Homöopathie bei rheumatischen Erkrankungen

Immer mehr Patienten mit rheumatischen Erkrankungen suchen, da diese eine besondere Herausforderung darstellen, nach komplementären Ansätzen. Die Vielzahl an Symptomen, unterschiedliche Schmerzintensitäten und sehr individuelle Krankheitsverläufe machen deutlich, dass Behandlungen nach Schema F den Patienten oft nicht gerecht werden. Stattdessen sind Therapien gefragt, die nicht nur die Symptome lindern, sondern auch die Lebensqualität nachhaltig verbessern. Die Homöopathie bietet hier eine wertvolle Alternative, indem sie auf die individuellen Symptome jedes Patienten eingeht und mentale sowie emotionale Aspekte mit berücksichtigt. Dieser Artikel gibt einen umfassenden Überblick zu bewährten homöopathischen Mitteln bei rheumatischen Beschwerden, ihre spezifischen Anwendungsgebiete und die zugrunde liegenden psychologischen Muster. Erfahren Sie, wie Sie durch den gezielten Einsatz die Therapieerfolge bei rheumatischen Erkrankungen steigern und die Lebensqualität Ihrer Patienten anheben können.
WAS IST RHEUMA?
„Rheuma“ ist ein Sammelbegriff für zahlreiche nicht-verletzungsbedingte Erkrankungen, welche mit Schmerzen und Entzündungen in Gelenken, Sehnen, Muskeln und Bindegewebe einhergehen. Betroffene leiden häufig an Bewegungseinschränkungen und verminderter Lebensqualität. Rheumatische Erkrankungen können entzündlicher oder degenerativer Natur sein und sich durch unterschiedlichste Symptome auszeichnen. In der Schulmedizin werden in der Regel Schmerzmittel, entzündungshemmende Medikamente und Physiotherapie eingesetzt. Für viele Patienten sind diese Maßnahmen jedoch unzureichend oder mit Nebenwirkungen verbunden, weshalb sie nach alternativen Behandlungsansätzen suchen. Hier kann die Klassische Homöopathie eine wertvolle Ergänzung bieten.
EINFÜHRUNG IN DIE HOMÖOPATHIE
Die Homöopathie wurde von Samuel Hahnemann (1755-1843) begründet und beruht auf dem Grundsatz des Ähnlichkeitsprinzips: „Similia similibus curentur – Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“. Demnach wird eine Substanz, die bei einem gesunden Menschen bestimmte Symptome hervorruft, in homöopathisch verdünnter Form verwendet, um genau diese Symptome bei einem kranken Menschen lindern zu können.
Die Herstellung eines homöopathischen Mittels beginnt mit einer Ursubstanz, die durch einen Prozess des wiederholten Verdünnens und Verschüttelns (Potenzierung) so verarbeitet wird, dass ihre heilsamen Eigenschaften verstärkt werden, während etwaige toxische Wirkungen minimiert werden. Dieser Prozess soll nicht nur die ursprüngliche Substanz verdünnen, sondern auch deren energetische Heilwirkung freisetzen. Die Auswahl und Anwendung der Mittel erfolgt so, dass das Mittel genau auf die individuellen Symptome des jeweiligen Patienten abgestimmt wird.
Heute sind mehr als 2000 homöopathische Mittel bekannt. Diese werden aus einer Vielzahl an Quellen gewonnen, darunter aus pflanzlichen, tierischen, mineralischen und sogar menschlichen Materialien. Die Bandbreite der verfügbaren Substanzen ermöglicht uns eine äußerst differenzierte und individualisierte Therapie.
Die Suche nach dem passendsten homöopathischen Mittel erfolgt durch die „Repertorisierung“. Hierbei werden die Symptome des Patienten sorgfältig analysiert und in einem Repertorium, einem Nachschlagewerk für homöopathische Mittel, nach passenden Einträgen gesucht. Die Homöopathie arbeitet somit nicht diagnose-, sondern symptomorientiert. Für eine erfolgreiche Behandlung ist es im Fall eines Rheumapatienten entscheidend, dass der Therapeut genau über die Art, die Intensität und den zeitlichen Verlauf der Schmerzen sowie die begleitenden Symptome Bescheid weiß.
