aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/1999
Multiple Persönlichkeitsstörung – Dissoziative Identitätsstörung
Paracelsus Schule Hannover | |
Teil 3 6.0 Therapieziel Ein therapeutisches Ziel ist, unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile einander näher zu bringen, sie miteinander bekannt zu machen, so daß sie künftig Absprachen treffen und sich daran halten können und schließlich ein Zusammenfügen der abgespaltenen Identitäten zu einer kohärenten Persönlichkeit. Ein anderes wichtiges Ziel ist, mit den zerstörerischen Persönlichkeitsanteilen “Verträge zu schließen”, damit sie z.B. nicht mit dem Auto gegen einen Baum fahren müssen. Für die sog. “Kleinen” im System und sehr traumatisierten Persönlichkeitsanteile müssen Hilfen etabliert werden, so daß sie nicht plötzlich in der Schule oder in anderen unpassenden Situationen auftauchen. Zusammenfassend wird es ein wichtiges Ziel sein, ein “Co-Bewußtheit” zu schaffen. Wenn das ganze “System” weiß, was_ alle anderen “Anteile” denken, fühlen und wollen, wird die Bewältigung des Alltags für die Betroffenen sehr viel leichter. Die Klientin sollte am Ende der Therapie erreicht haben, daß sie ihren Alltag bewältigen kann, ohne “Zeitverluste” zu erleben. Die Klientin soll selbst bestimmen können, welcher Persönlichkeitsanteil jeweils im Vordergrund ist. Sie soll e5 schaffen, Anteile in ihr (“Personen”), die gerade “nichts draußen zu suchen haben”, in ihr Inneres zurückzuschicken, die dort an einem “sicheren Ort” auf den für sie passenden “Auftritt” warten können. 6.1 Therapieplanung Nachdem ich die Modelle von Bernnett G. Braun, Frank W. Putnam und Richard P. Kluft verglichen habe, entschied ich mich für das Phasenmodell von Kluft (1991). Bei den anderen Modellen wird meines Erachtens zu wenig Gewicht auf die frühen Therapiephasen gelegt. Im Wesentlichen geht es da um Techniken, mit denen die verschiedenen Persönlichkeiten erreicht werden können, um Kommunikation und um Verträge. KLUFT’s Modell geht aus von der “Vermutung, daß, je mehr sich die MPS-Patienten der ICH-Stärke von Patienten ohne MPS annähern, um so mehr werden sie der Psychotherapie zugänglich sein”. Laut Kluft stört allein die Anwesenheit der verschiedenen Persönlichkeiten autonome ICH-Funktionen wie Gedächtnis und bestimmte Fähigkeiten. Wenn einer Handlung ein Switch folgt, dann ist es nicht möglich, aus Erfahrung Schlüsse zu ziehen und zu lernen. In den frühen Behandlungsphasen geht es vorrangig darum, den MPS-Patienten in die Lage zu versetzen, seine Verletzlichkeiten und Defizite in den ICH-Funktionen zu verbessern, auszugleichen oder zu kompensieren. DAS PHASENMODELL nach Kluft (1991):
6.2 Maßnahmen und Methoden 6.2.1 Phase I: -› Gegenseitige Freiwilligkeit Es ist unerläßlich, mit der Klientin über die Diagnose zu sprechen und offenzulegen, wie sie zustande gekommen ist. Ebenso wichtig ist es, ihr mitzuteilen, ob und welche Zweifel es evtl. noch an der Richtigkeit gibt. Der Inhalt und die Bedeutung dieser Diagnose muß mit der Klientin ausführlich besprochen werden. Da es viele voneinander durch amnestische Barrieren getrennte Persönlichkeitsanteile im Sinne von “Personen” gibt, ist es wichtig, in das “System” hineinzusprechen und von Anfang an möglichst viele “Personen” zur Mitarbeit im therapeutischen Ablauf zu gewinnen. “Sollte jemand von uns den Drang bekommen, sich oder andere innen oder außen zu verletzen oder zu töten, so verpflichten