Neue Kommunikationswege finden

„Ich will, dass du mir von dir aus sagst, was los ist, aber bitte erst, wenn ich frage!“ – Wer in der Paarberatung arbeitet, begegnet ihnen regelmäßig: den widersprüchlichen Erwartungen, den scheinbar banalen Streitereien und den dahinterliegenden, oft tief verankerten Beziehungsmustern. Kommunikation in Partnerschaften ist selten nur das, was gesagt wird, sondern ein Geflecht aus verbalen und nonverbalen Botschaften, aus bewussten Wünschen und unbewussten Bedürfnissen, aus Ich-Zuständen, die miteinander im Dialog stehen oder aneinander vorbeireden. Ob es die klassische Double-Bind-Situation ist („Du musst lernen, selbstständig zu sein, aber frag mich vorher, was ich davon halte!“) oder ein elterlich-kritischer Tonfall, der unbeabsichtigt das „rebellische Kind“ im Gegenüber aktiviert – die Fallstricke partnerschaftlicher Kommunikation sind zahlreich, wiederkehrend und oft emotional stark aufgeladen.
Dieser Artikel stellt eine Fallstudie aus der Paarberatung vor, in der solche Dynamiken eine zentrale Rolle spielen. Anhand eines Paares wird gezeigt, wie sich festgefahrene Interaktionsmuster erkennen, benennen und mit Geduld, Humor und therapeutischem Handwerkszeug verändern lassen.
KLIENTEN
Das Paar, das sich zur Beratung anmeldet, ist seit über zwei Jahrzehnten verheiratet und sowohl privat als auch beruflich eng miteinander verbunden. Herr und Frau W. leiten gemeinsam ein kleines Unternehmen im Dienstleistungsbereich – sie in der organisatorischen Leitung, er als fachlich verantwortlicher Geschäftsführer. Frau W., Anfang 50, verfügt über ein breites psychologisches Grundverständnis, das sie sich über Jahre hinweg durch Literatur, Seminare und persönliche Entwicklung angeeignet hat. Sie spricht schnell, klar strukturiert und mit einer bemerkenswerten Selbstreflexion.
Herr W., Mitte 50, begegnet dem Beratungssetting zunächst mit zurückhaltender Skepsis. Seine Antworten sind kurz, oft humorvoll untermauert, nicht selten mit einem Augenzwinkern, das Distanz schaffen soll. Emotionale Fragen quittiert er mit Achselzucken oder einem vagen „Na ja“, während sein Blick meist in Richtung Tischkante oder Partnerin wandert. Im beruflichen Kontext funktionieren die beiden hervorragend als Team. Privat jedoch zeigen sich zunehmend Spannungen, v. a. im Bereich der Kommunikation. Während Frau W. den starken Wunsch äußert, „endlich wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen“, fühlt sich Herr W. in solchen Momenten emotional überfordert und zieht sich zurück.
AUSGANGSLAGE
Bereits in den ersten Sitzungen wird deutlich, dass sich die beiden auf unterschiedlichen „inneren Frequenzen“ bewegen:
Frau W. agiert aus einem emotional suchenden, aktiv kontaktorientierten Modus heraus, Herr W. hingegen tendiert zu einem kontrollierten Rückzug, oft mit dem impliziten Bedürfnis nach Entlastung. Gleichzeitig ist unübersehbar: Beide verbindet eine tiefe Loyalität und der Wunsch, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren.
In der ersten Sitzung sagt Frau W. mit einem Seufzer: „Ich rede und rede, und er hört mit einer Gründlichkeit, die fast bewundernswert ist, weg.“ Herr W. kontert trocken: „Wenn ich nicht reagiere, ist das auch Kommunikation – nur halt die stille Version.“ Solche Äußerungen spiegeln nicht nur ihre Gegensätzlichkeit, sondern auch einen gemeinsamen Humor.
