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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2010

Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Akute Belastungsreaktion bei Neurotischer Depression

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Patientin: 36-jährige Frau mit Erschöpfung und innerer Unruhe

© Robert Lehmann - Fotolia.comIch bin Heilpraktikerin für Psychotherapie, Fachberaterin für Psychotraumatologie und führe eine Einzelpraxis in Leverkusen. Gelegentlich bekomme ich Klienten von einer Psychiaterin „überwiesen“, die keine Kapazitäten für eine Psychotherapie hat. Meine Schwerpunkte sind Stress- und Gesundheitsmanagement, vor allem die Therapie von Mobbing und Burnout. Des Weiteren berate ich traumatisierte Klienten, mit dem Ziel, ihnen Stabilisierungs- und Distanzierungstechniken näherzubringen.

Hier ein Fall aus meiner Praxis

Eine 36-jährige Frau kommt mit Erschöpfung und innerer Unruhe zu mir. Die „Überweisung“ erfolgte durch eine Ärztin für Psychiatrie.

Eine Krise im Arbeitsbereich ihrer PR-Agentur löste die Erkrankung aus. Viele Stellen wurden gekürzt, die Chefin sprach mit Kunden schlecht über sie, gab ihr nur noch kleine Projekte und machte ihr „Druck ohne Ende“. Sie fühlte sich von Tag zu Tag kraftloser, war verzweifelt und ratlos. Schließlich wurde sie gekündigt.

Der Vater bot ihr an, als Geschäftsführerin in seinem Unternehmen zu arbeiten. Sie übernahm erst einmal für 20 Stunden die Woche. Eine weitere Entscheidung ist hier noch zu treffen.

Aktuell ist die Klientin von einer Beziehungskrise belastet. Ihr Partner, mit dem sie seit vielen Jahren zusammenlebt, lässt sich einfach nicht von seiner Ehefrau scheiden.

In ihrer Beziehung erlebt sie sich zurückhaltend, abwartend und nicht widersprechend. Sie hat Angst vor ihrem Partner. Er sei oft sehr laut und unberechenbar, wenn sie ihre Meinung äußere.

Alles sei überlagert von ihrem Pflichtgefühl dem Vater gegenüber. Von ihrem Freund fühlt sie sich weder verstanden noch akzeptiert. Kann derzeit keine Entscheidungen treffen.

Die Klientin wirkt verstört, angespannt, sehr belastet und erschöpft. Stimmungslage ist depressiv, ihr Antrieb scheint blockiert.

Affektiv ist die Klientin gehalten, versucht kontrolliert und traurig.

Ihr Leidensdruck ist sehr deutlich. Die Unruhe und die Schlafstörungen sind nach Abklärung (Arzt) nicht pathologisch bedingt.

Hintergrund

Die Klientin wuchs mit ihrer sieben Jahre älteren Schwester bei ihren Eltern auf. Der Vater leitet als Diplom-Ingenieur ein Unternehmen und arbeitet sehr viel. Die Mutter wurde als stets überfordert und entnervt erlebt. In der Pubertät wurde die Mutter alkoholabhängig, ließ sich jedoch nicht behandeln. Scheidung der Eltern, als sie 15 Jahre alt war. Sie lebte dann im Rahmen eines Schüleraustausches ein Jahr in den USA, fühlt sich seitdem schuldig an der Erkrankung ihrer Mutter und hat auch keinen Kontakt mehr zu ihrer Schwester. Sie hatte immer das Gefühl, alles falsch zu machen. Frühe massive Selbstzweifel, weder Trost noch Zuspruch von der Familie. Sie erlebte viel Einsamkeit.

Psychodynamik

Die Klientin entwickelte schon früh Angst vor ihrer unberechenbaren Mutter, die sie oft beschuldigte und schlug. Der Vater wirkte weder vermittelnd noch ausgleichend. Die Klientin lernte sich unterzuordnen und gestaltete ihr Leben sehr zurückhaltend und bescheiden, stets gehorsam, ihre Pflichten erfüllend, Aggressionen ausweichend. Sie lernte nicht, Schwächen zu zeigen, da dies von der Mutter bestraft wurde. Sie verbarg ihre Ängste, unter denen sie litt.

So entwickelte sie im privaten wie auch beruflichen Bereich ein irritierendes Selbstbild, das es ihr nicht erlaubt, sich abzugrenzen und mit anderen Menschen kritisch auseinanderzusetzen. Gefühle wie Traurigkeit und Angst werden mit Schwäche und Versagen gleichgesetzt. Sie lebt mit dem Grundsatz, es allen recht machen zu wollen und brennt dabei mehr und mehr aus.

In der Familie lernte die Klientin früh zu verzichten und zu funktionieren. Ihre Ängste und die Wut richtete sie unbewusst gegen sich selbst. Es entstand das Grundgefühl, nicht akzeptiert und nicht geliebt zu werden, was sich auch in ihrer jetzigen Beziehung widerspiegelt. Sie entwickelte verstärkte somatische Symptome der Verzweiflung, Unruhe und Schlaflosigkeit. Bislang konnte die Klientin ihre erlittenen Kränkungen, Schmerzen, Scham und Ängste nicht bedauern.

Diagnose

F43.0 Akute Belastungsreaktion bei F43.3 Neurotischer Depression, Z73.0 Burnout-Syndrom (Abklärung durch Ärztin).

Behandlungsplan

Im Rahmen tiefenpsychologisch fundierter psychotherapeutischer Einzelsitzungen kann der Klientin die notwendige Unterstützung und Sicherheit gegeben werden. Im Vordergrund steht die Stärkung ihres Selbstwertgefühls.

Therapie

Im Laufe der Therapie lernt die Klientin, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zuzulassen und zu differenzieren, der Geschichte und den aktuellen Anlässen zuzuordnen. Erst allmählich bedauert sie die Ängste und Kränkungen. Sie fühlt sich mehr und mehr entlastet. Sie erlernt die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, die eine entspannende Wirkung auf sie hat.

Nach 20 Therapiestunden ist die Klientin gestärkt und stabil. Eine Distanzierungstechnik (Gepäck ablegen) hilft ihr dabei, sich darüber klar zu werden, nicht alles an sich „ranzulassen“ und die Verantwortung nicht für andere zu übernehmen.

Iris Gödecker Iris Gödecker
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Entspannungstherapeutin
info@irisgoedecker.de

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