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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2013

Ovarielle Insuffizienz

Cover

Wenn der Kinderwunsch (k)eine Chance mehr hat

© lassedesignen - Fotolia.comDie 30-jährige Patientin stellte sich im Rahmen unserer Sprechstunde erstmals im Februar 2012 vor. Sie sei mit den Nerven am Ende und könne nicht glauben, was ihr die Frauenärztin vor wenigen Tagen mitgeteilt habe. Sie leide unter einer ovariellen Insuffizienz, welche bereits so weit vorangeschritten sei, dass eine Sterilität vorläge. Ihr Anti-Müller- Hormonwert (AMH), der in der Medizin als Indikator der Reproduktionsfähigkeit der Frau bzw. zur Abschätzung der ovariellen Reserve gehandelt wird, sei bereits nicht mehr messbar (der altersbedingte Normbereich liegt bei 1-8). Darüber hinaus sei auch der hormonelle Status an den weiblichen Hormonen Estradiol sowie der Gonadotropine außerhalb des Normbereichs für Frauen im reproduktionsfähigen Alter (vgl. Ortmann & Hadji, Kap. 9; Strowitzki, Kap. 24). Ihre Werte entsprächen hingegen denen einer sich im Klimakterium befindlichen Frau. Die Restreproduktionschance wurde per Laborbefund auf 5% eingeschätzt.

Ursachen für diesen Befund werden derzeit noch stark untersucht und können größtenteils nur als idiopathisch – ohne genauere Details – eingeschätzt werden. Dies liegt u.a. an der geringen Prävalenz (0,1%) und Inzidenz (in diesem Alter 2:100000) der ovariellen Insuffizienz (vgl. Ludwig, 2009, S. 336). Studien mit einer größeren Fallzahl sind bei einer solchen Prävalenz nicht einfach durchführbar. Bislang liegen nur einige Fallstudien und wenige Untersuchungen mit geringer Fallzahl vor. In Deutschland forscht z.B. die Universität Heidelberg. Von den wenigen untersuchten Fällen sind bei prämaturer ovarieller Insuffizienz bislang folgende Ursachen bekannt (vgl. Ludwig, 2009; Endokrinologikum Labore Hamburg, 2012):

  • Chromosomale Aberrationen
  • Verlust des Keimgewebes infolge operativer Eingriffe
  • Virusinfektionen
  • Chemo-/Radiotherapie
  • Autoimmunerkrankungen (in 30% der Fälle, v.a. solche der Schilddrüse)

Bei unserer Klientin waren keine Vorerkrankungen bekannt, sodass eine unbekannte Ursache vorliegt. Die Klientin war zutiefst deprimiert, denn die Gynäkologin hatte die bereits seit zwei Jahren bestehende Amenorrhö nicht ernst genommen und erst auf das Drängen der Patientin den Hormonstatus bestimmt. Mit mitleidigem Blick habe ihr die Ärztin den Befund mitgeteilt und ergänzt, dass sie für ihre Patientin nun nichts mehr tun könne. Sie solle sich für weitere Fragen und zur Auslotung etwaiger Therapien an ein Kinderwunschzentrum wenden. Zum Zeitpunkt des Erstbesuchs in unserer Praxis hatte die Klientin bereits zwei Termine – einen in einer Klinik und den anderen in einem privaten Kinderwunschzentrum – ausgemacht.

Die Klientin begriff schnell, dass die Allgemeinmedizin bei ihr an die Grenzen gestoßen war. Nach der Diagnose würde ihrer eigenen Einschätzung nach nun nichts mehr folgen können. Wer sollte ihr schon die fehlenden Eier ersetzen können? Selbst die Internetrecherche hatte zusätzlich ernüchtert, denn nur in einem einzigen Fall wurde ein nicht messbarer Wert bei einer Frau in ihrem Alter diagnostiziert. Auch die Recherche ihres Partners, der die ganze Zeit gegen die Gründung einer eigenen Familie war, hatte ergeben, dass selbst künstliche Befruchtungsmethoden wie die ICIS (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion), die im engeren Sinne als künstlich gehandelte Befruchtung sowie die IVF (In-vitro-Fertilisation) nicht mehr als erfolgsbringend eingeschätzt werden können.