wir uns, dafür zu sorgen, daß dieser Drang nicht in die Tat umgesetzt wird, bis wir (Namen der Therapeutin einsetzen) das nächste Mal gesehen und mit ihr darüber gesprochen haben.” Beim Auftauchen “neuer Personen” sollte der Vertrag wiederholt werden. Weiterhin kläre ich dann, ob noch Täterkontakt besteht. Die Traumatisierung muß zu Beginn der Psychotherapie aufgehört haben. Für das Gelingen der Psychotherapie ist es sehr wichtig, informiert zu sein und sorgfältig daran zu arbeiten, die Klientin in Sicherheit zu bringen. Wichtig ist: So lange noch Täterkontakt besteht, kann die Multiple nur therapeutisch begleitet werden; Traumabearbeitungen können erst vorgenommen werden, wenn der Täterkontakt beendet ist. 6.2.2 Phase II: -› Erleichterung von strafenden Über-ICH-Haltungen Im Wesentlichen zielen alle Interventionen dieser Phase auf das Kennenlernen der Klientin mit ihren inneren Persönlichkeiten. Hierbei setze ich das Medium des Tagebuchschreibens ein. Oft genügt es schon, eine Einladung “an alle, die etwas mitteilen wollen”, in ein Heft zu schreiben, und schon kurze Zeit später gibt es eine Fülle beschriebener Blätter. So ein Tagebuch hat drei Vorteile:
Genauso sinnvoll für das innere Kennenlernen sind die gemalten Bilder. Sie erzählen oft von traumatischen Erfahrungen. Sie sind besonders wichtig als Medium der Verständigung für die “Kinder”, die noch nicht schreiben können. Die Regeln innerhalb des Systems müssen von der Therapeutin herausgefunden und verstanden werden, insbesonderes Strafmechanismen gegenüber Persönlichkeiten, die Geheimnisse enthüllen. Kluft empfiehlt, Verträge abzuschließen, denen nach weder der Körper noch irgendeine Persönlichkeit für die preisgegebenen Informationen bestraft werden darf. Dies dient bereits in der frühen Behandlungsphase der Vorbeugung gegen Selbstverletzungen, mit denen sonst später angesichts von Enthüllungen des traumatischen Materials gerechnet werden muß. Gelingt es der Therapeutin, die Persönlichkeiten und ihre Themen frühzeitig zu identifizieren, können mögliche Krisen im Therapieverlauf besser abgesehen werden und somit kann die Klientin vor Sitzungen geschützt werden, in denen sie sich sonst als hilfloses Opfer erlebt. Von Anfang der Therapie an ist es wichtig, daß die Klientin ein offenes, stabiles und vertrauensvolles Klima vorfindet, das ihr eine ausreichende Grundlage für “innere Sicherheit” und für die Sicherheit der therapeutischen Beziehung bietet. Wie schon erwähnt, sollen durch Antisuizid- und andere Verträge sowie eine gründliche Abklärung der äußeren Lebenssituation der Klientin ihre “äußere Sicherheit” verbessert werden. Hierbei gehe ich nach dem Punkteprogramm von M. Huber vor: PUNKTEPROGRAMM nach M. Huber:
In der Phase der frühen Interventionen ist der Einsatz von Hypnose wichtig. Bei einem Einsatz von hypnotischen Techniken geht es um die Stabilisierung der Klientin. Dazu eignen sich besonders Verzögerungstechniken, d.h. sie unterbrechen einen Prozeß, der die Klientin ansonsten überwältigen könnte, ebenso wird damit Zeit für die Klientin und ihre Behandlung gewonnen. Dadurch, daß ich die Betroffene aktiv mit einbeziehe, bekommt sie erstmals Gelegenheit, sich selbst nicht als machtlos zu erleben, sondern durch eigene Einflußnahme Ereignisse zu bewältigen. Ich beschreibe die Vorgehensweise nach Kluft: BEHANDLUNGSSCHRITTE