PROBLEM- UND KONFLIKTANALYSE
Im Zentrum des Paarkonflikts stehen zwei wiederkehrende Themen: Frau W. fühlt sich emotional weder wahrgenommen noch gesehen, gehört oder ernstgenommen. Besonders belastend erlebt sie die Stimmungsschwankungen ihres Partners, auf die sie oft ratlos reagiert. Ihr Bedürfnis nach emotionaler Verbundenheit kollidiert regelmäßig mit seiner Suche nach Rückzug und innerer Ruhe.
Herr W. beschreibt, dass er sich häufig von den emotionalen Ansprüchen seiner Frau überfordert fühle. Ihre Gesprächsversuche empfinde er nicht selten als Vorwürfe oder eine subtile Form von Kritik. Er begreift oft nicht, was sie von ihm will. Dieser Mangel an Klarheit führt bei ihm zu Frustration. In der Folge zieht er sich zurück, was Frau W. als Desinteresse oder Ablehnung interpretiert.
Systemische Sicht
Diese Dynamik erzeugt ein sich wiederholendes Muster: Sie versucht, zunehmend intensiver, eine Reaktion oder ein Gespräch zu initiieren – verbal, emotional oder durch Rückzugsandrohungen. Er hingegen kontert mit Schweigen oder sachlicher Distanz, was sie nur noch stärker in die emotionale Aktivität treibt. Auf systemischer Ebene lässt sich ein klassisches Eskalationsmuster beobachten.
Kommunikationstheoretische Sicht
Hier zeigt sich das Zusammenspiel von inkongruenten Botschaften (z. B. „Es ist alles gut!“ mit sichtbarer Anspannung) und impliziten Double-Binds. Ebenso ist eine unbewusste Aktivierung komplementärer Ich-Zustände nach der Transaktionsanalyse zu beobachten. Hinzu kommen individuelle Belastungsfaktoren: Die langjährige berufliche Zusammenarbeit intensivierte ihre Nähe und führte zu einer Art Dauersymbiose, in der Rückzug oder Abgrenzung als Beziehungskrise interpretiert wurden.
Typisch ist eine Szene, in der Frau W. erklärt: „Ich will ja gar nicht viel, nur ein echtes Gespräch, so zwei Stunden am Stück, ohne Ablenkung.“ Herr W. murmelt daraufhin: „Das klingt wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung.“ Hinter dem Lächeln steht jedoch das echte Unverständnis der Bedürfnisse des anderen und der Wunsch, nicht erneut zu scheitern.
ZENTRALE ELEMENTE DER PAARBERATUNG
Paarberatung basiert in weiten Teilen auf der Annahme, dass Konflikte weniger durch die Inhalte des Gesagten entstehen, sondern vielmehr durch die Art und Weise, wie kommuniziert wird. Missverständnisse, Erwartungshaltungen und unbewusste Reaktionsmuster sind häufig die eigentlichen Quellen repetitiver Konflikte. Die vier Seiten einer Nachricht Ein gravierender theoretischer Bezugspunkt ist dabei die Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun. Seine Theorie der „Vier Seiten einer Nachricht“ – Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehungsebene und Appell – verdeutlicht, wie unterschiedlich Mitteilungen verstanden werden können, je nachdem, welche Seite beim Gegenüber im Vordergrund steht. So kann eine scheinbar neutrale Aussage, etwa „Die Milch ist alle“, als Information, Vorwurf oder indirekter Wunsch verstanden werden und damit unterchiedliche Reaktionen hervorrufen.
Transaktionsanalyse
Ergänzend liefert die Transaktionsanalyse nach Berne wichtige Impulse für das Verständnis von Paardynamiken. Die Konzepte des Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich machen deutlich, wie Kommunikation durch gelernte Rollen und Reaktionsmuster geprägt ist. In Paarbeziehungen zeigt sich dies oft in festgefahrenen komplementären Transaktionen, bei denen ein Partner etwa im kritischen Eltern-Ich spricht, während der andere in ein kindlich-trotziges Muster rutscht.
