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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1995

Phyto-Neuraltherapie gegen Gelenk- und Wirbelsäulen-Leiden

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Adalbert Becker

Schmerzen, ganz gleich in welchem Bereich des Bewegungsapparates, sind meist auf Entzündungen im Bindegewebe, in der Muskulatur oder den Gelenkkapseln zurückzuführen. Es kann sich aber auch um degenerative Veränderungen an den Knochen handeln, z. B. in Form von Arthrosen und Spondylosen. Wassergehalt und Turgor im Bindegewebe lassen im Laufe des Lebens zwangsläufig nach, und auch der Gelenkknorpel vertrocknet und nutzt sich mehr und mehr ab. Bewegungseinschränkungen und Gehbehinderungen, verursacht durch Schmerzen und andere Beschwerden im Bewegungsapparat, sind die Folge. 25 Millionen Menschen sollen allein in Deutschland davon betroffen sein. Eine Therapie für Erkrankungen des Bewegungsapparates, die sowohl auf Analgesie, als auch auf den Erhalt der Bewegungsfunktion abzielt, ist deshalb sehr wichtig.
Eine therapeutische Alternative zum orthodoxen Vorgehen ist die Phyto-Neuraltherapie, in die auch die Prophylaxe einbezogen ist. Wesentliches Element ist dabei der gezielte Einsatz von Procain.

Ursprung und Manifestationsort aller degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist das Bindegewebe und damit das Zell-Milieu-System.
Bei jeder neuraltherapeutischen Maßnahme wird der Behandler mit diesem System konfrontiert. Durch verschiedene Regulationsmechanismen werder hier die Weichen für Gesundheit oder Krankheit gestellt. In dem Buch von Pischinger „Das System der Grundregulation” kann man mehr darüber lesen.

Der Körper muß für neuraltherapeutisches Vorgehen ansprechbar sein. Nur dann kann man das gestörte Grundsystem umstimmen und, soweit das funktionell und anatomisch noch möglich ist, normale Adaptionsleistungen herbeiführen. Hat die langfristige Anwendung von Butazonen, Cortisonen und Antibiotika zu Reaktionsschwächen und Regulationsstarre geführt, so ist zunächst eine Umstimmungsbehandlung erforderlich. Vorweg sei erwähnt, daß auch aktive Foci, oder wie wir heute sagen, potentielle Störfelder, das Grundsystem belasten und jeglichen Heilungs- oder Besserungsprozeß verhindern können.

Umstimmungsverfahren können langwierig und zeitraubend sein. Wenn aber phytotherapeutische Maßnahmen, besonders in Verbindung mit Neuraltherapie, eine Wirkung haben sollen, muß eine Umstimmungsbehandlung vorwegoder parallel gehen.

In der Vorphase zur Neuraltherapie ist der Einsatz von Echinacea von großer Bedeutung für die Anregung körpereigener Abwehrfunktionen. Echinacea regt das Properdinsystem im Körper an und verbessert damit die Immunkörperreaktion. Eine verstärkte Ausschwemmung mit nachhaltiger Neubildung von Leukozyten im Knochenmark ist die Folge. Die konstitutionelle Widerstandskraft des Organismus wird dadurch deutlich gesteigert. Besonders bei unspezifischen, nicht bakteriellen rheumatischen und rheumatoiden Erkrankungen des gesamten Stützgewebes trifft das zu.
Echinacea ist u.a. in Tropfenform im Handel. In der Übergangsphase empfiehlt es sich, mit hoher Dosis zu arbeiten, d. h. 3x täglich 50 Tropfen.

Neuraltherapie nach Huneke, das ist die Behandlung über das vegetative Nervensystem mit Procain oder Lidocain. Wir differenzieren dabei genau zwischen der Segmenttherapie und der Störfeldsuche und -ausschaltung.
Für den Anfänger gilt: Immer erst das dem Schmerzbereich (Gelenk-, Muskel oder Hautbezirk) zugehörige Segment behandeln, auch wenn man nach sorgfältiger Anamnese glaubt, über ein verantwortliches Störfeld förmlich zu fallen.

Mit dem Hautstift werden die einzelnen Körpersegmente sowie die Einstichpunkte für die Injektion gekennzeichnet.
Phyto-Neuraltherapie hat sich gerade bei Schmerzzuständen der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates sowie der sonst schwer zu behandelnden Trigeminusneuralgie als Mittel der Wahl etabliert.