Kluft betont, daß all diese Techniken schon früh eingeübt werden sollten und zwar bei Anlässen, die nicht bedrohlich oder überwältigend sind. Wenn dann in späteren Phasen der Behandlung traumatische Inhalte bearbeitet werden müssen, ist die Klientin darauf gut vorbereitet und verfügt über die notwendige Stärke, Sicherheit und Kontrolle. 6.2.3 Phase III: Hier wende ich die Technik “Die Stunde für sich” von Michaela Huber an. Ziel dieser Übung ist es, der Klientin erste Einblicke in ihr inneres Geschehen zu vermitteln und sie zu veranlassen, die “Innenpersonen” (ihr Unbewußtes) anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Sie soll dabei lernen, die ganze Zeit über “da” zu bleiben, ohne daß es zu einem “Personenwechsel” kommt. Diese Technik übt die Klientin erst unter Anleitung der Therapeutin ein, und wenn sie erfolgreich war, sollte sie die Übung möglichst täglich zu Hause durchführen. In diese Phase steht ebenso im Vordergrund, eine innere “Besetzungsliste” zu erstellen und eine “Landkarte” zu kartieren. Hierbei hilft es sehr, wenn die Klientin ein Tagebuch angeschaffen hat. Beim Erstellen dieser Liste werde ich nach den folgenden Fragen vorgehen: Wer ist alles da? In welcher Beziehung stehen die “Personen” zueinander? Wer kennt wen? Wer ist wie alt? Seit wann gibt es die jeweilige “Person”? Ist sie statisch – also immer gleich alt-, oder ist sie im Laufe der Zeit “gewachsen”? Hat sie einen Namen oder wie läßt sie sich erkennen? Hat sie bestimmte charakteristische Merkmale, Fähigkeiten, Eigenschaften etc.? Und welche Funktion hat sie im Persönlichkeitssystem? Insgesamt achte ich auf folgende”Personenarten”: Diese Liste und Landkarte muß immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden. 6.2.4 Phase IV: In den bereits erwähnten Phasen wurden schon die verschiedenen Verträge abgeschlossen. Ich erinnere z.B. an den “Gewaltverzichtsvertrag” oder den “Antisuizidvertrag” etc. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu klären, was bei Nichteinhaltung des Vertrages passiert. Ein Aussetzen der Therapie sollte es nicht sein, ein Abbruch der therapeutischen Beziehung nur im äußersten Notfall. Es gilt deutlich zu machen: Dies ist eine Vereinbarung, die die psychotherapeutische Arbeit und das Wohlergehen der Klientin schützen soll. Es muß besprochen werden: Falls sich “Personen” nicht an den Vertrag gebunden fühlen oder spüren, daß sie ihn nicht einhalten können, wird solange weiterverhandelt, bis eine Vereinbarung zustande kommt, die von allen eingehalten werden kann. 6.2.5 Phase V: Vor der Traumabearbeitung stehen zahlreiche Behandlungsschritte, die durchgeführt werden müssen:
6.2.5 Phase VI: In dieser Phase setze ich die Traumabearbeitung ein. Ohne Bearbeitung der Traumata kann die Behandlung der Störung nicht erfolgreich sein. Mit der Klientin muß sorgfältig die genaue Vorgehensweise der Traumabearbeitungssitzung besprochen werden. Außerdem muß über die ideo-motorischen Fingersignale abgeklärt werden, ob alle am Trauma beteiligten Innenpersonen einverstanden sind. Einwände sollten vorher geklärt und bearbeitet werden. Dann muß noch geklärt werden, welche erwachsenen Persönlichkeitsanteile das Trauma mit integrieren, die anderen “Erwachsenen” sollen “in sicherer Entfernung zusehen”. Alle übrigen Innenpersonen werden abgeschirmt, z.B. am “sicheren Ort”. Abschließend muß noch besprochen werden, welche verantwortliche Innenperson nach der Traumabearbeitung in den Vordergrund kommt und das Therapiezimmer verläßt. Fortsetzung in Heft 4/1999 |