Systemische Ansätze
Auch diese betonen, dass Verhalten nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit dem Beziehungssystem betrachtet werden sollte. Symptome eines Partners können Hinweise auf dysfunktionale Muster im Gesamtsystem sein. Hier setzt die beratende Arbeit an, nicht durch Schuldzuweisung, sondern durch gemeinsame Reflexion und bewusste Unterbrechung automatisierter Abläufe.
Diese theoretischen Grundlagen bilden auch in diesem Fall die Basis für das Verständnis der Paardynamik und helfen, konkrete Veränderungsprozesse einzuleiten.
VERLAUF UND METHODEN
Meine Beratung erstreckt sich über insgesamt 10 Sitzungen im Abstand von jeweils 2-3 Wochen. Ziel ist es zunächst, eine gemeinsame Sprache für das Erleben beider Partner zu finden, ohne dabei in gegenseitige Schuldzuschreibungen oder psychologisierende Diagnosen zu verfallen.
Innere Landkarte
Elementar ist u. a. das Sichtbarmachen der jeweiligen inneren Landkarte der Partner. Sie erhalten Raum, ihr Erleben zu schildern, ohne auf die Reaktion des Gegenübers angewiesen zu sein. Hierbei kommen Methoden wie Zirkuläres Fragen, Perspektivwechsel und das Externalisieren belastender Kommunikationsmuster zum Einsatz.
Nähe und Distanz
Ein sich wiederholendes Thema ist der unterschiedliche Umgang mit Nähe und Distanz. Während Frau W. ihr Bedürfnis nach emotionalem Austausch artikuliert, wird ihrem Mann deutlich, dass sein Verhalten oft als emotionaler Rückzug aus der Beziehung interpretiert wird.
Ich-Zustände
Im weiteren Verlauf werden Muster unterbrochen und neue Handlungsoptionen erarbeitet. Dabei hilft die Arbeit mit Ich-Zuständen aus der Transaktionsanalyse. Auch Übungen zur achtsamen Kommunikation und die Anwendung des Konzepts „Vier Seiten einer Nachricht“ werden integriert. Besonders wirksam ist der Moment, als beide äußern, sie drehten sich „im Kreis“. Diese Erkenntnis dient als Wendepunkt: Sie beginnen, gemeinsam auf das Muster zu schauen, anstatt einander dafür verantwortlich zu machen.
Reaktionsmuster erfahrbar machen
Ein ausschlaggebendes Zitat, das ich mehrfach höre, lautet: „Es ist wie ein Tanz – nur dass wir beide nicht wissen, wer führt.“ In einer Sitzung gelingt es, dieses Bild therapeutisch aufzugreifen und zum Ausgangspunkt für eine neue Haltung gegenüber der Paardynamik zu machen. Ein besonderer Fokus liegt darauf, die unterschiedlichen Reaktionsmuster nicht nur zu analysieren, sondern auch körperlich und emotional erfahrbar zu machen. In einer Sitzung wird z. B. mit Stühlen gearbeitet, um räumlich zu verdeutlichen, wie sich Nähe und Rückzug in der Interaktion anfühlen. Herr W. bemerkt, dass er sich sofort innerlich anspannt, sobald seine Frau „zu nah“ rückt, während Frau W. die Distanz als emotionalen Mangel interpretiert.
Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT)
Methoden aus der EFT, v. a. das Benennen und Validieren primärer Emotionen, werden eingesetzt. Es zeigt sich, dass viele Eskalationen nicht aus Ärger, sondern aus tiefer Enttäuschung, Angst oder Scham entstanden sind. In einer Übung formuliert Frau W. unter Tränen: „Ich werde so laut, weil ich mich ganz allein fühle, wenn du nichts sagst.“ Dieser Moment führt zu einem gemeinsamen Innehalten und läutet einen emotionalen Wandel ein.
