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Naturheilkunde
Lesezeit: 10 Minuten

Verzuckert

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INSULINRESISTENZ UND TYP-2-DIABETES

VERSTEHEN. VORBEUGEN. THERAPIEREN. HEILEN 

 

Viele Folgen des aktuell weitverbreiteten Zuckerkonsums sind allen bekannt, manche nicht. Eine erhebliche Anzahl an Personen weist heutzutage einen gestörten Glukosestoffwechsel auf, ohne es zu wissen. So werden Betroffene immer wieder von den oft zufällig gestellten Diagnosen einer Insulinresistenz oder einer beginnenden Typ-2-Diabetes überrumpelt. Eine noch größere Überraschung ist, dass die Störung des Glukose- und Insulinstoffwechsels in der Regel bereits unbemerkt Folgeerkrankungen, z. B. Nervenschädigungen oder eine nicht-alkoholische Fettleber (NAFL), ausgelöst hat. Um die Komplexität der Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes zu erfassen, ist eine biologische Sichtweise auf die Selbstregulation des Organismus notwendig. 

 

 

VOLKSKRANKHEIT TYP-2-DIABETES

Vor 75 Jahren war der Typ-2-Diabetes in Deutschland noch eine seltene Erkrankung. Betrug die Anzahl der Betroffenen um 1950 etwa 400000, so stieg sie mit zunehmendem Wohlstand auf heute ca. 10 Millionen an. Das Fatale an dieser Entwicklung ist, dass immer mehr Jugendliche und bereits Kinder betroffen sind, obwohl diese Form früher als Altersdiabetes bezeichnet wurde. Hinzu kommt eine erhebliche Dunkelziffer, da Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes bei vielen Menschen bereits bestehen und nur noch nicht entdeckt sind, da diese lange symptomlos oder symptomarm bleiben und erst spät diagnostiziert werden. 

 

Typ-2-Diabetes ist zu einer der größten Volkskrankheiten geworden, die erhebliches Leid und enorme Kosten nach sich zieht. Falls eine Heilung des Typ-2-Diabetes-Patienten nicht gelingt, drohen schwerwiegende Folgeerkrankungen, z. B. Herz-Kreislauf-Leiden, Metabolisches Syndrom und Polyneuropathie bis hin zu Schlaganfall, Dialyse, Erblindung und Amputationen. 

 

 

ENTDECKUNG DER INSULINRESISTENZ

In der Medizin ging man noch vor wenigen Jahrzehnten davon aus, dass Typ-2-Diabetes-Patienten infolge einer Pankreas-Insuffizienz bereits zu Beginn der Erkrankung Insulin fehlt. Diese Annahme stellte sich als Fehleinschätzung heraus. Im Gegenteil: Seit 1985 ist erwiesen, dass die Bauchspeicheldrüse anfangs gerade umgekehrt viel zu viel Insulin ausschüttet und deshalb die Insulinspiegel im Blut andauernd zu hoch sind. Ursache dafür sind permanent überhöhte Glukosespiegel im Blut, woraufhin die Bauchspeicheldrüse mithilfe einer vermehrten Insulinausschüttung den Blutzucker zu senken versucht. Neben erhöhten Glukosespiegeln finden sich daher ebenso erhöhte Insulinspiegel im Blut. 

 

Bereits in der frühen Phase der Krankheitsentstehung verliert Insulin immer mehr seinen Haupteffekt: die Einschleusung von Glukose in die Zellen. Dieser Wirkungsverlust wird als Insulinresistenz bezeichnet. Zunächst wurden dafür genetische Faktoren verantwortlich gemacht. Die rasche, massenhafte Zunahme von Patienten mit Typ-2-Diabetes widerlegte dies jedoch, da sich die Genetik nicht so schnell ändert. Heute gilt es als bewiesen, dass die Krankheitsursache in der modernen Lebensweise zu suchen ist, v. a. in einer Fehl- und Überernährung in Kombination mit Bewegungsmangel. 