Homöopathische Repertorien basieren auf einem umfangreichen Erfahrungsschatz, der über viele Jahre hinweg von Therapeuten gesammelt wurde, welche die Wirkung der homöopathischen Mittel studiert und ihre Beobachtungen dokumentiert haben. Diese empirischen Daten fließen in die Repertorien ein und ermöglichen eine gezielte Auswahl des geeigneten Mittels. Durch diese Methodik wird sichergestellt, dass die Behandlung individuell auf den Patienten und seine spezifischen Symptome abgestimmt ist, um eine möglichst effektive Linderung seiner Beschwerden zu erreichen.
HOMÖOPATHISCHER ZUGANG BEI RHEUMA
Repertorisiert man z. B. im Synthesis Repertorium Homoeopathicum Syntheticum (Edition 9.1), so findet man unter der Kategorie >Extremitäten>Schmerzen>rheumatisch zunächst Verweise auf weiterführende Suchoptionen wie Gelenke – rheumatisch/Entzündung – Gelenke/AL – Entzündung – Gelenke/Schmerz – rheumatisch und Schmerz – rheumatisch – Gelenke.
Durch die Analyse der Mittel innerhalb der Kategorie >Extremitäten>Schmerzen>rheumatisch und der dort vorgeschlagenen Kategorien ergibt sich ein klarer Überblick der am häufigsten empfohlenen Mittel. Bryonia ist die meistgenannte Arznei, innerhalb dieser Kategorien wird das Mittel viermal als dreiwertig geführt. Daneben finden sich Aconitum, Apis, Belladonna, Causticum, Colchicum, Formica rufa, Ledum, Rhus toxicodendron sowie Silicea jeweils zweimal bei den dreiwertigen Mitteln.
Im Folgenden werden diese Mittel genauer betrachtet, um deren spezifische Eigenschaften und Anwendungsbereiche bei rheumatischen Beschwerden detailliert beleuchten.
HOMÖOPATHISCHE HAUPTMITTEL
Bryonia alba (Zaunrübe)
Bryonia ist bekannt für seine typische Verschlechterung der Symptome durch Bewegung. Der Patient verspürt eine starke Abneigung, da selbst kleinste Bewegungen die Schmerzen verschlimmern. Typisch sind rote, heiße und geschwollene Gelenke, die auf eine akute Entzündung hinweisen. Bryonia kann als ein bewährtes Mittel bei rheumatischen Beschwerden angesehen werden, v. a. wenn der Patient Ruhe sucht und jegliche Aktivität vermeidet.
Ein aufmerksamer Therapeut wird jedoch bemerken, dass diese Ruhigstellung der Gelenke ebenfalls Schmerzen verursachen kann, was den Patienten dazu veranlasst, sich nach leichter Bewegung zu sehnen. In solchen Fällen kann Rhus toxicodendron (Alternative zu Bryonia) angezeigt sein. Beide Mittel können abwechselnd gegeben werden, je nach Befinden, da sie sich in ihrer Wirkung optimal ergänzen.
Die 2023 verstorbene Antonie Peppler, die in ihrer Arbeit Psychologie und Symptomsprache verwendete, um das passende homöopathische Mittel zu finden, schrieb über Bryonia im Kontext von Rheuma, dass es auf ein Festhalten an Normen und Traditionen hinweise, weil die Individualität des Patienten noch nicht vollständig entfaltet sei.
Rhus toxicodendron (Giftsumach)
Rhus toxicodendron wird bei rheumatischen Beschwerden angewendet, die durch Bewegung gelindert werden, v. a. bei fortgesetzter Bewegung oder Dehnung der Gliedmaßen. Die Schmerzen sind reißend, stechend oder einschießend, sie verschlimmern sich in der Nacht und durch Ruhe. Die betroffenen Gelenke sind oft heiß und zeigen Anzeichen von Gewebewucherungen. Rhus toxicodendron wird bei Patienten eingesetzt, die ständig den Drang haben, sich zu bewegen, um die Schmerzen zu lindern.
Die psychologische Komponente von Rhus toxicodendron drückt das Bedürfnis aus, fliehen zu wollen, da der Patient sich eingeengt und festgelegt fühlt. Oft ist in der Vergangenheit eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erkennen, sei es durch verschlossene Türen oder Gitter, die symbolisch für das Gefühl der Einengung stehen. Diese psychische Disposition kann sich in körperlichen Symptomen manifestieren, bei denen die Bewegung eine Befreiung von der Enge darstellt und somit zur Linderung der Beschwerden beiträgt.