Die Phyto-Neuraltherapie zeigt erst dann beim Gelenkkranken eine Wirkung, wenn er sich nicht mehr im Zustand der Regulationsstarre und Reaktionsschwäche befindet, in den ihn jahrelanges Einnehmen von Chemotherapeutika, Röntgenund Radiumbestrahlungen etc. geführt haben. Eine intensive Umstimmungsbehandlung kann helfen, die Reaktions- und Regulationsbereitschaft wieder anzufachen und zu fördern. Der Begriff „Umstimmung” beinhaltet ja schon, daß etwas nicht stimmt. Und wir müssen eine Änderung bewirken, damit es wieder stimmt.

Neben anderen bieten sich zwei Umstimmungsverfahren besonders an:

1. Die Ponndorftsche Impfung mit Cutivaccine Paul novum
Die Reizkörpertherapie mit Cutivaccine, die im wesentlichen aus Tuberculinum humanum et bovinum besteht, dient zur unspezifischen Desensibilisierung. Durch die allgemeine Umstimmung, wie wir sie ja auch von der Eigenblutbehandlung her kennen, können neue Abwehrkräfte mobilisiert werden. Die bestehende Regulationssperre wird durchbrochen und die Reaktionsschwäche beseitigt. Dabei können subfebrile Temperaturen auftreten. Nicht ungewöhnlich sind auch Allgemeinreaktionen, sowohl Abgeschlagenheit, Kopfschmerz und Frieren, als auch Juckreiz oder Schmerzen an einer Narbe oder einem Zahn. Bei zu starker Reaktion sollte man mit der 2. Impfung -etwas warten, bis die Folgen der ersten wieder abgeklungen sind. Die Technik sieht so aus: Ein Quadrat auf der Rückenhaut von etwa 5 x 5 cm wird desinfiziert, dann mit einer Baunscheidtgabel skarifiziert. Dann wird die Cutivaccine mit dem Rücken der Baunscheidtgabel eingerieben. Ein kleiner Verband schließt die Impfstelle für etwa 24 Stunden.
Bei normaler Reaktion sollte die Impfung ungefähr 6 bis 10 Mal vorgenommen werden.

2. Die Elpimend- oder Elpimendforte-Injektion
Elpimend enthält einen im menschlichen und tierischen Organismus vorkommenden Stoff, der aus dem Serum vorgestreßter Pferde gewonnen wird. Pischinger nennt ihn den Faktor M. Dieser Faktor M veranlaßt eine meßbare Vermehrung der Monozyten und jungen Lymphozyten. Überalterte neutrophile Leukozyten dagegen schwinden. Es findet also eine echte regenerative Linksverschiebung statt. Elpimend ist ein Blutextrakt, frei von Eiweiß und Neutralfetten, und aktiviert über das Mesenchym alle vegetativen Grundfunktionen. Dadurch werden normale Gewebsreaktionen wiederhergestellt. Elpimend führt eine unspezifische Umstimmungswirkung herbei und unterstützt damit die spezifische Behandlung beim rheumatischen Formenkreis. Die subcutane Injektion mit Elpimend sollte jeden zweiten Tag durchgeführt werden, bis zum sichtbaren Erfolg. Im Verlauf dieser beiden provozierenden Umstimmungsverfahren – Spenglersan-Einreibungen und Eigenbluttherapie können noch hinzugenommen werden – kann die bisherige Therapie mit Antirheumatica langsam reduziert und die Segmenttherapie mit Procain begonnen werden.

Möglicherweise wird unter dieser Therapie ein Störfeld aktiv. Ein Hinweis darauf wären Zahnschmerzen, eine leicht fieberhafte Tonsillitis, Juckreiz und Schmerzen in einem Narbenbereich, egal welcher Herkunft. Dann ist allerdings die Provokationsmethode zum echten Diagnosticum geworden. Der Therapeut beschreitet dann den weiteren Weg über das Störfeld, die Segmenttherapie ist jetzt überflüssig.

Die Störfeldbeseitigung mit Procain reduziert die Schmerzsymptomatik drastisch und macht den Patienten schnell erheblich beweglicher.

Ein wichtiger Punkt ist auch die konstruktive Mitarbeit des Patienten. Er muß vor allem sich selbst sehr genau beobachten und dem Therapeuten besonders über sein Befinden innerhalb der ersten 24 bzw. 48 Stunden nach Therapiebeginn berichten. Nach der 1. Behandlung klappt das allerdings vielfach noch nicht. Der Patient ist an andere Therapiemethoden gewöhnt und wird von dem schnellen Wirkungseintritt und der spontanen Besserung einfach überrascht.