Imaginative Techniken
Zur Stärkung der Selbststeuerung werden imaginative Techniken eingesetzt, z. B. das innere Bild eines „emotional sicheren Raums“, in den sich beide gedanklich zurückziehen können, bevor sie in bekannte Eskalationsmuster verfallen. Dies wird als Notfallstrategie für den Alltag etabliert.
Reflexionskarten
In späteren Sitzungen nutzen wir Reflexionskarten, um implizite Beziehungsbedürfnisse sichtbar zu machen. Diese dienen als Sprachbrücke, besonders für Herrn W., der sich mit emotionalem Ausdruck schwertut. Das Kartenset ermöglicht ihm, Bedürfnisse wie „verstanden werden“, „nicht überfordert werden“ oder „als ausreichend empfunden werden“ konkret zu benennen, ohne sich sprachlich rechtfertigen zu müssen.
ENTWICKLUNG UND ERGEBNIS
Im Verlauf der Beratung verändert sich der Ton der Gespräche ebenso wie die Haltung der Partner zueinander. Frau W. formuliert in einer Sitzung: „Vielleicht rede ich wirklich manchmal zu viel, weil ich Angst habe, dass es sonst gar keine Verbindung mehr gibt.“ Herr W. reagiert: „Ich verstehe das. Ich merke, ich ziehe mich zurück, weil ich das Gefühl habe, ich komme sowieso nicht hinterher.“
Diese gegenseitigen Einblicke ermöglichen neue Perspektiven: Konflikte können früher erkannt und deeskaliert werden. Im Alltag berichten beide von kleinen, aber spürbaren Veränderungen: achtsamere Gespräche, bewusste Rückzugszeiten und respektvoller Umgang mit Unterschiedlichkeit.
Die Beratung endet ohne großen Durchbruch, aber mit dem klaren Wunsch beider Partner, den begonnenen Prozess fortzusetzen – als Entscheidung für ihre Beziehung. Am Ende sagt Frau W. augenzwinkernd: „Ich habe gelernt, dass weniger manchmal mehr ist – sogar beim Reden.“ Und Herr W. ergänzt: „Und ich, dass ein Gespräch nicht gleich ein Verhör ist. Meistens jedenfalls.“
FAZIT
Paarberatung bewegt sich oft im Spannungsfeld zwischen Wunsch und Überforderung, Verbindung und Rückzug. Die Arbeit mit diesem Paar zeigt, wie fragil die Balance zwischen Zuhören, Führen und Raumlassen oft ist. Veränderung beginnt selten spektakulär, sondern im Kleinen: in einem ehrlichen Satz, einem unterlassenen Rückzug, einem neu gewählten Tonfall. Letztlich geht es weniger darum, wer „Recht hat“, sondern darum, einander wieder sehen und hören zu lernen – trotz aller Unterschiede. Paarberatung ist nie nur die Reparatur eines beschädigten Dialogs, sondern vielmehr der Beginn eines neuen, bewussteren Miteinanders. Der vorliegende Fall macht klar, dass Paare nicht unbedingt „gleich ticken“ müssen, um konstruktiv zusammenzuwachsen. Unterschiedlichkeit ist kein Defizit, sondern eine Einladung zur Entwicklung – vorausgesetzt, es gibt die Bereitschaft zur ehrlichen Auseinandersetzung. Beratung endet oft lange bevor der Prozess abgeschlossen ist. Gerade darin liegt ihr Potenzial: Sie setzt Impulse, die im eigenen Tempo weiterwirken dürfen.

Kati Kumschlies
Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Praxis in Regensburg, Schwerpunkt: Systemische und kognitive Verfahren, Dozentin an den Paracelsus Gesundheitsakademien
info@praxis-kumschlies.deWeitere Artikel aus dieser Ausgabe
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