aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2014
Gerbils: Das ABC der Rennmäuse
Die Heimat der Gerbils (Rennmäuse) sind die Trockensteppen und Wüsten Osteuropas, Asiens und Afrikas. Die bei uns als Heimtier inzwischen weitverbreitete Mongolische Rennmaus stammt aus der Ostmongolei. Dort Mitte des 19. Jahrhunderts gefangene Tiere wurden in Japan weitergezüchtet. Über die USA gelangten 1964 die ersten Zuchtpaare nach Europa.
Das Leben in Freiheit
In der mongolischen Steppe bilden die Rennmäuse einen Familienverband mit einer festen Rangordnung. Er besteht meist aus einem Elternpaar und seinen Nachkommen und umfasst bis zu 20 Tiere. Die tag- und nachtaktiven Nager ernähren sich von Sämereien, Wurzeln, aber auch tierischer Kost wie Insekten.
Sie bewohnen einen aus mehreren Kammern (Schlaf- und Vorratsräume) und Gängen bestehenden Bau, der bis zu einen Meter tief in den Sandboden gegraben wird. Er bietet Schutz vor den extremen Temperaturen (Sommer bis +50°, Winter bis -40°) und vor Feinden. Zu diesen zählen Füchse und Greifvögel – sie können eine Rennmaussippe drastisch dezimieren und schaffen so den Lebensraum für nachfolgende Generationen.
Die Reviermarkierung und -verteidigung ist vorrangig die Aufgabe der stärksten Männchen. Eindringende Artgenossen – erkennbar am fremden Geruch – werden verjagt und notfalls erbittert bekämpft. Die Mongolische Rennmaus macht so ihrem lateinischen Namen Meriones unguiculatus („Krieger mit Krallen“) alle Ehre. Zur Überschreitung von Reviergrenzen kommt es vor allem während der Fortpflanzungszeit, denn die Weibchen paaren sich auch mit Männchen aus benachbarten Revieren. Dadurch wird eine reine Inzucht vermieden.
Rennmäuse zeigen ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Sie putzen sich gegenseitig und schlafen dicht aneinander gekuschelt. Andererseits kann es bei ihnen auch zu ernsthaften Streitigkeiten um die Rangordnung kommen, die vor allem dann auftreten, wenn der Nachwuchs geschlechtsreif wird. Meist sucht der Unterlegene sein Heil in der Flucht und gründet eine eigene Kolonie.
Konsequenzen für die Haltung
Diesen Verhaltensweisen müssen die Haltungsbedingungen gerecht werden. Der Lohn ist ein Heimkino der besonderen Art, denn die kleinen Gesellen sind sehr aktiv.
Ãœberlegungen zum Kauf
Mongolische Rennmäuse dürfen nie allein gehalten werden. In Einzelhaltung verkümmern sie und sterben früher. Bei Haltung eines Pärchens oder von mehreren männlichen und weiblichen Tieren wird die Fortpflanzung schnell zum Problem. Zudem sind vor allem zwischen den heranwachsenden Nachkommen und den dominanten Elterntieren Auseinandersetzungen zu erwarten. Zwischen den männlichen Jungen und dem Vater beginnen sie etwa nach zwei Monaten, während das Muttertier seine Tochter etwa sechs Monate in Schacht halten kann.
Am besten entscheidet man sich somit für eine Gruppe gleichgeschlechtlicher Tiere. Da im Gegensatz zu vielen anderen Tierarten weibliche Rennmäuse deutlich streitlustiger sind als männliche, sollten sie nur zu zweit gehalten werden. Dagegen lassen sich Männchen auch gut in größeren Gruppen halten, wenn der Platz ausreicht.
Vor der Geschlechtsreife im Alter von fünf bis sechs Wochen kann man Jungtiere problemlos vergesellschaften. Besser ist es jedoch, Wurfgeschwister zu wählen. Dies gilt besonders für die Weibchen.
Streitigkeiten frühzeitig erkennen
In jeder noch so stabilen Rennmausgruppe können plötzlich Kämpfe ausbrechen. Das Risiko dafür steigt zum einen mit der Gruppengröße und zum anderen mit der Zeit. Grund sind Änderungen bei der Rangordnung, die z.B. auftreten, wenn das ursprünglich dominante Tier schwächer wird.
Da sich die unterlegene Rennmaus dem Kampf nicht durch Flucht entziehen kann, erleidet sie Bissverletzungen und wird oft auch getötet.