Da wir Ayurveda praktizieren, wussten wir, dass die Alternativmedizin in puncto Sterilität eine Menge zu bieten hat. Wir klärten die Klientin darüber auf, dass es Therapiemöglichkeiten gibt, die ganzheitlich vorgehen und dass wir ihr diese anbieten könnten. Da der Befund sehr ernüchternd war, teilten wir der Klientin darüber hinaus mit, dass wir nicht in der Lage seien, die fehlende ovarielle Reserve zu füllen. Stattdessen würden wir versuchen, mit ihr zusammen die noch bestehenden Bestände zu unterstützen und die Kräfte ihres Körpers zu aktivieren. Die Klientin kam uns sehr unbeausgezerrt, überarbeitet und gestresst vor. Um alle noch offenstehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, empfahlen wir ihr außerdem, dass sie den Kliniktermin und die Kinderwunschberatung unbedingt wahrnehmen sollte, um dort alle aufgetretenen speziellen Fragen zu Reproduktionschancen zu klären. Und ein Letztes kam hinzu: Dringend die Frauenärztin wechseln, denn eine solche Vorgehensweise ist keine Basis für ein Vertrauensverhältnis in einer solch misslichen Lage.

Anamnese

Die Klientin berichtet von gesundheitlichen Problematiken seit 2009, insbesondere von Migräne mit Gesichtsfeldverlusten und Phasen mit starken Schwächegefühlen sowie Müdigkeit. Multiple Sklerose sei bereits als Ursache in einer aufwendigen Diagnostik ausgeschlossen worden. 2010 kamen dann plötzlich Panikattacken schwersten Grades (ca. vier Attacken täglich) mit persistierender hoher Agitiertheit hinzu. Die Klientin habe sich zu dieser Zeit bei einem Psychiater vorstellen wollen, um medikamentös unterstützt zu werden.

Die Klientin hatte bereits damals in einem Ärztebuch Informationen bzgl. Panikattacken gefunden, die auch endokrinologische Ursachen in Betracht ziehen. Da es der Patientin bis dato gut ging und psychische Erkrankungen unbekannt waren, gab es ihrer Meinung nach nur eine solche Ursache. Ihren Vermutungen wurde von ärztlicher Seite keine Beachtung geschenkt.

Aufgrund der zweimonatigen Wartezeit bei Psychiater und Psychologen habe sie sich damals zur radikalen Selbsttherapie entschieden (ihr Hausarzt habe sie damals nicht ernst genommen und ihr stattdessen Entspannungskurse empfohlen): Die Patientin klärte ihren Arbeitgeber über ihre Symptomatik auf. Dieser reagierte sehr verständnisvoll und wollte ihr vorübergehend Fehlzeiten am Arbeitsplatz nachsehen. Die Patientin äußerte, dass dies in ihrem Falle kontraindiziert sei, „sie müsse da durch“. Da das Erregungsniveau durchgehend persistierte, konnte sie nachts keinen ruhigen Schlaf mehr finden. Wenn es ganz schlimm wurde, zog sie sich um und joggte durch die Nacht. Nach drei Wochen hatte sie das Gröbste überstanden, wobei aber eine mildere Phase 2011 erneut auftrat.

Die Patientin vermutete nun auch, dass ihr Blutzuckerspiegel etwas damit zu tun haben musste. Der orale Glukosetest in der internistischen Praxis ergab eine pathologische Glukosetoleranz mit normalem Insulinverlauf. Die Patientin unterzuckert innerhalb kurzer Zeit. Die Glukoseaufnahme ist bei ihr verzögert, selbst nach Nahrungsaufnahme werden selten Werte um die 100 erreicht (Ausschluss Insulinom). Eine weitere endokrinologische Untersuchung, die auch das plötzliche Panikgefühl, die Schwitzattacken sowie die ständige Müdigkeit sowie den seit drei Jahren zunehmenden Haarausfall womöglich hätte aufklären können (typische Wechseljahresbeschwerden; vgl. Ortmann & Hadji, S. 526), blieb ihr versagt. Stattdessen empfahl man eine psychologische Konsultation und eine ausgewogenere Ernährung.

