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Die Vorstellung von einem zentralen Konfliktthema (Fokus), das eine beratend-leitende Funktion besitzt, ist
in dieser oder jener Form in fast allen Beratungsstunden nachweisbar. Sie beinhaltet das Bekenntnis zur
aktiven Steuerung des Beratungsprozesses. Fokussieren ist die Absicht, subjektive und objektive Faktoren
verschiedener Beobachtungsebenen auf eine Weise zusammenzuführen, daß sie zu einem Problemfokus werdendem
diagnostische oder beratende Bedeutung zukommt. Es handelt sich also sowohl um eine Zusammenfassung als auch
Akzentuierung erhaltener Daten. Je nach Art des Zusammenführens der in der Beratung erhaltenen
Informationen/Daten (Fokus) finden anamnestische Daten, Verhaltensbeobachtungen im Verlauf der Gespräche, aber
auch subjektive Empfindungen des Psychologischen Beraters (wird im nächsten Beitrag besonders dargestellt) mit
unterschiedlichstem Gewicht Verwendung. Auf diese Weise entstehen:
- der Systemfokus
- der Fokus für die auslösende Situation
- der Fokus, der ein Hindernis in der Problementfaltung markiert (der Widerstandsfokus)
- der Fokus, der einen Zusammenhang zwischen Symptomatik, Bewältigungsstil und der Berater-Klient-Beziehung
ausdrückt (dynamischer Fokus), evtl. auch verbundenen mit dem “Flash” (blitzartige Erkenntnis in der
Beratung, Aha-Erlebnis, das Berater und Klient verbindet).
Dieser Vorgang ist die ausreichende Kennzeichnung des Beratungsproblems, da sich dann eine Beziehungsebene
gebildet hat, in der die aktuelle Situation erscheint und eine konkrete Verständigungsgrundlage da ist.
Dazu könnte der Psychologische Berater wie folgt vorgehen:
- Abgrenzung eines Beziehungsbereiches, in der über die Beziehung mit einer Person (einschließlich des
Beraters) gesprochen wird.
- Die Reduzierung des verstandenen Problems auf einen Satz mit zwei Richtungen, nämlich die Intentionen
(Gefühl) des Klienten (z. B. “Ich möchte etwas von … (einer Person)”, und den Konsequenzen des Versuchs,
seinen Wunsch zu erfüllen. Dabei kann es um innere Konsequenzen (z.B. ” … aber ich bekomme Angst …”) oder
äußere Konsequenzen (z. B. “… aber ich werde abgelehnt …”) handeln.
In diesem Satz ist demnach
enthalten – die Wahrnehmung eines Wunsches und – die Wahrnehmung einer besonderen Situation, die
erwartete Hilflosigkeit, Unsicherheit und Angst beinhaltet.
Wie die Praxis berichtet, kann es angesichts der Vernetzung unbewußter Motivstrukturen kaum eine
Fokusdiagnostik geben, die nicht in Wechselbeziehung mit dem interaktionellen Prozeß in der Beratung selbst
steht. Einerseits wird der Fokus nicht zuletzt mit Hilfe der Empathie (vgl. Beitrag Teil 3 in Heft 3, S.28)
des Beraters aufgebaut, der seine Eindrücke vom gegenwärtigen Charakter der Beziehung mehr oder weniger bewußt
in den diagnostischen Prozeß einbezieht. Andererseits zeigt sich eine Beziehungsproblematik, die eine
psychische Störung ausbildet, auch in irgendeiner Weise in einer Beziehung, die im Hinblick auf ihren
Differenzierungsgrad und Anforderungscharakter ausgesprochen bedeutsam ist. Insofern verlangt ein
abgerundetes Bild vom beratenden Fokus die Herstellung einer Beziehung zwischen den gegenwärtigen
außerberatenden und innerberatenden Beziehungen. Voraussetzung für die Stabilität beratender Effekte
außerhalb der beratenden Beziehung ist die konsequente Herstellung einer Subjektposition des Klienten
(Gleichartigkeit der Beziehung, Unabhängigkeit, Selbstkontrolle usw.) was wie beschrieben motivationale
(Antriebe) Aspekte einschließt. Daher erscheint es notwendig, die Entwicklung der beratenden Beziehung über
verschiedene Phasen der Komplementarität zur Gleichartigkeit methodisch zu widerspiegeln und insbesondere die
motivationalen Probleme der Übernahme von Selbstverantwortung für symptomatisches Verhalten zu
berücksichtigen.