Damit es nicht dazu kommt, sollten die Tiere regelmäßig beobachtet werden. Spielerische Auseinandersetzungen in Form von Balgereien und gegenseitigem Jagen gehören zum normalen Verhalten. Gefahr droht jedoch, wenn diese zunehmen oder eine gejagte Rennmaus Angstschreie ausstößt. Zeichen eines schwelenden Konfliktes ist auch, wenn ein Tier abgesondert von den anderen schläft.
Beobachtet man einen Kampf, entfernt man mit handschuhgeschützter Hand den Angreifer aus der Gruppe. Separiert man den Gebissenen, kann es sein, dass sich der Missetäter ein neues Opfer sucht. Manchmal ist es nicht einfach, den Angreifer zu entlarven, da sich andere Tiere an der Jagd des Unterlegenen beteiligen können. Fast immer ist der Jäger gänzlich unverletzt oder hat nur Bissverletzungen im Kopf-/Maulbereich, während der Gejagte vor allem Bisse im Rückenbereich aufweist.
Erste Hilfe bei Bissverletzungen
Einzelne Bissverletzungen und Kratzer heilen glücklicherweise problemlos in einigen Tagen von selbst ab. Nur selten entwickeln sich Wundinfektionen. Das kranke Tier muss genau beobachtet werden, um festzustellen, ob es frisst und trinkt. Zur Appetitanregung empfehlen sich Sonnenblumenkerne, ein begehrter Leckerbissen für Rennmäuse.
Bei zahmen Tieren kann man Wasser aus einer Tropfpipette anbieten. Eine Wärmflasche oder Heizdecke unter dem Käfig schützt vor Auskühlung. Da eine Rennmaus schon nach kurzer Abwesenheit nicht mehr als Gruppenmitglied erkannt wird, lässt man das verletzte Tier in der Gruppe. Bei schweren Verletzungen sollte die Rennmaus zum Tierarzt gebracht werden.
Vergesellschaftung einzelner Tiere
Das Partnertier ist gestorben und zurück bleibt eine einsame Rennmaus. Was tun? Keinesfalls darf man ein neues Tier erwerben und zu dem verbliebenen setzen. Dies führt unweigerlich zu einem Kampf auf Leben und Tod, selbst dann, wenn es sich um zwei getrennt geschlechtliche Rennmäuse handelt. Oft lässt sich das Weibchen zwar decken, tötet dann aber das Männchen.
Die Chancen auf eine erfolgreiche Vergesellschaftung steigen, wenn zwei Tiere schon länger in Einsamkeit gelebt haben. Noch höher sind sie, wenn man ein fünf bis sechs Wochen altes Jungtier als neuen Partner auswählt. Dennoch ist Vorsicht geboten und Geduld angezeigt. Bewährt hat sich die Zwei-Käfig- Methode. Dabei geht man folgendermaßen vor: Der Käfig wird durch eine Trennwand, die an allen vier Seiten dicht mit dem Käfig abschließt, in zwei Hälften geteilt. Damit sie nicht umfallen kann, beschwert man sie auf beiden Seiten mit sandgefüllten Dosen oder schweren Steinen. Die Trennwand besteht optimalerweise aus einer Holzplatte (verhindert permanenten Sichtkontakt). Im unteren Bereich sägt man einen Ausschnitt aus, über den fester, engmaschiger Maschendraht genagelt wird (Ränder umbiegen, damit keine spitzen Drähte wegstehen). Die Maschen müssen so eng sein, dass eine Rennmaus nicht zwischen ihnen hindurchbeißen kann. In jedes der beiden so entstandenen Käfigabteile wird ein Tier gesetzt und täglich wechselt man die Seiten.
Durch diesen Revierwechsel und den Kontakt durch das Gitterfenster werden die beiden Rennmäuse mit dem Geruch des fremden Artgenossen vertraut. Nach etwa einer Woche (je länger man wartet, desto besser) nimmt man unter genauer Beobachtung der Kontrahenten die Trennwand weg. Das ranghöhere Tier kann durchaus ein leicht aggressives Verhalten zeigen und den schwächeren Artgenossen zum intensiven Beriechen durch den Käfig verfolgen. Nur bei heftiger Aggression müssen die Rennmäuse getrennt werden (Handschuhe anziehen und vorher Behälter bereitstellen!). Wenn binnen einer halben Stunde kein Kampf entsteht, war der Versuch mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich. Dennoch sollte man den Rest des Tages ein Auge auf die Rennmäuse haben. Wenn sie sich in ihrem Nest aneinander kuscheln, kann man davon ausgehen, dass die Vergesellschaftung gelungen ist.
Dr. med. vet. Gisela Johnssen
zurück zur Übersicht dieser Ausgabe