage und Triggerpunkttherapie (Foto 6) wirkungsvoll detonisiert werden. Hier ist es gelegentlich sinnvoll, im Anschluss eine Injektionsbehandlung durchzuführen, z.B. mit Hanomyloticum „Hanosan“, Milchsäure-Ampullen „Pflüger“ oder Infi-Colocynthis Injektion „Infirmarius-Rovit“.

2013-03-Osteo7Natürlich gehören auch die untere LWS und das Lumbosacralgelenk in das osteopathische Konzept mit hinein. Hier sollten Segmentblockaden bzw. Bewegungseinschränkungen beseitigt werden. Empirisch hat es sich in den letzten Jahren bei den von mir betreuten Patienten bewährt, zusätzlich die Rückenstreckermuskulatur im BWS-Bereich zu mobilisieren (Foto 7), was ebenfalls zu Verbesserungen bei der Kontrolle des betroffenen Beines führen kann.

2013-03-Osteo8Abschließend setze ich bei sehr vielen Sitzungen eine sanfte fasziale Technik ein, das sogenannten Fascial Gliding (Foto 8), mit der sowohl auf das muskuläre, als auch auf das Nervensystem eingewirkt werden kann. Hierbei werden fasziale Adhäsionen im Bereich der unteren Extremitäten gelöst und die in den Faszien befindlichen kontraktilen Elemente vorsichtig und sanft gedehnt.

Anfangs liegt in meiner Praxis der Schwerpunkt der Fußheberbehandlung bei diesen Patienten auf der Spasmolyse, soweit diese möglich ist. In einem späteren Stadium der Therapie, wenn sich der Muskeltonus normalisiert oder wenigstens verbessert hat, beginne ich mit einer Kombination aus Stretching und Muskeltraining, z.B. mittels eines Thera-Bandes. Ziel ist es nun, tatsächlich die Muskelkraft und -ausdauer zu optimieren. Unterstützend können hier, je nach Patient und individuellem Ansprechen, L-Carnitin, Kreatin, Glycin oder BCAA wie folgt gegeben werden: L-Carnitin bis zur Normalisierung der Carnitin-Ester im Serum. Kreatin anfangs in einer „Ladedosis“ von 4 x 5 g über fünf Tage, danach eine Erhaltungsdosis von 0,05 g pro Kilogramm Körpergewicht. Wenn es keine Probleme mit der Harnsäure gibt und der Patient auf Kreatin gut anspricht, dann kann man unter Umständen auch an eine höhere Erhaltungsdosis denken, allerdings unter entsprechender Kontrolle von Harnsäure, Harnstoff und Cystatin C/GFR. Glycin gebe ich in der Regel grammweise (z.B. 2000-5000 mg als Tagesdosis). BCAA werden je nach dem Anteil an Isoleucin dosiert. Die Tagesdosis von Leucin und Valin liegt je nach dem Körpergewicht meiner Patienten zwischen 4000-5000 mg, während die Tagesdosis bei Isoleucin bei 2000 mg liegt.

Wenn die Peronaeuslähmung als Störfaktor dominiert, dann spielen, neben der Segmentbehandlung L4-L5-S1 und der Entspannung der Hüftbeuger, nach meiner Erfahrung der Fascial Glide und ganz allgemein die cranio-sacrale Osteopathie eine wichtige Rolle. Teil des Konzeptes sind dann u.a. neurotrope B-Vitamine, wie z.B. Benfotiamin oder Methylcobalamin, und das aus der Anthroposophischen Medizin stammende Organpräparat N. peronaeus GL WALA Ampullen in verschiedenen Potenzen.

Nicht selten verwende ich auch Mischinjektionen, bei denen das Organpräparat mit einem oder mehreren Einzelhomöopathika kombiniert wird. Die Auswahl erfolgt dann wiederum individuell passend zu den beklagten Beschwerden bzw. den jeweiligen Begleitumständen. Häufiger verwendete Mittel sind z.B. Plumbum aceticum, Curare, Lathyrus sativus, Zincum cyanatum oder Causticum. Meistens verwende ich eher körperorientierte Potenzen (D4, D6, D12) oder einen Potenzakkord wie bei den Injeelen der Firma Heel. Bitte beachten Sie bezüglich der Mischinjektionen die gesetzlichen Vorschriften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, mit diesem Artikel zwei Dinge bei Ihnen erreicht zu haben: Erstens, dass Sie ein Interesse daran entwickeln, Ihre MS-Patienten aus dem Blickwinkel der Osteopathie zu betrachten und die Multiple Sklerose bzw. die damit verbundenen Beschwerden nicht als Einbahnstraße zu verstehen. Und zweitens, dass Sie die Notwendigkeit der Kombination mit anderen Heilverfahren wie Orthomolekularmedizin, klinischer Homöopathie oder Anthroposophischer Medizin erkennen und Freude daran bekommen, diese Synergien in Ihrer täglichen Praxis zu nutzen.

Dirk-Rüdiger NoschinskiDirk-Rüdiger Noschinski DO.CN
Heilpraktiker und Autor, Mitglied im ACON seit 1993

praxis@der-naturheilpraktiker.de

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