 

 

(UN)NATÜRLICHE SCHWANKUNGEN

Die Glukosekonzentration im Blut, die normalerweise zwischen 80 und 100 mg/dl schwankt, wird durch die Hormone Insulin und Glukagon in der Norm gehalten. Je nach Zusammensetzung der Nahrung steigt der Blutzucker nach einer Mahlzeit unterschiedlich an. Ein erhöhter Blutzucker nach der Mahlzeit wird durch Insulin gesenkt und ein Unterzucker in den Nüchternphasen durch Glukagon angehoben. (Abb. 1)  

 

Dieses Zusammenspiel, das in der Menschheitsgeschichte seit jeher funktionierte, geriet durch die moderne Ernährung und weitere negative Einflussfaktoren aus den Fugen. Mit Glukose, die nach dem Verzehr von Gemüse, Salat, Obst und Vollkornprodukten langsam ins Blut einströmt, kommt der Organismus gut zurecht. Glukose aus Süßigkeiten, süßen Getränken und Weißmehlprodukten, die schnell ins Blut gelangt, bewirkt jedoch mit der Zeit eine zunehmende Überforderung des Zuckerstoffwechsels. Daher ist die Unterscheidung zwischen langsamen und schnellen Kohlenhydraten für das Verständnis der Insulinresistenz und der Entwicklung von Typ-2-Diabetes bedeutsam und viel zutreffender als die Unterteilung in einfache, kurzkettige und komplexe, langkettige Kohlenhydrate. Evolutionsbiologisch findet sich in der Menschheitsgeschichte so gut wie nie der Verzehr schneller Kohlenhydrate, somit auch kein überhöhter Blutzucker. Unser Stoffwechsel ist also auf einen raschen oder gar dauerhaften Anstieg von Glukose im Blut nicht ausgelegt. 

Eine Glukosekonzentration von 100 mg/dl im Blut (Grenze Normwert) bedeutet umgerechnet 1 g Glukose pro Liter Blut. Bei durchschnittlich ca. 5 Litern Blut im Körper eines Erwachsenen verfügt dieser über ca. 5 g Glukose. Schon zwei Brezeln und ein Glas eines Süßgetränkes bringen in kurzer Zeit ca. 200 g Glukose ins Blut, was eine Überhöhung des Blutzuckers um das 40-Fache bedeutet. Dies zeigt die fatale Wirkung schneller Kohlenhydrate auf. Bei Kindern mit nur 2-3 Litern Blut ist die Überhöhung des Blutzuckers bei gleichem Verzehr schneller Kohlenhydrate noch ausgeprägter. 

Abb. 1

ZELLSTRESS UND INSULINRESISTENZ

Durch wiederholte oder andauernd erhöhte Blutzuckerwerte reagiert die Bauchspeicheldrüse mit verstärkter Insulinausschüttung, um den Blutzucker wieder in die Norm zu bringen. Glukose wird zunächst vermehrt in die Zellen eingeschleust. Das mögen die Zellen überhaupt nicht, denn ein Übermaß an Glukose stellt für sie einen erheblichen Stressfaktor dar. Einerseits ist es osmotischer Stress: Glukose bindet viel Wasser, was den Druck in den Zellen erhöht. Die Zellen blähen sich auf und drohen zu platzen, was ihren inneren Stoffwechsel einschränkt. Andererseits verklebt Glukose Proteine, wodurch Enzyme und Zellrezeptoren in ihrer Funktion beeinträchtigt werden, was ebenfalls Stress bedeutet. 

 

Wie reagieren die Zellen, wenn andauernd zu viel Glukose eingeschleust wird, die sie nicht haben möchten? Sie wehren sich, indem sie sowohl die Anzahl der Insulinrezeptoren auf ihrer Zellmembran als auch deren Empfindlichkeit reduzieren. Biologisch gesehen ist die Insulinresistenz ein Selbstschutz der Zelle gegen das Einschleusen von zu viel Glukose. Aus diesem Grund liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Therapie einer Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes in der dauerhaften Normalisierung von Glukose im Blut, also überwiegend in der Art der Ernährung. 

 

 

WEITERE NEGATIVE FOLGEN

Eine andauernde Überhöhung von Blutzucker und Insulin führt neben Insulinresistenz zu weiteren negativen Veränderungen. Der Überschuss an Glukose bewirkt eine zunehmende Verzuckerung von Eiweiß- und Fettstrukturen im Organismus, die man als Advanced Glycation Endproducts (AGE) bezeichnet. Diese nicht-enzymatisch vermittelten Glykierungen (Verzuckerungen) sorgen für einen Funktionsverlust von Enzymen, der zur Verlangsamung oder Blockierung von Stoffwechselprozessen führt. Weiterhin rufen die Glykierungen stille Entzündungen (silent inflammation) hervor, da Immunzellen AGE erkennen und angreifen können. Außerdem hemmt Insulin die Fettverbrennung und den Abbau von Fettgewebe. Gleichzeitig fördert es die Umwandlung überschüssiger Glukose in Neutralfette, was zur Vermehrung des Fettgewebes und einer Fettleber führt. (Abb. 2) Deshalb wird Insulin als Masthormon bezeichnet. Wer Fett abbauen möchte, muss unabhängig vom Ausmaß der Kalorienreduktion seinen Insulinspiegel im Normbereich halten, und zwar dauerhaft. 

