Sokratische Gesprächsführung bei Verlust von Lebensfreude
Beim explikativen Sokratischen Dialog geht es um die Frage, welche persönliche Bedeutung der Einzelne mit seinem Therapieziel verbindet. Das folgende Praxisbeispiel stellt v. a. den Wert der genauen Gesprächsführung heraus.
Patient
Ein 48-jähriger, im Außendienst tätiger Patient (verheiratet, zwei Kinder) stellt sich aufgrund von Verlust der Lebensfreude, Rückzugstendenzen, Schlafstörungen, Ängsten und Schwächegefühlen vor. Er stehe morgens auf, um seine Arbeit zu erledigen – doch was dann? Er weiß nicht weiter und möchte wieder Zufriedenheit im Leben spüren.
Verlauf
Definitionsversuch durch den Patienten
Ich bitte den Patienten, für sich herauszufinden, was genau er unter dem Wort „Zufriedenheit“ versteht. Er definiert es so: „Zufriedenheit ist, was eine innere Ruhe in mir auslöst“.
Konkretisieren und Alltagsbezug zum Thema
Ich lasse mir daraufhin die Hintergründe zum Thema näher erklären und decke erste Widersprüche auf.
Therapeut: Wenn Sie diese innere Ruhe nicht empfinden, dann sind Sie unzufrieden?
Patient: Kann man so sagen.
T: Um zufrieden zu sein, müssen Sie eine innere Ruhe empfinden. Habe ich das richtig verstanden?
P: Ja, das stimmt.
T: Umgekehrt: Um innerliche Ruhe zu finden, braucht es Zufriedenheit?
P: Da drehe ich mich wohl im Kreis. Merke gerade, dass es nicht so einfach ist, die Frage zu beantworten.
Prüfung und Eruierung von Begründungen Ich lenke das Gespräch so, um weiter zu prüfen und Begründungen herauszufinden. Nach der ersten Verwirrung zur Definition leite ich einen Perspektivwechsel ein.
T: Wer oder was trägt zu Ihrer Lebenszufriedenheit bei?
P: Mal überlegen. Meine Familie natürlich. T: Und wie trägt sie dazu bei?
P: Wenn alles harmonisch abläuft.
T: Harmonisch. Was meinen Sie damit?
P: Gute Frage. Ich merke, dass ich mich wieder im Kreis drehe.
T: Lassen Sie uns mal weitersehen: Wer oder was trägt noch dazu bei?
P: Meine Arbeit, wenn da alles funktioniert. T: Was heißt funktionieren?
P: Naja, ob alles glatt läuft oder es Probleme gibt.
T: Wenn auf der Arbeit alles glatt läuft, sind Sie dann zufrieden?
P: Ja, schon.
T: Und die Familie? Falls es dort nicht so harmonisch verläuft, was ist dann?
P: Hm, beides zusammen müsste schon passen.
T: Verstehe. Wenn es in der Familie harmonisch zugeht, jedoch bei der Arbeit Probleme auftreten, wie ist es dann mit der Zufriedenheit?
P: Nein, das passt nicht.
T: Gibt es noch etwas, was zu ihrer Zufriedenheit beitragen müsste?
P: Meine Gesundheit.
T: Verstehe ich das richtig, dass Sie bei Erkrankung unzufrieden sind?
P: Kommt auf die Erkrankung an. Ein Schnupfen ist etwas anderes als die Rückenschmerzen vor ein paar Monaten. Die waren heftig.
T: Ich fasse mal zusammen: Ihre Zufriedenheit hängt davon ab, ob es in Ihrer Familie harmonisch abläuft, dass es bei der Arbeit keine Probleme gibt und Sie gesund sind. Stimmt das so?
P: Hört sich nach vielen Wenn und Aber an. Irgendwie schon.
Eine erste Verunsicherung wird spürbar. Wir prüfen weiter.
T: Wodurch entsteht Harmonie?