Aconitum napellus (Blauer Eisenhut)
Aconitum ist das akuteste unter den homöopathischen Mitteln und ist durch plötzliche, heftige Schmerzanfälle mit glänzender, roter Schwellung der Gelenke charakterisiert. Es ist bei akuten und abrupten Schmerzschüben angezeigt, die häufig durch äußere Einflüsse (z. B. Kälte, Wind, Zugluft) ausgelöst werden. Die Beschwerden treten schlagartig auf und können den Patienten in einen Zustand intensiver Unruhe und Angst versetzen. Aconitum ist weniger geeignet für Menschen, die an konstanten chronischen Schmerzen leiden. Vielmehr findet es Anwendung bei jenen, die episodisch auftretende schmerzhafte Schübe erleben, die so plötzlich enden wie sie beginnen.
Apis mellifica (Honigbiene)
Apis ist charakterisiert durch brennende, stechende und lanzenstichartige Schmerzen, die von einer erheblichen Schwellung der betroffenen Gelenke begleitet werden. Patienten, die Apis benötigen, fühlen sich oft erschöpft, was der eigentlichen Natur von Apis widerspricht. Apis wird symbolisch als das fleißige Bienchen betrachtet, das immer aufgabenorientiert arbeitet, manchmal bis zur Arbeitswut, und stets das Wohl der Gemeinschaft im Blick hat. Diese Menschen neigen dazu, ihre Grenzen zu überschreiten und scheinen nun an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ihre Kräfte erschöpft sind. Apis ist v. a. geeignet bei Beschwerden, welche die kleinen Gelenke betreffen, etwa an Fingern und Zehen.
Belladonna (Tollkirsche)
Belladonna ist bekannt als wirksames Mittel gegen Fieber und Entzündungen, es eignet sich daher gut zur Behandlung rheumatischer Beschwerden. Bei Patienten, die Belladonna benötigen, sind die betroffenen Gelenke geschwollen und zeigen eine glänzende, tiefrote Färbung, oft mit strahlenförmigen roten Streifen. Die Patienten verspüren eine starke innere Hitze und haben das Gefühl, dass ihr Blut heiß und pulsierend durch ihren Körper strömt. Die Schmerzen treten meist plötzlich auf, sind intensiv pochend oder klopfend. Belladonna-Patienten sind oft empfindlich gegenüber Berührung und Erschütterung, selbst leichte Reize können die Symptome verschlimmern. Die Beschwerden können durch Wärme gelindert werden, während Kälte oder Zugluft zur Verschlechterung führen. Belladonna ist v. a. dann angezeigt, wenn die rheumatischen Schmerzen von Fieber begleitet werden und der Patient einen erhitzten, geröteten Kopf sowie einen trockenen, heißen Körper hat.
Causticum (Ätzstoff)
Causticum ist ein vielseitiges homöopathisches Mittel, das sich v. a. auf chronische rheumatische, arthritische und paralytische Beschwerden konzentriert. Es wird gern eingesetzt, wenn die Patienten unter ziehenden, brennenden Schmerzen leiden, die durch Wärme gelindert werden können. Diese Eigenschaften machen Causticum zum bevorzugten Mittel bei Rheuma, besonders wenn die Knie betroffen sind. Auch bei chronischen rheumatischen Erkrankungen, die zu Sehnenverkürzungen und Gelenkdeformationen führen, zeigt Causticum Wirkung. Selbst bei bereits bestehenden strukturellen Schäden kann das Mittel den Zustand stabilisieren und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.
Psychologisch gesehen steht Causticum für Menschen, die sich durch extreme Hingabe und Fürsorglichkeit auszeichnen. Sie neigen dazu, sich selbst stark zu vernachlässigen, da sie sich übermäßig um das Wohl anderer kümmern. Diese Selbstaufopferung kann dazu führen, dass sie sich ausgebrannt und erschöpft fühlen. Causticum ist daher besonders geeignet für Personen, die sich emotional und physisch ausgelaugt fühlen und deren Überlastung sich in körperlichen Beschwerden manifestiert hat.
Colchicum autumnale (Herbstzeitlose)
Colchicum ist v. a. bei Patienten angezeigt, deren rheumatische Beschwerden nachts schlimmer werden und von einem Gelenk zum anderen wandern. Die betroffenen Gelenke sind rot, heiß, geschwollen und steif. Selbst geringfügige Schwellungen können bei diesen Patienten starke Schmerzen verursachen, was das Wohlbefinden stark beeinträchtigt. Colchicum wird bei rheumatischen Beschwerden der Hände eingesetzt, wo die Schmerzen durch die steifen und empfindlichen Gelenke besonders stark ausgeprägt sind.
