aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2010
Fallstudie aus der psychologischen Praxis : Somatisierungsstörung
Die Somatisierungsstörung gehört zur Gruppe der „somatoformen Störungen“, die im ICD-10 unter F45 kodiert werden. Die Haupteigenschaft der somatoformen Störung ist das Auftauchen körperlicher Symptome, die die Person zum Anlass nimmt, aus Angst und Besorgnis medizinische Abklärung einzufordern. Diese Forderung bleibt i. d. R. auch dann bestehen, wenn die Symptome medizinisch nicht begründet werden können. Die Patienten sind oft irritiert und versuchen es dann beim nächsten Arzt u.s.w. Die Somatisierungsstörung ist gekennzeichnet durch verschiedenartige, meist wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome. Viele Betroffene haben bereits Operationen hinter sich.
Rückenschmerzen und Dysmenorrhoe als Ausdruck psychischer Belastung
Anamnese:
Die zierliche 19-jährige Stana kommt in meine Praxis, nachdem der Hausarzt ihre Beschwerden als psychosomatisch bezeichnet hat. Sie berichtet von heftigen Stimmungsschwankungen, die sich in den letzten Monaten entwickelt haben und ihrer Meinung nach in Bezug zu ihren Rücken- und Regelschmerzen stehen. Orthopäden und Gynäkologen konnten keinen körperlichen Befund feststellen. Stana erzählt von Kommunikationsproblemen mit ihrer Mutter, insbesondere seitdem „Mama einen neuen Partner hat“, und fühlt sich – eine Ausbildung an einer Modeschule machend – oft kaum arbeitsfähig.
Vorbehandlungen:
Stana betreibt Kampfsport, daher wurde ihr Rücken sehr ausführlich untersucht. Beim Gynäkologen blieb die Suche nach Polypen, Myomen, Endometriose o.ä. befundlos. Nach längerer Odyssee hatte sie schließlich einen naturheilkundlichen Gynäkologen gefunden, der ihr Carminativum verschrieb, dann über mehrere Monate Alchilea. Die Dysmenorrhoe besserte sich etwas. Keine sonstigen Medikamente; mit 16 hat sie die Pille abgesetzt, obwohl sie weiß, dass diese die Beschwerden lindern könnte.
Diagnose:
Somatisierungsstörung; mittelgrad. depressive Episode
Therapie:
Psychotherapie – angesetzt werden 20 Termine
Beobachtungen und Verlauf:
Stana macht einen intelligenten, reflektionsfähigen Eindruck. Sie wirkt ernst, geht manchmal aus dem Blickkontakt, als ob sie sich für etwas schuldig fühlt. Ich erlebe sie als affektiv beweglich. Ihre Schilderungen von Lebensepisoden sind eher von Verlust- als von Aneignungsthemen geprägt. Der Nähe- und Kontaktverlust zum leiblichen Vater (als sie 9 Jahre alt war) schmerzt und belastet sie sehr. Ärger auf die Mutter ist deutlich spürbar. Die Mutter rede alle an die Wand und traktiere ihren neuen Partner und auch sie mit Verhaltensregeln.
Generell fallen Stana Trennungen schwer. Meist sei sie zu Menschen allgemein erst distanziert gewesen, dann habe sie zu viel Nähe gesucht, oft sei das emotional sehr schlimm für sie gewesen. Drei feste Beziehungen habe sie gehabt, die Trennungen seien schrecklich gewesen. Einiges spricht dafür, dass es eine weibliche Symbiose zwischen Stana und ihrer Mutter gab und der Vater nie eine richtige Chance hatte, Teil der Familie zu werden. Die Mutter hatte sich schon früh innerlich vom Vater verabschiedet.
Stanas bevorzugte Abwehrmechanismen sind Wendung gegen das Selbst und Reaktionsbildung. Eine schmerzhafte und unregelmäßige Menstruation lässt sich als mangelnde weibliche Individuation verstehen, die zeigt, dass die Patientin mit ihrer Identität als Frau noch nicht im Reinen ist. Mit der Lösung von der Mutter wurden die Regelbeschwerden langsam besser.
Ergebnis und Prognose:
Die Patientin hatte zu viel Verantwortung für ihre Mutter übernommen. Bei psychischem Stress mit dieser wurden die Rückenschmerzen heftiger. Stana musste in der Therapie diese Zusammenhänge entdecken, um ihr Denken und Handeln zu verändern. Ihre schon lang zurückliegende Wut und Schuldgefühle im Zusammenhang mit der Trennung der Eltern hatten sich im Rücken angestaut. Dass sie schnell ein schlechtes Gewissen bekam, war Stana rasch klar. Die Entlastung von Verantwortung wirkte sich schon zu Beginn der Therapie sehr positiv auf ihr Gesamtbefinden aus.
Ich empfehle ihr die Einnahme von Calcium Carbonicum. In den folgenden Monaten berichtet Stana von enormer Verbesserung ihres Befindens; vermutlich hat das Calcium Carbonicum in Kombination mit dem Klären des Verantwortungs-Konfliktes gewirkt. Ein nur noch leichtes Ziepen im Unterleib während der Periode erscheint Stana nun normal und wird von ihr auch nicht problematisiert.
Die Rückenschmerzen wurden rasch weniger. Zum Therapieende macht Stana den Eindruck, Herausforderungen gestärkt gegenübertreten zu können, so wie sie es im Sport praktiziert.
Götz Egloff, M.A.
Heilpraktiker für Psychotherapie, Arbeitsschwerpunkte: Systemtherapie und Supervision
Kontakt: goetz.egloff@web.de
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