Beim rheumatischen Formenkreis nützen uns hochtrabende wissenschaftliche Namen für ein Krankheitsbild wenig. Wirklich hilfreich ist dagegen die Neuraltherapie. Sie ermöglicht uns eine echte Ursachendiagnose. Erfolg oder Mißerfolg einer segment- oder störfeldbezogenen Behandlung, meist nach vorheriger Provokation, liefern dazu die nötigen Vergleichswerte.

Das Ausschleichen aus einer langjährigen Antirheumatika-Therapie kann schwierig und langwierig sein, wenn nicht gerade ein Huneke-Phänomen ausgelöst wird. Der Verzicht auf Butazon, Cortison und andere antirheumatische Chemotherapeutica oder eine erhebliche Dosisreduzierung muß in manchen Fällen für lange Zeit mit vermehrten Schmerzen oder einer Verschlimmerung des Krankheitsbildes bezahlt werden. Es kommt auch vor, daß der Patient schnell wieder zu seiner alten Therapie zurückkehrt. Hier bedarf es auch einer behutsamen psychotherapeutischen Betreuung.

Schon im Verlauf der Provokationstherapie oder bei Beginn der Segmentbehandlung können speziell eingesetzte Phytotherapeutika sehr nützlich sein.

Als wirksames pflanzliches Analgeticum hat sich Petaforce® in Kapselform bewährt. Denn ohne Analgeticum kommt man in dieser Übergangsphase nicht aus. 3 bis 6 Kapseln können pro Tag gegeben werden. Der Hauptinhaltsstoff ist Petasites, der Pestwurz. Diese altbekannte Heilpflanze wirkt aufgrund ihres Gehalts an Petasin und Iso-Petasin schmerzstillend und krampflösend, hat aber auch zentralberuhigende Eigenschaften.

Als externes Anwendungsmittel für die Übergangsphase ist hier JHP-Rödler®, das japanische Heilpflanzenöl aus Oleum menthae arvensis, zu nennen. Diese Minze wächst auf vulkanischem Boden und ist wegen ihres höheren Wirkstoffgehaltes den aus europäischen Breiten stammenden Minzen überlegen. Schmerzende Muskelpartien in Gelenk- und Wirbelbereichen sollte man mehrmals täglich mit etwa 5 Tropfen einreiben. Dabei können die betroffenen Partien mit einer Wärmflasche oder einem Heizkissen bedeckt werden. Auch feuchtheiße Kompressen sind geeignet. In das heiße Kompressenwasser gibt man zuvor etwa 20 Tropfen JHP-Öl. Durch diese phytotherapeutische Maßnahme kommt es zu einer passiven Durchblutungsförderung und damit zu einer Schmerzlinderung. Auf nervalem Weg wird auch eine stärkere Durchblutung der tieferIiegenden Muskelpartien und Bänder erreicht.

Auch mit den sogenannten AntirheumaPflastern, wie dem ABC-Pflaster® oder dem Bückeburger-Kräuterpflaster®, läßt sich der muskuläre Hypertonus lockern und eine Schmerzminderung erzielen, sodaß die Chemotherapeutica langsam reduziert werden können. Diese Pflaster bestehen meist aus Arnika-, Belladonna- und Capsicum-Extrakten. Drei Tage sollte ein derartiges Pflaster auf den betroffenen Partien liegenbleiben.

Sind die Gelenkschmerzen sehr heftig, gibt man 10 Tropfen JHP-Öl auf einen Wattebausch und befestigt ihn zusätzlich an der Innenseite des Pflasters. Eine Umstimmungsbehandlung, einmal wöchentlich durchgeführt, dauert etwa 6 Wochen, in schweren Fällen auch 12 Wochen lang. Die bisherige Chemotherapie wird währenddessen reduziert, und man beginnt mit der Segmenttherapie, sofern sich durch die Provokationsmethoden nicht bereits ein potentielles Störfeld gemeldet hat, das dann durch eine gezielte Procain-Injektion beseitigt wird.