Das Mittel charakterisiert Menschen, die sich oft überlastet fühlen und an Situationen oder Dingen festhalten, die in ihrem Leben nicht mehr haltbar sind. Diese innere Überforderung und das Festhalten können sich auf körperlicher Ebene in Form von wandernden Schmerzen sowie nächtlichen Verschlimmerungen manifestieren.
Formica rufa (Rote Waldameise)
Formica rufa eignet sich besonders bei plötzlichen rheumatischen Schmerzen, die von Unruhe begleitet werden. Die Patienten verspüren den Drang, sich zu bewegen, obwohl Bewegung die Schmerzen verschlimmert. Es ist indiziert, wenn harte Knoten in der Umgebung der Gelenke auftreten, sowohl innerlich als auch äußerlich.
Ledum palustre (Sumpfporst)
Ledum wird häufig bei rheumatischen Beschwerden eingesetzt, die in den Füßen beginnen und sich nach oben ausbreiten. Betroffene Gelenke sind blaurot verfärbt, ödematös geschwollen und schmerzhaft kalt. Die Schmerzen sind reißend und springen von einem Gelenk zum anderen. Oftmals fühlen sich die betroffenen Bereiche taub und geschwächt an. An Rheuma erkrankte Ledum-Persönlichkeiten sind stur und sprichwörtlich „vernagelt“.
Silicea (Kieselerde)
Silicea wird bei rheumatischen Beschwerden der Fußsohlen eingesetzt, die das Gehen nahezu unmöglich machen. Die Entzündung schreitet langsam voran und neigt dazu, chronisch zu werden. Die Schmerzen sind stark und stechend, was die Mobilität der Betroffenen deutlich einschränkt. Zusätzlich leiden die Patienten oft unter allgemeiner Schwäche und ausgeprägter Empfindlichkeit gegenüber Kälte. Silicea ist ein frostiges Mittel, welches bei Neigung zu Eiterbildung ebenfalls wertvolle Unterstützung bietet.
EINNAHMEEMPFEHLUNG
Für die Selbstmedikation zu Hause sind Potenzen von D6 geeignet. Patienten können mehrmals täglich eine Gabe (3-5 Globuli) einnehmen, bis eine Besserung der Beschwerden eintritt. Wenn die Symptome nachlassen, kann die Dosis reduziert werden. Allgemein gilt: Je akuter die Beschwerden, desto häufiger sollte das Mittel zur Anwendung kommen.
KONSTITUTIONSMITTEL
Wenn eine Arznei als Konstitutionsmittel gewählt wird, das auf die gesamte Persönlichkeit abgestimmt ist, können Potenzen von C30 und höher zum Einsatz kommen. Diese sollten jedoch seltener eingenommen werden und idealerweise unter Anleitung eines erfahrenen Homöopathen.
MIASMATISCHE THERAPIE
Für den versierten homöopathiekundigen Therapeuten kann es außerdem sinnvoll sein, rheumatische Erkrankungen miasmatisch zu behandeln. Da Rheuma häufig eine genetische Komponente hat und somit tief im Patienten verwurzelt ist, stellt die miasmatische Therapie einen umfassenderen und langfristig wirksamen Ansatz dar.
FAZIT
Die homöopathische Therapie rheumatischer Erkrankungen bietet eine individualisierte und ganzheitliche Herangehensweise, welche auf die spezifischen Symptome und Bedürfnisse abgestimmt ist. Durch die gezielte Auswahl der Mittel, basierend auf den individuellen Symptomen und dem Gesamtbild des Patienten, kann die Homöopathie eine effektive und nebenwirkungsarme Ergänzung zu konventionellen Behandlungsmethoden darstellen. Homöopathie anwendende Therapeuten haben die Möglichkeit, mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung einen bedeutenden Beitrag zur Linderung rheumatischer Beschwerden zu leisten und die Lebensqualität ihrer Patienten nachhaltig zu verbessern.
LITERATUR
Schroyens, F: Synthesis – Repertorium Homoeopathicum Syntheticum. Hahnemann Institut, 2005
Peppler, A et al.: Bedeutung der Symptome und Krankheitsbilder zum besseren Verständnis der homöopathischen Anamnese. CKH®-Verlag, 2005

Jessica Bernhardt
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Homöopathie, Endokrinologie, Gynäkologie und Autoimmunerkrankungen, Dozentin an den Paracelsus Gesundheitsakademien
jessica@hp-bernhardt.comWeitere Artikel aus dieser Ausgabe
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