„Mein Herz“, denkt Opa, „mein armes Herz.“ Opa hat ein anspruchsvolles Leben hinter sich, ich hätte das oft genug nicht mitmachen mögen. Er wird langsam müde und will nicht mehr. Sein Körper beugt sich der Zeit. Seiner Zeit, die ihm ungefragt Kriege in die Schuhe geschoben hat.
Tod im Herz-Kreislauf-Versagen, so sagt die Pathologie, ist der gnädigste Tod von allen. Man sollte den wählen, wenn man die Möglichkeit dazu hat.
„Ach, Kinder, mir tun die Knie so weh, ich mag gar nicht mehr auf den Sonntags-Spaziergang mitgehen.“ Schade, denn die Enkelkinder haben sich immer so gefreut, wenn Oma dabei ist, auch wenn sie nur um sie herumwuseln. Sie hatten dann mehr Zeit zum Streunern, weil Oma so langsam geht.
Arthrose und all ihre Schmerzen, so sagt die Pathologie, kann uns jahrelang quälen. Doch man stirbt nicht an ihr.
Machen wir einen (Lebens-)Zeitsprung zurück: Haben Sie Kinder? Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass diese zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr überwiegend barfuß gehen wollten? Und dass sie in diesen zwei Jahren oft genug auf den Zehenspitzen gelaufen sind? Meine wollten es so. Haben alle Kinder sich abgesprochen? Steckt da ein Plan dahinter?
Wenn wir Kinder lassen, dann entwickelt der frühkindliche Neugeborenen-Plattfuß sein formschönes Fußgewölbe. Mit mir sind meine Eltern dann aber zu diesem Schuhhändler gegangen, der grüne Comic-Heftchen an uns Kinder verschenkt hat. Der Held hieß Lurchi.
Unseren Eltern war dieser Teil des Kaufs egal; sie kamen ja, weil der Hersteller für alle Kinder Fußbetten in die Schuhe eingebaut hatte. Wir hatten in diesen Lebensjahren noch alle Plattfüße dieser Welt, aber irgendwer muss sich wohl überlegt haben, dass dagegen nur Schuhe mit orthopädischem Fußbett helfen.
Und wenn man damit erst einmal angefangen hat: Meine ersten (und letzten) Einlegesohlen hatte ich mit 18 Jahren. Dass viele unserer Zeitgenossen später erneut Einlegesohlen brauchen, freut deren Hersteller. Uns nicht. Denn die Brustwirbelsäule hat in Folge der Fußfehlbildung und der Last der Jahre eine Skoliose entwickelt, die auf die Spinalganglien des Herzens drückt, Kerngebiet Th3-4, und so das Herz in späteren Jahren aus dem Tritt bringen kann.
Der Körper des Menschen baut sich von unten her auf. Nur ist noch keiner auf den Gedanken gekommen, da eine Verbindung herzustellen. Und zwar dergestalt, dass wenn schon dasFundament nicht trägt, der Aufbau nur noch wackelig sein kann. Weil die Kardiologen nicht mit den Orthopäden sprechen, warum sollten sie das auch tun? Nehmen Sie mal dem Eifelturm einen seiner vier Plattfüße weg! Das nennt man Statik.
Was machen nur all die anderen armen Kinder, die keine Fußbetten haben? Die haben am anderen Ende ihres Lebens seltener Koronarbeschwerden und Kniegelenksarthrosen? Die sterben öfter mal, weil sie alt sind? Na gut, sagt mir der Ethnologe, es gibt natürlich auch Urvölker, da werden die Menschen nur 52 Jahre alt. Doch im Hohelied Salomonis wird die Geliebte wie folgt angesprochen: Dein hoher Gang, deine schöne Gestalt! Dass Bilqs, die Königin von Saba und Zeitgenossin des weisen Königs Salomo, unter Plattfüßen gelitten hätte, davon ist nichts verzeichnet.
Vielleicht denken Sie, nun hat der Schnura aber endgültig ein Rad ab! Verbindet alles mit allem. Aber ich gehe sogar noch weiter: Ich finde es schwer vorstellbar, dass die Evolution – oder sagen wir: die Natur die zweiterfolgreichste Art auf unserem Planeten, Homo sapiens, von vornherein als Defektnummer anlegt, die ohne Einlegesohlen nicht über die Runden gekommen wäre. (Die erfolgreichste ist übrigens die artenreiche Gesellschaft der Mikroorganismen.)
Mein Vorschlag: Lassen wir sie doch in Ruhe, unsere Kinder und ihre Natur. Die haben doch auch ohne unsere Aufforderung gehen, hüpfen und sprechen gelernt. Haben zur richtigen Zeit das richtige Zeug getan. Und Omas heutige Kniebeschwerden schieben wir einfach den Orthopäden in die Schuhe, bevorzugt solchen, die Einlegesohlen für die Rettung der abendländischen Kultur halten.
Könnte man sagen, wir haben es versemmelt? Ja, könnte man einerseits. Andererseits bringt jede Kultur, jedes Zeitalter seine Herausforderungen mit sich: KI, EBM etc. Auch wenn uns Evidenz nicht immer überzeugt und wir Heilpraktiker uns damit abmühen. Was das Leben spannender, aber auch erfüllender macht.