Therapie

Wir behandelten die Patientin bei ihren körperlichen Symptomen mit naturheilkundlich Mitteln (vgl. zur Naturheilkunde in der Gynäkologie auch Jungi, 2013 sowie Costea & Münstedt, 2009) und setzten zur psychotherapeutischen Behandlung eine Sitzung wöchentlich in Form einer Kurzzeittherapie mit 25 Stunden für die kommenden sechs Monate fest. Auf der körperlichen Ebene verschrieben wir spagyrische Heilmittel wie Solunat Nr. 4, verbesserten mit Sunthi (Ingwer) das Agni (Verdauungsfeuer) und machten eine abgemilderte Panchakarma-Kur (ayurvedische Entgiftungskur; siehe hierzu den Artikel „Reinigung bis in die tiefsten Ebenen“ von Heike Seegebarth, Ausgabe 03/2013, S. 4 ff), mit der Vorbereitung wie Snehana (mediziniertes Gheetrinken), Shiro-Dhara (Stirnguss) und anschließendem Sneha-Vasti (Öleinlauf). Damit sollten nach ayurvedischer Kenntnis die Dhatus (Körpergewebe) gereinigt und Apana Vata, die abwärtsgerichtete Bewegung, die für nach unten gerichtete Malas wie Ausscheidungen von Urin, Stuhlgang und Menstruationsflüssigkeit zuständig ist, gestärkt werden. Wir empfahlen eine aufbauende, nach ayurvedischen Prinzipien Kapha erhöhende Ernährung. Auf dem Speiseplan standen häufig Nüsse, Milchprodukte, Reis und frisches Obst, wie Mango und Feigen als auch frische Obstsäfte, z.B. roter Trauben- und Granatapfelsaft.

Außerdem sollte zur Regulation des Blutzuckers darauf geachtet werden, häufig kleine gesunde Snacks wie Nüsse, Obst und regelmäßig warme, frisch zubereitete Mahlzeiten in ruhiger Atmosphäre zu sich zu nehmen. Das teils unbewusste nebenher Verspeisen von trockenem Brot mit Nutella, Schokoladenriegeln oder schwerem Kantinenessen in gestresster Atmosphäre sollte durch eine verantwortungsbewusste Einstellung zur Nahrung und ihrer damit verbundenen Wirkung auf das körperliche und mentale Wohlbefinden eingetauscht werden.

Phytotherapeutisch setzten wir zusätzlich auf die ayurvedische Pharmakologie (vgl. Schrott & Ammon, 2012). Satavari (wilder Spargel), Dadimadi Ghritam (mediziniertes Granatapfelghee) und schwarzer Sesam mit Rohrzucker wurden dafür ausgewählt. Diese Pflanzen haben alle eine aufbauende Wirkung auf das Sukra Dhatu (Fortpflanzungsgewebe), die Gebärmutter und den Hormonhaushalt.

2013-04-Ovarielle2Psychotherapeutisch arbeiteten wir in den wöchentlichen Sitzungen mit Mentaltraining kognitiv am Stressabbau, denn dieser hatte sowohl Folgen für den Schlaf als auch für den Hormonhaushalt der Patientin. Die körperlichen Stressreaktionen, die nach Seyle bekannt sind, zeigten sich hier vor allem in einer Fehlregulation der Insulinausschüttung (Diagnose Glucoseintoleranz) und durch einen verfrühten Östrogenmangel. Durch psychotherapeutische Maßnahmen, wie das Arbeiten an geeigneten Copingstrategien, neuen Bewertungen im Alltag und der Einsatz von Entspannungstechniken, sollte das Stressniveau nun verändert werden.