 

Weiterhin bewirkt Insulin Hungergefühle, Erhöhung des Blutdrucks und die Entwicklung eines Metabolischen Syndroms. Außerdem steht es im Verdacht, Krebswachstum zu fördern. 

 

 

DIAGNOSTIK BEI VERDACHT AUF EINE GLUKOSESTOFFWECHSELSTÖRUNG

Angesichts der heute üblichen Ernährungsweise mit vielen schnellen Kohlenhydraten sollte bei allen Patienten wiederkehrend deren Zuckerstoffwechsel kontrolliert werden. Regelmäßigkeit ist deshalb bedeutsam, da Insulinresistenz bzw. Typ-2-Diabetes zu Beginn noch keine spezifischen Symptome auslösen. 

 

Nüchternblutzucker 

Für die Früherkennung hat die Bestimmung des Nüchternblutzuckers eine untergeordnete Bedeutung, da dieser Wert stark vom Essverhalten am Abend zuvor abhängt. 

 

oGTT 

Deutlich aussagekräftiger ist der orale Glukosetoleranz-Test (oGTT), bei dem innerhalb von 5 Minuten 300 ml einer glukosehaltigen Flüssigkeit (75 g reine Glukose) getrunken wird. Der Blutzucker wird davor sowie 1 und 2 Stunden danach gemessen. Mit dem oGTT wird eine Störung des Glukoseund Insulinstoffwechsels früh aufgedeckt. 

 

HzA1c-Wert 

Weiter ist eine regelmäßige Überprüfung des HbA1c-Wertes, einer verzuckerten Hämoglobinvariante, als Langzeitwert für den Zuckerstoffwechsel sinnvoll. Der HbA1c-Wert gibt Auskunft über die Art der Ernährung und das Blutzuckerverhalten der letzten 3 Monate. 

 

Homa-Index 

Um eine Insulinresistenz frühzeitig anzuzeigen, eignet sich der nach einer Formel berechnete Homa-Index. Grundlage hierfür ist eine morgendliche Messung von Glukose und Insulin im Blut (nüchtern). 

 

CGM-Geräte 

Neuerdings stehen CGM-Geräte zur Verfügung, die eine kontinuierliche Blutzuckermessung ermöglichen. Hierzu wird eine Messsonde in das Unterhautgewebe des Oberarmes platziert, die dort kontinuierlich die Glukosekonzentration in der extrazellulären Matrix misst. Die Werte liegen etwa 15% unter der Glukosekonzentration im Blut, sodass der Blutzucker daraus errechnet und mittels App am Handy permanent abgelesen werden kann. So lässt sich der Blutzuckerverlauf dokumentieren und darüber eine notwendige Therapie gut steuern. 

 

 

WEITERE LABORWERTE

Bei Verdacht auf Insulinresistenz sollte immer auch ein umfassendes internistisches Labor inklusive Triglyceriden und Gamma-GT erfolgen. Mithilfe dieser Werte kann in Kombination mit BMI und Bauchumfang der Fettleber-Index berechnet werden, der mit großer Sicherheit darüber Auskunft gibt, ob eine nicht-alkoholische Fettleber vorliegt oder nicht. 

Abb. 2

MEDIKAMENTÖSE THERAPIE

Bei akuten Entgleisungen des Blutzuckers ist der Einsatz von Insulin und Diabetes-Medikamenten absolut sinnvoll, oft sogar lebensrettend. Auf Dauer kann mit der Verordnung dieser Medikamente jedoch keine Heilung erzielt werden. Da der Insulinspiegel ohnehin bereits dauerhaft erhöht ist und die Zellen sich gegen zu viel Glukose wehren, muss eine Therapie mit täglichen Insulin-Injektionen sehr kritisch betrachtet werden. Dies gilt ebenso für Medikamente, welche die Bauchspeicheldrüse stimulieren, mehr Insulin zu produzieren, oder die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren erhöhen, um vermehrt Glukose in die Zelle einzuschleusen. Vereinfacht ausgedrückt: Die Glukose löst sich durch die Medikamente nicht in Luft auf, sondern wird nur vermehrt in die Zelle getrieben. Das verbessert laborchemisch den Blutzucker, jedoch auf Kosten einer erhöhten Glukosekonzentration in den Zellen, was zu Nebenwirkungen führt. 