Der Therapeut muß sich immer wieder um eine ganzheitliche Betrachtungsweise bemühen, wenn er den rheumatischen Formenkreis erfolgreich bekämpfen will. In diesem Zusammenhang muß noch einmal betont werden: Provokationsmethoden sind starke Belastungsproben für das Vegetativum. Sie können den Stoffwechsel im Störfeld derart aktivieren, daß es dort zu einer lokalen Abwehrreaktion kommt, begleitet von Schmerzen, spastischen Erscheinungen, Entzündungen und Juckreiz an irgendeiner Stelle des Körpers. Bei der manchmal recht schwierigen Störfeldsuche kann das hinweisgebend sein. Nachdem die Reaktionsschwäche überwunden ist, kann dann allmählich das Einnehmen regulationshemmender Präparate gedrosselt und damit der Weg zu einer erfolgreichen Segmenttherapie freigemacht werden.

Die Segmenttherapie soll die subjektiven Beschwerden mindern und die Gelenkfunktionen verbessern, damit die Beweglichkeit des Rumpfes und der Extremitäten größer wird. Als Heilanästheticum verwende ich normalerweise 1%iges reines Procain. Es wird rasch abgebaut und ist daher weitgehend risikolos. Negative Auswirkungen, die man beim Zusatz von Begleitstoffen berücksichtigen muß, z.B. Unruhe und Schlaflosigkeit durch Koffein, gibt es beim reinen Procain nicht.
Das 2%ige Procain kommt bei schweren Gelenkkrankheiten zum Zuge. Bei ausgedehnten, großflächigen Wirbelsäulenbehandlungen, von denen noch die Rede sein wird, kann man auf das reine 0,5%ige Procain übergeben.

Gegenüber der Lidocain-Reihe kann praktisch die doppelte Menge des reinen Procains gegeben werden. Für unsere Zwecke ist Procain ideal. Es hat vegetativ umstimmende, spasmolytische und antiphlogistische Eigenschaften. Von besonderem Interesse für den neuraltherapeutischen Einsatz ist aber seine repolarisierende, das Nervenpotential wiederaufladende Wirkung. Das meist von den Gegnern der Neuraltherapie beschworene Allergierisiko ist nach meiner Erfahrung gering und liegt nach meiner Schätzung bei maximal 1 % aller Fälle. Mit einem Intracutandest in der EIlenbeuge oder durch Gabe eines Tropfens Procain in den Conjunktivalsack vor Aufnahme der Behandlung schließt man jeden Zweifel aus.

Bei der Segmentbehandlung läßt man sich am besten etwas Zeit.
Eine, höchstens zwei Behandlungen in der Woche sind genug. Wenn die Behandlungsabstände zu knapp bemessen sind, kann nach anfänglicher Besserung eine gegenteilige Reaktion folgen. Zu viele Reize, dazu noch zu kurz hintereinander gesetzt, schaden nur. Man wartet besser die individuelle Reaktion ab, beobachtet und befragt den Patienten genau und entscheidet dann über das weitere Vorgehen.

Innerhalb 24 bis 48 Stunden nach der ersten Behandlung muß eine wenigstens vorübergehende Besserung eintreten, die sich bei erneuter Segmenttherapie stabilisiert oder sogar steigert. Nur dann lohnt es sich, mit der Behandlung am gleichen Ort fortzufahren. Zeigt die erste Anwendung im Segment jedoch gar keinen oder nur einen geringen Effekt, der sich auch mit weiteren 3 bis 6 Behandlungen nicht steigert, dann ist jedes weitere Verbleiben an der gleichen Stelle aussichtslos und zu unterlassen.

Es gibt bestimmte Prädilektionspunkte, die sich besonders gut für gezielte Procain-Injektionen im Rahmen der Segmentbehandlung rheumatischer Erkrankungen eignen. Diese Punkte entstehen dort, wo sich die Überforderung der Sehnenansätze, Bänder und Muskeln durch berufliche oder andere Anstrengungen negativ auswirkt. Wo sich diese Stellen befinden und wie sie zu tasten sind, das ist individuell verschieden. Es ist durchaus nicht üblich, immer gleich intraartikulär zu injizieren. Präzis gesetzte intracutane, periostale, perichondrale und intramuskuläre Injektionen reichen meist völlig aus. Andererseits sollte man, wenn es nötig ist, z.B. bei schweren Gelenkaffektionen, vor intraartikulären Injektionen nicht zurückschrecken. Eine sachgerechte Desinfektion, wie sie in der klinischen Ausbildung gelehrt wird, kann man auch in der Praxis durchführen. Und damit läßt sich jede Infektionsgefahr bannen.

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