Des Weiteren widmeten wir uns den in der Vergangenheit aufgetretenen Panikattacken und damit der Auflösung destruktiver, unbewusster Konflikte und Ängste. Indem wir diese als Blockaden und Stressfaktoren benannten, schafften wir es, eine klare Zielsetzung zu formulieren. Mithilfe der Kunsttherapie (vgl. Fotos) konnten wir nicht nur kreative Lösungsprozesse in Gang setzen, sondern auch unbewusste Konflikte aufdecken.

Nach fünf Monaten berichtete uns die Patientin unerwartet, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt worden ist. Die Patientin geht jetzt verantwortungsbewusster mit ihrer Gesundheit um und fühlt sich Konflikten nicht mehr hilflos ausgeliefert. Die Selbstwirksamkeit, mentale Stärke und weitere Resilienzfaktoren (psychische Widerstandsfähigkeit) sind durch das Mentaltraining erhöht worden. Ihre selbst erarbeitete Zukunftscollage aus dem Mentaltraining, welche sie in glücklicher Umgebung mit zwei Kindern, Partner und einem schönen Haus zeigt, hängt weiter in ihrem Schlafzimmer. Es hat sich alles nur schneller erfüllt, als gedacht, und so wird sie sich bald eine neue Collage mit weiteren Zielen erstellen, berichtete die Patientin freudig. Sie fühlt sich seit einiger Zeit zufriedener, entspannter und hat im Alltag mehr Kraft für ihre Aufgaben zur Verfügung. Die Partnerschaft hat sich ebenfalls verbessert: Das Paar zieht nach fünf Jahren Beziehung gemeinsam aus der Stadtwohnung in ein kleines gemütliches Haus am Stadtrand. Durch den Abbau unbewusster Konflikte und Glaubensgrundsätze aus der Kindheit konnte auch in der Partnerschaft mehr Nähe zugelassen sowie Vertrauen durch eine verbesserte Kommunikation geschaffen werden. Beide freuen sich auf das Kind und blicken entspannt mit Zuversicht auf ihre gemeinsame Zukunft.

Isabella Bender Isabella Bender
Heilpraktikerin, Dozentin an den Paracelsus Schulen für die Ausbildungen z. Ayurveda Therapeut/in, ganzheitlicher Lebensberater/in und Mentaltrainer/in

isabellabender@gmx.de

Jasmin Römer Jasmin Römer
Dipl.- Psychologin, Systemische Beraterin & Therapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

J.Roemer@em.uni-frankfurt.de

Literaturangaben

  • A. Costea & K. Münstedt Komplementärmedizin und assistierte Reproduktion. Gynäkologische Endokrinologie 7, 57-62, 2009
  • W. F. Jungi, Naturheilverfahren in der Gynäkologie, in N. Kaufmann, S. D. Costa & A. Schal (Hrsg.), Die Gynäkologie, S. 1007-1014 Heidelberg: Springer, 2013
  • M. Ludwig, Primäre Ovarinsuffizienz, in F. Leidenberger, T. Strowitzki & O. Ortmann, (Hrsg.), Klinische Endokrinologie für Frauenärzte, S. 336-348, 4. Auflg., Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2009
  • O. Ortmann & P. Hadji, Endokrinologie der perimenopausalen Übergangsphase, der Postmenopause und des Seniums, in F. Leidenberger, T. Strowitzki & O. Ortmann, (Hrsg.), Klinische Endokrinologie für Frauenärzte, S. 198-215, 4. Auflg., Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2009
  • E. Schrott, H. P. T. Ammon, Heilpflanzen der ayurvedischen und westlichen Medizin. Eine Gegenüberstellung, Heidelberg: Springer, 2012.
  • T. Strowitzki, Praktisches Vorgehen bei gestörter Ovarfunktion und damit assoziierten Phänomenen, in F. Leidenberger, T. Strowitzki & O. Ortmann, (Hrsg.), Klinische Endokrinologie für Frauenärzte, S. 635–712, 4. Auflg., Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2012
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