 

Für die Langzeittherapie von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes muss immer konsequent die Umstellung der Ernährungs- und Lebensweise erfolgen. Nur damit wird die Chance auf Heilung ermöglicht. 

 

 

SYSTEMBIOLOGISCHE THERAPIE

Erhöhter Blutzucker ist genau genommen nicht die Krankheit, sondern ein Symptom, eine Regulationsstörung im Glukosestoffwechsel. Therapeutisch sollte nicht vordergründig das Symptom beseitigt werden, sondern die Regulationsstörung. Diese wird durch vielfältige negative Einflussfaktoren ausgelöst, welche die moderne Lebensweise mit sich bringt. Es ist v. a. eine andauernde zuckerlastige Fehlernährung in Kombination mit Bewegungsmangel, chronischem Stress, Mikronährstoffdefiziten und mangelnder Regeneration. Hier müssen Prävention und Therapie ansetzen. 

 

Der Begriff „Ganzheitliche Therapie“ sollte besser durch den wissenschaftlich geprägten Begriff „Systembiologische Therapie“ ersetzt werden. Ihr Ansatz ist es, alle negativen Faktoren bzw. Mangelzustände, die eine Erkrankung auslösen, zu beheben. Nur so kann jedes lebendige System gesund bleiben oder es wieder werden. Demnach genügt es nicht, nur einen Faktor (z. B. die Ernährung) zu korrigieren, ohne parallel einen Bewegungsmangel oder ein Mikronährstoffdefizit zu beheben. Systembiologisches Denken und Therapieren bedeutet, sämtliche Mängel zu beseitigen. (Abb. 3)  

 

Eine systembiologische Sprechstunde mit entsprechender Diagnostik und Beratung bis hin zur Schulung des Patienten erfordert wesentlich mehr Zeit, als dies in der momentanen Praxis möglich ist. Der Patient muss sich mehr in die Therapie einbringen, als lediglich Medikamente einzunehmen oder Insulin zu spritzen. Deshalb muss er umfassend informiert und zur Übernahme von Eigenverantwortung motiviert werden. Der Schwerpunkt der Therapie liegt auf einer Ernährung mit nur wenigen schnellen Kohlenhydraten. Hinzu kommt ausreichend körperliche Bewegung, da die Muskelzellen dabei unabhängig vom Insulin vermehrt Glukose aufnehmen und verbrennen. Systembiologisch müssen ebenso der Säure-Basen-Haushalt, die Mikronährstoffversorgung, das Darmmilieu, Stressfaktoren etc. überprüft und ggf. korrigiert werden. 

Abb. 3

FAZIT

In der Menschheitsgeschichte haben sich Überfluss und Not immer abgewechselt. Dies bleibt heute größtenteils aus. Der moderne Mensch befindet sich insofern in einer Einbahnstraße: Fettreserven werden auf-, jedoch kaum mehr abgebaut. Die Stoffwechselflexibilität, im Hungermodus rasch auf Fettverbrennung umzuschalten – von der Ernährung von außen auf die Ernährung von innen (Stoffwechsel) – geht zunehmend verloren. Deshalb ist es sinnvoll, sich immer mal wieder in diesen Hungermodus zu begeben, um Stoffwechselflexibilität zu erhalten. Hierzu sind Intervallfasten und andere Formen je nach Situation des Patienten geeignet. Ohne Stoffwechselflexibilität besteht der Drang, regelmäßig zu essen, was zu dem heute weit verbreiteten andauernden Verzehr schneller Kohlenhydrate führt. Dieser muss drastisch eingeschränkt und der Bewegungsmangel als einfachster Einflussfaktor behoben werden. Sonst wird die Anzahl der Patienten mit Übergewicht in Kombination mit Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes weiter ansteigen. 

Bernhard Dickreiter

Facharzt für Innere, Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Naturheilverfahren, Experte für Klinische Geriatrie und Sozialmedizin, Autor

bernhard.dickreiter@yahoo.com

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