Mögliche Stufen der Beratungsmotivation (Beweggründe)
1. Allgemeine Beratungsmotivation – “Ich brauche Hilfe” Gefühle: Mir geht es
nicht gut, ich fühle mich krank, fühle mich hilflos, brauche jemanden, der mir irgendwie
hilft. Ankerbeispiel: – Ich glaube nicht, daß meine Probleme von allein wieder
verschwinden. – Mein Zustand kann durch eine Beratung/Hilfe verbessert werden. – Ich bin bereit, der
Beratung nachzugehen, wenn sie mir hilft.
2. Beratungsmotivation – “Ich brauche spezielle Beratung” Gefühle: Ich bin
mir bewußt, daß meine Probleme vorwiegend seelischer Natur sind und brauche daher ausschließlich oder
zusätzlich Hilfe. Ankerbeispiel: – Da meine wesentlichen Beschwerden psychischer Natur sind,
benötige ich daher psychologische Beratung. – Ich brauche eine Beratung, die es mir ermöglicht, bisherige
Vorstellungen und Sichtweisen zu ändern. – Ich brauche psychologische Beratung, um wieder besser mit dem
Leben zurechtzukommen.
3. Motivationen zur Wahrnehmung von Beziehungs-Zusammenhängen – “Ich bin bereit, Zusammenhänge
zwischen Symptomatik und Situation (usw.) wahrzunehmen” Gefühle: Ich erlebe den
Zusammenhang zwischen Symptomatik und einer bestimmten Situation, in welcher ich mich befinde (bzw. bestimmtem
Verhalten). Ankerbeispiel: – Für mich sind die Symptome zum Signal meines Fehlverhaltens
geworden. – Meistens weiß ich jetzt, was meine Symptome ausdrücken. – Ich weiß jetzt, daß ich etwas
falsch mache, wenn meine Beschwerden sich melden.
4. Motivation zur aktiven Selbstbeeinflussung Gefühle: Für den Abbau meiner
Beschwerden sehe ich Möglichkeiten der aktiven Selbstbeeinflussung. Ankerbeispiel: – Ich
spüre,daß ich mich verändern kann und dadurch meine Symptomatik kontrolliere. – Ich erlebe, wie ich selbst
Einfluß nehmen kann auf mein Befinden. – Ich stehe meinen Beschwerden nicht mehr hilflos gegenüber, sondern
kann sie aktiv beeinflussen.
5. Transfer (Übertragung) erreichter Möglichkeiten – “Ich sehe Möglichkeiten der aktiven
Selbstbeeinflussung, erlebe meine Fähigkeiten der Einflußnahme und möchte dafür sorgen, daß positive
Veränderungen unter schwierigen Bedingungen bestehen bleiben” können gleichsam als Prozeßetappen
aufgefaßt werden, da wesentliche Variable des Prozesses im Aspekt der Beratungsmotivation jeweils bei einem
Fokus gebündelt werden, wie: – Einstellung des Klienten zur Beratung – Form der Berater-Klient – auch
Klient-Gruppe-Beziehung – Widerstands-/Abwehrmuster – Dynamik der individuellen Beratungszielbestimmung
u.a. Gefühle: “Ich kann jetzt meine Symptome kontrollieren und möchte dafür sorgen, daß auch
unter schwierigen Bedingungen die Veränderung bestehen bleiben. Ankerbeispiel: – Ich fühle mich
durch die Beratung relativ wohl und muß unbedingt dafür sorgen, daß die Änderungen bestehen bleiben. – Ich
weiß,daß es für mich Mühe kosten wird, die erreichten Änderungen aufrechtzuerhalten. – Ich sehe den
Entstehungszusammenhang meiner Beschwerden, Störungen deutlich, kann Einfluß darauf nehmen und will es auch
weiter tun können.
Erfahrungsgemäß wird durch eine sach- und fachgerechte psychologische Beratung eine bessere Übereinstimmung
des subjektiven Bezugssystems des Klienten mit objektiv gesetzten biologischen oder sozialen Bezügen
hergestellt. In diesem Prozeß ist der Berater als Teil des sozialen Bezugssystems des Klienten wesentlich,
indem er sich komplementär auf die Bedürfnisse des Klienten einstellt bzw. dafür Sorge trägt, daß
Umweltbedingungen an individuelle Bedürfnisse angepaßt werden. Damit befindet er sich aber auch in der
Funktion eines Reglers der Spannung in diesem System, der die Möglichkeit hat, durch bewußte Gestaltung der
Beziehung die personellen Widersprüche zu mildern, aber auch zu verschärfen, zuzudecken oder bewußter zu
machen. Individueller beratender Fortschritt drückt sich unter diesem Aspekt als höherer Unterscheidungsgrad
der sozialen Beziehungsgestaltung aus.
(Wird in Heft 5 fortgesetzt)
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