P: Dass keiner dem anderen etwas krummnimmt.
T: Wovon hängt dies ab? P: Na, von beiden.
T: Und wovon hängt es ab, dass es in der Arbeit läuft?
P: Wie die Kunden reagieren, dass ich alles richtig mache und die Prozesse richtlinienkonform laufen.
T: Wie sieht es mit der Gesundheit aus. Wovon hängt die ab?
P: Gesundheit? Von der Ernährung, Bewegung oder Erholung.
T: Gut, fassen wir das mal zusammen. Könnten Sie jetzt eine Definition für sich finden? Zufriedenheit ist, wenn …
P: Wenn es in der Familie harmonisch läuft, es auf der Arbeit ohne Probleme zugeht und ich gesund bin.
Definitionsprüfung
Erneut versuche ich, Widersprüche im Dialog aufzudecken.
T: Das verstehe ich noch nicht ganz. Alles muss eintreten, damit Sie zufrieden sind?
P: Ja, irgendwie schon.
T: Wieso?
P: Naja, ich glaube es zumindest.
T: Mal sehen: Das eine hängt vom anderen ab, ob sie sich zufrieden fühlen?
P: Abhängen? Das hört sich nach mächtig viel an. Ich merke gerade, dass da viel zusammenkommen muss, damit ich wieder zufriedener bin.
T: Wovon hängt es noch ab? Ich meine, wer nimmt noch Einfluss darauf?
P: Wie meinen Sie das?
T: Bei der Arbeit. Sie sagten, wie die Kunden sich verhalten und dass die Prozesse konform verlaufen.
P: Von anderen halt. Von Kunden, Kollegen und auch den Zulieferern.
T: Heißt?
P: Dass da andere mitmischen bei meiner Zufriedenheit.
T: Wenn das stimmt, was sagt das über die Bewertung zur Zufriedenheit für Sie aus?
P: Dilemma. Da mache ich mich von anderen wohl abhängig, wie es mir geht.
Ergebnis
Die gefundene Wahrheit soll nun verdeutlicht werden. Da der Prozess noch nicht abgeschlossen ist, wird dieser in der nächsten Stunde fortgeführt:
T: Heißt?
P: Dass ich meine Zufriedenheit nicht von anderen oder äußern Umständen abhängig machen sollte.
T: Klingt vernünftig. Und was bedeutet das nun für Sie?
P: Dass meine Zufriedenheit und wovon sie abhängt mir bisher nicht ganz klar war. Darüber sollte ich mir Gedanken machen.
T: Würden Sie das als Hausaufgabe für die nächste Stunde mitnehmen?
P: Okay.
T: Gut. Dann machen wir damit beim nächsten Mal weiter.
Seminar-Tipp
Kognitive Verhaltenstherapie Dozent: HP Psy Michael Marciniak Start Ort
Alle Termine und Informationen auf
Ausblick
In der nächsten Sitzung kann sich der Klient von seiner bisherigen Definition lösen. Zur Verdeutlichung wird ein Zusatzdialog angeschlossen („Was kann ich kontrollieren bei mir und bei anderen?“). Mit der gewonnenen Ver- änderungsmotivation wird an den irrationalen Bewertungen von Situationen (ABC-Analyse) gearbeitet. Der Patient kann nach einigen Situationsanalysen selbstständig seine Bewertungen erkennen und benennen und sich mit seinen inneren Anteilen auseinandersetzen. Dies führt nachhaltig zu einer Verbesserung im Umgang mit externen Einflüssen und zu mehr Zufriedenheit.
Fazit
Der Dialog stellt ein zentrales Werkzeug dar, um Patienten zu helfen, ihre Gedanken zu analysieren und zu hinterfragen, somit irrationale Konstrukte zu erkennen und diese ggf. zu verändern. Dies fördert die Selbstreflexion und stärkt Problemlösungskompetenz sowie Selbstwirksamkeit.
